Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 18.12.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 282/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 153 Abs. 2
1. Die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO ist mit der Beschwerde anfechtbar, wenn die Zustimmung des Angeklagten fehlt.

2. Ist der Angeklagte krankheitsbedingt nicht in der Lage, die Erfolgsaussichten seiner von ihm eingelegten Berufung realitätsbezogen zu beurteilen, darf der gerichtlich bestellte Verteidiger die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens mit Wirkung für ihn erteilen.

3. Legt in einem solchen Fall der Angeklagte erst 15 Monate nach Einstellung des Verfahrens gegen diese Beschwerde ein, kommt der Gesichtspunkt der Verwirkung in Betracht.


Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 2 Ws 282/01

vom 18. Dezember 2001

wegen Beleidigung u. a.

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 20. Juni 2000 wird als unzulässig verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer war am 22. Juni 1999 durch Urteil des Amtsgerichts Nagold (Ds 19 Js 15151/98) wegen Beleidigung in vier Fällen und wegen Bedrohung zum Nachteil seiner Angebeteten I. M. und deren Bekannten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt worden. Am 27. Juli 1999 erfolgte eine weitere Verurteilung wegen Beleidigung in fünf Fällen zum Nachteil des E. B., den er in Verdacht hatte, mit der "Clique um I. M." in Verbindung zu stehen, zu der Bewährungsstrafe von drei Monaten.

Der Beschwerdeführer legte gegen beide Urteile Berufung ein. Mit Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 7. Oktober 1999 wurden die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Am Ende der Berufungshauptverhandlung vom 13. Dezember 1999 wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt und ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers in Auftrag gegeben. Nach Exploration des Beschwerdeführers am 14. April 2000 diagnostizierte der Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II in F. Dr. med. in seinem Gutachten vom 28. April 2000 beim Beschwerdeführer eine wahnbildende Psychose im Sinne paranoider Schizophrenie, sowie eine Alkoholabhängigkeit mit gelegentlichem Kokainbeigebrauch, aus der im Hinblick auf die Geschädigte M. und deren Bekanntenkreis der Verlust der Fähigkeit zur Realitätsprüfung und Ich-Abgrenzung resultiere. Dem Sachverständigen erschien die Annahme einer Schuldunfähigkeit wegen einer krankhaften seelischen Störung voll gerechtfertigt.

Im Hinblick auf dieses Gutachten regte das Landgericht Tübingen mit Schreiben vom 13. Juni 2000 eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO unter Übernahme der Kosten und notwendigen Auslagen auf die Staatskasse an. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers stimmten der Vorgehensweise zu.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 20. Juni 2000 hat das Landgericht Tübingen das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO unter Übernahme der Kosten und notwendigen Auslagen auf die Staatskasse eingestellt. Der Beschluss wurde noch im Juni 2000 dem Angeklagten, dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft formlos mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2001 stellte der Beschwerdeführer einen Wiederaufnahmeantrag, der durch Beschluss des Amtsgerichts Nagold vom 29. Oktober 2001, rechtskräftig seit 15. November 2001, als unzulässig abgelehnt wurde.

Mit der am 30. November 2001 eingegangenen Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer nunmehr gegen die erfolgte Einstellung des Verfahrens vom 20. Juni 2000. Er trägt vor, die Zustimmungserklärung seines Verteidigers sei ohne sein Einverständnis erfolgt.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Gemäß § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO ist der Beschluss, mit dem das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, nicht anfechtbar. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn die erforderliche Zustimmung des Angeklagten fehlt (Löwe-Rosenberg StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 79; OLG Stuttgart, 3 Ws 163/93).

Dem ist vorliegend nicht so. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 16. Juni 2001 die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens erklärt. Zwar hat der Verteidiger kein eigenes Zustimmungsrecht, vielmehr kann er die Erklärung nur namens seines Mandanten abgeben (Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 69). Es kann aber letztlich dahingestellt bleiben, ob der Verteidiger des Angeklagten vorliegend mit oder ohne Rücksprache beziehungsweise Genehmigung des Angeklagten handelte. Zwar wäre grundsätzlich nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. für die Entscheidung zur Zustimmung einer Verfahrenseinstellung an die Anordnung einer Betreuung gemäß § 1896 BGB zu denken gewesen. Indes hält der Senat dies vorliegend nicht für erforderlich im Sinne von § 1896 Abs. 2 BGB. Ziel dieser Subsidiaritätsklausel ist es, eine Betreuung zu vermeiden, wenn sich der Betroffene selbst zu helfen weiß durch Bevollmächtigte, Notare u.s.w. (Palandt/Diederichsen BGB, 54. Aufl., § 1896 Rdnr. 11, 12, 19). Hier war Rechtsanwalt W. mit Verfügung des Vorsitzenden vom 04. Januar 2000 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Zwar ist der Verteidiger als solcher nicht Vertreter des Beschuldigten, sondern mit eigenen Rechten ausgestattet, um die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten, nicht notwendig im Einklang mit dem Willen des Beschuldigten, wahrzunehmen. In all den Fällen jedoch, in denen der Angeklagte nicht anwesend ist oder nicht anwesend sein kann, oder in denen er aus sonstigen Gründen zu einer Entscheidung über eine Antragstellung selbst nicht in der Lage ist, kann der Verteidiger für ihn handeln (BGHSt 41, 69 f).

So stellt sich der Fall hier dar.

Der Beschwerdeführer war - wie das Sachverständigengutachten des Dr. belegt - aufgrund des Verlusts der Fähigkeit zur "Realitätsprüfung und der Ich-Abgrenzung" im Hinblick auf die Geschädigte M. und deren Bekanntenkreis auch nicht in der Lage, die Erfolgsaussichten seiner Berufung realitätsbezogen zu beurteilen. Insbesondere hat er wohl (bis heute) nicht erkannt, dass neben einem eventuellen Freispruch gleichwohl eine Unterbringung gemäß § 63 StGB in einer psychiatrischen Klinik in Betracht kam, was der Verteidiger als nicht angemessen und den Interessen des Angeklagten zuwiderlaufend betrachtete. Wenn er in einem solchen Fall - selbst wie vom Angeklagten vorgetragen ohne sein Einverständnis - eine Zustimmungserklärung abgab, handelte er im wohlverstandenen Interesse und in Wahrnehmung der Rechte seines Mandanten und nicht aus eigenem Recht. Der Angeklagte muss sich an dieser Prozesshandlung festhalten lassen (vgl. BGH a.a.O.).

Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob die Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss auch deshalb unzulässig ist, weil das Rechtsmittel zwischenzeitlich verwirkt ist, da der Angeklagte erst ca. 15 Monate, nachdem ihm der Einstellungsbescheid vom 20. Juni 2000 bekannt gegeben wurde, Beschwerde eingelegt hat. Nach den vorstehenden Ausführungen kann durch das Rechtsmittel zwar ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet werden, den durch die Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO bewirkten Strafklageverbrauch zu beseitigen. Im Interesse der Rechtsklarheit kann es jedoch nicht unbefristet eingelegt werden. Insbesondere kann von einem Betroffenen, der den Einstellungsbeschluss kennt und Interesse an einer rechtsbeständigen Verfahrenserledigung zu seinen Gunsten haben muss, verlangt werden, zumutbare Anstrengungen zu entfalten, um gleichwohl vorhandene Einwendungen gegen eine erfolgte Verfahrenseinstellung zeitnah vorzubringen. Dies gilt insbesondere, wenn er vorbringen will, die Einstellung sei gegen seinen Willen und gegen seine berechtigten Interessen erfolgt, und er damit eine Fortsetzung des Verfahrens (mit dem Ziel eines Freispruchs) betreiben will.

Die Rechtschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG schützen nicht denjenigen, welcher der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht (BVerfGE 42, 120 ff.).

Ende der Entscheidung

Zurück