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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 30.12.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 363/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 45 Abs. 2 S. 1
StPO § 145 a
StPO § 145 a Abs. 3
StPO § 145 a Abs. 3 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 6. November 2008, soweit dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 versagt worden ist, aufgehoben.

Damit ist die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 durch Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 6. November 2008 gegenstandslos.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe: I.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tettnang vom 23. Oktober 2007 wegen Beleidigung und falscher Verdächtigung in drei tateinheitlichen Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dem Beschwerdeführer wurde auferlegt, 30 Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Mit Beschluss vom 1. August 2008 widerrief das Amtsgericht Tettnang die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung und ordnete die Zustellung dieses Beschlusses an den Beschwerdeführer an. Die Zustellung erfolgte ausweislich der Zustellungsurkunde am 8. August 2008.

Der Verteidiger des Beschwerdeführers legte zunächst am 12. September 2008 und sodann am 10. Oktober 2008 sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 ein und beantragte am 10. Oktober 2008 zugleich Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den vorgenannten Widerrufsbeschluss. Durch Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 6. November 2008 wurden sowohl der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 als auch die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss als unzulässig verworfen. Gegen diesen, dem Verteidiger am 12. November 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 19. November 2008 eingegangene sofortige Beschwerde.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 46 Abs. 3 StPO) und begründet.

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 wurde verspätet eingelegt.

Das Landgericht Ravensburg ist zunächst zutreffend von einer ordnungsgemäßen Zustellung des vorgenannten Widerrufsbeschlusses an den Beschwerdeführer ausgegangen. Diese Zustellung war nicht deshalb unwirksam, weil der Widerrufsbeschluss dem Beschwerdeführer und nicht dessen Verteidiger zugestellt worden ist und der Verteidiger auch keine Nachricht von der Zustellung erhalten hat. Zwar hat der Verteidiger des Beschwerdeführers bereits am 8. Mai 2008 gegenüber dem Amtsgericht Tettnang angezeigt, den Beschwerdeführer auch im Vollstreckungsverfahren zu vertreten, jedoch hat dies nicht zur Folge, dass der Widerrufsbeschluss zwingend dem Verteidiger hätte zugestellt werden müssen und die hier erfolgte Zustellung an den Beschwerdeführer unwirksam gewesen ist. § 145 a StPO ermächtigt zur Zustellung an den Verteidiger, begründet aber keine Rechtspflicht, Zustellungen für den Beschwerdeführer stets an den Verteidiger zu bewirken. Zustellungen an den Beschwerdeführer sind wirksam und setzen die Rechtsmittelfrist in Lauf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 145 a, Rdnr. 6 m. w. N.). Zwar sieht § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO vor, dass bei Zustellung einer Entscheidung an den Beschwerdeführer der Verteidiger, auch wenn keine schriftliche Vollmacht bei den Akten vorliegt, hiervon zugleich durch eine formlose Übersendung einer Ausfertigung zu unterrichten ist. Ein Verstoß gegen § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO, dem insoweit nur die Funktion einer Ordnungsvorschrift zuerkannt wird, lässt jedoch die Wirksamkeit der Zustellung an den Beschwerdeführer unberührt. Mithin setzte die Zustellung des Widerrufsbeschlusses am 8 August 2008 die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde in Gang (§ 311 Abs. 2 StPO).

Die am 12. September 2008 und 10. Oktober 2008 durch Verteidigereingaben eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang ist deshalb verspätet.

2. Dem Beschwerdeführer ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist zu gewähren (§ 45 Abs. 2 S. 3 StPO).

Zwar hat der Beschwerdeführer die gem. § 45 Abs.2 S. 1 StPO erforderlichen Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs bei der Antragstellung nicht dargelegt, gleichwohl ist vorliegend von Amts wegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geboten, da der angefochtene Widerrufsbeschluss allein dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist. Bei der in § 145 a Abs. 3 StPO normierten Mitteilungspflicht handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, die der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts Rechnung trägt. Ein Verstoß gegen diese Pflicht begründet zwar - wie ausgeführt - nicht die Unwirksamkeit der Zustellung. Unterbleibt jedoch eine Benachrichtigung des Verteidigers, so kann dies jedenfalls dann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, wenn die Fristversäumnis darauf beruht (BGH vom 31.01.2006 - 4 StR 403/05; KK zur StPO, 6. Auflage, § 145 a, Rdnr. 6 m. w. N.). Die Regelung des § 145 a Abs. 3 S. 2 StPO dient dem Zweck, dass dem bevollmächtigen oder bestellten Verteidiger die Fristenkontrolle übertragen werden kann; der Beschwerdeführer soll sich darauf verlassen können, dass der Verteidiger Kenntnis von der Zustellung der Entscheidung erhält, nach der er sich ohne zusätzliche Rückfragen bei dem Beschwerdeführer richten kann (KK a.a.O.). Hieraus ergibt sich, dass nur dann, wenn der Beschwerdeführer im konkreten Fall Anlass gehabt hätte, für die Einhaltung der Frist selbst Sorge zu tragen, das Unterbleiben der Benachrichtigung des Verteidigers kein Wiedereinsetzungsgrund ist. Auf Grund der Gesamtumstände ist dies hier jedoch nicht der Fall.

Der Verteidiger hat am 8. Mai 2008 die Vertretung des Beschwerdeführers im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens angezeigt und wurde auch zeitnah vor Erlass des Widerrufsbeschlusses für den Beschwerdeführer tätig. Insbesondere wurde der Verteidiger in dem Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 im Rubrum aufgeführt. Danach durfte der Beschwerdeführer darauf vertrauen, dass sein Verteidiger (zumindest) eine formlose Abschrift der Entscheidung erhalten und rechtzeitig sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 einlegen wird. Da somit das Unterbleiben der Benachrichtigung des Verteidigers, mithin ein Verschulden der Justizbehörden, ursächlich dafür war, dass der Beschwerdeführer gehindert war, rechtzeitig sofortige Beschwerde einzulegen, ist diesem von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist zu gewähren, weshalb die sofortige Beschwerde begründet ist.

Das Landgericht wird, nachdem die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Tettnang vom 1. August 2008 als unzulässig gegenstandslos ist, das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Bewährungswiderrufs sachlich zu prüfen und zu bescheiden haben.

Ende der Entscheidung

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