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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 01.08.2007
Aktenzeichen: 3 U 35/07
Rechtsgebiete: CMR


Vorschriften:

CMR Art. 17 Abs. 2
Zur Frage des Haftungsausschlusses gem. Art. 17 Abs. 2 CMR bei Verlust der Ladung durch einen Raubüberfall im Rahmen einer fingierten Polizeikontrolle in der Slowakei.
Oberlandesgericht Stuttgart

3. Zivilsenat

Im Namen des Volkes

Urteil

Geschäftsnummer: 3 U 35/07

Verkündet am 01. August 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2007 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Kober Richter am Oberlandesgericht Dr. Ottmann Richterin am Landgericht Krumm

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten und der Streithelferin wird das Urteils des Landgerichts Rottweil vom 05.01.2007 - 5 O 115/05 KfH - abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen einschließlich der Kosten der Streithelferin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte oder die Streithelferin vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert der Berufungen: 88.011,99 € (76.795,94 Sonderziehungsrechte des Int. Währungsfonds, Stand zum 05.01.2007: 1,14605).

Gründe:

I.

Die klagende Transportversicherung macht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen des Verlusts von Transportgut geltend.

Die Beklagte war von der Fa. R. mit der Beförderung von Schuhen von K./S. nach Deutschland zu festen Kosten beauftragt worden und hatte ihrerseits die Streithelferin mit dem Transport beauftragt.

Die Klägerin hat am 14.01.2005 zur Abdeckung des Schadens einen Betrag in Höhe von zumindest 213.509,66 € an ihre Versicherungsnehmerin, die Fa. R. S., S., überwiesen.

Die Parteien streiten in erster Linie über das Vorliegen eines Haftungsausschlusses gem. Art. 17 Abs. 2 CMR.

Die Beklagte und die Streithelferin machen geltend, der Fahrer der Streithelferin sei Opfer eines zunächst als nächtliche Polizeikontrolle getarnten bewaffneten Raubüberfalls geworden.

Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung des Fahrers B., Sitzungsprotokoll vom 10.11.2006, Bl. 239 ff.) in vollem Umfang stattgegeben.

Dagegen richten sich die Berufungen der Beklagten und ihrer Streithelferin, die vollständige Klagabweisung anstreben.

Die Beklagte wendet sich gegen die Bejahung der Aktivlegitimation der Klägerin durch das erstinstanzliche Gericht. Beide Berufungsführerinnen machen darüber hinaus geltend, das Landgericht habe hinsichtlich des Verlusts der Ladung zu Unrecht ein unabwendbares Ereignis verneint.

Die Beklagte trägt vor:

Es lasse sich dem Urteil nicht entnehmen, worauf das Landgericht seine Annahme stützt, die Ansprüche seien wirksam abgetreten worden. Eine wirksame Abtretung sei nicht erfolgt. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts trügen das Urteil insoweit nicht.

Nach den Feststellungen im Tatbestand und dem erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin leite diese ihre Rechte sowohl von der Fa. R. S. als auch der R. her. Es ergebe sich aber hieraus nicht, welches Unternehmen in welchem Umfang seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat oder welche Rechte dieser Gesellschaften auf die Klägerin übergegangen sind.

Ein Übergang aufgrund der vorgelegten Abtretungserklärungen vom 30.09.2005 und 23.09.2005 sei bereits deswegen nicht möglich gewesen, da nach dem Vortrag der Klägerin diese bereits am 14.01.2005 einen Betrag in Höhe von 213.509,66 € an ihre Versicherungsnehmerin überwiesen habe und die Rechte daher gemäß § 67 VVG auf die Klägerin übergegangen seien. Allerdings habe die Klägerin zum Forderungsübergang gem. § 67 VVG nicht schlüssig vorgetragen. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehe, dass die Versicherungsnehmerin die Fa. R. S. AG sei, sei nicht erkennbar, welche Ansprüche der Fa. R. S. gegen die Beklagte auf die Klägerin übergegangen sein sollen. Der Transportvertrag sei zwischen der Beklagten und der Fa. R. geschlossen worden.

Auch sei der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Höhe der Regulierung widersprüchlich, nachdem sie einerseits vortrage, 213.509,66 € bezahlt zu haben, andererseits jedoch vortrage, in Höhe von 217.385,13 € reguliert zu haben.

Das Landgericht sei ferner unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass der Verlust der Sendung durch den Fahrer vermeidbar gewesen sei, weshalb sich die Beklagte nicht auf den Haftungsausschluss nach Art. 17 Abs. 2 CMR berufen könne.

Das Landgericht überspanne die Anforderungen an die Sorgfalt des Fahrers, wenn es darauf abhebe, dass der Fahrer es unterlassen hatte, sich von der als Polizist auftretenden Person den Dienstausweis zeigen zu lassen.

Der Fahrer habe unwidersprochen ausgesagt, es sei in der S. nicht üblich, dass ein Polizist seinen Ausweis bei einer Kontrolle vorzeige.

Der Fahrer habe auch keine Veranlassung gehabt, daran zu zweifeln, dass es sich um eine reguläre Polizeikontrolle handelt. Raubüberfälle durch Personen, die sich als Polizisten verkleiden, seien in der S. nicht üblich.

Auch die Tatsache, dass der Fahrer zunächst nur einen Polizisten wahrgenommen habe, hätte keine Zweifel an der Echtheit der Polizeikontrolle begründen müssen, zumal ein zweiter Polizist in der Dunkelheit nur dann erkennbar gewesen wäre, wenn er unmittelbar vom Scheinwerferkegel des Lkws erfasst worden wäre.

Der Raubüberfall sei selbst bei einer Ausweiskontrolle nicht vermeidbar gewesen.

Aufgrund des Höhenunterschieds zwischen Straße und Lkw-Führerhaus hätte der Polizist bei geschlossener Tür und geschlossenem Fenster unmittelbar an den stehenden Lkw und das Führerhaus herankommen müssen. Es wäre dann ein leichtes gewesen, den Fahrer mit einer Schusswaffe zu töten oder außer Gefecht zu setzen. Eine Flucht mit dem beladenen Lkw sei im Hinblick auf dessen geringe Beschleunigung unmöglich. Eine Lkw-Zugmaschine benötige selbst im unbeladenen Zustand 55 Sekunden, um auf eine Geschwindigkeit von 85 km/h zu beschleunigen.

Auch der Umstand, dass der Fahrer der Aufforderung, das Fahrzeug zu verlassen, beim ersten Mal ohne Waffengewalt gefolgt sei, führe zu keiner anderen Bewertung. Dies wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man annehmen könne, dass der Fahrer dann, wenn er in seinem Lkw geblieben wäre, nicht mit Waffengewalt zum Aussteigen gezwungen worden wäre, sondern die Täter von ihrem Raubversuch abgelassen hätten, wofür jedoch keinerlei Anhaltspunkte vorlägen.

Der Fahrer habe dem Haltesignal der vermeintlichen Polizeikontrolle Folge leisten müssen. Hierin liege - wie auch das Landgericht erkannt habe - keine Pflichtverletzung. Nachdem er jedoch angehalten hatte, hätte er keine Möglichkeit mehr gehabt, den Raub zu verhindern.

Selbst wenn der Fahrer sich den Dienstausweis hätte zeigen lassen und trotz der schlechten Lichtverhältnisse in der Nacht den Dienstausweis als Fälschung erkannt hätte, hätte sich am Kausalverlauf nichts geändert.

Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Frachtführer und damit auch der Fahrer gehalten sei, den Transport ohne unnötige Verzögerung durchzuführen. Hätte der Fahrer den Ausweis verlangt, obwohl dies in der S. nicht üblich sei, hätte die Gefahr bestanden, dass das hieraus zum Ausdruck kommende Misstrauen eine längere und intensivere Überprüfung des Lkws einschließlich Ladeguts durch die Polizeibeamten ausgelöst hätte.

Die Streithelferin trägt vor:

Die Klage stütze sich auf das als fehlerhaft nachgewiesene G.-Gutachten.

Der Tatort könne anhand der slowakischen Straßenkarte (Anl. BK 2, Bl. 300) lokalisiert werden und befinde sich 2 km vor D. S. aus Richtung V. M./ K.gesehen.

Die Aufzeichnungen der Messgeräte im Lkw seien von G. haarsträubend unrichtig interpretiert worden. Der Lkw sei in der Zeit zwischen 0.03 Uhr und 1.08 Uhr nicht 20 km sondern 59,6 km bewegt worden und habe in dieser Zeit eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 89 km/h sowie einen Kraftstoffverbrauch von 25 l (der übliche Verbrauch auf 100 km) gehabt, was eine scharfe Fahrweise zeige.

Nach einer Standzeit bis 3.10 Uhr sei er anschließend bis 3.39 Uhr weitere 24,4 km bewegt worden bis zum Auffindungsort in dem Gehöft D. M. Nachforschungen seinen von G. aufgrund der dilettantischen Herangehensweise nur im Umkreis von 24 km vom Tatort angestellt worden.

Das Landgericht habe die Haftung der Beklagten auf den Gesichtspunkt der unterlassenen Kontrolle des Dienstausweises des Polizisten gestützt, ohne dass dies Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sei. Dieser Gesichtspunkt sei erstmals im Schriftsatz der Klägerin vom 21.11.2006 geltend gemacht worden, ohne dass der Beklagten bzw. der Streithelferin Gelegenheit gegeben worden sei, hierzu Stellung zu nehmen.

Ferner rügt die Streitverkündete einen wesentlichen Verfahrensmangel.

Es sei das rechtliche Gehör verletzt worden, da trotz zweier Akteneinsichtsgesuche in der ersten Instanz keine Akteneinsicht gewährt worden sei. Deshalb habe die Streitverkündete den in den Unterlagen der Streitverkündeten nicht vorhandenen Schriftsatz der Klägerin vom 11.01.2006 nicht zur Kenntnis nehmen und zum darin enthaltenen prozesswesentlichen Vortrag der Klägerin - dem letztlich für das Landgericht entscheidungserheblichen Gesichtspunkt, der Fahrer hätte sich vor dem Verlassen des Führerhauses vergewissern müssen, dass er es mit einem "echten" Polizisten zu tun hatte und sich vor dem Aussteigen mindestens den Dienstausweis des vermeintlichen Polizisten zeigen lassen müssen - nicht Stellung nehmen können.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Rottweil die Klage abzuweisen.

Die Streithelferin beantragt darüber hinaus hilfsweise,

das Verfahren unter Aufhebung des Urteils vom 05.01.2007 an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Sie trägt vor:

Die Aktivlegitimation sei nachgewiesen durch die bereits als Anlage K 0 vorgelegten Abtretungserklärungen der Fa. R und Fa. R. S. AG.

Die Fa. R. S. sei die Empfängerin der Partie und nach Art. 13 CMR anspruchsberechtigt. Die Fa. R. sei Auftraggeberin der Beklagten und deshalb jedenfalls aus dem Gesichtspunkt der Drittschadensliquidation anspruchsberechtigt. Ferner sei als Anl. K 14 die Versicherungspolice vorgelegt worden und für die Regulierung des Schadensbetrages von 217.385,13 € Zeugenbeweis angetreten worden.

Zu Recht habe das Landgericht die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 CMR unter Zugrundelegung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung verneint.

Es sei in der S. üblich, sich bei einer Polizeikontrolle den Dienstausweis eines Polizisten zeigen zu lassen und auch hiernach zu fragen.

Darüber hinaus habe Anlass bestanden, misstrauisch zu sein gegenüber der Kontrolle auf freier Strecke in einer menschenverlassenen Gegend mitten in der Nacht, bei der der Fahrer zunächst nur eine einzelne Person, nicht aber einen Polizeiwagen oder ein anderes Merkmal einer ordnungsgemäßen Polizeikontrolle wahrgenommen habe.

Die gegen die zutreffenden Feststellungen des Urteils gerichteten Angriffe der Streithelferin seien unerheblich.

Das Urteil stütze sich nicht auf das G.-Gutachten, sondern eindeutig auf die Aussage des Zeugen der Streithelferin. Deshalb sei der Vortrag zur angeblichen Fehlerhaftigkeit des Gutachtens unerheblich und zudem verspätet.

Im übrigen habe die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 11.02.2006 geltend gemacht, dass der Fahrer sich nicht den Dienstausweis habe zeigen lassen, was zur Folge habe, dass kein unabwendbares Ereignis vorliege.

Es werde bestritten, dass eine Lkw-Zugmaschine 55 Sekunden zur Beschleunigung auf 85 km/h benötige.

Die Streithelferin verkenne insoweit die Beweislast für das Vorliegen eines unvermeidbaren Ereignisses. Dieses liege allein auf der Beklagtenseite. Hätte der Fahrer nach einem Dienstausweis gefragt und hätte er diesen nicht vorgelegt bekommen, hätte er sich ohne jegliche Gefahr der Sanktion entfernen können. Es werde bestritten, dass die slowakische Polizei immer Dienstwaffen trage und bei Kontrollen Zivilfahrzeuge eingesetzt würden.

Wie im Schriftsatz der Klägerin vom 21.11.2006 ausgeführt, seien die Aussagen des Zeugen B. gänzlich unglaubwürdig gewesen und hätten verschiedene Ungereimtheiten aufgewiesen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die in zulässiger Weise eingelegten Berufungen sind begründet.

Infolge der Beauftragung der Beklagten als Fixkostenspediteur ist bei Anwendung deutschen Rechts nach allgemeiner Ansicht der Anwendungsbereich des CMR eröffnet, (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 1 CMR, Rdnr. 2 und 3 m.w.N.).

Danach haftet die Beklagte für den Verlust der Ladung grundsätzlich gem. Art. 17 Abs. 1 CMR. Vorliegend kann sie sich jedoch auf den Haftungsausschluss nach Art. 17 Abs. 2 CMR berufen.

1. Die Klägerin ist aktiv legitimiert.

Ihre Aktivlegitimation hinsichtlich der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ergibt sich aus übergegangenem Recht.

Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, am 14.01.2005 213.509,66 € an ihre Versicherungsnehmerin ausgezahlt zu haben (Bl. 109, Anl. K 16, Bl. 114). Versicherungsnehmerin war die Fa. R. S. (Versicherungspolice K 14, Bl. 79).

Die Ansprüche der Versicherungsnehmerin sind damit gem. § 67 VVG zumindest in dieser die Klagforderung übersteigenden Höhe übergegangen. Die Versicherungsnehmerin wiederum war auch Empfängerin der Sendung (CMR-Frachtbriefe Bl. 185 ff.) und als solche berechtigt, Rechte aus dem Beförderungsvertrag zwischen der Fa. R. und der Beklagten im eigenen Namen geltend zu machen (Art. 13 Abs. 1 S. 2 CMR).

Auf die zeitlich nachfolgenden Abtretungen der Fa. R. S. und der Fa. R. an die Klägerin kommt es mithin nicht an.

2. Die Beklagte ist jedoch gem. Art. 17 Abs. 2 CMR von der Haftung befreit, weil der Verlust der Ladung durch Umstände verursacht wurde, die sie oder die von ihr eingesetzten Erfüllungsgehilfen nicht vermeiden und deren Folgen nicht abgewendet werden konnten. Hierfür ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig, Art. 18 CMR.

Diesen Beweis hat die Beklagte geführt.

Unvermeidbarkeit i.S.v. Art. 17 Abs. 2 CMR ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur anzunehmen, wenn der Frachtführer darlegt und ggf. beweist, dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten, dem Frachtführer möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können (vgl. BGH, TranspR 2001, 369 ff. m.w.N.).

Nach Würdigung der gesamten Umstände einschließlich des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist der Beklagten der Nachweis eines Raubüberfalls gelungen. Dieser war zudem unvermeidbar und die Folgen auch nicht abwendbar.

a) Aus den in Übersetzung vorliegenden slowakischen Ermittlungsakten (Bl. 237 ff.) ergeben sich keinerlei Verdachtsmomente im Hinblick auf eine Beteiligung des Fahrers am Raub. Der Fahrer ist ausweislich der Ermittlungen seit ca. 20 Jahren als Kraftfahrer tätig und seit vielen Jahren bei der Streithelferin beschäftigt. Hinweise auf etwaige finanzielle Probleme des Zeugen ergaben sich nicht. Auch das im Auftrag der Klägerin erstellte Gutachten des Sachverständigenbüros G. (Anl. K 2) kam im Rahmen der durchgeführten Ermittlungen zum Ergebnis, dass sich ein Verdacht gegen den als ehrlich und zuverlässig geltenden Fahrer nicht ergebe (GA S. 5).

Die Schilderungen des Fahrers hinsichtlich des Überfalls sind glaubhaft. Auch das Landgericht hat bei seinem Urteil einen Geschehensablauf wie vom Zeugen geschildert zugrunde gelegt. Einer erneuten Vernehmung des Zeugen in der Berufungsinstanz bedurfte es daher nicht.

Es liegen Protokolle über die Vernehmung des Zeugen vom 18.10.2004 in zwei verschiedenen Übersetzungen vor (Bl. 182 ff. und 338 ff.) sowie eine Stellungnahme des Zeugen, die offenbar im Rahmen eines im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachtens eingeholt wurde (Sachverständigenbüro . , Anl. B 1, GA S. 3 ff.). Ferner wurde der Zeuge am 10.11.2006 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Rottweil vernommen (Sitzungsprotokoll Bl. 239 ff.).

Der Zeuge hat seine Aussage durchweg inhaltlich konstant gemacht und die Geschehnisse sehr detailliert und plastisch beschrieben. Insbesondere aus der Fülle der sehr genau beschriebenen Details im Zusammenhang mit der Bedrohung, Überwältigung und seiner anschließenden Fesselung durch die Täter folgert der Senat, dass den Schilderungen ein entsprechendes Erlebnis des Zeugen zugrunde lag und es sich nicht um einen unter Mitwirkung des Zeugen vorgetäuschten Raubüberfall gehandelt hat.

Inhaltlich gibt die Aussage keinerlei Anlass zu Zweifeln an der Authentizität der geschilderten Ereignisse.

Die vermeintliche Diskrepanz zwischen registrierter Fahrstrecke des Lkws bis zum ersten Halt und dem vom Zeugen bezeichneten Tatort des Überfalls ist aufgeklärt. Offensichtlich lag im Gutachten G. insoweit ein Irrtum vor. Die Streithelferin hat bereits in erster Instanz die Entfernung zwischen K. und D. S. mit insgesamt 43,5 km angegeben (Bl. 131) und die entsprechende Straßenkarte hierzu in 2. Instanz vorgelegt (Bl. 300). V. M. ist danach 34,5 km von K. entfernt. Der Überfall geschah laut Aussage des Zeugen zwischen diesen beiden Orten, so dass die aufgezeichnete Fahrstrecke von 39,5 km sich zwanglos damit vereinbaren lässt.

Diesen vermeintlich gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechenden Gesichtspunkt verfolgt auch die Klägerin in 2. Instanz nicht weiter.

Auch die übrigen Angaben des Zeugen sind plausibel und glaubhaft.

Dass der Zeuge erst ca. 5 Stunden nach dem Überfall bei der einige Kilometer entfernten Tankstelle eingetroffen ist, ist aufgrund seiner Schilderung des Ablaufs des Überfalls erklärbar. Danach hat er zunächst geraume Zeit abgewartet, ob die Täter - wie von ihnen angedroht - zurückkehren, sich erst später bemüht, sich von den Fesseln zu befreien und dann die Strecke zu Fuß in stockdunkler Nacht zurückgelegt, wobei er sich aus Angst davor, dass die Täter zurückkehren und nach ihm suchen würden, immer wieder im Gebüsch versteckt hat, wenn ein Fahrzeug vorbeifuhr.

Dieser Geschehensablauf erscheint ohne weiteres nachvollziehbar und lässt sich problemlos in Einklang mit der zwischen Überfall und Eintreffen bei der Tankstelle verstrichenen Zeit bringen.

Auch alle anderen im Schriftsatz vom 21.11.2006 vorgebrachten Argumente der Klägerin lassen im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben aufkommen.

So erscheint es aus Sicht der Räuber sogar sinnvoll, den Fahrer zunächst wieder in den Lkw einsteigen zu lassen, um sich ihm unbemerkt von hinten mit einer Waffe nähern und ihn überraschen zu können. Dass der Zeuge anschließend gezwungen wurde, auf der anderen Seite (der Beifahrerseite) auszusteigen, findet eine einleuchtende Erklärung darin, dass diese Seite für zufällig vorbeikommende andere Verkehrsteilnehmer nicht oder weniger einsehbar war als die der Straße zugewandte Fahrerseite.

Auch dass der zweite Polizist maskiert gewesen sein soll und dennoch als Polizist verkleidet, spricht nicht gegen die Richtigkeit der Aussage. Insoweit ist denkbar, dass der zweite Täter sich lediglich vorsorglich - falls sich während des Überfalls sein Auftritt als Polizist erforderlich erweist - verkleidet hat und sich die Maske überzog, als er den Fahrer mit der Waffe bedrohte.

b) Geht man von der Richtigkeit der Darstellung des Zeugen aus, war der Überfall und der damit verbundene Verlust der Ladung unvermeidbar.

aa) Grundsätzlich kann dem Fahrer - sofern er nicht erkennen konnte, dass es sich um eine fingierte Polizeikontrolle handelt - kein Sorgfaltspflichtverstoß vorgeworfen werden, wenn er bei einer derartigen Kontrolle anhält.

Nach den Angaben des Zeugen war zumindest der Polizist, der ihn zum Anhalten aufgefordert hat, mit den bei der Polizei üblicherweise verwendeten Gegenständen ausgestattet und trug auch eine Polizeimütze. Dass der Zeuge zunächst nur einen Polizeibeamten wahrgenommen hat, nicht aber ein Fahrzeug und einen weiteren Polizisten, obwohl auch nach seinen eigenen Angaben Kontrollen immer von 2 Polizisten durchgeführt werden, steht dem nicht entgegen. Wenn er den zweiten Polizisten im Moment des Anhaltens nicht wahrgenommen hat, musste er hieraus nicht den Schluss ziehen, dass ein zweiter Polizist nicht vorhanden ist. Insoweit konnte er davon ausgehen, einen weiteren Polizisten in der Dunkelheit zunächst nicht wahrgenommen zu haben.

bb) In der zu Raubüberfällen ergangenen Rechtsprechung in der hier vorliegenden Variante der fingierten Polizeikontrolle wird diskutiert, inwieweit ein der Haftungsbefreiung entgegenstehender Sorgfaltspflichtverstoß darin gesehen werden kann, dass - so auch die Argumentation des Landgerichts - der Fahrer das Fahrzeug verlassen hat, ohne sich zuvor den Dienstausweis zeigen zu lassen. Letzterer Gesichtspunkt wird unter Hinweis auf BGH, Urt. v.18.01.2001, TranspR 2001, 369 ff.) angeführt. Tatsächlich hat der BGH in dieser Entscheidung zwar einen Sorgfaltspflichtverstoß deswegen grundsätzlich für möglich gehalten. In jenem besonders gelagerten Einzelfall war es jedoch unstreitig, dass es im Fernverkehr in Russland "absolut üblich" sei, dass sich der Fahrer bei einer Kontrolle durch die russische Verkehrspolizei oder Miliz den Dienstausweis des kontrollierenden Polizeibeamten geben lasse, bevor er aus dem Fahrerhaus aussteige und bei einer "echten" Kontrolle dem Verlangen des Fahrers nach einem Dienstausweis bereitwillig nachgekommen werde.

Dementsprechend hat der BGH in der Entscheidung vom 25.10.2001, TranspR 2003, 349 f. denn auch klargestellt, dass es eine Frage des Einzelfalls sei, ob der Fahrer eines Lkw-Transports mit einer fingierten Kontrolle rechnen muss und deshalb Veranlassung hat, sich einen Dienstausweis der kontrollierenden Person vorlegen zu lassen.

Dies ist für die S. indes nicht festgestellt worden.

Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung am 10.11.2006 angegeben, dass es in der S. nicht üblich sei, den Dienstausweis zu verlangen. Das Gericht glaubt dem Zeugen auch insoweit und hält dies damit für nachgewiesen. Auch die Klägerin, die unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) das Gegenteil behauptet, hat demgegenüber nichts Konkretes vorgetragen.

Eine entsprechende Übung der Betroffenen, bei einer Kontrolle die Vorlage des Dienstausweises zu verlangen, wird sich eher in unsicheren Ländern mit entsprechend hoher Kriminalitätsrate (wie gerade in Russland) entwickeln, in denen mit räuberischen Angriffen unter Verwendung von staatlichen Hoheitszeichen durch die Täter gerechnet werden muss. Dies trifft hingegen auf die S. nicht zu. Dass Raubüberfälle auf Lkws im betroffenen Gebiet überhaupt mit einer gewissen Häufigkeit vorkommen, hat nicht einmal die Klägerin behauptet, geschweige denn, dass es zuvor bereits Überfälle mittels fingierter Polizeikontrollen gegeben hätte. Der Zeuge hat bekundet, dass ihm vor dem Vorfall nichts von Überfällen auf der von ihm benutzten Straße bekannt gewesen sei. Die Streithelferin hat hierzu eine eingeholte Auskunft der Bezirksdirektion des Polizeikorps in Trnava vom 17.07.2006 vorgelegt, wonach im Jahr 2004 im Distrikt Dunajska Streda nur ein Raubüberfall - der streitgegenständliche - stattgefunden hat (Bl. 228). Bei dem genannten Distrikt handelt es sich gerade um das Gebiet, in dem sich der Tatort befindet.

cc) Selbst wenn man die Kontrolle des Dienstausweises generell für erforderlich hielte, fehlte es nach Auffassung des Senats zumindest an der Kausalität zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Schadenseintritt. Ist der Lkw erst einmal zum Stehen gebracht worden, wird dem Fahrer in vielen Fällen kaum ein Spielraum für - ihm zumutbare - Handlungen verbleiben.

Bleibt ein Fahrer, der anlässlich einer fingierten Polizeikontrolle angehalten hat und Verdacht geschöpft hat, in seinem Führerhaus und versucht er, anstatt der Aufforderung zum Aussteigen Folge zu leisten, mit dem schwerfälligen Fahrzeug wegzufahren, kann er den Verlust der Ladung damit allenfalls dann verhindern, wenn die Täter unbewaffnet sind und ihrem Tatplan entsprechend den Fahrer erst überwältigen wollten und auch konnten, sobald er ausgestiegen ist. Bei bewaffneten und gewaltbereiten Tätern kann hingegen nicht bereits dann von einem Aufgeben des Tatplanes ausgegangen werden, sobald sich der Fahrer weigert, auszusteigen, ohne sich zuvor den Dienstausweis zeigen zu lassen oder sich auf andere Weise vom Vorliegen einer "echten" Polizeikontrolle zu vergewissern. Wenn die Täter nicht ohnehin einen - ggf. gefälschten - Dienstausweis vorlegen können, riskiert der Fahrer bei entsprechend brutalen und skrupellosen Tätern sogar sein Leben. Dieses Risiko einzugehen, ist einem Fahrer nicht zuzumuten. Er ist nicht verpflichtet, den Verlust der Ladung unter Einsatz seines Lebens zu verhindern, (so im Ergebnis auch LG Karlsruhe, VersR 2006, 1431 mit Anm. Boettge; vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 2002, 466 und LG Nürnberg-Fürth, TranspR 2000, 369 f.; LG Bremen, TranspR 1998, 469 ff. allesamt in ähnlich gelagerten Fällen).

So liegt der Fall auch hier. Ausweislich der glaubhaften Schilderung des Zeugen sind die Täter mit erheblicher krimineller Energie vorgegangen und waren bewaffnet. Selbst wenn der Zeuge - wie die Klägerin geltend macht - hätte Verdacht schöpfen müssen, war es ihm nicht zuzumuten, lediglich in der Hoffnung, dass die Täter unbewaffnet sind und der weiteren Tatausführung Abstand nehmen würden, sich in der einen oder anderen Weise der Aufforderung der Täter zu widersetzen.

dd) Auch Anhaltspunkte für anderweitige Pflichtverletzungen sind zumindest bei der konkreten Fallgestaltung (verhältnismäßig schlecht als Diebesgut abzusetzende, nicht besonders wertvolle Ladung, keine besondere Gefährlichkeit des durchfahrenen Gebiets) nicht gegeben.

3. Ob die Streithelferin sich auf einen Verfahrensfehler zu ihrem Nachteil berufen kann, weil das Landgericht ihrem zweimaligen Akteneinsichtsgesuch nicht entsprochen hat oder ob die diesbezügliche Rüge nicht schon gem. § 295 ZPO deshalb ausgeschlossen ist, weil sie dies nicht spätestens in der dem Urteil vorangegangenen mündlichen Verhandlung vom 10.11.2006 geltend gemacht hat, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

4. Ein Schriftsatzrecht zur Erwiderung auf den Schriftsatz der Streithelferin vom 10.07.2007 war der Klägerin nicht einzuräumen, da die darin ausschließlich enthaltenen Beweisanträge nicht entscheidungserheblich waren und diesen durch den Senat nicht nachgegangen wird, der diesbezügliche Vortrag also nicht verwertet wurde, (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 283 Rdnr. 2).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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