Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 06.04.2006
Aktenzeichen: 17 WF 57/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1603 Abs 2 S 2
BGB § 1606 Abs 3
BGB § 1612 b Abs 1
BGB § 1612 b Abs 2
Berechnung der anteiligen Haftung bei Zusammentreffen eines privilegierten volljährigen und eines minderjährigen Kindes; Kindergeldanrechnung beim privilegierten volljährigen Kind bei Leistungsfähigkeit beider Eltern.
Oberlandesgericht Stuttgart

- 17. Zivilsenat -

Familiensenat

Beschluss

vom 06. April 2006

Geschäftsnummer: 17 WF 57/06

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalt

hier: Prozesskostenhilfe für die erste Instanz

hat der 17. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart

durch Richter am OLG Maier als Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Rottweil vom 17.01.2006 in Verbindung mit dem Abhilfebeschluss vom 20.02.2006 (jeweils 4 F 418/05)

abgeändert.

Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin Y. K. ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie den Beklagten auf rückständigen Kindesunterhalt für die Monate Oktober bis Dezember 2005 in Höhe von 431,-- € sowie auf laufenden Kindesunterhalt ab Januar 2006 in Höhe von 352,-- € monatlich in Anspruch nimmt.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache im Wesentlichen Erfolg.

Der Beklagte schuldet der am .1986 geborenen Klägerin gem. § 1601 BGB Kindesunterhalt. Die Klägerin ist zwar volljährig; da sie jedoch noch bei ihrer Mutter wohnhaft und Schülerin ist, ist sie gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB minderjährigen Kindern, und somit ihrer am .1990 geborenen Schwester S., die ebenfalls bei der Mutter lebt, gleichrangig.

Der Bedarf der Klägerin bemisst sich nach Ziff. 13.1.1 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland (SüdL) nach dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern, wobei Nr. 11.2 SüdL nicht zur Anwendung kommt, somit trotz des Vorliegens von lediglich zwei Unterhaltsverpflichtungen eine Höherstufung nicht vorzunehmen ist.

Das Familiengericht hat in nicht beanstandeter Weise das Einkommen der Eltern wie folgt festgestellt:

Mutter:

 Durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen1.442,-- €
./. 5 % berufsbedingte Aufwendungen72,10 €
./. Schuldendienst150,-- €
 1.219,90 €

Beklagter:

 Durchschnittliches Nettoeinkommen1.888,17 €
./. 5 % Berufsaufwand94,41 €
./. Schuldendienst150,-- €
zuzügl. behaupteter Nebeneinkünfte aus Vortragstätigkeit, deshalb zunächst ohne Abzug pauschaler berufsbedingter Aufwendungen150,-- €
 1.793,76 €

Ein Vorwegabzug des Unterhalts für die minderjährige Schwester der Klägerin vom Einkommen des Beklagten vor der Berechnung des Bedarfs der Klägerin ist nicht vorzunehmen.

Zu Recht verwirft das Familiengericht insoweit die von Borth in Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 5. Auflage, 2004, Teil V, Rn. 168 ff., vorgeschlagene Berechnungsweise der prozentualen Aufteilung des auf Seiten des Beklagten zur Verfügung stehenden Einkommens auf minderjährige und privilegierte volljährige Kinder vor der Anteilsberechnung mit der Mutter, da diese Methode die erziehende Mutter unangemessen benachteiligt. Sie übersieht, dass außerhalb des Mangelfalls jedes gleichrangige Kind seinen vollen Bedarf erhalten kann und keine zuvor künstlich herbeigeführten Minderungen seines Bedarfs hinnehmen muss. Dementsprechend erkennt der Bundesgerichtshof in dieser Berechnungsweise auch lediglich für den Fall, dass sich eine Mangelfallsituation abzeichnet, eine angemessene und ausgewogene Berücksichtigung der berechtigten Interessen aller Berechtigten und Verpflichteten (BGH FamRZ 2002, 815, 818).

Gleichermaßen ist jedoch auch die von Scholz in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage, 2004, § 2, Rn. 470 vorgeschlagene Berechnungsweise im Hinblick auf die Gleichrangigkeit des Unterhaltsanspruchs der Klägerin mit dem Unterhaltsanspruch ihrer minderjährigen Schwester nicht angemessen, da der dort herangezogene Vergleich des Unterhaltsanspruchs eines privilegierten volljährigen Kindes mit dem Ehegattenunterhalt nicht trägt. Beim Ehegattenunterhalt hat der BGH für den Unterhaltsanspruch der erziehenden Mutter einen Vorwegabzug des Unterhalts des minderjährigen Kindes auf Seiten des Einkommens des Beklagten vor allem deswegen angenommen, weil auch während intakter Ehe zunächst aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen die Kinder zu versorgen waren und lediglich das restliche Geld den erwachsenen Familienmitgliedern zur Verfügung gestanden hat. Insofern liegt eine vergleichbare Situation nicht vor, da sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen muss, dass aus den auf Seiten des Beklagten für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst ihre minderjährige Schwester versorgt werden muss und ihr lediglich ein Restbetrag zur Verfügung steht.

Sofern kein Mangelfall vorliegt, kann deshalb die Klägerin auch ihren Unterhaltsbedarf aus dem vollen Einkommen ihrer Eltern herleiten, wie es sich ohne vorherige Berücksichtigung anderweitiger Unterhaltspflichten errechnet, vorliegend somit aus einem Einkommen in Höhe von

 auf Seiten des Beklagten1.793,76 €
auf Seiten der Mutter der Klägerin1.219,90 €
 3.013,66 €

Dieses Einkommen fällt in Gruppe 9 der Düsseldorfer Tabelle, nach der 4. Altersstufe beträgt der Bedarf der Klägerin somit 536,-- €.

Die Frage, ob von diesem Betrag das Kindergeld in Höhe von 154,-- € bedarfsdeckend in Abzug zu bringen ist, kann nach derzeitiger Gesetzes- und Rechtsprechungslage nicht im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens zu Lasten der Klägerin entschieden werden, da diese Frage höchstrichterlich bislang nicht entschieden ist und in der Literatur kontrovers diskutiert wird.

Mit Urteil vom 26.10.2005 (FamRZ 2006, 99) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dann, wenn ein Elternteil allein für den Barunterhalt eines volljährigen (auch privilegiert volljährigen) Kindes aufzukommen hat, das Kindergeld in voller Höhe bedarfsdeckend auf den Bedarf des Kindes anzurechnen ist. Eine hiervon abweichende Fallgestaltung hatte der Bundesgerichtshof nicht zu entscheiden. Soweit er sich in den Gründen der genannten Entscheidung mit der Frage beschäftigt hat, in welcher Weise der materiellen Gerechtigkeit Genüge getan werden kann, um bei unterschiedlicher Haftung für den Barunterhalt zu einer auch entsprechenden Entlastung der Elternteile durch das Kindergeld zu gelangen, handelt es sich lediglich um ein obiter dictum, welches noch nicht ohne weiteres erkennen lässt, ob es sich lediglich um eine Anregung an den Gesetzgeber handelt, oder ob der BGH in einem Streitfall tatsächlich die Vorschrift des § 1612 b Abs. 2 BGB in ihrem Anwendungsbereich auf minderjährige Kinder beschränken würde. Dies haben Scholz und Viehfus in ihrer Anmerkung in der FamRZ im unmittelbaren Anschluss an die abgedruckte BGH-Entscheidung in dieser Weise ausgelegt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in jedem Fall der anteiligen Haftung auf Barunterhalt für volljährige Kinder das Kindergeld in voller Höhe bedarfsdeckend zu berücksichtigen ist. In gegenteiliger Weise hat sich Soyka in seiner Besprechung der genannten BGH-Entscheidung in FuR 2006, 79 geäußert, der auch darauf hinweist, dass bei anteiliger Barunterhaltspflicht eine Zuweisung des Kindergeldes, welche von der hälftigen Aufteilung des § 1612 b Abs. 2 BGB abweicht, den steuerlichen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes widerspricht.

Angesichts dieser rechtlichen Unsicherheit ist im Prozesskostenhilfeverfahren zugunsten der Klägerin diejenige Alternative zu unterstellen, die ihr günstiger ist. Dies ist vorliegend die Anwendung des § 1612 b Abs. 2 BGB auch für die Kindergeldverrechnung bei volljährigen Kindern, da diese den Beklagten lediglich im Umfang des hälftigen Kindergeldes entlastet und nicht, wie bei einem bedarfsdeckenden Vorwegabzug in Höhe seines gegenüber der Mutter mehr als hälftigen Haftungsanteils.

Konkret berechnet sich der Haftungsanteil des Beklagten nach der Formel der Ziff. 13.3 SüdL, wobei von den beiderseitigen Einkünften jeweils ein Sockelbetrag in Höhe von 1.100,-- € in Abzug zu bringen ist, da beide Elternteile einen Verdienst über diesen Betrag haben und deswegen eine ausnahmsweise Herabsetzung des Sockelbetrages auf 890,-- € nicht erforderlich ist. Die Einsatzbeträge für die Haftungsquote belaufen sich somit auf

 beim Beklagten 1.793,76 € abzüglich 1.100,-- € =693,76 €
und bei der Mutter der Klägerin auf 1.219,90 € abzüglich 1.100,-- € =119,90 €.

Der Haftungsanteil des Beklagten beträgt:

 693,76 € : 813,66 € x 536,-- € =457,02 €
./. hälftiges Kindergeld77,-- €
 380,02 €

Nach Ziff. 1311 der SüdL hat ein Elternteil jedoch höchstens den Unterhalt zu leisten, der sich allein aus seinem Einkommen aus der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Bei einem Eigeneinkommen von 1.793,76 € würde der Beklagte bei alleiniger Haftung in Gruppe 4 der Düsseldorfer Tabelle einzustufen sein, wobei er wegen lediglich zwei Unterhaltsverpflichtungen um eine Gruppe höher zu stufen wäre, nämlich in Gruppe 5 der Düsseldorfer Tabelle.

 Danach hätte er in der 4. Altersstufe an die Klägerin zu bezahlen429,-- €
./. hälftiges Kindergeld (§ 1612 b Abs. 5 BGB gilt für privilegierte volljährige Kinder nicht)77,-- €
 352,-- €

Auf diesen Betrag ist der Haftungsanteil des Beklagten begrenzt.

Bei einem Vorwegabzug des Kindergeldes als bedarfsdeckende Leistung würde die Klägerin schlechter stehen, was folgende Kontrollberechnung ergibt:

 Der Bedarf der Klägerin würde sodann betragen536,-- €
./. volles Kindergeld154,-- €
 382,-- €

Die Haftungsquote des Beklagten würde sich belaufen auf:

693,76 € : 813,66 € x 382,-- € = 325,71 €.

Der Rückstand für die Monate Oktober bis Dezember 2005 errechnet sich wie folgt:

Anspruch der Klägerin wie oben dargestellt 3 x 352,-- € = 1.056,-- €

Im gleichen Zeitraum hat die Schwester S. einen Anspruch auf Kindesunterhalt aus der 3. Altersstufe, 5. Einkommensgruppe in Höhe von 373,-- € abzüglich anteiligem Kindergeld nach § 1612 b Abs. 5 BGB in Höhe von 57,-- €, insgesamt also 316,-- € x 3 = 948,-- €.

Der Anteil der Klägerin am Gesamtunterhalt beträgt 52,7 %.

Bezahlt hat der Beklagte auf diesen Betrag 1.186,-- €, worauf 52,7 %, somit 625,-- €, auf die Klägerin entfallen, der Rest auf das Kind S..

Ausgehend von einem Anspruch für sämtliche drei Monate in Höhe von 1.056,-- € und einer darauf erbrachten Zahlung von 625,-- € errechnet sich ein Rückstand von 431,-- €.

Die Tatsache, dass im Oktober 2005 das Kindergeld noch auf ein gemeinsames Konto der Parteien geflossen ist, ändert an diesem Ergebnis nichts, da in diesem Fall das Kindergeld von den Parteien auch hälftig verbraucht wurde und damit beiden Elternteilen gleichmäßig zugutegekommen war.

Ende der Entscheidung

Zurück