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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.07.2001
Aktenzeichen: 2 Ss (26) 298/2001
Rechtsgebiete: StGB, StPO, EGStGB, Landwirtschaftsgesetz Baden-Württemberg


Vorschriften:

StGB § 242
StGB § 303
StGB § 46 a
StGB § 21
StPO § 318
EGStGB Art. 4 Abs. 5 Nr. 1
Landwirtschaftsgesetz Baden-Württemberg (LLG) § 28 Abs. 1 Nr. 4
1. Wer seine Schafherde unbefugt auf fremden Äckern weiden lässt, macht sich des Diebstahls schuldig.

2. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich das der Verurteilung zugrunde liegende Geschehen nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit darstellt.

3. Die landesrechtlichen Bußgeldvorschriften über die Beschädigung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke regeln auf ihrem Gebiet die Materie der Sachbeschädigung abschließend und gehen § 303 StGB vor.

4. Stellt das Urteil fest, der Angeklagte habe nach einem Diebstahl vollständige Schadenswiedergutmachung einschließlich der Auslagen und Kosten geleistet, ist eine Auseinandersetzung mit § 46 a StGB geboten.

5. Die Feststellung, der Angeklagte leide "unter erheblichen gesundheitlichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen", unter anderem seit mehreren Jahren an einer Schlafapnoe mit der Folge, dass aufgrund mangelnder Sauerstoffzufuhr während des Schlafes ein Tiefschlaf und damit die notwendige Erholungsphase äußerst eingeschränkt sei, macht eine Auseinandersetzung mit § 21 StGB notwendig.


Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummern: 2 Ss (26) 298/2001

in der Strafsache gegen

wegen Diebstahls u. a.

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 9. Juli 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 7. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Rottweil zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tuttlingen verurteilte den mehrfach, überwiegend einschlägig, vorbestraften Angeklagten am 15. November 1999, Ls 14 Js 3954/99, wegen elf tatmehrheitlicher Vergehen des Diebstahls, eines Vergehens der Sachbeschädigung, eines Vergehens der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung und dreier tateinheitlicher Vergehen der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten; wegen weiterer Anklagepunkte wurde er freigesprochen. Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten sowie dieser selbst Berufung eingelegt.

Am 21. Februar 2000 hat das Amtsgericht Tuttlingen, Ls 14 Js 8364/99, den Angeklagten außerdem wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit zwei Vergehen des Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und wegen eines weiteren Anklagevorwurfs freigesprochen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Staatsanwaltschaft und Angeklagter haben ihre Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat das Landgericht Rottweil am 7. November 2000 "auf die Berufung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten (...) die im Schuldspruch rechtskräftigen Urteile des Amtsgerichts - Schöffengerichts -Tuttlingen vom 15.11.1999 und vom 21.02.2000 jeweils im Strafausspruch aufgehoben" und den Angeklagten "zu der Gesamtfreiheitsstrafe von (1) einem Jahr verurteilt". Die weiter gehenden Berufungen des Angeklagten wurden verworfen.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts sowie einen Verfahrensfehler; er beanstandet, das Landgericht Rottweil habe die Frage der Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht hinreichend aufgeklärt. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision ist begründet im Sinne des § 349 Abs. 4 StPO und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache.

Die Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge des Angeklagten, die ohnehin nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, kommt es deshalb nicht mehr an.

1.

Soweit der Angeklagte vom Amtsgericht Tuttlingen am 15. November 1999 wegen Sachbeschädigung verurteilt worden ist, war die Beschränkung der Berufungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam, so dass das Landgericht eigene Schuldfeststellungen hätte treffen müssen.

Nach den Feststellungen des Urteils fuhr der Angeklagte "am 19. März 1999 zwischen 6.10 Uhr und 7.10 Uhr (...) mit dem Pkw Kombi, amtliches Kennzeichen..., über die Wiesen des H. K. im Gewann W. und F. auf Gemarkung T." und hinterließ "auf den Grundstücken (...) Holzprügel, Glasscherben, Steine und weiteren Unrat", "um zu erreichen, dass die Bearbeitung der Grundstücke erschwert wird bzw. das Vieh nach der Ernte durch den Verzehr des Grases verletzt wird. Durch das Befahren der Grundstücke mit dem Pkw entstanden Unebenheiten (tiefe Spurrinnen). Durch den Unrat und die Spuren entstand ein Schaden von ca. DM 200,-". Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen einer Straftat der Sachbeschädigung gem. § 303 StGB nicht. Die Tat kann vielmehr nur als Ordnungswidrigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 Landwirtschaftsgesetz Baden-Württemberg (LLG) geahndet werden. Gem. Art. 4 Abs. 5 Nr. 1 EGStGB lassen die Vorschriften des Strafgesetzbuches über Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung die Vorschriften des Landesrechts zum Schütze von Feld und Forst unberührt, die bestimmte Taten nur mit Geldbuße bedrohen. Der Landesgesetzgeber hat in § 28 Abs. 1 LLG von der in Art. 4 Abs. 5 EGStGB enthaltenen Ermächtigung, auf dem Gebiet des Feldschutzes Vorschriften zu erlassen, die die im Strafgesetzbuch geregelte Materie Sachbeschädigung ersetzen sollen, uneingeschränkt Gebrauch gemacht (OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. April 1978, 2 Ss 95/78). § 28 Abs. 1 Nr. 4 LLG bestimmt, dass ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig auf ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück unbefugt Steine oder sonstige Gegenstände bringt oder wirft, wenn dadurch dessen Nutzung beeinträchtigt wird. Nach dem Wortlaut "Gegenstände bringt" und Sinn und Zweck dieser Vorschrift umfasst sie nicht nur das Hinterlassen von Steinen, Holz, Scherben und anderem Unrat, sondern auch das Befahren eines Ackers mit einem Fahrzeug, wenn dieser dadurch beschädigt wird. Da somit die Tat vom 19. März 1999 nicht als Straftat verfolgt werden kann, ist die Beschränkung der Berufung bezüglich dieses Tatkomplexes unbeachtlich (BayObLG NJW 1954, 611; vgl. auch BGH MDR 1978, 282; BayObLG wistra 1992, 279). Das Fehlen eigener Feststellungen des Landgerichts zur Schuldfrage führt daher insoweit zur Aufhebung des Urteils.

Demgegenüber ist die Berufungsbeschränkung im Übrigen wirksam. Insbesondere tragen die Feststellungen der Urteile des Amtsgerichts Tuttlingen die Verurteilung wegen Diebstahls gem. § 242 StGB in den Fällen, in denen dem Angeklagten vorgeworfen wird, er habe seine Schafherde unbefugt auf fremden Äckern weiden lassen (vgl. zur Frage des Diebstahls durch Entwenden von Feldfrüchten im Allgemeinen RGSt 23, 71 und speziell zum unbefugten Abweiden durch Schafe LG Karlsruhe NStZ 1993, 543). Insoweit hat nämlich der Landesgesetzgeber von der in Art. 4 Abs. 4 EGStGB enthaltenen Ermächtigung, auf dem Gebiet des Feldschutzes Vorschriften zu erlassen, die die im Strafgesetzbuch geregelte Materie Diebstahl ersetzen sollen, keinen Gebrauch gemacht. Das Landesrecht enthält zwar in § 28 Abs. 1 Nrn. 8 und 9 LLG auch Ordnungswidrigkeitentatbestände in Bezug auf unbefugtes Weidenlassen von Tieren, Art. 4 Abs. 4 EGStGB bestimmt den Vorrang des Landesrechts jedoch nur, soweit dort in Feld- und Forstschutzvorschriften bestimmt wird, dass eine Tat nicht strafbar ist oder nicht verfolgt wird. Eine solche Bestimmung ist in § 28 LLG für das Weidenlassen aber nicht getroffen.

2.

Die Feststellungen und Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung sind lückenhaft.

Das in der Berufungshauptverhandlung sachverständig beratene Landgericht hat über die Ausführungen des Amtsgerichts Tuttlingen zur Person des Angeklagten hinaus ergänzend festgestellt, dieser leide "unter erheblichen gesundheitlichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen", unter anderem seit mehreren Jahren an einer Schlafapnoe mit der Folge, dass aufgrund mangelnder Sauerstoffzufuhr während des Schlafes ein Tiefschlaf und damit die notwendige Erholungsphase äußerst eingeschränkt ist. Er sei deswegen auch seit November 1995 als erwerbsunfähig anerkannt. Mit einer solchen Erkrankung können unter anderem Persönlichkeitsveränderungen einhergehen (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, S. 1377). Das Amtsgericht Tuttlingen hat erstinstanzlich im Urteil vom 15. November 1999 die Voraussetzungen einer Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bereits unterstellt. Das Urteil des Landgerichts Rottweil lässt im Rahmen der Strafrahmenbestimmung eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob sich aus der Krankheit des Angeklagten Auswirkungen auf seine Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit ergeben.

Des Weiteren hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe hinsichtlich der Diebstahlstaten vom 12. und 26. Juni 1999 zum Nachteil des B. R. vollständige Schadenswiedergutmachung einschließlich der Auslagen und Kosten geleistet. Somit hat der Angeklagte persönliche Leistungen zur Schadenswiedergutmachung erbracht, durch die die Voraussetzungen des § 46 a StGB erfüllt sein können. Aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen lässt sich dies jedoch nicht abschließend beurteilen. Die Urteilsfeststellungen sind daher auch insoweit lückenhaft (vgl. BGH StV 1999, 89; OLG Hamm a.a.O.). Hat der Angeklagte tatsächlich Leistungen im Sinne des § 46 a StGB erbracht, was weiter aufzuklären ist, muss sich das Landgericht mit der Frage auseinander setzen, ob deshalb eine Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt.

Aus diesen Gründen kann das Urteil auch hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung keinen Bestand haben.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin: Die vom Landgericht getroffene Zuordnung der ausgesprochenen Einzelstrafen zu den verschiedenen Tatkomplexen ist wenig transparent und begegnet daher größten Bedenken. Zudem ist die Abstufung des jeweiligen Strafmaßes wenig nachvollziehbar. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich auch nicht entnehmen, dass die von den festgesetzten Strafen ausgehenden Folgen für den Angeklagten ausreichend bedacht worden sind, § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB. Immerhin droht dem Angeklagten der Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung weiterer neun Monate Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tuttlingen vom 15. Mai 1997, 5 Ds 14 Js 10450/96. Dieses Umstands muss sich das Landgericht bewusst sein und dies auch zum Ausdruck bringen.

Ende der Entscheidung

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