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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: 20 U 16/03
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 241
AktG § 244
AktG § 130
AktG § 251
ZPO § 148
ZPO § 261
1. Ein Bestätigungsbeschluss ist auch möglich, wenn streitig ist, ob die Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter richtig ist.

2. Die zuerst eingereichte Klage ist wegen der Rechtshängigkeit einer später eingereichten, aber zuerst zugestellten Klage mit demselben Streitgegenstand unzulässig.


Oberlandesgericht Stuttgart 20. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 20 U 16/03

In dem Rechtsstreit

wegen Anfechtung u.a.

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 06. Mai 2004 unter Mitwirkung von

Präsident des Oberlandesgerichts Stilz Richter am Oberlandesgericht Dr. Drescher Richter am Landgericht Dr. Mosthaf

beschlossen:

Tenor:

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Der auf 19.05.2004 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Wahl des Aufsichtsrats der Beklagten.

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 28.03.2003 wurde mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Wahlvorschlag der Klägerin zum Aufsichtsrat abgelehnt und der Wahlvorschlag des früheren Aufsichtsrats angenommen. Die Klägerin hat dagegen Widerspruch erklärt, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben und beantragt festzustellen, dass ihr Wahlvorschlag angenommen worden sei. Sie hat vorgetragen, der Notar habe weder die Stimmberechtigung festgestellt noch die Stimmenauszählung überwacht, die Listenwahl zum Aufsichtsrat sei unzulässig gewesen und die Mehrheit beruhe auf Herrn M zuzurechnenden Stimmen. Dessen Stimmen hätten nicht berücksichtigt werden dürfen, weil er seine Meldepflichten nach dem WpHG nicht erfüllt habe.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. Oktober 2003 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 04.02.2004 wurden die angefochtenen Beschlüsse bestätigt. Mit einem Schriftsatz, der am 03.03.2004 beim Senat einging und der Beklagten am 10.03.2004 zugestellt wurde, erweiterte die Klägerin ihre Klage um die Anträge auf Nichtigerklärung, hilfsweise Feststellung der Nichtigkeit der Bestätigungsbeschlüsse. Mit einem Schriftsatz, der am 04.03.2004 beim Landgericht Ravensburg einging, am 06.03.2004 den Aufsichtsräten und am 08.03.2004 dem Vorstand der Beklagten zugestellt wurde, erhob die Klägerin mit gleichlautenden Anträgen eine Klage vor dem Landgericht (LG Ravensburg 2 O 77/04).

II.

Das Berufungsverfahren wird im Hinblick auf die vor dem Landgericht Ravensburg (2 O 77/04) anhängige Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss ausgesetzt. Nach § 148 ZPO kann die Aussetzung angeordnet werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung über die Anfechtungsklage der Klägerin hängt von der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss ab. Nach § 244 AktG kann die Anfechtung nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Hauptversammlung den anfechtbaren Beschluss durch einen neuen Beschluss bestätigt hat und die Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss rechtskräftig zurückgewiesen worden ist.

1. Sowohl der Beschluss über die Ablehnung des Wahlvorschlags der Klägerin als auch der Beschluss zur Wahl des Aufsichtsrats konnten durch den neuen Beschluss bestätigt werden.

a) Allerdings ist die Bestätigung eines nichtigen Ausgangsbeschlusses nicht möglich, weil sich die Nichtigkeit nur durch Heilung nach § 242 AktG, aber nicht durch Bestätigung beheben lässt. Der Erstbeschluss ist aber nicht nichtig. Nichtig sind Beschlüsse unter anderem, wenn sie nicht nach § 130 Abs. 1, 2 und 4 AktG beurkundet sind, § 241 Nr. 2 AktG. Zu beurkunden sind die Art und das Ergebnis einer Abstimmung und die Feststellungen des Vorsitzenden über die Beschlussfassung. Zur Art der Abstimmung zählt auch die Niederschrift darüber, wie die Stimmenauszählung vorgenommen wurde und welche Zahl an Ja- und Nein-Stimmen festgestellt wurde. Die Niederschrift über die Hauptversammlung der Beklagten genügt diesen Anforderungen. Dagegen gehört die Überwachung der Stimmenauszählung nicht zu den Beurkundungsaufgaben des Notars. Die aktienrechtlichen Protokollierungspflichten des Notars sind in § 130 AktG abschließend geregelt. Dem Wortlaut der Norm ist nicht zu entnehmen, dass sich die zu protokollierenden eigenen Wahrnehmungen des Notars nicht auf das vom Versammlungsleiter verkündete Abstimmungsergebnis beschränken dürfen, sondern sich auch auf dessen Ermittlung erstrecken müssten (OLG Düsseldorf NZG 2003, 816). Entsprechendes gilt für die Beachtung der Stimmberechtigung.

b) Ein Bestätigungsbeschluss ist auch möglich, wenn unklar ist, ob die Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter richtig ist und damit der Erstbeschluss überhaupt gefasst ist (a.A. OLG München AG 2003, 645). Dagegen spricht nicht, dass dann, wenn der Erstbeschluss in Wirklichkeit gar nicht gefasst ist, ein zu bestätigender Beschluss fehlt. Das ergibt sich aus dem Zweck des Bestätigungsbeschlusses, mögliche Zweifel über die Gültigkeit des Beschlossenen im Interesse der Gesellschaft wie des Rechtsverkehrs auszuräumen. Durch den Bestätigungsbeschluss erkennt die Hauptversammlung den Erstbeschluss als gültige Regelung der betreffenden Gesellschaftsangelegenheit an und beseitigt mit Wirkung für die Zukunft dessen behauptete oder tatsächlich bestehende Anfechtbarkeit (BGH AG 2004, 204). Da die Feststellung des Vorsitzenden und ihre Niederschrift einen Beschluss auch dann begründen, wenn sie unrichtig sind, ist eine Anfechtungsklage erforderlich, um die Unwirksamkeit des Beschlusses geltend zu machen (BGHZ 76, 191). Die Anfechtungsklage richtet sich in diesem Fall in Wirklichkeit nicht gegen den Beschluss selbst und rügt auch keinen Mangel des Beschlusses, sondern der Beschlussfeststellung (Zöllner in FS Lutter S. 821, 826 und 830). Die Beschlussfeststellung wird hinsichtlich der Anfechtbarkeit wie der Beschluss selbst behandelt. Da es gerade der Zweck des Bestätigungsbeschlusses ist, Zweifel über die Gültigkeit des Beschlusses zu beseitigen, muss die Hauptversammlung mit einem Bestätigungsbeschluss auch Zweifel darüber ausräumen können, ob die Beschlussfeststellung richtig war. Auch damit wird bestätigt, dass der aufgrund der Beschlussfeststellung zunächst als gültig behandelte Erstbeschluss als gültige Regelung der betreffenden Gesellschaftsangelegenheit anerkannt wird. Bei einer fehlerhaften Feststellung des Beschlussergebnisses liegt im Sinn der Anfechtbarkeit auch kein Mangel des Beschlussinhalts vor, bei dem die Bestätigung ausgeschlossen ist (Hüffer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 244 Rn. 5), sondern ein Verfahrensmangel. Da die Beschlussfeststellung die Gültigkeit des Beschlusses begründet, steht ein Mangel bei der Beschlussfeststellung einem Verfahrensfehler beim Zustandekommen des Beschlusses gleich (Hüffer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 41; Karsten Schmidt in GroßKomm. AktG, 4. Aufl., § 243 Rn. 38). Der Regelungswillen des Bestätigungsbeschlusses ist mit dem Inhalt des Beschlusses, wie er möglicherweise fehlerhaft festgestellt wurde, identisch. Schließlich gibt es auch keinen Grund, warum die Hauptversammlung die aufgetretene Zweifelsfrage, welche Regelung sie nach der Abstimmung in der ersten Versammlung gelten lassen will, nicht klären können soll. Die Zweifel an der Beschlussfeststellung können nicht nur wie im vorliegenden Fall die Stimmberechtigung und damit eher rechtliche Fragen betreffen, sondern auch durch zunächst unbemerkte technische Schwierigkeiten bei der Stimmauszählung oder ähnliches hervorgerufen sein, die das tatsächliche Abstimmungsergebnis unklar lassen. Durch einen Bestätigungsbeschluss bleibt für die Gesellschaft dann die Möglichkeit erhalten, dass der gefasste Beschluss nach dem seinerzeit geltenden Gesetzes- und Satzungsrecht beurteilt wird. Dass dieselben Mehrheitsverhältnisse wie beim Erstbeschluss nicht mehr herstellbar sind, betrifft jeden Bestätigungsbeschluss und ist keine Besonderheit eines Bestätigungsbeschlusses, dem eine umstrittene Beschlussfeststellung zugrunde liegt.

c) Dass die bestätigten Beschlüssen die Bestellung des Aufsichtsrats betrafen, steht einer Bestätigung nicht entgegen (Semler in MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 101 Rn. 228). Die Bestätigung ist auch nicht ausgeschlossen, weil dadurch die Sanktion des § 28 WpHG für die Nichterfüllung von Meldepflichten unterlaufen werden könnte, wie die Klägerin meint. Wenn die Meldepflichten erfüllt sind, besteht kein Anlass mehr für eine Sanktion. § 28 WpHG bezweckt die Durchsetzung der Meldepflichten. Sie ist mit der Erfüllung der Meldepflichten gelungen und der Zweck der Vorschrift damit erreicht. § 28 WpHG besagt deshalb auch eindeutig, dass Rechte aus Aktien nur für die Zeit nicht bestehen, für die die Meldepflichten nicht erfüllt werden. Wenn die Meldepflichten zum Zeitpunkt des Bestätigungsbeschlusses noch nicht erfüllt sind, ist auch der Bestätigungsbeschluss anfechtbar. Die Möglichkeit eines Bestätigungsbeschlusses bietet daher allenfalls einen zusätzlichen Anreiz, den Meldepflichten nachzukommen, und erlaubt nicht, sich einer Überprüfung im Hinblick auf die Verstöße gegen das WpHG zu entziehen. Die Sanktionen des § 28 WpHG beschränken sich auch nicht auf das Stimmrecht.

2. Über die Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss ist im Verfahren vor dem Landgericht Ravensburg zu entscheiden. Die durch Klageerweiterung vor dem Senat erhobene Anfechtungsklage ist unzulässig, weil ihr die früher eingetretene Rechtshängigkeit der Klage vor dem Landgericht Ravensburg entgegensteht.

Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann die Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit nicht anderweitig anhängig und damit doppelt rechtshängig gemacht werden. Dies führt dazu, dass die früher eingereichte, aber später zugestellte Klage unzulässig ist, wenn eine andere Klage später eingereicht, aber früher zugestellt wird (LG Stuttgart JZ 1968, 706 mit abl. Anm. Grunsky). Entscheidend ist die frühere Rechtshängigkeit, nicht die frühere Anhängigkeit im Sinn der Einreichung der Klage bei Gericht. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO regelt diesen Fall zwar nicht unmittelbar, sondern nur den Fall, dass eine Klage bereits erhoben ist und dann eine weitere Klage eingereicht wird. Der Vorschrift lässt sich aber entnehmen, dass die Sperre für ein weiteres Verfahren durch die Rechtshängigkeit und nicht schon die Anhängigkeit ausgelöst wird. Auch der Zweck der Vorschrift, Mühe und Kosten mehrerer Verfahren über den selben Streitgegenstand zu vermeiden, spricht dafür, dem ersten rechtshängig gewordenen Verfahren den Vorrang einzuräumen. Erst mit der Rechtshängigkeit kommt das Prozessrechtsverhältnis zu Stande, das weitere gerichtliche Tätigkeiten auslöst. Ohne den Vorrang des zuerst rechtshängig gewordenen Verfahrens hätte es ein Kläger auch in der Hand, ein bereits früher anhängig gewordenes Verfahren, von dem weder der Beklagte noch das Gericht etwas wissen, etwa durch die Einzahlung des Vorschusses rechtshängig zu machen und es dem bereits fortgeschrittenen Verfahren entgegenzuhalten. § 167 ZPO, wonach die Wirkung der Zustellung bereits mit Eingang eines Antrags eintritt, ist nicht anwendbar, weil er sich auf die Wahrung von Fristen bezieht. Die Vorschrift ist auf die Rechtshängigkeitswirkung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO auch nicht entsprechend anwendbar, weil die Parteien ähnlich schutzbedürftig wären (aA Grunsky JZ 1968, 707). Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, der mehrere Klagen einreicht, darauf, dass der erste eingereichte Antrag zu einem zulässigen Verfahren führt, besteht nicht, weil er sich auf eine Klage beschränken kann. Dagegen ist der Beklagte dahin schutzwürdig, dass er sich nur gegen die erste ihm bekannt gewordene und damit die erste zugestellte Klage in der Sache verteidigen muss und er nicht unter mehreren zugestellten Klagen die zuerst eingereichte Klage herausfinden muss. Auch wenn - wie im Fall LG Stuttgart JZ 1968, 706 - die Klagen jeweils in wechselseitigen Parteirollen eingereicht werden, ist der Kläger der zuerst eingereichten Klage im Hinblick auf den ausgewählten Gerichtsstand nicht schutzwürdiger als der Beklagte (so Grunsky JZ 1968, 707), der in Unkenntnis der anhängigen Klage seinerseits ein Gericht gewählt hat.

Da die beim Landgericht Ravensburg eingereichte Klage nach den Zustellungsurkunden bis zum 08.03.2004 zugestellt wurde und das Empfangsbekenntnis der beim Senat eingereichten Klageerweiterung mit den identischen Anträgen das Datum des 10.03.2004 trägt, wurde die beim Landgericht Ravensburg eingereichte Klage zuerst rechtshängig. Die Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss vor dem Senat trat nach § 261 Abs. 2 ZPO mit der Zustellung des die Klage erweiternden Schriftsatzes ein, die der Anfechtungsklage vor dem Landgericht Ravensburg mit der Zustellung der Klage nach §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO.

3. Die Entscheidung über die Anfechtungsklage der Klägerin kann nach dem gegenwärtigen Streitstand nicht unabhängig von der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bestätigungsbeschluss getroffen werden. Auf die Wirkungen der Bestätigung käme es nicht an, wenn die Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse zur Wahl des Aufsichtsrats abweisungsreif wäre. Der Erfolg der Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss hängt aber von einer weiteren tatsächlichen Aufklärung und ggf. einer Beweisaufnahme ab. Sowohl die Beteiligungsverhältnisse und daraus folgenden Mitteilungspflichten der Klägerin bzw. der mit ihr verbundenen Firmen und der Firmen der Familie M als auch die Äußerungen des Versammlungsleiters im Zusammenhang mit der Listenwahl sind streitig. Da im Verfahren vor dem Senat nur teilweise dieselben Mitteilungen und Beteiligungsverhältnisse wie im Anfechtungsprozess über den Erstbeschluss zu prüfen sind und zusätzliche Anfechtungsgründe vorgebracht sind, ist es auch zweckmäßig, das umfangreichere Verfahren auszusetzen.

Ende der Entscheidung

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