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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 183/07
Rechtsgebiete: JVEG


Vorschriften:

JVEG § 10 Abs. 1
JVEG § 10 Abs. 3
JVEG § 12 Abs. 1 Nr. 1
Ein Sachverständiger kann für seine Tätigkeit außerhalb der gewöhnlichen Bürozeiten keinen "Bereitschaftsdienstzuschlag" verlangen. Es entstehen ihm hierdurch auch keine besonderen Kosten im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 JVEG.
Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ws 183/07

vom 8. November 2007

in dem Todesermittlungsverfahren zum Nachteil von F.P.

hier: gerichtliche Festsetzung der Sachverständigenvergütung

Tenor:

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2007 wird als unbegründet verworfen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer führte am 14. Oktober 2006 - einem Samstag - als gerichtsmedizinischer Sachverständiger im Auftrag der Staatsanwaltschaft eine Obduktion durch.

Mit Rechnung vom 14. Oktober 2006 machte der Sachverständige für alle Verrichtungen, die am Samstag getätigt wurden, einen "Bereitschaftsdienstzuschlag für Arbeitszeit außerhalb der gewöhnlichen Bürozeiten" i.H.v. jeweils 20 % geltend und stellte der Staatsanwaltschaft insgesamt 1.266,89 € in Rechnung. Die Kostenbeamtin kürzte den Gesamtrechnungsbetrag um den jeweiligen Zuschlag. Der Beschwerdeführer beantragte die gerichtliche Festsetzung nach § 4 Abs. 1 JVEG. Das Landgericht bestätigte die Kürzung durch die Kostenbeamtin und setzte die dem Sachverständigen zu gewährende Entschädigung auf 1.086,51 € fest.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Sachverständigen.

II.

1)

Die Beschwerde ist zulässig, da sie von der Kammer nach § 4 Abs. 3 JVEG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen wurde.

Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern, da auch die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen wurde (§ 4 Abs. 7 JVEG).

2)

In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Die Vergütung des Sachverständigen richtet sich nach dem seit 1. Juli 2004 geltenden Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG).

Mit diesem Gesetz wurde bezüglich der Sachverständigenvergütung zum einen die Absicht verfolgt, das den heutigen Verhältnissen nicht mehr entsprechende Entschädigungsprinzip durch ein leistungsgerechtes Vergütungsmodell abzulösen. Das früher geltende ZuSEG sah den Sachverständigen in einer Rolle der "Hilfsperson", die neben ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit gelegentlich ihren Sachverstand der Rechtspflege zur Verfügung stellt. Das neue JVEG orientiert sich hingegen am Bild des selbstständig und hauptberuflich in dieser Funktion tätigen Sachverständigen. Das frühere Entschädigungsprinzip wurde deshalb durch ein leistungsgerechtes Vergütungsprinzip ersetzt. Zum anderen sollte aber mit dem neuen Gesetz auch das Bild einer von vielen Unsicherheiten und Streitigkeiten geprägten Rechtslage durch ein einfach zu handhabendes, transparentes, berechenbares und gerechtes Vergütungssystem ersetzt werden, das auch zu einer Entlastung der Justizorgane beiträgt (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 142).

Der vom Sachverständigen geltend gemachte "Bereitschaftsdienstzuschlag für Arbeitszeit außerhalb der gewöhnlichen Bürozeiten in Höhe von 20 %" findet im JVEG keine Grundlage, und zwar weder in § 10 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 2 JVEG (unten a), noch in § 10 Abs. 3 JVEG (unten b), noch in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 JVEG (unten c). Der Beschwerdeführer kann den Zuschlag auch nicht aus einer Vereinbarung herleiten (unten d).

a)

Das Honorar des Sachverständigen für die Obduktion als solche richtet sich nach § 10 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 102 Anlage 2 JVEG. Insoweit hat sich nach der Ablösung des früheren ZuSEG durch das seit 1. Juli 2004 geltende JVEG strukturell nichts geändert. Während andere Sachverständige früher gemäß § 3 ZuSEG eine Entschädigung erhielten, die innerhalb eines Rahmens zwischen 25 und 78 Euro pro Stunde nach dem Ermessen des Gerichtes festgesetzt wurde, erhielt der Sachverständige, der - wie hier - eine Obduktion vorzunehmen hat, für diese Leistung schon früher eine pauschale Entschädigung. Insoweit entspricht § 10 JVEG im Wesentlichen dem früheren § 5 ZuSEG. Beide Vorschriften bestimmen für häufig wiederkehrende Leistungen auf medizinischem Gebiet (u.a. die Obduktion) feste Vergütungssätze. Nach § 10 Abs. 1 JVEG i.V.m. Nummer 102 der Anlage 2 erhält der Obduzent für die Obduktion selbst pauschal 195 €, ohne dass differenziert würde, zu welcher Zeit die Obduktion erfolgt.

b)

§ 10 Abs. 1 i.V.m. Nummer 102 der Anlage 2 JVEG erfasst allerdings nur den zeitlichen Aufwand, der durch die Obduktion selbst anfällt, nicht den zusätzlichen zeitlichen Aufwand durch Vorbereitungs- oder Reisezeiten. Dieser zusätzliche zeitliche Aufwand soll - auch insoweit entspricht das geltende Recht dem früheren - gemäß der allgemeinen Vorschrift vergütet werden. § 10 Abs. 3 JVEG bestimmt, dass für jede zusätzliche Stunde nach Honorargruppe 1 des § 9 JVEG fünfzig Euro vergütet werden. Dies entspricht inhaltlich der früher geltenden Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 1 ZuSEG, wonach für zusätzliche Zeit die Mindestentschädigung nach § 3 ZuSEG gewährt wurde. Mithin wollte der Gesetzgeber auch nach der Geltung des JVEG die zusätzliche Zeit nach vergleichbarem Modus wie zur Zeit der Geltung des ZuSEG vergüten.

Auf eine besondere Vergütung von Tätigkeiten zu außergewöhnlicher Zeit, wie sie in § 5 Abs. 3 Satz 2 ZuSEG noch vorgesehen gewesen war, hat der Gesetzgeber indes ausdrücklich verzichtet, indem er diesen Satz in das JVEG nicht mehr übernommen hat (s. auch unten c)).

c)

Neben dem Honorar für die Obduktion nach § 10 Abs. 1 JVEG in Verbindung mit der Anlage 2 und der Honorierung der zusätzlich erforderlichen Zeit nach § 10 Abs. 3 JVEG in Verbindung mit § 9 JVEG erhält der Sachverständige nach § 12 JVEG darüber hinaus Ersatz für besondere Aufwendungen.

Der Beschwerdeführer kann allerdings auch nach dieser Vorschrift keinen "Bereitschaftsdienstzuschlag" verlangen (a.A. OLG Stuttgart, 4 Ws 181/05, Die Justiz 2005, 437).

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG sind mit der Vergütung nach § 9 oder § 10 JVEG die üblichen Gemeinkosten und der übliche Aufwand abgegolten. Gesondert ersetzt werden nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG jedoch die für die Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens aufgewendeten notwendigen besonderen Kosten. Zu den nach § 12 JVEG zu ersetzenden Kosten gehören z.B. Kosten für Fremduntersuchungen, Kosten für ganz spezielle Fachliteratur, die der Sachverständige ausschließlich für die betreffende Beweisfrage benötigt, Kosten einer stationären Behandlung oder Telefongebühren (vgl. Meyer/Höver/Bach, Kommentar zum JVEG, 24. Auflage, §12, Rn. 12.3 - 12.10), mithin bezifferbare Kosten, die gesondert anfallen.

Ein Bereitschaftsdienstzuschlag fällt nicht unter §12 Abs.1 Satz 2 Nr.1 JVEG. Denn die Tätigkeit am Wochenende verursacht keine besonderen Kosten, die der Sachverständige aufzuwenden hat, auch wenn die Zeit, die er am Wochenende aufwendet, für ihn besonders wertvoll sein mag. Begrifflich verlangt der Sachverständige mit seinem "Bereitschaftsdienstzuschlag" keinen Ersatz von Kosten, sondern ein erhöhtes Honorar für Leistungen am Wochenende oder am späten Abend.

Eine Auslegung der Vorschrift über den Wortlaut hinaus widerspräche dem Willen des Gesetzgebers.

Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des Gesetzes ausdrücklich Vereinfachung und höhere Transparenz sowie Klarheit angestrebt. Im Zuge dessen wurden die festen Honorarstundensätze des § 9 JVEG festgelegt, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob das Gutachten besonders schwer oder leicht ist, der Grad der Fachkenntnisse spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob besondere technische Vorrichtungen notwendig sind. Die Zuschläge für Sachverständige, die hauptberuflich als gerichtliche Sachverständige tätig sind, wurden ebenso gestrichen wie die Zuschläge für eine im Einzelfall eingehende Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur (§ 3 ZuSEG).

Auch den früher geltenden § 5 Abs. 3 Satz 2 ZuSEG, wonach für die dort genannten Tätigkeiten - unter anderem die Obduktion- die Gesamtentschädigung um bis zu 35 € erhöht werden konnte, wenn die Verrichtung zu außergewöhnlicher Zeit ausgeführt wurde, hat der Gesetzgeber ausdrücklich nicht übernommen. In der Begründung zum Gesetzesentwurf heißt es insoweit:

"Auf eine dem § 5 Abs. 3 Satz 2 entsprechende Regelung soll verzichtet werden. Die Datenerhebung im Bereich der Justiz hat gezeigt, dass die Voraussetzungen für den mir der Vorschrift normierten Erhöhungstatbestand offenbar nur sehr selten erfüllt sind. Die Regelung spielt deshalb in der Entschädigungspraxis keine Rolle." (BT-Drucks. 15/1971 S. 183)

Konsequent und ausdrücklich wurde also darauf verzichtet, den Zuschlag für außergewöhnliche Zeit (genau so wie andere Zuschläge) in das neue Gesetz zu übernehmen.

Angesichts der Regelungsdichte des JVEG ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber einen Zuschlag für Tätigkeiten außerhalb der übliche Bürozeiten in das Gesetz aufgenommen hätte bzw. ihn nicht gestrichen hätte, wenn er ihn (nach wie vor) für vergütungswürdig gehalten hätte. So ist beispielsweise speziell für die Obduktion nach wie vor in Nummer 103 und 104 der Anlage zu § 10 JVEG ausdrücklich geregelt, dass für Tätigkeiten, die besonders zeitraubend sind oder unter besonderen Erschwernissen erbracht werden müssen, die Pauschale erhöht wird, während eine Erhöhung für besondere Zeiten auch dort nicht vorgesehen ist.

Dieses Ergebnis ist auch im Lichte der Tatsache, dass die Einführung des JVEG neben der Vereinfachung auch der leistungsgerechten Vergütung von Sachverständigen dienen sollte, nicht unsachgemäß.

Denn das Gesetz hat die Pauschalen in der Anlage zu § 10 JVEG im Verhältnis zu den früheren Pauschalen durchgehend beträchtlich, nämlich um 25 % erhöht. Für die zusätzliche Zeit erhält der Sachverständige nun statt 25 € (§ 5 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 ZuSEG) sogar das doppelte (§ 10 Abs. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 JVEG). Mit dieser Erhöhung ist die, wie der Beschwerdeführer selbst vorträgt, nicht sehr häufig vorkommende Obduktion zu außergewöhnlicher Zeit mit abgegolten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf in der Privatwirtschaft gezahlte Zuschläge für Nacht- bzw. Sonn- und Feiertagsarbeit, auf die der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart in seiner Entscheidung vom 8. August 2005 (OLG Stuttgart, a.a.0.) insbesondere abstellt. Zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz der besagt, dass in der Privatwirtschaft auch nur gelegentlich oder vereinzelt vorkommende Wochenendarbeit stets erhöht vergütet wird. Zum anderen strebt das JVEG zwar insgesamt durch die erhöhten Honorare eine leistungsgerechte Anpassung der Sachverständigenvergütung an. Dies rechtfertigt aber keine weitere Erhöhung im Einzelfall über die gesetzlich geregelte Erhöhung hinaus.

d)

Einen Anspruch auf einen Zuschlag kann der Sachverständige auch nicht daraus herleiten, dass er dem ihn beauftragenden Staatsanwalt mitteilte, er werde für die Samstagsarbeit einen Zuschlag berechnen und sich dabei auf ein Schreiben der GRUS mbH, für die er tätig ist, beruft. In diesem Schreiben vom 8. Mai 2006 wurden die Staatsanwaltschaften Hechingen, Stuttgart, Heilbronn, Rottweil und Tübingen darauf hingewiesen, dass aufgrund der Rechtsprechung des 4. Strafsenates künftig für alle unter der Gesellschaft organisierten Sachverständigen für Dienstleistungen, die außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeit erbracht werden, ein Zuschlag von 20 % in Rechnung gestellt wird. Abgesehen davon, dass der Sachverständige nicht vorträgt, dass ihm seitens des Staatsanwaltes die Zahlung eines Zuschlags versprochen worden sei, steht die Entschädigung des Sachverständigen nicht zur Disposition, sondern wird gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 JVEG ausschließlich nach diesem Gesetz gewährt.

Nach alledem kann der Sachverständige für seine Tätigkeit am Wochenende keinen Zuschlag verlangen.

Seine Beschwerde ist daher zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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