Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 29.08.2002
Aktenzeichen: 19 U 39/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 139
BGB § 1939
BGB § 2048 Satz 1
BGB § 2085
BGB § 2087
BGB § 2087 Abs. 1
BGB § 2087 Abs. 2
BGB § 2270
BGB § 2270 Abs. 2
BGB § 2276
BGB § 2278
BGB § 2289 Abs. 1 Satz 2
BGB § 2293
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 519 Abs. 3 Ziff. 3 a. F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 709 Satz 2
ZPO § 711
1. Behalten Eheleute in einem Erbvertrag, in dem sie Kinder vertragsmäßig je zur Hälfte als Schlusserben einsetzen, dem Überlebenden vor, den Nachlass unter den eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zu verteilen, so ist schon die Anordnung eines Vorausvermächtnisses über den gesamten Nachlass zugunsten der Kinder regelmäßig nicht gedeckt.

2. Zur analogen Anwendung von § 2085 BGB auf eine derartige Vermächtnisanordnung.


Oberlandesgericht Stuttgart - 19. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 19 U 39/02

Verkündet: 29. August 2002

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 1. August 2002 unter Mitwirkung

des Vors. Richters am Oberlandesgericht Strobel, des Richters am Oberlandesgericht Trost sowie des Richters am Landgericht Dr. Brinkmann

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 31. Januar 2002 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin Erbin nach ihrer Mutter A H zu 1/2 des Nachlasses ist.

2. Es wird festgestellt, dass die Anordnung des Vorausvermächtnisses zugunsten des Beklagten im Testament der A H vom 9. Februar 2000 insoweit unwirksam ist, als dem Beklagten darin mehr als das gesamte Kapitalvermögen der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls zugewandt worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin 1/15 und der Beklagte 14/15 zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Klägerin und Beklagter können die gegen sie gerichtete Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 115.040,67 €

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Erbfolge nach ihrer Mutter, Frau A H, die am 3. April 2001 starb.

Die Parteien sind Halbgeschwister. Die Klägerin wurde vor der Ehe der Erblasserin mit Herrn H H geboren. Der Beklagte entstammt dieser Ehe.

Die Eheleute H schlossen am 13.08.1963 einen Ehe- und Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und Nacherben für den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden bestimmten.

Am 19.04.1982 ließen die Eheleute einen Nachtrag zu dem Erbvertrag von 1963 notariell beurkunden. Darin setzte der Überlebende der Eheleute den Beklagten und die Klägerin je zur Hälfte als Erben ein. Weiterhin bestimmten sie:

"4. Wir wünschen, dass keines der Kinder beim Tod des zuerst Sterbenden von uns Pflichtteilsansprüche gegen den Überlebenden geltend macht. Sollte das dennoch der Fall sein, so ist der Überlebende berechtigt, diesen Abkömmling von der Erbfolge auszuschließen. Über diesen Erbteil kann der Überlebende dann frei verfügen.

Sollte der Überlebende wieder heiraten, so ist er ebenfalls berechtigt, über seinen Nachlass frei zu verfügen.

Im Übrigen darf der Überlebende lediglich den Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen verteilen.

5. Ein einseitiges Rücktrittsrecht von den vorstehenden erbvertraglichen Bestimmungen wird nicht vorbehalten."

Nachdem Herr K H am 08.03.1986 gestorben war, ließ die Erblasserin am 09.02.2000 ein Testament notariell beurkunden. Darin berief sie nunmehr den Beklagten zu ihrem Alleinerben. Ergänzend bestimmte sie (§ 2 des Testamentes, letzter Absatz):

"Notfalls (ersatzweise) wende ich meinem Sohn meinen gesamten Nachlass als Vorausvermächtnis im Sinne des Nachtrags vom 19. April 1982 zu, insbesondere das Wohnhausgrundstück in und mein gesamtes Kapitalvermögen (Bargeld, Bankguthaben, Wertpapiere, evtl. Aktien u.a.) jeweils im Zeitpunkt des Erbfalls."

Das Wohnhausgrundstück machte fast den gesamten Wert des Vermögens der Erblasserin aus. Daneben bestand im Zeitpunkt ihres Todes noch ein Kapitalvermögen von etwa 30.000,-- DM.

Die Klägerin ist der Auffassung, beide Anordnungen im Testament vom 09.02.2000 seien unwirksam.

Sie hat beantragt,

1. es wird festgestellt: Die Klägerin ist Erbin nach ihrer Mutter A H zu 1/2 des Nachlasses.

2. die Anordnung des Vorausvermächtnisses zugunsten von Alfred H im Testament vom 9. Februar 2000 ist unwirksam.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, für den Klageantrag Ziff. 1 fehle der Klägerin ein Feststellungsinteresse. Er habe die rechtliche Würdigung des bei der Testamentseröffnung tätigen Notarvertreters übernommen und die Unwirksamkeit seiner Einsetzung zum Alleinerben nie in Abrede gestellt.

Der Klageantrag Ziff. 2 sei unbegründet. Das angeordnete Vorausvermächtnis halte sich im Rahmen der Verfügungsbefugnis, die der Erblasserin zustand.

Durch Urteil vom 31. Januar 2002 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erbeinsetzung des Beklagten im Testament vom 9. Februar 2000 verstieße gegen die erbvertragliche Bindung der Erblasserin aus dem notariellen Erbvertrags-Nachtrag von 1982. Die darin vorgenommene Erbeinsetzung beider Parteien je zur Hälfte sei eine vertragliche Regelung im Sinne von § 2278 BGB, auch wenn sie nicht ausdrücklich als vertragsmäßig bezeichnet sei. Zur Auslegung seien die zur Wechselbezüglichkeit von Erbeinsetzungen in gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten nach § 2270 BGB entwickelten Regeln entsprechend heranzuziehen. Dabei sei davon auszugehen, dass die Klägerin auch ihrem Stiefvater H H i.S. von §2270 Abs. 2 BGB nahe stand, weil sie mit seinem Einverständnis seinen Familiennamen trug.

Das im Testament vom 9. Februar 2000 angeordnete Vorausvermächtnis sei ebenfalls unwirksam. Allerdings sei der Erblasserin im Nachtrag zum Ehe- und Erbvertrag die Möglichkeit eines Vorausvermächtnisses eingeräumt worden. Ein Vermächtnis liege im Zweifel jedoch nur dann vor, wenn einzelne Gegenstände oder Rechte einem Berechtigten zugewandt würden. Die Zuwendung des gesamten Nachlasses an den Beklagten sei hingegen nach der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB als Erbeinsetzung anzusehen. Daran ändere auch ihre Bezeichnung als "Vorausvermächtnis" nichts. Diese Erbeinsetzung sei wegen der Bindung der Erblasserin unwirksam.

Gegen dieses ihm am 06.02.2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 05.03.2002 Berufung eingelegt, die er am 05.04.2002 begründet hat. Die Berufungsbegründungsschrift enthält keine ausdrücklichen Berufungsanträge. Diese hat der Beklagte mit am 24.04.2002 eingegangenem Schriftsatz nachgereicht. Jedoch führt der Beklagte bereits in der Berufungsbegründung aus, die Erblasserin sei durch den Nachtrag zum Erbvertrag nicht gehindert gewesen, den Beklagten zu ihrem Alleinerben zu berufen. Die Auslegung der Einsetzung der Parteien zu Miterben im Nachtrag vom 19.04.1982 anhand der zu § 2270 BGB entwickelten Auslegungsregeln ergebe, dass es sich insoweit um keine vertragsmäßige Verfügung handele, als die Erblasserin ihre mit Herrn H H nicht verwandte eigene Tochter zur Miterbin bestimmt habe. Diese Abänderung des älteren Ehe- und Erbvertrages sei ausschließlich im Interesse der Erblasserin geschehen. Sollte das Berufungsgericht die Auffassung des Landgerichts teilen, dass die Erbeinsetzung unwirksam sei, so sei zumindest das Vorausvermächtnis in gültiger Weise zugewandt worden. Es sei möglich, ein Universalvermächtnis über den gesamten Nachlass anzuordnen. Dies widerspreche nicht der Auslegungsregel des § 2087 BGB, da abweichende Bestimmungen des Erblassers dieser Norm vorgingen. Da der Vorbehalt in Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 keine quotenmäßige Begrenzung der zugelassenen Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen enthalte, sei er dahin auszulegen, dass eine freie Verteilung des Nachlasses durch den Überlebenden zulässig sein sollte.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Ravensburg vom 21.01.2002, Az. 3 O 1325/01, wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, sie habe ein enges und gutes Verhältnis zu ihrem Stiefvater besessen.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze in beiden Instanzen Bezug genommen. Die Nachlassakten des Notariats Ravensburg, sind beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat nur zum geringeren Teil Erfolg.

I.

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere enthält die Berufungsbegründung die nach § 519 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO a. F. erforderlichen Berufungsanträge.

Allerdings hat der Beklagte darin zunächst keinen ausdrücklichen Berufungsantrag formuliert. Aus der Begründung wird jedoch klar, dass er seine Verurteilung in beiden Klageanträgen aufgehoben sehen möchte. Er stellt sich auf den Standpunkt, wirksam zum Alleinerben bestimmt worden zu sein, womit er gegenüber der Feststellung des Landgerichts zu Ziff. 1 den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Hilfsweise begehrt er, die Unwirksamkeit des im Testament vom 09.02.2000 angeordneten Vorausvermächtnisses zu verneinen, d.h. zumindest Klageantrag Ziff. 2 abzuweisen.

Dass sich dies jeweils nur konkludent aus dem vom Beklagten in der Berufungsbegründung vertretenen rechtlichen Standpunkt ergibt, ist unschädlich. § 519 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO a. F. erfordert nicht notwendig förmliche Anträge. Vielmehr reicht es aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BGH, Beschlüsse vom 13.11.1991 - VIII ZB 33/99, NJW 1992, 698 und vom 13.05.1998 -VIII ZB 9/98, NJW-RR 1999, 211).

II.

Die Berufung ist nur zum kleineren Teil begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Miterbenstellung der Klägerin zu 1/2 festgestellt. Auch das Vorausvermächtnis ist größtenteils unwirksam. Es ist allerdings in dem Umfang aufrecht zu erhalten, wie dem Beklagten das Kapitalvermögen der Erblasserin allein zugewendet worden ist.

1. Der Antrag Ziff. 1, die Miterbenstellung der Klägerin zur Hälfte festzustellen, hat Erfolg.

a) Dieser Klageantrag ist zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches rechtliches Interesse an der Feststellung ihrer Miterbenstellung.

Inwieweit der in 1. Instanz vom Beklagten geltend gemachte Gesichtspunkt, er habe die Unwirksamkeit seiner Einsetzung zum Alleinerben nie in Abrede gestellt, zur Verneinung eines Feststellungsinteresses hätte führen müssen, kann dahinstehen. Der Beklagte hat nämlich in der Berufungsbegründung seinen Standpunkt gewechselt. Nunmehr vertritt er ausdrücklich die Ansicht, die Erblasserin sei nicht daran gehindert gewesen, ihn zu ihrem Alleinerben zu berufen. Damit ist das Feststellungsinteresse der Klägerin jedenfalls jetzt gegeben. Das genügt, weil es ausreicht, wenn eine Prozessvoraussetzung bei Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegt (Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, Rn. 9 vor § 253).

b) Die Klägerin ist von der Erblasserin in dem am 19.04.1982 notariell beurkundeten erbvertraglichen Nachtrag zum Ehe- und Erbvertrag vom 13.08.1963 für den Fall zur hälftigen Miterbin eingesetzt worden, dass die Erblasserin die Überlebende der beiden Eheleute K wird. Da Herr H H vor der Erblasserin gestorben, ist dieser Fall eingetreten.

c) Die im späteren Testament der Erblasserin vom 09.02.2000 unter § 2 getroffene letztwillige Verfügung, wonach der Beklagte zum Alleinerben berufen werden sollte, ist nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Die Klägerin ist im Nachtrag vom 19.04.1982 vertragsmäßig zur Miterbin eingesetzt worden. Der dabei gemachte Vorbehalt umfasste keine Änderung der Erbfolge. Die Alleinerbeneinsetzung des Beklagten würde, ihre Wirksamkeit unterstellt, das Recht der Klägerin aus dem Nachtrag vom 19.04.1982 beeinträchtigten.

aa) In dem in Form eines Erbvertrages gemäß § 2276 BGB vereinbarten Nachtrag vom 19.04.1982 haben die Eheleute H beide für den Fall ihres Überlebens in vertragsmäßiger, d.h. bindender Weise gemäß § 2278 die Klägerin zur Miterbin zur Hälfte bestimmt. Das ergibt sich allerdings nicht aus einer entsprechenden Anwendung der in § 2270 Abs. 2 BGB enthaltenen Auslegungsregel. Dass die Einsetzung der Klägerin als Schlusserbin vertragsmäßig sein sollte, ist vielmehr der Urkunde vom 19.04.1982 selbst zu entnehmen.

Allerdings folgt aus dem Umstand, dass eine Verfügung in einem Erbvertrag enthalten ist, noch nicht ihre Vertragsmäßigkeit. Enthält der Erbvertrag aber darüber hinaus ausdrückliche Bestimmungen, wonach Schlusserben mit bestimmten Einschränkungen "im Wege des Erbvertrages" oder bindend eingesetzt werden, so ergibt sich angesichts der Klarheit und Eindeutigkeit des Urkundeninhalts als dessen nächstliegende Bedeutung deren Vertragsmäßigkeit (BayObLG FamRZ 1994, 196).

Unter Ziff. 4 des erbvertraglichen Nachtrags ist geregelt, unter welchen besonderen Umständen der Überlebende der Ehegatten berechtigt sein sollte, einen der beiden eingesetzten Schlusserben von der Erbfolge auszuschließen. Derartige Umstände (Geltendmachung des Pflichtteils beim Tode des Zuerststerbenden oder Wiederverheiratung des Überlebenden) sind nicht eingetreten. Ziff. 4 bestimmt weiter: "Im Übrigen darf der Überlebende lediglich den Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen verteilen". Damit ist ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass, falls die besonderen Änderungsvoraussetzungen nicht eintreten, der Überlebende von der vorgenommenen Einsetzung der Schlusserben gerade nicht abweichen kann.

Der vertragsmäßige Charakter wird durch Ziff. 5 des Nachtrages bekräftigt. Darin wird ein "einseitiges Rücktrittsrecht von den vorstehenden erbvertraglichen Bestimmungen" nicht vorbehalten. Dadurch werden die getroffenen Bestimmungen ausdrücklich als vertragliche gekennzeichnet und ein Rücktrittsrecht nach § 2293 BGB, das nur bei vertragsmäßigen Verfügungen sinnvoll ist, ausgeschlossen.

Da der notarielle Vertrag in diesem Punkt ganz eindeutig ist und die Parteien nichts dafür vorgetragen haben, dass die Vertragsschließenden zum damaligen Zeitpunkt mit dieser Regelung etwas anderes anordnen wollten, als sich aus deren Inhalt ergibt, kommt es auf die für unklare, letztwillige Verfügungen geltende Auslegungsregel nach § 2270 Abs. 2 BGB nicht an. Deshalb ist es auch ohne Belang, ob der Ehemann der Erblasserin und Stiefvater der Klägerin zu dieser ein nahes persönliches Verhältnis hatte oder nicht.

bb) Aus dem eingeschränkten Vorbehalt in Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 folgt zugleich, dass dem überlebenden Ehegatten jedenfalls eine abweichende Bestimmung der Erbfolge nicht gestattet sein sollte.

cc) Die entgegen dieser Bindung vorgenommene Einsetzung des Beklagten zum Alleinerben würde die Miterbenstellung der Klägerin beeinträchtigen. Sie ist deshalb nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.

2. Die Anordnung des Vorausvermächtnisses im Testament der Erblasserin vom 09.02.2000 ist nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB größtenteils ebenfalls unwirksam. Analog § 2085 BGB ist sie jedoch hinsichtlich der Zuwendung des Kapitalvermögens aufrechtzuerhalten.

a) Bei der letztwilligen Verfügung im letzten Absatz von § 2 des notariellen Testaments vom 09.02.2000 handelt es sich um ein Vermächtnis im Sinne von § 1939 BGB.

Das Landgericht kommt unter Anwendung von § 2087 Abs. 1 BGB zu dem abweichenden Ergebnis, dass es sich auch insoweit um eine Erbeinsetzung des Beklagten handle, die wegen der erbvertraglichen Bindung der Erblasserin unwirksam sei. Diese Überlegung trifft nicht zu.

Die Anwendung von § 2087 Abs. 1 BGB scheitert daran, dass es sich bei dieser Norm wiederum um eine Auslegungsregel handelt, die dazu dient, den möglichen Willen des Erblassers zu bestimmen, wenn sich dieser aus der Verfügung von Todes wegen nicht klar ergibt (vgl. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl. 2002, § 2087 Rn. 1). Es ist aber ganz eindeutig, was die vom beurkundenden Notar beratene Erblasserin mit ihrem Testament vom 09.02.2000 zum Ausdruck bringen wollte. In erster Linie wollte sie die Klägerin enterben und ihren Sohn zum Alleinerben einsetzen. "Notfalls" wollte sie ihm den gesamten Nachlass "als Vorausvermächtnis im Sinne des Nachtrags vom 19. April 1982" zuwenden. Sie traf diese Regelung also nur für den Fall, dass die in erster Linie gewollte Einsetzung des Beklagten zum Alleinerben aufgrund des ausdrücklich in Bezug genommenen erbvertraglichen Nachtrages vom 19.04.1982 nicht wirksam sein sollte. Für diesen Fall wollte sie das gleiche wirtschaftliche Ergebnis in anderer, vermeintlich rechtlich zulässiger Gestalt erreichen. Dabei wollte sie den erbvertraglichen Vorbehalt zur Nachlassverteilung durch Vorausvermächtnisse ausnutzen. Deshalb verstand sie unter dem ersatzweise angeordneten Vermächtnis auch wirklich ein Vermächtnis und nichts anderes.

b) Der im letzten Satz von Ziff. 4 des Nachtrags vom 19.04.1982 enthaltene Vorbehalt für den überlebenden Ehegatten, seinen Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zu verteilen, ist wirksam.

Bedenken gegen die Gültigkeit erbvertragliche Änderungsvorbehalte werden allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer wesensfremden Aushöhlung des Erbvertrages geltend gemacht (BGHZ 26, 204, 208; BGH, Urteil vom 02.12.1981 - IV a ZR 252/80, NJW 1982, 441, 442; Münchener Kommentar zum BGB/Musielak, 3. Aufl. 1997, § 2278 Rn. 16). Es genügt aber, wenn der Änderungsvorbehalt kein totaler ist, sondern mindestens eine bindende Verfügung bestehen bleiben lässt (BGH, Urteile vom 02.12.1981, a.a.O. und vom 11.06.1986 - IVa ZR 248/84, WM 1986, 1221, 1222; OLG Stuttgart OLGZ 1979, 49, 51 und NJW-RR 1986, 165, 166). Als verbleibende bindende letztwillige Verfügung genügt z. B. die gegenseitige Einsetzung der Erbvertragsparteien (BGH, Urteile vom 02.12.1981 und vom 11.06.1986, a.a.O.). Deshalb können hier Zweifel gegen die Zulässigkeit des Vorbehalts nicht bestehen.

c) Inwieweit einem Erblasser Spielraum für abändernde letztwillige Verfügungen bleibt, ist eine Frage der Auslegung der jeweiligen Vorbehaltsklausel (BGH, Urteile vom 22.09.1982 - IV a ZR 26/81, NJW 1983, 277, 278 und vom 11.06.1986 - IV a ZR 248/84, WM 1986, 1221, 1222).

Die Vorbehaltsklausel in Ziff. 4 des notariellen Nachtrags vom 19.04.1982 ist nach dem damaligen übereinstimmenden Willen der beiden Eheleute H auszulegen. Da weitere Anhaltspunkte für ihren wirklichen Willen nicht vorgebracht sind, bildet der Urkundentext die Grundlage der Auslegung. Danach enthält der Änderungsvorbehalt ein abgestuftes System. Im Falle der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Tode des zuerst Versterbenden oder bei Wiederheirat des Überlebenden soll dem Überlebenden eine freie Verfügung über seinen Nachlass ermöglicht werden. Treten diese Umstände wie im vorliegenden Fall nicht ein, so sollen ihm "lediglich" Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zur Verteilung des Nachlasses unter den eingesetzten Kindern möglich sein. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass, wenn die besonderen Tatbestände nicht eingreifen, entgegen der vom Beklagten vertretenen Ansicht gerade keine völlig freie Verfügung des Überlebenden über seinen Nachlass möglich sein soll.

Eine dem Sinn dieser Regelung gerecht werdende Auslegung kann daher nicht Vorausvermächtnisse in unbegrenzter Höhe zulassen, die im wirtschaftlichen Ergebnis doch eine freie Verteilung des Nachlasses unter den Kindern zuließe. Die Aushöhlung der bindenden Erbeinsetzung durch ein den vollständigen Nachlass umfassendes Vorausvermächtnis verstößt damit gegen die Zielrichtung der eingeschränkten Vorbehaltsklausel und ist von ihr nicht gedeckt.

Gegen die Wirksamkeit eines den gesamten Nachlass umfassenden Vorausvermächtnisses spricht auch die Gegenüberstellung von Vorausvermächtnissen und Teilungsanordnungen in der Vorbehaltsklausel. Teilungsanordnungen gemäß § 2048 Satz 1 BGB führen zu keiner Wertverschiebung gegenüber den Erbquoten. Sie gefährden also den bindenden Kern der Erbeinsetzung nicht. Die ebenfalls zugelassenen Vorausvermächtnisse verschieben dagegen den Wert der Gesamtzuwendung gegenüber den Erbquoten. Wenn in der Vorbehaltsklausel beide Arten von letztwilligen Anordnungen nebeneinander genannt werden, so spricht auch dies dafür, dass die Vorausvermächtnisse nur in einem begrenzten, noch angemessenen Rahmen Einfluss auf den Wert der letztwilligen Zuwendungen an beide Bedachte nehmen sollten. Eine Umverteilung dahin, dass ein Bedachter 100 % und der andere nichts aus dem Nachlass erhält, ist damit nicht zu vereinbaren.

d) Allerdings ist das Vorausvermächtnis im Testament vom 09.02.2000 analog § 2085 BGB teilweise aufrechtzuerhalten. Insoweit, wie dem Beklagten das gesamte Kapitalvermögen der Erblasserin im Voraus zugewandt worden ist, bleibt die Anordnung wirksam und ist die Feststellungsklage daher abzuweisen.

aa) § 2085 BGB betrifft alle Arten der Unwirksamkeit letztwilliger Verfügungen, auch solche nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH, Urteil vom 22.09.1982 - IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277, 278; BayObLG FamRZ 1992, 862, 864). Die Norm regelt nach ihrem Wortlaut zwar nur die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen, kann jedoch entsprechend angewendet werden, wenn eine einzelne von ihnen quantitativ teilbar ist (Münchner Kommentar zum BGB/Leipold, 3. Aufl. 1997, §2085 Rn. 8). Der Bundesgerichtshof ließ zunächst offen, ob sich diese Rechtsfolge aus einer Analogie zu § 2085 BGB oder aus § 139 BGB im Zusammenhang mit einer tatsächlichen Vermutung herzuleiten ist, ein Erblasser, der mit seiner Zuwendung über das noch wirksame Maß hinaus gegangen sei, würde bei Kenntnis der wahren Rechtslage dem Bedachten soviel wie möglich zugewendet haben, (BGH, Urteil vom 17.03.1969 - III ZR 188/65, NJW 1969, 1343, 1347 und Beschluss vom 31.03.1970 - III ZB 23/68, NJW 1970, 1273, 1277). Inzwischen wendet er zu Recht § 2085 BGB bei der teilweisen Aufrechterhaltung einer einzelnen letztwilligen Verfügung an (BGH, Urteil vom 22.09.1982 - IVa ZR 26/81, NJW 1983, 272, 278). Im zuletzt genannten Fall hat er ausgesprochen, dass wenn ein Erblasser den ihm durch einen Vorbehalt in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament eingeräumten Spielraum durch ein zu hohes Vermächtnis überschritten habe, das Vermächtnis bis zur Grenze des Zulässigen wirksam bleibe.

bb) Die Erblasserin hat in ihrem Testament vom 09.02.2000 das Vorausvermächtnis hinsichtlich zweier Gegenstände konkretisiert. Sie hat dem Beklagten insbesondere das Wohnhausgrundstück in einerseits, und das gesamte im Zeitpunkt der Erbfalls vorhandene Kapitalvermögen andererseits zugewendet. Damit kommt sowohl eine Aufrechterhaltung des Vermächtnisses wegen eines dieser Gegenstände als auch eine quotenmäßige Begrenzung der Zuwendung des gesamten Nachlasses im Sinne eins Bruchteilsvermächtnisses analog § 2085 BGB in Betracht. Deshalb ist es erforderlich, die mit dem Vorbehalt im erbvertraglichen Nachtrag vom 19.04.1982 der Erblasserin gezogenen Grenze für Vorausvermächtnisse zu bestimmen.

cc) Eine ausdrückliche Regelung darüber, bis zu welcher Höhe dem überlebenden Ehegatten Vorausvermächtnisse gestattet sein sollen, enthält Ziff. 4 des erbvertraglichen Nachtrags nicht. Was unter einem Vermächtnis üblicherweise zu verstehen ist, ergibt sich jedoch aus den in § 2087 Abs. 1 und Abs. 2 enthaltenen Auslegungsregeln. Danach ist die Zuwendung des gesamten Nachlasses oder eines Bruchteils davon mangels anderer Anhaltspunkte als Erbeinsetzung, die Zuwendung einzelner Gegenstände dagegen als Vermächtnis auszulegen. In diesem, ganz anderen rechtlichen Zusammenhang ist der in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils angeführte Gedanke durchaus fruchtbar zu machen. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf geht davon aus, dass ein erbvertraglicher Vorbehalt, den Erben "mit Auflagen und Vermächtnissen jeder Art und Höhe zu beschweren" die Zuwendung "einzelner Vermögensgegenstände" erlauben soll (OLG Düsseldorf OLGZ 1966, 68, 70). Zu beachten ist dabei, dass die Zuweisung eines einzelnen Gegenstandes, der objektiv den Wert des weiteren Vermögens erheblich übertrifft, so dass ihn der Erblasser offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat, abweichend von § 2087 Abs. 2 BGB als Einsetzung zum Alleinerben aufzufassen ist. Dies gilt vor allem bei Immobilien, die ihrem Wert nach den wesentlichen Teil des Nachlasses ausmachen (vgl. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl. 2002, § 2087 Rn. 3 m.w.N.).

Dem Gehalt einer Vorbehaltsklausel der vorliegenden Art kommt man, wenn sich keine individuellen Anknüpfungspunkte für deren Auslegung finden, bei Übertragung der zu § 2087 BGB entwickelten Grundsätze am nächsten: Üblicherweise ist ein Vermächtnis die Zuwendung eines einzelnen, nicht den überwiegenden Teil des Nachlasses ausmachenden Gegenstandes. Der Vorbehalt von Vermächtnissen in nicht näher bestimmter Höhe soll derartige Zuwendungen ermöglichen. Anders gewendet heißt dies, eine spätere letztwillige Zuwendung ist von einer derartigen Vorbehaltsklausel dann gedeckt, wenn sie auch ohne Erklärungen oder Anordnungen des Erblassers dazu, welchen rechtlichen Charakter seine Zuwendung haben soll, aufgrund ihres Umfangs als Vermächtnis auszulegen wäre. Daraus folgt:

Eine teilweise quotenmäßige Aufrechterhaltung des Vorausvermächtnisses scheidet aus, weil dies im Hinblick auf § 2087 Abs. 1 BGB kein normales Vermächtnis wäre.

Die Zuwendung des Hausgrundstücks kann ebenfalls nicht aufrechterhalten werden. Der Wert des Grundstücks, den die Klägerin zwischen 400.000,-- und 600.000,-- DM ansiedelt, wird vom Beklagten niedriger eingeschätzt. Unstreitig ist jedoch, dass es den Wert des Nachlasses fast vollständig ausmacht, weil daneben nur ein Kapitalvermögen von etwa 30.000,-- DM vorhanden ist. Daher hält sich auch die Zuwendung des Hausgrundstückes nicht im Rahmen eines üblichen, der Erblasserin durch die Vorbehaltsklausel zugebilligten Vermächtnisses.

Das Kapitalvermögen ist hingegen eine Gruppe von Einzelgegenständen, die auch in dieser begrifflichen Zusammenfassung nach § 2087 Abs. 2 BGB ohne weiteres als Vermächtnis aufzufassen wäre. Insoweit ist die Anordnung in § 2 des Testaments vom 09.02.2000 teilbar und gemäß § 2085 BGB analog wirksam. Da dieses späte Testament deutlich die Tendenz erkennen lässt, dem Beklagten möglichst alles, jedenfalls so viel zu vermachen, wie möglich ist, ist nicht anzunehmen, dass die Erblasserin die Zuwendung des Kapitalvermögens nicht ohne den übrigen Inhalt ihres Vorausvermächtnisses angeordnet hätte.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück