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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 18.09.2002
Aktenzeichen: 3 U 89/02
Rechtsgebiete: WEG, KO


Vorschriften:

WEG § 16
WEG § 28
KO § 3
KO § 59
KO § 106
Vor dem Konkurs eines Wohnungseigentümers begründete und fällig gewordene Ansprüche auf Zahlung von Wohngeldvorschüssen bleiben Konkursforderungen auch dann, wenn über die Jahresabrechnung erst nach Konkurseröffnung entschieden wird.

Die Bestellung eines Sequesters ändert daran nichts: Auf den Zeitraum der Sequestration entfallende Vorschussansprüche sind deshalb nur einfache Konkursforderungen, nicht aber Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 59 KO.


Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 3 U 89/02

Verkündet am: 18.9.2002

In Sachen

wegen Forderung

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2002 unter Mitwirkung

des Vors. Richters am Oberlandesgericht Richter, des Richters am Oberlandesgericht Oechsner sowie des Richters am Oberlandesgericht Schabel

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 5. April 2002 - 2 O 50/02 Gö - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 612,67 € nebst 4 % Zinsen aus 11.884,77 € für die Zeit vom 3.3.2001 bis 22.8.2001 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits vor dem Landgericht trägt die Klägerin 30 % und die Beklagte 70 %.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 1.450,79 € (= 2.837,50 DM)

Gründe:

I.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin als Verwalterin einer Wohnungseigentumsanlage in die Zahlung rückständiger Wohngelder von der Beklagten als vormaliger Sequesterin und heutiger Konkursverwalterin über das Vermögen der Firma (im Folgenden: Gemeinschuldnerin), zu deren Vermögen mehrere Eigentumswohnungen der genannten Anlage gehörten.

Der auf den Sequestrationszeitraum (14.04. - 30.06.1998) entfallende Teilbetrag der Wohngeldrückstände beträgt unstreitig 2.837,50 DM. Nur dieser Teilbetrag bildest den Gegenstand des Berufungsverfahrens. Streitig zwischen den Parteien war und ist allein die Frage, ob die Klägerin diesen Betrag, wie sie meint, als Masseverbindlichkeit aus der von der Beklagten verwalteten Konkursmasse verlangen kann oder aber diese Forderung - der Rechtsauffassung der Beklagten entsprechend - nur als einfache Konkursforderung zur Tabelle anmelden kann.

Das Landgericht hat sich im angefochtenen Urteil der Auffassung der Klägerin angeschlossen und sich zur Begründung auf einen Beschluss des OLG Karlsruhe vom 16.02.1988 berufen (veröffentlicht im ZMR 1988, 269 f. - vorgelegt als Anlage K 25). Das OLG Karlsruhe hat darin die Auffassung vertreten, durch die Verbindung von allgemeinem Veräußerungsverbot mit der Anordnung der Sequestration werde "im praktischen Ergebnis" eine den Konkursbeschlag vorwegnehmende Wirkung erzielt. Deshalb sei die für den Zwangsverwalter und den Konkursverwalter geltende Wohngeldzahlungsverpflichtung auch auf den gemäß § 106 KO eingesetzten Sequester auszudehnen. Auch die während der Dauer des Sequestration entstandenen Wohngeldforderungen seien somit Massenverbindlichkeit und als solche vom späteren Konkursverwalter zu erfüllen.

Die Beklagte greift das Urteil des Landgerichts insoweit an als sie darin zur Zahlung von Wohngeld für den Zeitraum der Sequestration in Höhe von 2.837,50 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 23.08.2001 verurteilt worden ist.

In ihrer Begründung wiederholt sie ihren schon erstinstanzlich vorgetragen Rechtsstandpunkt, wonach die Auffassung des Landgerichts unvereinbar sei mit dem in § 3 KO niedergelegten Stichtagsprinzip wie auch dem jedes Konkurs-/Insolvenzverfahren beherrschenden Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Darüber hinaus verkenne das Landgericht die Aufgaben und Befugnisse eines Sequesters im Konkurseröffnungsverfahren. Dieser sei gerade kein "Vor-Konkursverwalter" und insbesondere nicht Träger der späteren Konkursmasse. Vielmehr bleibe es - trotz Sequestration - bei der Rechtszuständigkeit des potenziellen Gemeinschuldners. Dieser sei lediglich in seiner Verfügungsbefugnis insoweit eingeschränkt, als er hierzu der Zustimmung des Sequesters bedürfe. Demgemäß seien vom Sequester begründete Verbindlichkeiten oder mit seiner Zustimmung vom späteren Gemeinschuldner begründete Verbindlichkeit im anschließenden Konkursverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Masseschulden (BGH ZIP 1993, 48 und 687).

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 05.04.2002 - 2 O 50/02 - die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte zur Zahlung von 1.470,79 € (= 2.837,50 DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit 23.08.2001 verurteilt worden ist.

Die Klägerin beantragt dem gegenüber,

die Berufung zurückzuweisen.

Dazu verteidigt sie das Urteil des Landgerichts als richtig.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die von der Beklagten geäußerte Rechtsauffassung überzeugt nicht dagegen diejenige des Landgerichts/der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung OLG Karlsruhe ZMR 1988, 269. Auf den Zeitraum der Sequestration entfallende Ansprüche auf Zahlung von Wohngeld sind nur einfache Konkursforderungen und damit keine Masseschulden gemäß § 59 KO.

1. Wäre die Beklagte nur, wie am 01.07.1998 geschehen, zur Konkursverwalterin über das Vermögen der bestellt worden, nicht aber zuvor zur Sequesterin, wäre die rechtliche Beurteilung klar: Vor dem Konkurs fällig gewordene und begründete Ansprüche gegen die Gemeinschuldnerin auf Zahlung von Wohngeld/Wohngeldvorschüssen sind lediglich einfache Konkursforderungen (BGH ZIP 1994, 720, 721 m. w. N.).

Darin, dass die hier streitigen Vorschussansprüche schon vor Konkurseröffnung (01.07.1998) begründet und fällig geworden waren, sind sich die Parteien einig (vgl. für die Klägerin nur die Ausführungen unter Ziff. 2 a) der Klageschrift - Bl. 3 f. d. A.).

Dass der Beschluss über die Abrechnung für das Jahr 1998 wohl erst nach Konkurseröffnung gefasst wurde (28.08.1999 - so Schriftsatz Klägervertreter an LG vom 12.12.2001 i. V. m. Anlage-K 14), ändert daran nichts. Denn maßgeblich ist die Fälligkeit des Vorschussanspruchs (BGH ZIP 1994, 720,721). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft den Beschluss über die für 1998 vorgesehenen Vorschussleistungen vor Konkurseröffnung gefasst hat.

2. An dieser Einordnung der hier Streitgegenstand liehen Vorschussansprüche als einfache Konkursforderungen ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte zunächst zur Sequesterin bestellt wurde (Sequestrationsbeschluss vom 14.04.1998 - Kopie Bl. 127 d. A.). Vielmehr sind auch die nach Bestellung der Beklagten zur Sequesterin fällig gewordenen Vorschussansprüche lediglich einfache, nicht aber bevorrechtigte Konkursforderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Rechtsprechung des BGH lässt an diesem Ergebnis keinen Zweifel:

a) Hervorzuheben ist zunächst, dass die hier geltend gemachten Vorschussanforderungen nicht auf einem Rechtsgeschäft der Beklagten als Sequesterin beruhen. Sie sind vielmehr während des Zeitraums der Sequestration lediglich fällig geworden. Dass die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Sequesterin am Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft über die für 1998 zu erbringenden Vorschussleistungen mitgewirkt hat, hat die Klägerin dem gegenüber nicht vorgetragen. Damit scheidet hier die Möglichkeit aus, den hier geltend gemachten Vorschussansprüchen deshalb Masseschuldqualität zuzusprechen, weil ihnen ein von der Beklagten als Sequesterin vorgenommenes Rechtsgeschäft zugrunde liegt (vgl. zu dieser - vom BGH nicht geteilten Auffassung - BGHZ 97, 87, 91 - dort m. w. N.).

Um einen solchen Fall geht es hier aber nicht. Denn auch die hier streitigen Verbindlichkeiten beruhen auf einem von der späteren Gemeinschuldnerin selbst vor denn Eröffnungsantrag eingegangenen Verpflichtungsgeschäft. Sie sind demzufolge nicht von der beklagten Sequesterin begründet worden (vgl. die entsprechende Argumentation in BGHZ 97, 92).

b) Zusätzlich - und entscheidend - gestützt wird diese Wertung durch die Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach selbst Rechtshandlungen des Sequesters keine Massenschuld begründen, sondern nur eine einfache Konkursforderung (BGH NJW 1997, 3028, 3029 - konkret: Keine Masseschuld aus einer vom Sequester abgegebenen Garantieerklärung).

In der dort zitierten Entscheidung BGHZ 130, 38, 41 f. hat der Bundesgerichtshof diese Auffassung wie folgt begründet:

"Das Handeln des gemäß § 106 Abs. 1 Satz 1 KO bestellten Sequesters begründet nicht von sich aus Masseschulden. Aufgaben und Befugnisse des Sequesters beschränken sich nach geltendem Recht auf Maßnahmen der Sicherung und Erhaltung der Masse (BGHZ 118, 374, 379; BGH ZSP 1993, 48, 49); dem gegenüber entstehen Masseschulden im Sinne von § 59 KO erst aufgrund der endgültigen Verwaltung und ggf. Abwicklung der Masse. Der Sequester darf grundsätzlich nicht die gleichmäßige Befriedigung aller Konkursgläubiger im Konkursverfahren beeinträchtigen (vgl. BGHZ 105, 230, 240 m. w. N.; 118, 374, 379). Seine Rechtshandlungen sind dem Gemeinschuldner, nicht dem Konkursverwalter zuzurechnen ...".

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz lässt sich auch nicht damit begründen, dass dem Sequester nicht nur die Sicherung der künftigen Konkursmasse, sondern im Interesse einer solchen Sicherung auch deren Verwaltung obliegt (so OLG Karlsruhe, ZMR 1988, 270). Denn der Umstand, dass der Sequester das Schuldnervermögen zwecks Erhaltung der Masse verwalten muss, ist für die Frage, ob dadurch Masseschulden begründet werden, unerheblich; dies allein rechtfertigt somit gerade nicht die - gesetzlich nicht vorgesehene - Besserstellung der zur Erhaltung vorleistenden Gläubiger im Vergleich mit allen anderen (BGH NJW 1997, 3029).

Schließlich kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO auf den Sequester nicht in Betracht (BGH NJW 1997, 3029). Dagegen spricht schon, dass dieser Bestimmung ein geändertes Konzept zugrunde liegt. Es sieht nämlich die Möglichkeit vor, dass die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 S. InsO). Damit werden aber die Befugnisse eines solchen Verwalters weit über den gesetzlichen Zuständigkeitsbereich des früheren Sequesters hinaus erweitert; dieser entspricht in seiner Beschränkung auf bloße Sicherungsfunktionen vielmehr eher dem vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 2 InsO (BGH NJW 1997, 3029). Abgesehen davon geht es hier überhaupt nicht um den Fall einer von der Beklagten als Sequesterin begründeten Verbindlichkeit. Auch dies steht einer entsprechenden Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO hier entgegen.

Da die Berufung der Beklagten Erfolg hat, ermäßigt sich der vom Landgericht in der Hauptsache (Tenor Ziff. 1) zugesprochene Betrag von 2.063.46 € um 1.450.79 € auf nunmehr noch 812.87 €. Die Kostenentscheidung für die erste Instanz war dementsprechend zu korrigieren (die vom Landgericht für die Zeit bis/ab Erledigungserklärung festgesetzten Streitwerte wurden übernommen).

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe für eine Revisionszulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich. Denn die hier getroffene Entscheidung folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Ende der Entscheidung

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