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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 21.08.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 152/2001
Rechtsgebiete: HGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 176 Abs. 5 Nr. 1 (a.F.)
StGB § 176 Abs. 3 Nr. 1 (n.F.)
StGB § 184 c Nr. 2
Auch nach der Neufassung des § 176 StGB durch das 6. StRG und dem damit verbundenen Wegfall des Merkmals der Absicht, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen, bei Vergehen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern durch Vornahme sexueller Handlungen vor dem Kind, §§ 176 Abs. 5 Nr. 1 (a.F.), 176 Abs. 3 Nr. 1 (n.F.), 184 c Nr. 2 StGB, ist es zur Tatbestandserfüllung in subjektiver Hinsicht notwendig, dass der Täter das Kind in der Weise in den sexuellen Vorgang mit einbezieht, dass gerade die Wahrnehmung durch das Kind für ihn ein entscheidender Faktor ist.
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummern: 2 Ws 152/2001

vom 21. August 2001

in der Strafsache gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 16. Juli 2001, 3 KLs 26 Js 24937/2000, wird als unbegründet verworfen.

Die Nebenklägern trägt die Kosten ihres Rechtsmittels sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe:

Mit der Anklage vom 17. Januar 2001 zur Jugendkammer des Landgerichts Tübingen wirft die Staatsanwaltschaft Tübingen dem Angeklagten ein Verbrechen der sexuellen Nötigung gem. § 178 Abs. 1 StGB (a. F.) in Tateinheit mit einem Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 1 und 3 StGB (a. F.) - Ziff. 4 der Anklage -, zwei Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 1 StGB (a. F.) - Ziff. 2 und 3 der Anklage - sowie ein Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB (a. F.) - Ziff. 1 der Anklage - zum Nachteil der Nebenklägerin vor. Der Angeklagte soll als Freund der Familie der am 14. Januar 1983 geborenen Nebenklägerin im Zeitraum zwischen 24. Oktober 1992 und 15. August 1994 in einem Fall vor ihr onaniert haben - Ziff. 1 -, ihr in zwei Fällen an die Genitalien gefasst - Ziff. 2 und 3 - und sie in einem Fall zum Oralverkehr - Ziff. 4 - gezwungen haben. Wegen der Tatvorwürfe Ziff. 2 bis 4 hat das Landgericht Tübingen mit Beschluss vom 16. Juli 2001 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht Reutlingen eröffnet. Hinsichtlich des Tatvorwurfs Ziff. 1 wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die gem. §§ 400 Abs. 2, 311 StPO in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde der Nebenklägerin. Diese bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg, denn zu Recht hat das Landgericht einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich des Vorwurfs Ziff. 1 der Anklage verneint.

Der Anklagevorwurf geht dahin, an einem nicht mehr feststellbaren Tag zwischen dem 24. Oktober 1992 und dem 15. August 1994 habe der Angeklagte sich in der Wohnung der Familie F aufgehalten, als die Nebenklägerin gerade duschte. Er sei zu ihr ins Bad gegangen, habe sie zunächst in ihr Zimmer gebracht, sei dann wieder mit ihr ins Bad zurückgegangen und habe dort, vor dem Waschbecken stehend, bis zum Samenerguss onaniert, während die Nebenklägerin zugesehen habe. Auf ihre Frage, was aus seinem Geschlechtsteil herauskomme, habe er geantwortet, dies sei Sperma. Das habe das Kind damals noch nicht verstanden. In tatsächlicher Hinsicht ist der in der Anklage geschilderte Geschehensablauf durch das bisherige Ermittlungsergebnis nicht gedeckt. Die einzige protokollierte Aussage zu diesem Vorfall hat die Nebenklägerin am 5. Oktober 2000 bei der Kriminalpolizei in Reutlingen gemacht. Dort hat sie laut der Vernehmungsniederschrift (Bl. 11 d. A.) Folgendes angegeben: "An einem Tag, als es passiert ist, hat er mich von zu Hause in Z abgeholt. Wir wollten in die Pizzeria, das Sportheim, das meine Eltern gehabt haben, gehen. Ich war da allein mit meinem Bruder G zu Hause, als R gekommen ist, um mich abzuholen. Ich habe gerade geduscht gehabt, ich war sogar noch unter der Dusche, und mein Bruder war gerade fertig mit dem Duschen und ist raus aus dem Bad. Auf einmal ist er dann zu mir reingekommen und dann weiß ich nicht mehr, was da war. Ich weiß dann nur noch, dass ich in meinem Kinderzimmer auf dem Bett lag und er wieder wegging ins Badezimmer. Ich weiß aber nicht genau, was passiert ist. Ich bin ihm nur hinterhergelaufen und habe gesehen, dass er seinen Penis schon draußen hatte und ins Waschbecken, wo man die Hände wäscht, gespritzt hat." Auf Nachfrage hat die Nebenklägerin angegeben, R sei vollständig bekleidet gewesen, nur der Hosenladen sei offen gewesen. Sie habe das nicht vom Kinderzimmer aus gesehen, sondern "ich bin ihm ja nach und gefolgt, weil ich Angst hatte, was jetzt passiert". Sie habe ihn dann gefragt, "was das ist, was da rauskam", und er habe gesagt, "Sperma". Die Konversation sei auf Italienisch geführt worden. Danach ist der Angeklagte nicht, wie der Anklagesatz es nahe legt, mit der Nebenklägerin ins Bad gegangen, um dort vor ihr zu onanieren, sondern hat sich zum Onanieren von der Nebenklägerin entfernt und ins Bad begeben, wohin sie dann aus eigenem Antrieb nachkam, als er ejakulierte.

Der hinsichtlich dieses Vorfalls einzige in Betracht kommende Straftatbestand ist der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB in der vor dem 6. StRG vom 26. Januar 1998 gültigen Fassung. Danach wird bestraft, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, um sich selbst, das Kind oder einen Dritten sexuell zu erregen. Nach § 184 c Nr. 2 StGB sind sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt.

Der von der Nebenklägerin in der Vernehmung vom 5. Oktober 2000 - aus derzeitiger Sicht sicherlich glaubhaft - geschilderte Geschehensablauf beschreibt die Vornahme einer eindeutigen sexuellen Handlung in Anwesenheit eines Kindes, das diesen Vorgang wahrnimmt.

Allerdings ist zur Erfüllung des Tatbestands des § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB in der bis zur Einführung des 6. StRG geltenden Fassung in subjektiver Hinsicht notwendig, dass der Täter nicht nur wissentlich und willentlich eine sexuelle Handlung in Gegenwart eines Kindes vornimmt, sondern zusätzlich, dass er handelt, um sich selbst, das Kind oder einen Dritten sexuell zu erregen. Wenngleich dieses Tatbestandsmerkmal mit der Änderung des § 176 StGB weggefallen ist, wäre es im Übrigen auch bei der derzeitigen Rechtslage notwendig, dass der Täter das Kind in der Weise in den sexuellen Vorgang mit einbezieht, dass gerade die Wahrnehmung durch das Kind für ihn ein entscheidender Faktor ist (Tröndle/Fischer, StGB, 50. A., § 184 c Rn 9; Lenckner/Perron in Schönke-Schröder, StGB, 26. A., § 184 c Rn 23). Handlungen, die nur "gelegentlich" der Anwesenheit des Kindes vorgenommen werden, reichen nicht aus, wenn dies dem Täter gleichgültig ist. Im vorliegenden Fall legt das von der Nebenklägerin beschriebene Verhalten des Angeklagten es nahe, dass es ihm nicht nur nicht darauf ankam, dass sie ihn beim Onanieren wahrnahm, weil er sich oder sie dadurch stimulieren wollte, sondern dass er eigentlich dabei alleine sein wollte. Sonst hätte er sich nicht zu diesem Zwecke aus ihrem Zimmer hinaus und - ohne sie - ins Bad begeben. Dass er seine Willensrichtung geändert hätte, als er bemerkte, dass sie ihm gefolgt war und zusah, wird auch in einer Hauptverhandlung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen sein. Die Möglichkeit, dass er bereits kurz vor dem Erguss stand und nicht mehr rechtzeitig abbrechen konnte, ist nicht von der Hand zu weisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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