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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 3 Ausl. 1/05
Rechtsgebiete: GG, IRG


Vorschriften:

GG Art. 16 Abs. 2 Satz 2
IRG § 80 Nr. 1
1. Die Auslieferung eines Deutschen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union kann nur für zulässig erklärt werden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts

a) der fragliche Mitgliedstaat zugesichert hat, dass der Verfolgte an die Bundesrepublik Deutschland zurücküberstellt wird, wenn er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion verurteilt wird und die Rücküberstellung wünscht, und dass die Gerichte und Behörden des Mitgliedstaats nach dessen innerstaatlichem Recht ermächtigt und verpflichtet sind, in diesem Falle ohne weiteres die Rücküberstellung zu bewirken, und

b) erwartet werden kann, dass die Übernahme der Strafvollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich rechtlich zulässig sein wird.

2. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des neuen Auslieferungsrechts, insbesondere soweit es die Auslieferung Deutscher betrifft, bestehen keine durchgreifenden Bedenken.


Tatbestand:

Gegen den Verfolgten, einen deutschen Staatsangehörigen, besteht Europäischer Haftbefehl des Landesgerichts I./Österreich vom 05. Januar 2005. Dem Verfolgten werden Betrugstaten vorgeworfen, die er im August/September 2004 auf österreichischem Boden begangen haben soll. Nach seiner Festnahme hat sich der Verfolgte mit einer vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) einverstanden erklärt. Der Senat hat antragsgemäß Auslieferungshaftbefehl erlassen, die Zulässigkeitsentscheidung - die von der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 29 Abs. 2 IRG beantragt worden ist - aber zurückgestellt, bis die österreichischen Stellen eine Zusicherung übermittelt haben.

Gründe:

1. Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Österreich, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, richtet sich seit Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juli 2004 (EuHbG - BGBl. I S. 1748) am 23. August 2004 gem. §§ 1 Abs. 4, 78 IRG in erster Linie nach den besonderen Vorschriften des nunmehrigen Achten Teils des IRG, insbesondere §§ 80 ff. IRG, und im übrigen nach den Vorschriften des Zweiten Teils des IRG, §§ 2 ff. IRG. Das gilt auch für Alttaten, die vor diesem Zeitpunkt begangen worden sind (s. Senat, Beschl. v. 07. September 2004 - 3 Ausl. 80/04 = NJW 2004, 3437). Da ein Europäischer Haftbefehl einem Auslieferungsersuchen gleichsteht und es ersetzt (Senat aaO.), ist, wenn die Voraussetzungen des § 15 IRG erfüllt sind, sogleich Auslieferungshaftbefehl zu erlassen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. 2. Die Auslieferung erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).

a) Dass der Verfolgte deutscher Staatsangehöriger ist, hindert die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht, wenn rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Auslieferung an die Republik Österreich rechtsstaatliche Grundsätze nicht wahren würde; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass österreichische Strafverfahren im allgemeinen oder das dem Verfolgten drohende Strafverfahren vor dem Landesgericht Innsbruck rechtsstaatliche Standards unterschreiten würden. (...)

Allerdings ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zweck der Strafverfolgung nur zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung an die Bundesrepublik Deutschland zurückzuüberstellen (§ 80 Abs. 1 IRG). Mit dieser Vorschrift setzt der deutsche Gesetzgeber Art. 5 Nr. 3 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHb - ABlEG Nr. L 190 v. 18. Juli 2002 S. 1) um, wonach der Vollstreckungsmitgliedstaat die Übergabe u.a. eigener Staatsangehöriger davon abhängig machen kann, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird. Eine Ausnahme hiervon ist im Gesetz nicht vorgesehen. Insbesondere lassen weder § 80 noch § 41 IRG einen Verzicht des Verfolgten auf die Möglichkeit der Rücküberstellung - vergleichbar dem Verzicht des Verfolgten auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes - zu.

aa) Zur Frage, wann eine Rücküberstellung "gesichert" i.S.v. § 80 Abs. 1 IRG ist, heißt es in der Entwurfsbegründung des EuHbG (BT-Drucks. 15/1718 S. 16): "Dies kann auch durch eine Zusicherung des ersuchenden Mitgliedstaates oder aus einer Erklärung der Bewilligungsbehörde im Zulässigkeitsverfahren, dass eine spätere Bewilligung der Auslieferung mit einer entsprechenden Bedingung verknüpft wird, oder - in Zukunft - durch eine entsprechende Staatenpraxis erfolgen". Das ist als bloße subjektive Vorstellung einzelner am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Organe für die Auslegung des Gesetzes nicht maßgeblich (BVerfGE 1, 299 [312]; seitdem st. Rspr.). Vielmehr kann eine Rücküberstellung als "gesichert" nur gelten, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung

- erstens der um Auslieferung ersuchende Mitgliedstaat zugesichert hat, dass der Verfolgte an die Bundesrepublik Deutschland zurücküberstellt wird, wenn er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion verurteilt wird und die Rücküberstellung wünscht, und dass die Gerichte und Behörden des um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaats nach dessen innerstaatlichem Recht ermächtigt und verpflichtet sind, in diesem Falle ohne weiteres die Rücküberstellung zu bewirken, und

- zweitens erwartet werden kann, dass die Übernahme der Strafvollstreckung durch die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich rechtlich zulässig sein wird, was sich nach §§ 48 ff. IRG und ggf. nach dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk, BGBl. 1991 II S. 1006, 1992 II S. 98) beurteilt.

Diese Voraussetzungen begründen sich aus folgenden Erwägungen:

Im zwischenstaatlichen Verhältnis besteht nach geltendem Völker- und Europarecht - das durch den RbEuHb insoweit nicht berührt worden ist - im Grundsatz Ermessen, ob einem Ersuchen um Überstellung eines Verurteilten stattgegeben wird. Insbesondere begründet das ÜberstÜbk - das seit 01. Januar 1987 im Verhältnis zur Republik Österreich in Kraft ist (BGBl. 1992 II S. 88) - keine Überstellungspflicht des ersuchten Staats. Eine solche Pflicht wird auch nicht dadurch begründet, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Auslieferungsbewilligung unter einer Rücküberstellungsbedingung stellt. Eine derartige Bedingung ist zunächst nur eine einseitige völkerrechtliche Willenserklärung, die als solche kein völkerrechtliche Bindung bewirkt. Selbst wenn eine "Staatenpraxis" bestehen sollte, wonach solche Bedingungen regelmäßig Beachtung fänden, so könnte eine bloße Praxis doch nicht die Rechtsverbindlichkeit erreichen, die für eine "gesicherte" Rücküberstellung i.S.v. § 80 Nr. 1 IRG zu verlangen ist. Insoweit weist der Senat auf die durchaus gemischten Erfahrungen des Königreichs der Niederlande mit Rücküberstellungsbedingungen - auch im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union - hin. Hierzu schreibt Blekxtoon, (in: ders. [Hrsg.], Handbook on the European Arrest Warrant, 2005, S. 243): "Other States have a tendency to procrastinate which, at least with regard to one EU Member State, has made the taking of diplomatic steps necessary. Sometimes ... astronomic fines are imposed alongside the custodial sentence and the retransfer is postponed until that fine has been paid which of course has to be paid in endless instalments."

Weiterhin ist zu bedenken, dass auch dann, wenn der um Auslieferung ersuchende Mitgliedstaat auf ministerieller Ebene völkerrechtlich zusichert, zur Rücküberstellung bereit zu sein, seine Gerichte und Behörden nicht ohne weiteres nach innerstaatlichem Recht ermächtigt und verpflichtet sein müssen, die Rücküberstellung zu bewirken. Die Frage stellt sich insbesondere in Mitgliedstaaten mit strengem Strafverfolgungs- und -vollstreckungszwang, der durch eine Rücküberstellungszusicherung - eine völkerrechtliche Willenserklärung - für sich genommen nicht aufgehoben wird. Erneut ist auf niederländische Erfahrungen hinzuweisen, wonach es keine Selbstverständlichkeit ist, dass innerstaatliche Behörden und - unabhängige - Gerichte einer ministeriellen Rücküberstellungszusicherung nachkommen.

Schließlich ist zu erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland die Vollstreckung eines ausländischen Straferkenntnisses nur übernehmen darf, wenn die Voraussetzungen der §§ 48 ff. IRG, ggf. modifiziert durch das ÜberstÜbk (s. hierzu Senat, Beschl. v. 08. Januar 2002 - 3 Ws 202/01 = Die Justiz 2002, 375), erfüllt sind. Zwar genügt nach dem Wortlaut des § 80 Nr. 1 IRG, dass das Angebot einer Rücküberstellung des Verfolgten gesichert ist. Nach Sinn und Zweck des § 80 Nr. 1 IRG - zu gewährleisten, dass Deutsche die Strafe auf ihren Wunsch im Inland verbüßen können - muss aber zusätzlich gefordert werden, dass das Angebot grundsätzlich annahmefähig sein wird, also die Voraussetzungen des §§ 48 ff. IRG, ggf. modifziert durch das ÜberstÜbk, grundsätzlich erfüllt sein werden (zur Frage der beiderseitigen Strafbarkeit s.u. cc] [2] ß]). Soweit sich aus BT-Drucks. 15/1718 S. 16 ein anderer Wille des Gesetzgebers ablesen lässt, dürfte dies durch BT-Drucks. 15/2677 S. 5 überholt sein. Dass es um die Sicherung der Rücküberstellung als solcher - und nicht bloß eines ggf. nicht annahmefähigen Angebots auf Rücküberstellung - gehen muss, zeigt auch Art. 5 Nr. 3 RbEuHb ("rücküberstellt wird", Hervorhebung vom Senat).

bb) Mit der vorgenannten Rechtsauffassung weicht der Senat von der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (StV 2005, 32) ab, das zunächst davon ausgeht, die Auslieferung könne mit der Maßgabe für zulässig erklärt werden, dass die Behörden des ersuchenden Staates vor der Übergabe des Verfolgten dessen Rücküberstellung, falls er sie wünscht, zusichern. Bereits eine solche bedingte Zulässigerklärung hält der Senat aber für unvereinbar mit BGHSt 27, 266 (269). Die Zulässigkeit der Auslieferung wäre nämlich nicht zuverlässig und endgültig festgestellt, weil sie abhängig bliebe von einer späteren, allein noch von der Bewilligungsbehörde auszulegenden Willenserklärung des ersuchenden Staates. Darüber hinaus soll es nach Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe aber auch genügen, dass die Bewilligungsbehörde in einem Begleitschreiben an die Justizbehörden des ersuchenden Staates die Überstellung des Verfolgten mit der Maßgabe erklärt, dass der ersuchende Staat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung zurück zu überstellen, und die Übernahme daraufhin erfolgt; mit dieser Maßgabe könne eine Auslieferung für zulässig erklärt werden. Es handele sich um eine ausreichende und völkerrechtlich verbindliche Sicherung, und es sei davon auszugehen, dass alle Mitgliedstaaten entsprechende Bedingungen einhalten werden. Die Rechtsansicht, ein Begleitschreiben einer Bewilligungsbehörde bewirke eine völkerrechtlich verbindliche Sicherung, trifft nach Auffassung des Senats indes nicht zu. Dem Senat erscheint es auch als bislang ungesicherte Erwartung, dass alle Mitgliedstaaten eine Rücküberstellungsbedingung einhalten werden und nach ihrem innerstaatlichen Recht können.

Der Senat hat erwogen, gem. § 42 Abs. 1 IRG eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs einzuholen. Mit Blick auf BGH, Beschl. v. 06. Juni 2002 - 4 ARs 3/03 = BGHSt 47, 326 = JZ 2002, 1173 mit zust. Anm. Vogel hat der Senat hiervon abgesehen. Zwar hat die aufgeworfene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung. Jedoch betrifft sie nicht autonomes deutsches Recht, sondern in Umsetzung des Art. 5 Nr. 3 RbEuHb erlassenes Recht, das gem. Art. 35 EUV i.V.m. § 1 EuGHG in die vorrangige Auslegungszuständigkeit des EuGH fällt.

Der Senat hat weiterhin erwogen, gem. Art. 35 EUV i.V.m. § 1 EuGHG eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Er ist aber zu dem Ergebnis gekommen, dass derzeit (noch) nicht der Zeitpunkt für ein Vorabentscheidungsverfahren gekommen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es Sache des nationalen Gerichts, den geeignetsten Zeitpunkt für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu bestimmen (s. u. a. Urt. vom 10. März 1981, Rs. 36/80 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association u. a., Slg. 1981, 735, Rdnr. 5 ff.; Urt. vom 10. Juli 1984, Rs. 72/83, Campus Oil u. a., Slg. 1984, 2727, Rdnr. 10; Urt. vom 19. November 1998, Rs. C-66/96, Høj Pedersen u. a., Slg. 1998, I-7327, Rdnr. 45 f.; Urt. vom 30. März 2000, Rs. C-236/98, JämO, Slg. 2000, I-2189, Rdnr. 30 f.). Der Senat hält ein Vorabentscheidungsersuchen (...) ausschließlich für den Fall erforderlich, dass die Republik Österreich die vom Senat für erforderlich gehaltene Zusicherung nicht abgibt und dies damit begründet, das Zusicherungsverlangen widerspreche dem RbEuHb. Sollte sich hingegen ergeben, dass die Republik Österreich die vom Senat für erforderlich gehaltene Zusicherung nicht abgibt, weil sie den Verfolgten nicht zurück überstellen will oder kann, so unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel im Sinne der sog. acte claire-Doktrin, dass der RbEuHb von der Bundesrepublik Deutschland nicht verlangt, den Verfolgten gleichwohl auszuliefern.

cc) Vorliegend erscheint die Rücküberstellung des Verfolgten nicht von vornherein als nicht hinreichend "gesichert" i.S.v. § 80 Nr. 1 IRG

(1) Der Senat geht davon aus, dass die Republik Österreich willens und in der Lage ist, im zwischenstaatlichen Verhältnis förmlich zuzusichern, dass der Verfolgte im Falle seiner rechtskräftigen Verurteilung zu Freiheitsstrafe zwecks Strafvollstreckung an die Bundesrepublik Deutschland zurücküberstellt wird, wenn er dies wünscht. Der Senat geht auch davon aus, dass österreichische Gerichte und Behörden nach innerstaatlichem österreichischem Recht ermächtigt und verpflichtet sind, eine derartige Zusicherung der Republik Österreich zu erfüllen.

(2) Bei vorläufiger Prüfung geht der Senat auch davon aus, dass die Voraussetzungen der §§ 48 ff. IRG i.V. mit dem ÜberstÜbk für eine Übernahme der Vollstreckung eines etwaigen österreichischen Strafurteils durch die Bundesrepublik Deutschland gegeben sein werden.

a) Es ist nicht anzunehmen, dass das österreichische Strafverfahren die Verfahrensanforderungen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG verfehlt.

ß) Der Senat lässt die Streitfrage offen, ob und wie sich das vollstreckungshilferechtliche Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG, Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e] ÜberstÜbk) auf die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union auswirkt und wie insbesondere Fälle zu beurteilen sind, in denen die Tat im Inland straflos wäre, die beiderseitige Strafbarkeit aber an sich gem. § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb nicht zu prüfen ist (s. einerseits BT-Drucks. 15/1718 S. 16 und 15/2677 S. 5 und andererseits Nestler, ZStW 116 [2004], 332 [338 f.]; Schünemann, StV 2003, 531 [532] sowie GA 2004, 193 [204]). Denn vorliegend ist beiderseitige Strafbarkeit gegeben. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten wären nach deutschem Recht als Betrug (§ 263 StGB) strafbar.

?) Keinesfalls ist zu erwarten, dass Vollstreckungsverjährung eintreten wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG i.V.m. der Erklärung des Bundesrepublik Deutschland vom 31. Oktober 1991 zu Art. 3 Abs. 1 ÜberstÜbk).

d) Zwar besteht für die verfahrensgegenständliche Tat des Verfolgten, der deutscher Staatsangehöriger ist, gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB deutsche Gerichtsbarkeit. Derzeit spricht aber nichts dafür, dass eine Entscheidung nach § 9 Nr. 1 IRG ergehen wird, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG einer Vollstreckungsübernahme entgegenstünde.

b) Die dem Verfolgten vorgeworfene Taten sind mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von zehn Jahren bedroht und somit gem. § 81 Nr. 1 IRG auslieferungsfähig.

c) Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten zählen - nach österreichischer wie deutscher Auffassung - zu der Deliktsgruppe "Betrug", bei der gem. § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist. Im übrigen sind die Taten beiderseits strafbar (s.o. a] cc] [2] ß] ).

d) Die Bewilligungshindernisse des § 83b IRG, namentlich die Frage eines etwaigen deutschen Strafverfahrens gegen den Verfolgten, spielen für die Zulässigkeit der Auslieferung keine Rolle. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass nach dem Willen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags (BT-Drucks. 15/2677 S. 5) bei Eingang eines Ersuchens um Auslieferung eines Deutschen die Staatsanwaltschaft aufgrund des Legalitätsprinzips und wegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB gehalten ist, ein eigenes Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dann "wird es zu Bewilligungshindernissen nach § 83b Nr. 1 IRG-E kommen. Die daraus resultierende Möglichkeit zur Ablehnung der Auslieferung sichert so den in § 80 IRG-E intendierten Schutz deutscher Staatsangehöriger vor einer Strafvollstreckung im Ausland."

3. Der Senat geht auch davon aus, dass die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen wird (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). (...)

4. An dem Erlass des Auslieferungshaftbefehls sieht sich der Senat nicht durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. November 2004 - 2 BvR 2236/04 (StV 2005, 29) gehindert. Nach diesem Beschluss ist zwar davon auszugehen, dass der Verfolgte ebenso wie der Beschwerdeführer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens im Wege des einstweiligen Rechtschutzes erwirken könnte, so lange nicht an die Republik Österreich übergeben zu werden, bis das Bundesverfassungsgericht über die Frage entschieden hat, ob das EuHbG gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere die in Art. 16 Abs. 2 GG gewährleisteten unverzichtbaren Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht die Vollziehung des Auslieferungshaftbefehls, der gegen den Beschwerdeführer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens erlassen worden war, ausdrücklich unberührt gelassen. Wenn aber sogar die Vollziehung eines Auslieferungshaftbefehls verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dann muss dies erst recht für den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gelten.

Der Senat sieht im Übrigen keine Veranlassung, das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des mit dem EuHbG geschaffenen neuen Auslieferungsrechts einzuholen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass Vorschriften, auf deren Gültigkeit es bei der vorliegenden Entscheidung ankommt, verfassungswidrig sind.

a) Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit die sog. Solange-Rechtsprechung (s. zuletzt BVerfGE 102, 147) dazu führt, dass das EuHbG, soweit es den RbEuHb umsetzt, der gerichtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab deutschen Verfassungsrechts entzogen ist. Gegen eine unbesehene Übertragung der zu sekundärem Gemeinschaftsrecht entwickelten Solange-Rechtsprechung auf sekundäres Unionsrecht im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen spricht der dort trotz Art. 35 EUV, § 1 EuGHG beschränkte Rechtsschutz durch den EuGH (fehlender Individualrechtsbehelf, Zuständigkeitsausnahmen nach Art. 35 Abs. 5 EUV). Daher hält der Senat eine Überprüfung am Maßstab des Grundgesetzes im Grundsatz für möglich und geboten. Diese Überprüfung führt aber nicht zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit von Vorschriften, auf deren Gültigkeit es bei der vorliegenden Entscheidung ankommt.

b) Das mit dem EuHbG geschaffene neue Auslieferungsrecht und insbesondere die Zulassung der Auslieferung Deutscher u.a. an Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG gerecht.

aa) Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist durch Art. 1 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16) vom 29. November 2000 (BGBl. I S. 1633) mit Wirkung vom 02. Dezember 2000 ins Grundgesetz eingefügt worden und enthält die Ermächtigung, durch Gesetz die Auslieferung Deutscher an u.a. Mitgliedstaaten der Europäischen Union zuzulassen, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Es handelt sich nicht um eine verfassungswidrige Verfassungsnorm. Die Grundentscheidung des Verfassungsgebers, die Auslieferung Deutscher u.a. an Mitgliedstaaten der Europäischen Union zuzulassen, verstößt nicht gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätze.

bb) Mit dem EuHbG liegt ein förmliches Parlamentsgesetz vor. Der Einwand, der deutsche Gesetzgeber sei in der Sache nicht mehr frei gewesen, da die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 34 Abs. 2 Buchstabe b) EUV verpflichtet gewesen sei, den RbEuHb umzusetzen, der seinerseits u.a. wegen Art. 39 EUV ohne hinreichende Parlamentsbeteiligung zustande gekommen sei, beseitigt die Gesetzesqualität des EuHbG nicht. Im übrigen misst der Senat dem Einwand auch unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsverbund (grundlegend BVerfGE 89, 155 [188 ff.]) keine durchgreifende Bedeutung zu (näher Vogel, ZStW 116 [2004], 400 [ff.]).

cc) Das mit dem EuHbG geschaffene neue Auslieferungsrecht stellt sicher, dass rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der Senat lässt offen, ob die "Struktursicherungsklausel" des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nur auf die Auslieferung an einen internationalen Gerichtshof (so Zimmermann, JZ 2001, 233 [237]) oder auch auf die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union anwendbar ist. Es handelt sich um eine "weitgehend akademische Frage" (treffend Bonk, in: Sachs [Hrsg.], GG, 3. Aufl., Art. 16 Rdn. 40). Das Grundgesetz selbst geht davon aus, dass Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtsstaatliche Grundsätze wahren (vgl. Art. 16 a Abs. 2 Satz 1, Art. 23 Abs. 1 GG), was eines der Fundamentalprinzipien der Europäischen Union ist (vgl. Art. 6 EUV). Erst wenn dargelegt wird, dass in dem fraglichen Mitgliedstaat kein dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet wird (wofür ein Anzeichen ist, dass gegen den Mitgliedstaat Maßnahmen nach Art. 7 EUV ergriffen werden), können rechtsstaatliche Grundsätze als nicht mehr gewahrt gelten (Bonk aaO., Zimmermann aaO.). Das aber ist derzeit in keinem Mitgliedstaat der Fall.

(2) Allerdings ist es auch in Mitgliedstaaten der Europäischen Union keineswegs ausgeschlossen, dass im Einzelfall rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden. Dem trägt das neue Auslieferungsrecht aber über die "europäische ordre public-Klausel" des § 73 Satz 2 IRG Rechnung (näher hierzu Vogel, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., Teil I A 2 - IRG-Kommentar, § 73 Rdn. 131 ff.).

(3) Die gem. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu wahrenden rechtsstaatlichen Grundsätze beziehen sich - so jedenfalls die Vorstellung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages - auf den um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat und dessen Verfahren. Gewährleistet werden soll, dass dieser Mitgliedstaat einen Grundrechtsschutz gewährleistet, der dem des Grundgesetzes vergleichbar ist (vgl. Scholz, DVBl. 2000, 1377 [1383]). Dem Senat erscheint es daher als im Ansatz verfehlt zu behaupten, es widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen i.S.v. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, Deutsche wegen Taten auszuliefern, die ggf. im Inland nicht strafbar wären (vgl. § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb). Richtigerweise verlangt Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nur, dass die Strafbarkeit im ersuchenden Mitgliedstaat rechtsstaatliche Grundsätze wahrt. Im übrigen ist der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit weder in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG noch im Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip des Art. 20 GG verankert. Vorliegend ist die Frage allerdings nicht entscheidungserheblich, weil die dem Verfolgten vorgeworfene Tat beiderseits strafbar ist.

(4) Es ist kein durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG garantierter rechtsstaatlicher Grundsatz, dass es Deutschen in jedem Fall ermöglicht werden muss, zur Strafvollstreckung ins Inland zurück überstellt zu werden. Soweit gerügt wird, es widerspreche Art. 3 Abs. 1 GG, dass Deutsche, die sich beiderseits strafbar gemacht hätten, zurück überstellt werden dürften, Deutsche, die wegen eines im Inland straflosen Verhaltens verfolgt werden, aber nicht, ist die Rüge nicht von der Hand zu weisen, betrifft aber in erster Linie das - fragwürdige - Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit im Vollstreckungshilferecht (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG), nicht aber das EuHbG. Die Frage ist vorliegend allerdings nicht entscheidungserheblich, weil die dem Verfolgten vorgeworfene Tat beiderseits strafbar ist.

c) Das neue Auslieferungsrecht erfüllt die von Verfassungs wegen an Verfahrensrecht zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen (Art. 20 Abs. 1, 4 GG). Insbesondere muss sich die Liste der Kriminalitätsbereiche, hinsichtlich derer die beiderseitige Strafbarkeit nicht mehr geprüft wird (§ 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG), nicht an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen, weil die Liste die Strafbarkeit - und zwar nach ausländischem Recht, auf das Art. 103 Abs. 2 GG von vornherein nicht anwendbar ist - voraussetzt und nicht begründet und Auslieferung als solche keine Strafe ist (vgl. BVerfGE 109, 38 [63]).

d) Dass Deutsche nunmehr auch wegen Taten, die sie vor Inkrafttreten des EuHbG begangen haben, ans Ausland ausgeliefert werden, verstößt weder gegen Art. 103 Abs. 2 GG, weil Auslieferung als solche keine Strafe ist (vgl. BVerfG aaO.) noch gegen das allgemeine rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot (näher Senat, Beschl. v. 07. September 2004 - 3 Ausl. 80/04 = NJW 2004, 3437).

Ende der Entscheidung

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