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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: 20 W 25/05
Rechtsgebiete: SpruchG, ZPO


Vorschriften:

SpruchG § 12
ZPO § 567 Abs. 3

Entscheidung wurde am 26.02.2007 korrigiert: unter II. 1. muß es im vorletzten Absatz letzter Satz statt "... so sind sie ohnehin allesamt als Antragsgegner ..." richtig "... so sind sie ohnehin allesamt als Beschwerdegegner ..." heißen
1. Auch im Spruchverfahren ist eine Anschlussbeschwerde nur im Verhältnis zur Hauptbeschwerde des Verfahrensgegners zulässig. Ein Antragsteller, der nicht fristgerecht Beschwerde eingelegt hat, kann sich nach Ablauf der Beschwerdefrist fristgerecht eingelegten Beschwerden anderer Antragsteller nicht anschließen.

2. Im Spruchverfahren ist ein Antragsteller, der nicht fristgerecht Beschwerde eingelegt hat, nicht deshalb in zweiter Instanz formell zu beteiligen, weil er materiell Beteiligter ist.


Oberlandesgericht Stuttgart 20. Zivilsenat

Geschäftsnummer: 20 W 25/05

Beschluss vom 26.10.2006

In dem Spruchverfahren

wegen Abfindung gem. §§ 196 ff. UmwG

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von Präsident des OLG Stilz Richter am OLG Dr. Reder Richter am OLG Vatter

beschlossen:

Tenor:

1. Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin zu 6 gegen den Beschluss der 32. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 08.11.2005 - 32 AktE 4/02 KfH - wird zurückgewiesen.

2. Eine Entscheidung im Kostenpunkt für beide Instanzen bleibt einer Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Insgesamt 12 Antragsteller begehren in diesem Spruchverfahren die Festsetzung einer angemessenen Barabfindung anlässlich des Formwechsels der Antragsgegnerin von der Rechtsform der AG in die Rechtsform der GmbH & Co. KG, den die Hauptversammlung der Antragsgegnerin am 23.11.2000 beschlossen hatte. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 08.11.2005 acht Anträge, darunter auch den Antrag der Antragstellerin zu 6, als unzulässig zurückgewiesen und den betroffenen Antragstellern jeweils 1.500 € der "Verfahrenskosten" auferlegt. Auf die übrigen Beschwerden hin hat es im selben Beschluss die angemessene Barabfindung auf 13,58 € festgesetzt. Der Beschluss wurde den Antragstellern in der Zeit zwischen 10. und 27.11.2005 zugestellt, der Antragstellerin zu 6 am 10.11.2005. Die Antragsteller zu 1 bis 5, 7 und 10 bis 12 haben fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts eingelegt. Die Antragsgegnerin hat keine Beschwerde eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 19.04.2006 hat der neue Bevollmächtigte der Antragstellerin zu 6 mitgeteilt, dass er diese nunmehr vertrete. Darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zu 6 keine Beschwerde eingelegt habe und deshalb am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt sei, hat sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 08.05.2006 Anschlussbeschwerde eingelegt und Anschließung an die Beschwerden der Antragsteller zu 4 und zu 11 erklärt. Trotz mehrfacher Hinweise des Senats, dass die Anschlussbeschwerde nicht zulässig sei, hat die Antragstellerin zu 6 daran festgehalten und sich unter anderem darauf berufen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf in einer Berichterstatterverfügung auf die Möglichkeit einer Anschließung an eine fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde anderer Beschwerdeführer hingewiesen habe.

II.

Die Anschlussbeschwerde ist nicht zulässig.

1.

Im Spruchverfahren als echtem Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist eine Anschlussbeschwerde entsprechend § 567 Abs. 3 ZPO statthaft (vgl. BayObLG AG 1996, 127; OLG Hamburg NZG 2002, 189; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2006 - 20 W 5/05, in AG 2006, 420 nicht abgedruckt; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.03.2006, I 26 W 5/06 AktE, Juris Rn. 19; KK-SpruchG/Wilske, § 12 Rn. 25 m.w.N.; vgl. auch BGHZ 71, 314; BGHZ 95, 118).

Ein Anschlussrechtsmittel ist aber immer nur als Anschließung des Rechtsmittelgegners an ein vom Verfahrensgegner eingelegtes Rechtsmittel zulässig. Es dient der Herstellung der Waffengleichheit in Verfahren, in denen wegen des Verbots der reformatio in peius sonst keine Korrektur zugunsten des Rechtsmittelgegners möglich wäre. Das folgt für die Beschwerde im Zivilprozess unmittelbar aus § 567 Abs. 3 Satz 1 ZPO (vgl. auch § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Berufung, § 554 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Revision). In den echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt nichts anderes. Auch hier kann sich eine Anschlussbeschwerde mit ihren Anträgen aus diesen Gründen gegen den Beschwerdeführer richten (Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. Vorb. §§ 19-30 Rn. 4 und § 22 Rn. 10; Bumiller/Winkler, FGG, § 19 Rn. 19; Bassenge in Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RpflG, 10. Aufl., Rn. 5 f vor §§ 19 - 30 FGG; Janssen, FGG, § 22 Rn. 13). Das gilt auch im Spruchverfahren (so ausdrücklich BayObLGZ 2001, 258; OLG Zweibrücken NZG 2004, 382; Vollrath in Widmann, UmwG, Anh. 13: SpruchG § 12 Rn. 14; KK-SpruchG/Wilske § 12 Rn. 25; a.A. OLG Düsseldorf AG 2005, 771 unter Hinweis auf die Möglichkeit, im Spruchverfahren auch Anschlussanträge stellen zu können; gemeint sind wohl die nach altem Spruchverfahrensrecht zulässigen, allerdings auch befristeten Folgeanträge, § 307 Abs. 3 Satz 2 und 4 UmwG, aus denen aber für die Frage der Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde nichts folgt; a.A. wohl auch Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG § 12 Rn. 12).

Die Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde folgt auch nicht aus dem in allgemeinen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Grundsatz, dass materiell Beteiligte auch formell zu beteiligen sind. Ebensowenig kann umgekehrt die Unzulässigkeit der Anschlussbeschwerde damit begründet werden, dass die Antragsteller erster Instanz, die nicht Beschwerdeführer sind, ohnehin formell zu beteiligen seien (so aber KK-SpruchG/Wilske a.a.O.). In der Literatur wird allerdings verschiedentlich die Ansicht vertreten, dass auch die Antragsteller am Beschwerdeverfahren zu beteiligen seien, die keine Beschwerde eingelegt haben, weil sie materiell beteiligt seien. Diese Ansicht wird überwiegend nicht näher begründet, sondern nur durch gegenseitige Zitate oder durch Verweis auf einschlägige Kommentierungen des FGG belegt (KK-SpruchG/Wilske § 12 Rn. 32; Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG § 12 Rn. 14: rechtliches Gehör auf Antrag; Klöcker/Frowein, SpruchG § 12 Rn. 10; Krieger in Lutter, UmwG, 2. Aufl., § 309 Rn. 7). Damit wird nicht nur verkannt, dass die Regelungen des Spruchverfahrens, nunmehr im SpruchG, die Frage der formellen Beteiligung eigenständig regeln und deshalb eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht möglich ist. Es wird auch übersehen, dass mit dieser Ansicht in Wirklichkeit nicht an die materielle Beteiligung dieser Antragsteller, sondern an ihre formelle Beteiligung in erster Instanz angeknüpft wird, womit lediglich die gesetzliche Beschwerdefrist unterlaufen wird.

Im allgemeinen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit folgt aus dem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), dass jeder formell am Verfahren zu beteiligen ist, der materiell beteiligt ist (Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O. § 12 Rn. 141 m.w.N.; vgl. nunmehr auch den Referentenentwurf für ein FGG-Reformgesetz, §§ 8 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). Materiell beteiligt ist, in wessen Rechtsstellung durch die erlassene oder zu erwartende Entscheidung eingegriffen wird oder eingegriffen werden kann, unabhängig davon, ob er am Verfahren beteiligt ist (Schmidt a.a.O. § 6 Rn. 18, § 12 Rn. 141). Deshalb ist auch im Beschwerdeverfahren nach § 22 FGG den materiell Beteiligten rechtliches Gehör durch formelle Beteiligung zu gewähren.

Das gilt so im Spruchverfahren nicht, auf das die Regelungen des allgemeinen FG-Verfahrens nur anwendbar sind, soweit sich aus dem SpruchG nichts anderes ergibt (§ 17 Abs. 1 SpruchG). Materiell beteiligt sind hier zwar alle Personen, auf deren Rechtsposition sich die begehrte Änderung der Kompensation aufgrund der in § 13 Satz 2 SpruchG angeordneten Inter-omnes-Wirkung auswirken kann. Daraus folgt aber nicht, dass diese Personen und insbesondere alle Anteilsinhaber, denen eine Kompensation zusteht, am Spruchverfahren erster oder zweiter Instanz zu beteiligen sind. Die vollständige Verfahrensbeteiligung eines großen Kreises von Anteilsinhabern, die teils auch noch unbekannt sind, ist nicht nur unpraktisch oder gar undurchführbar, sondern entspricht auch nicht der Rechtslage nach altem wie neuem Spruchverfahrensrecht. Durch die gesetzlichen Antrags- und Beschwerdefristen sind vom Gesetzgeber gewollte zeitliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Rechts auf formelle Beteiligung in erster und zweiter Instanz gesetzt.

Die Rechte der nicht antragstellenden Antragsberechtigten werden vom gemeinsamen Vertreter nach § 6 SpruchG wahrgenommen. Er nimmt anstelle der nicht am Verfahren teilnehmenden Antragsberechtigten deren Anspruch auf rechtliches Gehör wahr, ist deshalb formell beteiligt und wahrt somit als gesetzlicher Vertreter im Verfahren die materiellen Rechte dieser Anteilsinhaber (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 SpruchG; vgl. auch KK-SpruchG/Wasmann § 6 Rn. 13, 16; Schwarz in Widmann/Mayer, UmwG, § 308 Rn. 36). Diese haben deshalb nach allgemeiner Meinung kein Recht, sich nach Fristablauf dem erstinstanzlichen Verfahren noch anzuschließen oder sonst in irgendeiner Weise verfahrensmäßig daran formell beteiligt zu werden (vgl. etwa Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG § 6 Rn. 21; Klöcker/Frowein, SpruchG, § 6 Rn. 24; Schwarz a.a.O.; Hüffer, AktG, Anh. § 305, SpruchG § 4 Rn. 3). Auch eine Nebenintervention ist aus diesen Gründen nicht zulässig (OLG Frankfurt AG 2006, 295 m.w.N.).

Nichts anderes gilt im Beschwerdeverfahren. Auch hier verlangt die materielle Beteiligung der Antragsteller, die keine Beschwerde eingelegt haben, nicht nach ihrer formellen Beteiligung. Der gemeinsame Vertreter ist auch im Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes formell beteiligt und nimmt hier alle Rechte der Antragsberechtigten wahr, die nicht selbst am Verfahren teilnehmen. Das schließt eine eigene Beteiligung derjenigen Antragsteller aus, die ihr Beschwerderecht nicht fristgerecht wahrnehmen. Wäre es richtig, den Antragstellern erster Instanz alleine wegen ihrer materiellen Beteiligung ein Recht zur Beteiligung auch am Beschwerdeverfahren einzuräumen, müssten ebenso auch diejenigen Antragsberechtigten beteiligt werden, die erstinstanzlich keinen Antrag gestellt haben, weil sie in gleicher Weise materiell beteiligt sind. Das vertreten auch die Vertreter der o.g. Ansicht nicht. Sie knüpfen deshalb in Wahrheit an der formellen Beteiligung in erster Instanz an. Damit wird aber die gesetzliche Beschwerdefrist ohne Grund unterlaufen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet im Beschwerdeverfahren allenfalls dann eine eigene formelle Beteiligung der in erster Instanz formell Beteiligten, wenn das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung durch die Entscheidung der Rechtsmittelinstanz zum Nachteil der Antragsteller geändert werden kann. Dieses Risiko besteht im Spruchverfahren nicht, wenn nur einige Antragsteller Beschwerde eingelegt haben, nicht aber die Antragsgegnerin, weil dann wegen des Verbots der reformatio in peius nur eine Abänderung zu Gunsten der Anteilseigner und nicht zu ihren Lasten möglich ist. Hat dagegen die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und besteht deshalb die Gefahr einer Abänderung zulasten der Antragsteller, so sind sie ohnehin allesamt als Beschwerdegegner am Verfahren formell beteiligt und können schon deshalb die landgerichtliche Entscheidung verteidigen (übersehen bei KK-SpruchG/Wilske § 12 Rn. 32, der zu Unrecht eine Anschlussbeschwerde für erforderlich hält); darüber hinaus steht ihnen die unselbständige Anschlussbeschwerde offen, um sogar eine Abänderung zu ihren Gunsten zu erreichen (s.o.).

Da die Entscheidung OLG Düsseldorf AG 2005, 771 im Ergebnis nicht tragend auf die dort abweichend angenommene Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde gestützt war, sind die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage nach § 28 Abs. 2 FGG nicht gegeben.

2.

Die Entscheidung über die Kosten in beiden Instanzen wird zurückgestellt. Da weitere noch anhängige Beschwerden auch die Kostenentscheidung im landgerichtlichen Beschluss, insbesondere zur Auferlegung von Gerichtskosten, betreffen und eine insoweit abändernde Entscheidung möglich ist, ist nicht ausgeschlossen, dass davon auch die Kostenentscheidung zu Lasten der Antragstellerin zu 6 berührt wird. Deshalb kann über den Kostenpunkt nur einheitlich entschieden werden. Dabei kann auch in Bezug auf die Antragstellerin zu 6 eine abändernde Kostenentscheidung ergehen, unabhängig davon, dass mit diesem Beschluss insoweit in der Hauptsache rechtskräftig entschieden ist (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 528 Rn. 35 a.E.).

Ende der Entscheidung

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