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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 09.04.2003
Aktenzeichen: 3 U 121/02
Rechtsgebiete: BGB, LBO BW, NRW BW


Vorschriften:

BGB § 1018
BGB § 917 Abs. 1
LBO BW § 71
NRW BW § 7 e
1. Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen einem Bauwilligen gegen den Nachbar ein aus dem durch eine Grunddienstbarkeit geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis ein Anspruch auf Abgabe einer Baulasterklärung gegenüber der zuständigen Baurechtsbehörde zusteht (Ergänzung zu BGH NJW 1992, 2885, 2886).

2. Die Abgabe einer Baulasterklärung ist grundsätzlich freiwillig. Nachbarrechtliche Vorschriften wie §§ 917 I BGB, § 7 e NRG BW stellen deshalb keine geeignete Anspruchsgrundlage für das Verlangen auf Abgabe einer Baulasterklärung dar.


3 U 121/01 4 O 156/01 LG Ulm

Oberlandesgericht Stuttgart

- 3. Zivilsenat -

Im Namen des Volkes Urteil

In Sachen

Verkündet am: 9. April 2003

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 19.3.2003 unter Mitwirkung

des Vors. Richters am Oberlandesgericht Richter, des Richters am Oberlandesgericht Schabel und der Richterin am Landgericht Gehring

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm/Donau vom 5. Juni 2002 (4 O 156/01)

abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Berufungsstreitwert: 10.225,00 €

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Abgabe einer Baulasterklärung gegenüber der zuständigen Baurechtsbehörde mit dem aus dem Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung ersichtlichen Inhalt.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in . Hinsichtlich der Grundstückssituation wird auf den Lageplan K 1 = Bl. 6 d.A. verwiesen. Wegen des unstreitigen Sachverhalts und des Parteivorbringens erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 5.6.2001 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat angenommen, eine solche Verpflichtung folge aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis. Ausweislich des Grundbuchs (Nr. 182) bestehe eine Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrrechts seit der Erbauseinandersetzung im Jahre 1957 jedenfalls zu Gunsten des Flurstücks 492/10. Die Voraussetzungen, die der BGH für die Begründung eines derartigen Anspruchs angenommen habe, seien vorliegend erfüllt. Soweit die geforderte Baulast auch die Sicherstellung der Abwasserentsorgung verlange, folge ein entsprechender Anspruch aus § 7 des Nachbarrechtsgesetzes. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und ordnungsgemäß begründete Berufung des Beklagten, der seinen Klagabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Berufung des Beklagten macht im Wesentlichen geltend:

Eine dem wahren Willen der Parteien entsprechende Auslegung der der Dienstbarkeit zu Grunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarung decke die begehrte Baulastübernahmeerklärung nicht. Mit der Übernahme der von der Eigentümerin des Flurstücks 492/6 und der Eigentümerin des Grundstücks 492/10 zu übernehmenden Dienstbarkeit solle erreicht werden, dass dem Willen des Erblassers Rechnung getragen werde und die Erben als nunmehrige Eigentümer der aus dem Flurstück 492/11 gebildeten Teilgrundstücke diese jeweils mit einem Wohnhaus für sich bebauen könnten. Zweck der Vereinbarung sei gewesen, in Erfüllung des Willens der Erblasserin jedem der Beteiligten ein Teil des Ackergrundstücks 492/11 zuzuschreiben und jeweils mit einem Wohnhaus für sich zu bebauen. Diese Einschränkung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Grunddienstbarkeit. Durch die Errichtung der Wohnhäuser "für sich" auf den Flurstücken 492/11, 492/6 und 492/10 sei der mit der Dienstbarkeit vom 2. Juli 1957 verfolgte Zweck erreicht worden. Eine intensive Bebauung des Flurstücks 492/10 bzw. 492/3 mit einem weiteren zusätzlichen Wohnhaus wie beabsichtigt sei nicht mehr von der Grunddienstbarkeit gedeckt. Die vom Landgericht zugesprochene Verpflichtung zur Baulastübernahmeerklärung gehe auch über die vereinbarte Grunddienstbarkeit hinaus, weil sie das Geh- und Fahrrecht nicht auf den jeweiligen Eigentümer der herrschenden Grundstücke beschränke, sondern jeden beliebigen Dritten, also auch Mieter und Kunden bei einer gewerblichen oder freiberuflichen Nutzung, einschließe. Das Landgericht trage auch der späteren Entscheidung des BGH vom 3. Juli 1992 (NJW 1992, 2885) nicht Rechnung, wonach es auch maßgeblich sei, ob bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit bereits Anlass bestanden habe, die Übernahme einer Baulast zu erwägen, genau dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Für die zugesprochene Baulast bestehe im Übrigen auch kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin das aus dem Flurstück 492/11 abgemarkte Flurstück 492/3 bebauen wolle, hierfür sei eine Baulast zu Gunsten des Flurstücks 492/10 wenig hilfreich. Letztlich wäre der Anspruch auf Baulastübernahmeerklärung auch verwirkt. Die Klägerin habe das Flurstück 492/3 in Kenntnis des Umstands erworben, dass es sich hierbei um eine Gartenfläche handele, die nicht bebaut werden könne, zumal wenn dieses Grundstück von dem Flurstück 492/11, welches über einen direkten Zugang zum Kugelbergweg hin verfüge, abgemarkt werde. Die mit dem Bauvorhaben der Klägerin verbundenen Beeinträchtigungen seien dem Beklagten nicht zumutbar. Auch für die Verpflichtung zur Abgabe einer Baulasterklärung hinsichtlich der Duldung der Entwässerungsleitungen bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da das auf dem Flurstück 492/10 befindliche Wohnhaus über alle entsprechenden Anschlüsse für sämtliche Medien (Wasser, Abwasser, Telefon) verfüge.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Ulm vom 5.6.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Auf den Hinweis des Senats im Termin vom 4.12.2002 (260/261) hat die Klägerin das Schreiben der Stadt vom 18.12.2002 (A 275) vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sich die Baurechtsbehörde hinsichtlich der Entwässerung mit einem rechtskräftigen Duldungstitel gemäß § 7 e des Nachbarrechtsgesetzes Baden-Württemberg zufrieden gibt. Die Klägerin, die meint, einen derartigen Anspruch aus der genannten Norm herleiten zu können, hat hilfsweise einen geänderten Antrag angekündigt (272/285), diesen Antrag jedoch im Termin vom 19. März 2003 (289/290) nicht gestellt. Der Beklagte vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe kein Duldungsanspruch aus § 7 e NRG BW zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, insbesondere die Berufungsbegründung vom 2.10.2002 (233/249) und die Berufungserwiderung vom 29.10.2002 (255/259).

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Sie erzielt einen vorläufigen Erfolg und führt zur Klagabweisung, weil der Klägerin jedenfalls derzeit ein Anspruch auf Abgabe der geforderten Baulasterklärungen nicht zusteht.

1.

a) Nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat beitritt, kann sich bei Fehlen vertraglicher Vereinbarungen die Verpflichtung, die verlangte Baulasterklärung abzugeben, als Nebenpflicht aus dem durch die Grunddienstbarkeit geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben. Voraussetzung hierfür ist, dass eine beiderseitige Interessenabwägung einen Vorrang des Anspruchstellers ergibt. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, das Grundstück des eine Baulast Begehrenden baulich zu nutzen, ob die Übernahme der Baulast zwingende Voraussetzung für die Bebauung des Grundstücks ist, ob eine Befreiung vom Baulastzwang in Betracht kommt, ob bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit Anlass bestand, bereits die Übernahme einer Baulast zu erwägen und schließlich, ob Inhalt und Umfang der geforderten Baulast der Dienstbarkeit entsprechen (vgl. BGH NJW 1992, 2885, 2886; BGH NJW-RR 1992, 1484; BGH NVwZ 1990, 192, 193 sowie NJW 1989, 1608). Mit den Entscheidungen vom 3.7.1992 (vgl. NJW 1992, 2885, 2886 sowie NJW-RR 1992, 1484, 1485) hat der BGH diese Voraussetzungen weiter dahingehend präzisiert, dass der Kläger die begehrte Baulastübernahmeerklärung nur dann fordern kann, wenn ihm allein mit einer Baulast des nach dem zuletzt verlangten Inhalts gedient wäre, es somit darauf ankomme, ob der Kläger allein mit der beantragten Baulast eine Genehmigung erreichen könnte, weil andernfalls der Beklagten im Rahmen der nach § 242 BGB gebotenen Interessenabwägung eine Baulastbestellung in dem verlangten Umfang nicht zumutbar wäre.

b) Dagegen folgt ein Anspruch der Klägerin auf Abgabe einer Baulasterklärung durch den Beklagten weder aus § 917 Abs. 1 BGB noch aus § 7 e NRG BW.

(1) Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Rechtssatz, dass die Baulasterklärung im Sinne von § 71 LBO BW zwar eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung begründet, die Abgabe aber an sich freiwillig ist und bei Fehlen entsprechender rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen grundsätzlich kein Anspruch eines Eigentümers/Bauwilligen gegen einen Nachbarn auf Abgabe einer solchen Erklärung besteht (vgl. VGH Baden-Württemberg BRS Nr. 160; Sauter, LBO Baden-Württemberg, Stand: September 2002, Rn. 3 zu § 71 LBO; vgl. auch die Begründung des RP Tübingen im Widerspruchsbescheid vom 9.3.2001 [B 5 = 54], durch den der Widerspruch des Beklagten gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid vom 20.11.2000 zurückgewiesen worden ist).

Von diesem Ausgangspunkt aus muss die zitierte Rechtsprechung des BGH bereits als Durchbrechung dieses Grundsatzes angesehen werden, die lediglich deshalb zu akzeptieren ist, weil die Belastung durch die Baulast auch nach den vom BGH dargestellten Abwägungskriterien nicht wesentlich über die bereits auf freiwilliger Basis bestellte Grunddienstbarkeit hinausgeht, wobei es eine - allerdings hinzunehmende - zusätzliche Belastung darstellt, dass die Baulast nur nach einem Verzicht der Baurechtsbehörde (vgl. § 71 Abs. 3 LBO BW) erlischt, eine Erklärung des von der Baulast Begünstigten mithin nicht ausreichend ist (kritisch zur zitierten BGH-Rechtsprechung Staudinger/Jörg Mayer, NB 2002, § 1018 Rn. 136, 152, der meint, der BGH habe damit an sich bereits den "Rubikon" überschritten, weil dort über den Inhalt der Dienstbarkeit hinausgegangen werde, da dies eine Regelung eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses gegenüber der Baubehörde betreffe).

So hat der BGH auch stets betont, dass sich eine entsprechende Verpflichtung zur Abgabe einer Baulasterklärung aus dem genannten gesetzlichen Schuldverhältnis nur nach einer beiderseitigen Interessenabwägung mit Vorrang des Anspruchstellers ergeben könne, wobei zu berücksichtigen sei, ob Inhalt und Umfang der geforderten Baulast der Dienstbarkeit entspreche (vgl. BGH NVwZ 1990, 192, 193; NJW-RR 1992, 1484).

Danach lässt sich der BGH-Rechtsprechung jedenfalls keineswegs entnehmen, dass auch eine nachbarrechtliche Norm wie § 917 Abs. 1 BGB oder § 7 e NRG BW als Anspruchsgrundlage für die Verpflichtung zur Abgabe einer Baulasterklärung genügen könnte.

(2) Belege aus sonstiger Rechtsprechung und Schrifttum, die die klägerische Rechtsauffassung stützen würden, sind dem Senat nicht ersichtlich. Vielmehr lassen sich gegenteilige Belege darstellen.

§ 7 e NRG BW stellt eine nach Art. 124 EGBGB zugelassene Ausprägung des allgemeinen Notwegrechts nach § 917 Abs. 1 BGB dar (vgl. Dehner, Nachbarrecht, 6. Aufl., 1981, § 27 S. 604; Vetter/Karremann/Kahl, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 16. Aufl., § 7 e Bemerkung 1; vgl. auch Palandt/Bassenge, 62. Aufl., § 917 Rn. 1). In der Literatur wird vertreten, dass Notwegrechte keine ausreichende und tragfähige Grundlage für die Anerkennung einer Verpflichtung zur Abgabe einer Bau-lasterklärung darstellen (vgl. Masloh NJW 1995, 1993, 1995). Der VGH Baden-Württemberg (BRS Nr. 160) hat eine aus dem Notwegrecht nach § 917 BGB fließende (öffentlich-rechtliche) Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme einer Baulast abgelehnt. Dem tritt der Senat bei. Notwegrechte (§ 917 BGB, § 7 e NRG BW) begründen rein privatrechtliche Duldungspflichten zwischen Nachbarn, die zudem durch Gewährung einer Entschädigung zu kompensieren sind (vgl. § 917 Abs. 2 BGB: Notwegrente; vgl. auch §§ 7 e Abs. 1 S. 3, Abs. 3 NRG BW). Damit lässt sich eine korrespondierende Verpflichtung des belasteten Grundstücks zur Abgabe einer Baulast nicht vereinbaren.

2.

Danach kann die Klägerin keinesfalls vom Beklagten die Abgabe der Baulast hinsichtlich der Führung der Entwässerungsleitungen verlangen. Eine Baulast mit diesem Inhalt ist nämlich vom Inhalt der bewilligten Grunddienstbarkeit (Wegerecht) nicht mehr gedeckt, geht vielmehr vom Umfang darüber hinaus.

Aber auch ein Anspruch auf die Abgabe einer Baulasterklärung hinsichtlich der Duldung der Zufahrt (Wegerecht) steht der Klägerin jedenfalls derzeit nicht zu. Zwar würde sich diese Baulast wohl innerhalb des Rahmens und des Zwecks der bestehenden Grunddienstbarkeit halten. Es steht jedoch fest, dass die Klägerin das von ihr erstrebte Ziel (Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens gemäß Bauvorbescheid vom 20.11.2000) mit diesem ihr rechtlich allenfalls zustehenden Inhalt einer Baulast (Wegerecht) derzeit nicht erreichen kann. Denn dazu wäre nach dem Schreiben der Stadt vom 18.12.2000 (A 275) - zusätzlich - ein rechtskräftiger Duldungstitel gemäß § 7 e NRG BW erforderlich. Ein solcher kann im vorliegenden Verfahren nicht erzielt werden, nachdem die Klägerin ihren Hilfsantrag nicht gestellt hat und wegen der Notwendigkeit einer Anschlussberufung gemäß § 524 ZPO nach Ablauf der in § 524 Abs. 1 S. 2 ZPO genannten Frist auch nicht mehr wirksam stellen konnte. Die Klage musste daher insgesamt abgewiesen werden.

Der Klägerin ist es unbenommen, den Duldungsanspruch gemäß § 7 e NRG BW in Verbindung mit dem rechtlich möglichen und zulässigen Inhalt einer Baulasterklärung in einem neuen Klageverfahren geltend zu machen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Revisionszulassungsgründe gemäß § 543 ZPO n.F. bestehen nicht.

Der Schriftsatz der Klägervertreter vom 3.4.2003 gibt keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, §§ 525, 296 a, 156 ZPO.



Ende der Entscheidung

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