Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.02.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 17/06
Rechtsgebiete: RVG, VV


Vorschriften:

RVG § 14 Abs. 1
RVG § 17 Nr. 12
VV Nr. 4136
VV Nr. 4137
VV Nr. 4138
VV Nr. 4106
1. Dem Verteidiger, der mit der Wiederaufnahme zugleich den Freispruch ohne Hauptverhandlung nach § 371 Abs. 2 StPO beantragt und erreicht, stehen für das Wiederaufnahmeverfahren Gebühren nach den Nummern 4136, 4137 und 4138 VV und für das wiederaufgenommene Verfahren eine Gebühr nach Nummer 4106 VV zu.

2. Bei der Bestimmung der Gebührenhöhe nach § 14 Abs. 1 RVG ist zu berücksichtigen, dass der Verteidiger über die Stellung des Antrags hinaus keine Tätigkeiten entfaltet hat und die Entscheidungen über die Zulässigkeit und Begründetheit des Wiederaufnahmeverfahrnes und die Entscheidung über den Freispruch im wiederaufgenommenen Verfahren einheitlich in einem Beschluss getroffen wurden.


Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ws 17/06

vom 03. Februar 2006 in der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz,

Tenor:

1. Auf die weitere Beschwerde des Freigesprochenen werden der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Biberach vom 24. Oktober 2005 und der Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 23. Dezember 2005 aufgehoben.

2. Die von der Staatskasse an den Freigesprochenen zu erstattenden notwendigen Auslagen werde auf 298,12 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 05. September 2005 festgesetzt.

3. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

4. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden keine erstattet.

Gründe:

I.

Durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Ravensburg vom 19. Januar 1999 wurde der Beschwerdeführer wegen wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,- DM verurteilt. Der Strafbefehl wurde am 11. Februar 1999 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 06. Juni 2005 beantragte der vom Beschwerdeführer beauftragte Verteidiger die Wiederaufnahme des Verfahrens, die Aufhebung des Strafbefehls und den Freispruch seines Mandanten. Diesen Anträgen kam das zuständige Amtsgericht Biberach mit Beschluss vom 03. August 2005 nach. Zugleich bestimmte es, dass die dem Freigesprochenen im Wiederaufnahmeverfahren und im wieder aufgenommenen Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen die Staatskasse trägt.

Hierauf beantragte der Freigesprochene die Festsetzung seiner notwendigen Auslagen auf insgesamt 859,56 €, wobei er jeweils Mittelgebühren in Höhe von 140,- € für die Nummern 4136, 4137, 4138, 4106 und 4141 des Vergütungsverzeichnisses (VV) nach § 2 Abs. 2 RVG sowie zwei Pauschalen nach Nummer 7002 des VV von je 20,- € und eine Pauschale nach Nummer 7000 VV von 1,- € nebst angefallener Umsatzsteuer geltend machte.

Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Oktober 2005 setzte das Amtsgericht Biberach die notwendigen Auslagen auf 221,56 € fest. Für die Nummern 4138 und 4141 des VV setzte es keine und für die Nummern 4136 und 4137 des VV Gebühren in Höhe von jeweils 85,- € fest. Außerdem gewährte es nur eine Auslagenpauschale nach Nummer 7002 des VV.

Die vom Freigesprochenen gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss rechtzeitig eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht Ravensburg mit Beschluss vom 23. Dezember 2005 verworfen. Nach §§ 56 Abs. 1, Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG ließ das Landgericht jedoch - für das Oberlandesgericht bindend - die weitere Beschwerde zu. Eine solche wurde vom Betroffenen am 04. Januar 2006 eingelegt.

II.

Die weitere Beschwerde hat nur in geringem Umfang Erfolg. Nach § 33 Abs. 6 RVG wird die getroffene Entscheidung nur daraufhin überprüft, ob eine Verletzung des Rechts vorliegt und die Entscheidung hierauf beruht. Die §§ 546, 547 ZPO sind entsprechend anzuwenden.

Eine Verletzung des Rechts liegt nur insoweit vor, als keine Gebühren nach den Nummern 4138 und 4106 des VV und nur eine Pauschale nach der Nummer 7002 VV festgesetzt wurden.

1.

Die Neuregelung der Gebühren für das Wiederaufnahmeverfahren (Nummern 4136 bis 4140 VV) richtet sich an den jeweiligen Abschnitten des Wiederaufnahmeverfahrens nach der Strafprozessordnung aus (§§ 359 bis 373a StPO). Bis zur Entscheidung über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags nach § 370 StPO sieht das Vergütungsverzeichnis neben einer Geschäftgebühr (Nummer 4136 VV) zwei Verfahrensgebühren vor, wobei die Nummer 4137 VV das Verfahren bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und die Nummer 4138 VV das weitere Verfahren abdeckt (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 16. Aufl., VV 4136-4140 Rn. 19, 20). Da das Amtsgericht Biberach in seinem Beschluss vom 03. August 2005, nach Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags, die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet hat, sind die für diese Verfahrensabschnitte vorgesehenen Gebühren des VV auch angefallen. Der Umstand, dass die Entscheidungen über die Zulässigkeit und Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags angesichts der jeweils unzweifelhaft vorliegenden Vorrausetzungen schnell und einheitlich in einem Beschluss erfolgt ist, ändert am grundsätzlichen Entstehen der für die Verfahrensabschnitte vorgesehenen Gebühren nichts, sondern ist, wie auch sonst, bei der Bestimmung der Höhe der Gebühren innerhalb des jeweiligen Betragsrahmens nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen.

Das Wiederaufnahmeverfahren und das wiederaufgenommene Verfahren sind nach § 17 Nr. 12 RVG verschiedene Angelegenheiten. Mithin steht einem Anwalt, der außer der Wiederaufnahme zugleich auch den Freispruch seines Mandanten ohne mündliche Verhandlung erreicht, für das wiederaufgenommene Verfahren eine weitere Gebühr nach Nummer 4106 VV sowie eine zweite Pauschale nach der Nummer 7002 des VV zu. Dies entspricht auch der allgemeinen Auffassung zu § 90 BRAGO (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 90 Rn. 7 m. w. N.).

Eine weitere, zusätzliche Gebühr für das Vermeiden einer Hauptverhandlung nach Nummer 4141 VV ist nicht angefallen. Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut dieses Gebührentatbestands.

2.

Soweit im Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Biberach vom 24. Oktober 2005 entgegen dem Antrag des Freigesprochenen für die Nummern 4136 und 4137 des VV nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG 85,- € als "billige Gebühren" innerhalb des Betragsrahmens (30,- € bis 250,- €) festgesetzt wurden, hat sich das Amtsgericht innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Billigkeit" gehalten. Der Senat kann die Entscheidung auf die Rechtsbeschwerde hin nur auf Rechtsfehler, etwa darauf, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und ob die getroffene Gebührenbemessung einen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen Erfahrungssätze enthält, überprüfen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 546 Rn. 12 m. w. N.). Solche Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

3.

Für die Gebührentatbestände mit den Nummern 4138 und 4106 des VV setzt der Senat jeweils die Mindestgebühr in Höhe von 30,- € fest. Wie ausgeführt, war eine spezifische Tätigkeit des Verteidigers in diesen Verfahrensabschnitten nicht notwendig und wurde auch nicht entfaltet. Über die Antragstellung hinaus wurde lediglich die vom Amtsgericht Biberach getroffene Entscheidung entgegengenommen. Deshalb sind die vom Verteidiger bestimmten Gebühren für die Verfahrensabschnitte in Höhe von jeweils 140,- € nicht verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Unter Billigkeitsgesichtspunkten kann hierfür nur die Mindestgebühr festgesetzt werden. Für eine Ermessensausübung ist angesichts des Verfahrensverlaufs insoweit kein Raum.

4.

Die entstandenen notwendigen Auslagen setzen sich nach alledem wie folgt zusammen:

 VV 413685,-- €
VV 413785,-- €
VV 413830,-- €
VV 410630,-- €
VV 70011,-- €
VV 7002 (Wiederaufnahmeverfahren)20,-- €
VV 7002 (wiederaufgenommenes Verfahren, 20 % von 30,- €)6,-- €
Zwischensumme257,-- €
16 % Umsatzsteuer41,12 €
= notwendige Auslagen298,12 €

5.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.

Ende der Entscheidung

Zurück