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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.05.2001
Aktenzeichen: 3 Ss 13/2001
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2
Beschränkt sich die tatsächliche Einwirkungs- oder Verfügungsmöglichkeit des mittäterschaftlichen Mitbesitzers einer insgesamt nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG von vorn herein auf einen Anteil und auf die gesamte Menge nur zwecks Sicherung alsbaldiger Aufteilung (sog. "gebundener Anteilsmitbesitz"), so kann dem Mitbesitzer nur der Anteil zugerechnet werden, so dass, wenn der Anteil nicht selbst eine nicht geringe Menge ist, § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht erfüllt ist.
Gründe:

Das Amtsgericht -- Schöffengericht -- Schwäbisch Hall hat den Angeklagten unter anderem wegen eines Verbrechens des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. nur BGH StV 1982, 224 [225] m.w.N.) und allgemeiner Auffassung in der Literatur (s. nur Weber, BtMG, § 29 Rdn. 636 m.w.N.) darf jedem Mittäter des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nur diejenige Menge zurechnet werden, die seiner Sachherrschaft tatsächlich unterworfen war; eine rechtliche Erstreckung auf Tatbeteiligte, die selbst keine tatsächliche Einwirkungs- oder Verfügungsmöglichkeit über das Betäubungsmittel hatten, kommt nicht in Betracht. Für die tatsächliche Sachherrschaft ist es allerdings nicht erforderlich, dass sie allein ausgeübt werden kann ("Alleinbesitz" in Gestalt von "Eigen-" oder "Fremdbesitz", näher Weber aaO. § 29 Rdn. 607). Vielmehr genügt es im Grundsatz, dass die Sachherrschaft gemeinsam mit anderen ausgeübt werden kann ("Mitbesitz") (OLG Karlsruhe MDR 1975, 166; OLG Köln NStZ 1981, 104 [105]; Weber aaO. § 29 Rdn. 610). Deshalb wird im Grundsatz jedem Mittäter die Gesamtmenge ungeteilt zugerechnet, sofern er bis zur Aufteilung am Besitz teilhatte (Körner, BtMG. 5. Aufl., § 29 a Rdn. 122).

Dieser Grundsatz bedarf jedoch im Hinblick auf den Zweck der Strafschärfung in § 29 a I Nr. 2 BtMG einer Differenzierung. Die Vorschrift bezweckt in erster Linie, der Gefahr entgegenzuwirken, dass eine Vielzahl von Menschen an das Betäubungsmittel gelangen kann und hierdurch gefährdet wird und dass der Erstkonsum ausgeweitet wird (Weber aaO. § 29 a Rdn. 69). Soweit es weiterhin darum geht, die den Betäubungsmittelkonsum fördernde Vorratshaltung oder Gemeinschaftslagerung zu treffen oder Drogenhändlern die Berufung auf angebliche Eigenverbrauchsvorräte abzuschneiden, sind diese Zwecke vorliegend nicht einschlägig. Die beschriebenen Gefahren bestehen bei Mitbesitz aber nur, wenn sich die tatsächliche Einwirkungs- oder Verfügungsmöglichkeit des Mitbesitzers darauf bezieht, dass er -- wenn auch nur gemeinsam mit den anderen Mitbesitzern -- über die gesamte Menge oder unbestimmte Anteile hiervon frei verfügen, sie bevorraten oder lagern oder an andere gelangen lassen kann (hier sog. "freier Gesamtmitbesitz"); dann allerdings muss jedem Mitbesitzer die Gesamtmenge zugerechnet werden. Beschränkt sich die tatsächliche Einwirkungs- oder Verfügungsmöglichkeit des mittäterschaftlich Mitbesitzenden hingegen von vom herein auf einen Anteil, der nicht selbst eine nicht geringe Menge im Sinne von § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist, und auf die gesamte nicht geringe Menge nur zwecks Sicherung alsbaldiger Aufteilung (hier sog. "gebundener Anteilsmitbesitz"), so besteht die genannte Gefahr bezogen auf den Anteilsmitbesitzer nicht, und ihm kann nur der Anteil zugerechnet werden.

Zudem bekräftigt die Gesetzgebungsgeschichte, dass Einkaufgemeinschaften von Konsumenten nicht allein deshalb, weil die Gesamtmenge des eingekauften Betäubungsmittels nicht gering ist, § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG unterfallen. Die frühere Strafzumessungsregel des besonders schweren Falles des § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG a.F. wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (BGBl. 1992 I S. 1302) zum Qualifikations- und Verbrechenstatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG heraufgestuft. Einkaufsgemeinschaften von Konsumenten, bei denen nur gebundener Anteilsmitbesitz besteht, weisen aber weder eine Nähe zum Handel noch zur organisierten Kriminalität auf.

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen nur die Annahme eines unter der nicht geringen Menge liegenden gebundenen Anteilsmitbesitzes des Angeklagten, denn seine tatsächliche Möglichkeit, auf die Gesamtmenge des Heroins einzuwirken und hierüber zu verfügen, beschränkte sich auf die Sicherung eines seiner finanziellen Beteiligung entsprechenden Anteils, der -- auch unter Berücksichtigung der Erhöhungsoption -- nicht mehr als 6 Gramm mit einem Wirkstoffanteil von 0,438 Gramm Heroinhydrochlorid, also weniger als die für eine nicht geringe Menge erforderlichen 1,5 Gramm Heroinhydrochlorid (BGHSt 32, 162), betrug. Das Amtsgericht stellt fest, dass das Heroin nach dem Willen aller Beteiligten nach S. H. gebracht und dort aufgeteilt werden sollte. Erst nach der Aufteilung sollte jeder der Käufer über seinen Anteil -- und nur über ihn -- frei verfügen können. Der Mitbesitz der Käufer -- also auch des Angeklagten -- an der ungeteilten Gesamtmenge während der Fahrt sollte nach den Feststellungen nur dazu dienen, die Interessen der Käufer und den Erhalt der Ansprüche auf das Heroin zu sichern. Dieser gebundene Anteilsmitbesitz erlaubte nicht einmal eine vorzeitige Teilung, da erst unter den Augen des Mitkäufers E. geteilt werden durfte, noch weniger eine Veränderung der Anteile und -- wie der Senat dem Zusammenhang der Feststellungen entnimmt -- auch keinen Probekonsum über den jeweiligen Anteil hinaus. Das schließt es aus anzunehmen, dass sich die gemeinschaftliche Einwirkungs- oder Verfügungsmöglichkeit der Käufer darauf erstreckt hätte, gemeinsam mit den anderen Mittätern über die Gesamtmenge oder unbestimmte Teile hiervon zu verfügen, sie beispielsweise wegen ihrer schlechten Qualität zurückzugeben oder weiterzuverkaufen. Im Gegenteil stellte gerade der vom Amtsgericht festgestellte gebundenen Anteilsmitbesitz sicher, dass während der Fahrt nicht einmal die abstrakte Gefahr bestand, dass eine Vielzahl von Menschen an das Heroin gelangen konnte und hierdurch gefährdet wurde und dass der Erstkonsum ausgeweitet wurde; auch bestand nicht einmal eine abstrakte Gefahr der Vorratshaltung oder Gemeinschaftslagerung.

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