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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.01.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 222/2000
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 137
Wird einem Rechtsanwalt der Abschluß eines auf Verteidigung in einer Strafsache gerichteten, nach § 137 StPO seine Stellung als Verteidiger begründenden Geschäftsbesorgungsvertrages oder Auftragsverhältnisses angetragen, gelten für die Annahme die allgemeinen Bestimmungen der §§ 145 ff BGB.

Hat der Antragende nichts anderes bestimmt, ist ein Antrag gegenüber einem abwesenden Rechtsanwalt auch bei fehlender Eilbedürftigkeit jedenfalls dann nach §§ 146, 147 Abs. 2 BGB erloschen, wenn die Annahme schon länger als zwei Monate aussteht.


Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 3 Ws 222/2000

vom 9. Januar 2001

in der Strafsache gegen

derzeit unbekannten Aufenthalts,

wegen eines Vergehens der Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Aufenthaltsbeschränkung

Tenor:

Die von Rechtsanwalt B. für den Angeklagten eingelegte (weitere) Beschwerde gegen den die Haftbeschwerde verwerfenden Beschluss des Landgerichts H. vom 18. Oktober 2000 wird als unzulässig, seine in eigenem Namen eingelegte (sofortige) Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des genannten Beschlusses wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt Rechtsanwalt B.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht H. erließ gegen den Angeklagten am 26. Januar 1998 wegen eines Vergehens der wiederholten Zuwiderhandlung gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung (§§ 85 Nr. 2, 56 AsylVG) einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen. Gegen den Strafbefehl legte Rechtsanwalt A. am 26. März 1998 namens des Angeklagten Einspruch ein; gleichzeitig reichte er eine vom Angeklagten unter dem 25. März 1998 unterzeichnete Verteidigervollmacht zu den Akten, lautend auf die Rechtsanwälte B. und A. sowie auf zwei weitere ihrer Sozietät angehörige Rechtsanwälte.

Zur Hauptverhandlung am 15. Juni 1998 erschien der Angeklagte nicht. Nach vergeblichem Versuch, seinen Aufenthalt festzustellen und ihn noch am Terminstage vorzuführen, erließ das Amtsgericht Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO. Als Verteidiger des Angeklagten trat im Termin ein weiteres, von der schriftlichen Vollmacht nicht umfaßtes Mitglied der Sozietät auf und übergab die Ablichtung einer Verfügung des Präsidenten des Landgerichts, die ihn - mit zeitlicher Befristung - als Vertreter von Rechtsanwalt B. auswies.

Für das weitere Verfahren bestellte das Amtsgericht H. schließlich am 25. Juni 1998 antragsgemäß Rechtsanwalt A. zum Pflichtverteidiger des Angeklagten, dessen Aufenthalt indes auch in der Folge nicht festgestellt werden konnte. Am 11. Februar 1999 erklärte Rechtsanwalt A. die Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl und beantragte zugleich die Wiederaufnahme des (nach seiner Ansicht nunmehr rechtskräftig abgeschlossenen) Verfahrens. Hierin sah das Amtsgericht eine grobe Pflichtverletzung gegenüber dem Angeklagten und widerrief deshalb am 12. März 1999 die Bestellung. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht H. mit Beschluss vom 29. Juni 1999. Zugleich verwarf es die von Rechtsanwalt A. am 14. April 1999 erhobene Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts H. vom 15. Juni 1998 als unzulässig, da der Genannte nach Erlöschen des Wahlmandats infolge der Bestellung und nach Widerruf dieser Bestellung nicht mehr die Stellung eines Verteidigers habe.

Am 17. September 2000 legte Rechtsanwalt B. seinerseits namens des Angeklagten Beschwerde gegen den Haftbefehl ein. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2000 verwarf das Landgericht auch diese als unzulässig und legte die Kosten des Beschwerdeverfahrens Rechtsanwalt B. zur Last. Dessen Rechtsmittel wenden sich namens des Angeklagten gegen die Verwerfung der Beschwerde gegen den Haftbefehl und in eigenem Namen gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung der Kammer.

II.

Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

1. Soweit die Kammer im Beschluss vom 18. Oktober 2000 die Beschwerde gegen den Haftbefehl als unzulässig verworfen hat, erweist sich die von Rechtsanwalt B. eingelegte weitere Beschwerde gleichermaßen als unzulässig. Rechtsanwalt B. ist nicht der Verteidiger des Angeklagten und auch sonst nicht zu dessen Vertretung befugt, so dass er weder kraft eigenen (§ 297 StPO; vgl. BGHSt 12, 367, 370) noch kraft fremden Rechts (hierzu KK-Ruß, 4. Aufl., § 297 StPO Rdnr. 4) ermächtigt ist, für diesen Rechtsmittelerklärungen abzugeben.

a) Wie der Beschwerdeführer richtig bemerkt, genügt zur Begründung der Verteidigerstellung eines Rechtsanwalts nicht dessen "Wahl" im Sinne einer einseitigen Erklärung des Beschuldigten, sei es mündlich, sei es schriftlich in Form der Unterzeichnung einer auf ihn lautenden Vollmacht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Rechtsanwalt diese Wahl auch annimmt mit der Folge des Zustandekommens eines Geschäftsbesorgungsvertrages nach § 675 BGB (BGH NJW 1964, 2402; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., vor § 137 StPO Rdnr. 4; vgl. auch BVerfG NJW 1977, 99). Nur dieser Geschäftsbesorgungsvertrag verleiht dem Rechtsanwalt die Stellung eines gewählten Verteidigers; er berechtigt und verpflichtet ihn, die im Strafverfahren dem Verteidiger obliegenden Aufgaben wahrzunehmen.

aa) Wie der Beschwerdeführer selbst ausführt, hat er "die ihm (vom Angeklagten) am 25. März 1998 angetragene Wahl als Verteidiger" in eigener Person zunächst nicht angenommen. Eine Bestätigung findet dies darin, dass er noch den Beschwerdeschriftsatz vom 29. Mai 1998, der sich gegen die eine Bestellung von Rechtsanwalt A. zunächst ablehnende amtsgerichtliche Entscheidung vom 20. Mai 1998 richtete, der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO geschuldet und an der handschriftlichen Änderung des Vornamenskürzels erkennbar lediglich als dessen (unterbevollmächtigter) Vertreter unterzeichnet hat; auf eine ihm unmittelbar vom Angeklagten erteilte Vollmacht hat er sich nicht berufen (vgl. BGH bei Kusch, NStZ 1996, 21).

bb) Ebensowenig ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag des Angeklagten (auch) mit Rechtsanwalt B. dadurch zustandegekommen, daß Rechtsanwalt A. das Mandat übernahm. Trägt der Beschuldigte das Mandat einer Sozietät von Rechtsanwälten an, erklärt der ihm gegenüber auftretende Sozius die Annahme zwar grundsätzlich auch namens der anderen Sozien, gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass das Mandatsverhältnis nur mit einem der Sozien begründet wird (BGHSt 40, 188; BGHZ 56, 355; Palandt/Sprau, 60. Aufl., § 705 BGB Rdnr. 49). Maßgeblich bleibt der ausdrücklich oder schlüssig erklärte Parteiwille, wie er sich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles darstellt (BGH NJW 2000, 1560). Vorliegend deuten wichtige Gründe darauf hin, dass der mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl tatsächlich tätig gewordene Rechtsanwalt A. das Mandat, wie auch der Beschwerdeführer meint, zunächst nur für sich annehmen wollte. So besteht die Sozietät aus mehr als drei Rechtsanwälten; in der vom Angeklagten unterzeichneten Vollmacht sind vier Rechtsanwälte aufgeführt. Die Annahme der Wahl namens aller dort Genannten wäre in Widerspruch zu § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO geraten und hätte die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Verteidigung zumindest gestört (§ 146 a StPO; zum Gesichtspunkt der Vertragsgefährdung vgl. in diesem Zusammenhang BGH NJW 2000, 1333). Andererseits sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass Rechtsanwalt A. zwei weitere Sozien aus der Gesamtzahl ausgewählt hätte, um - nunmehr unbedenklich - auch in deren Namen das Mandat zu übernehmen.

b) Ein Geschäftsbesorgungsvertrag des Angeklagten mit Rechtsanwalt B. ist auch in der Folge nicht zustande gekommen.

Angenommen habe er - so sinngemäß seine weiteren Ausführungen - das ihm angetragene Mandat (erst) durch konkludente Erklärung seines amtlich bestellten Vertreters, der in der Hauptverhandlung am 15. Juni 1998 an seiner Stelle tatsächlich die Verteidigung übernommen habe. Mißt man dem Vorgang einen solchen Erklärungsinhalt bei, war indes der Antrag des Angeklagten vom 25. März 1998, mit Rechtsanwalt B. einen Geschäftsbesorgungsvertrag abzuschließen, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung keiner Annahme mehr zugänglich, sondern auch dann bereits nach § 146 BGB erloschen, wenn man von einem Antrag gegenüber einem Abwesenden ausgeht. Die in diesem Fall (mangels Hinweisen auf eine Fristbestimmung) geltende gesetzliche Annahmefrist des § 147 Abs. 2 BGB war jedenfalls am 15. Juni 1998 - annähernd zwei Monate und drei Wochen nach dem Antrag - schon abgelaufen. Die Frist setzt sich zusammen aus der Zeit für die Übermittlung des Antrags an den Empfänger, dessen Bearbeitungs- und Überlegungszeit sowie der Zeit für die Übermittlung der Antwort an den Antragenden (BGH NJW 1996, 919; KG Berlin WuM 1999, 323). Auch bei großzügiger Bemessung zuzubilligender Übermittlungszeiten bleibt festzuhalten, daß Rechtsanwalt B. eine Bearbeitungs- und Überlegungszeit von deutlich über zwei Monaten für sich in Anspruch nahm, bevor er zur Annahme schritt. Besondere Umstände des Einzelfalles, aus denen der Angeklagte auf die Notwendigkeit oder wenigstens Angemessenheit eines solchen Zeitraums hätte schließen können (eine Annahme erst nach zwei Monaten verbleibt aber ein "Grenzfall", LAG Berlin NZA-RR 1999, 355), sind nicht zu ermitteln. Im Gegenteil bestand ein objektives Interesse des Angeklagten, alsbald Klarheit darüber zu gewinnen, wer von den Partnern, denen er das Mandat antrug, tatsächlich zu seiner Verteidigung in der bereits bei Gericht anhängigen Strafsache bereit war. Jedenfalls nach deutlich über zwei Monaten mußte er mangels besonderer Absprache davon ausgehen, daß derjenige, der auf seinen Antrag bis dahin nicht eingegangen war, dies auch in Zukunft nicht tun würde. Die Auffassung des Beschwerdeführers, jeder Sozius, dem eine (Mit-) Verteidigung angetragen worden sei, könne zu beliebiger Zeit - vorliegend selbst heute noch - und aus beliebigem Anlass frei entscheiden, ob er das Mandat nunmehr doch annehme, entbehrt rechtlicher Grundlage.

In der Übernahme der Verteidigung durch den amtlich bestellten Vertreter könnte somit nur ein neuer Antrag von Rechtsanwalt B. gesehen werden (§ 150 Abs. 1 BGB); dass der Angeklagte diesen angenommen hätte, wird nicht ersichtlich.

c) Allein die vom Angeklagten unterzeichnete, auch auf ihn lautende schriftliche "Strafprozessvollmacht" verleiht Rechtsanwalt B. noch nicht die Rechtsmacht, für diesen oder in dessen Namen wirksam Rechtsmittelerklärungen abgeben zu können.

aa) Das für die Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen durch einen Vertreter entwickelte Abstraktionsprinzip (Palandt/Heinrichs, vor § 164 BGB Rdnr. 2; § 167 BGB Rdnr. 4) läßt sich auf die "Verteidigervollmacht" nicht übertragen. Wie ausgeführt, entspringen die strafprozessualen Befugnisse eines Verteidigers bereits unmittelbar der angenommenen Wahl; in ihnen bündelt sich eine Vielzahl von Rechten, reichend von der Berechtigung zu prozessgestaltenden Erklärungen bis hin zu tatsächlichen Befugnissen wie Akteneinsicht, Fragerecht oder Schlußvortrag. Um seine Pflichten aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag - betrachtet man ihn als das "Grundgeschäft" - erfüllen zu können, bedarf der Rechtsanwalt also nicht noch zusätzlich einer Vollmacht im Sinne des § 166 Abs. 2 BGB (wie er sie etwa zur Wahrnehmung vermögensrechtlicher Angelegenheiten eines Mandanten benötigte). Eine vom Beschuldigten unterzeichnete schriftliche Strafprozessvollmacht dokumentiert deshalb nicht eine besondere Ermächtigung zur Verteidigung, sondern soll lediglich das Zustandekommen des die Verteidigerstellung begründenden Geschäftsbesorgungsvertrags beweisen (Schnarr, NStZ 1997, 15, 16; 1986, 488, 490: "Verteidigerausweis"). Ist der Mangel dieses Vertrags aber wie hier dem Gericht anderweitig offengelegt, verliert die Vollmachtsurkunde ihre Beweisbedeutung.

bb) Soweit die schriftliche Vollmachtsurkunde nicht nur die Befugnisse eines Verteidigers beschreibt, sondern darüber hinaus für bestimmte Angelegenheiten auch rechtsgeschäftlich eingeräumte Vertretungsmacht bekundet, wird man schließlich von einer so engen Verbindung mit dem die Verteidigereigenschaft begründenden Geschäftsbesorgungsvertrag ausgehen müssen, daß dessen Mängel nach § 139 BGB auch die Vollmachtserteilung erfassen (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, § 139 BGB Rdnrn. 7 ff; § 167 Rdnr. 4 m. w. N.); dieser Auffassung ist der Senat jedenfalls hinsichtlich der eng mit der Verteidigerstellung verknüpften Rechtsmittelerklärungen.

d) Auf die Frage, wie sich die Bestellung des zunächst bevollmächtigten Verteidigers zum Pflichtverteidiger auf die Befugnisse eines Sozius auswirkt, mit dem ebenfalls - wirksam - ein Mandatsverhältnis begründet worden war (offengelassen in BGH bei Kusch, NStZ 1996, 21), kommt es unter diesen Umständen nicht an. Ebensowenig braucht der Senat dazu Stellung zu nehmen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Wahlmandat eines Rechtsanwalts trotz nachfolgender Bestellung fortbesteht bzw. nach deren Beendigung wieder auflebt (vgl. hierzu den vom Beschwerdeführer beigebrachten Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 09. Oktober 2000 - Qs 140/00 - [gegen die ständige Rechtsprechung des BGH; s. NStZ 1991, 94; 1994, 194; BGHR StPO § 141 Bestellung 1]); letztere Frage gewänne nur hinsichtlich der Befugnisse von Rechtsanwalt A. Bedeutung.

2. Die (sofortige) Beschwerde von Rechtsanwalt B. gegen die ihn allein beschwerende Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Beschlusses ist nach § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, auch wenn ihm kein eigenes Recht zur Anfechtung der Hauptentscheidung zusteht (Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 464 StPO Rdnr. 19). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Wie oben ausgeführt hat er die Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts H. eingelegt, ohne der Verteidiger des Angeklagten oder sonst von ihm bevollmächtigt zu sein. Er ist deshalb nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Tragung der Kosten des Verfahrens über die am 17. September 2000 eingelegte Haftbeschwerde verpflichtet (OLG Frankfurt NJW 1991, 3164; OLG Celle StraFo 1998, 31; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 473 StPO Rdnr. 8 je m.w.N.).

3. Dementsprechend hat Rechtsanwalt B. nunmehr nicht nur die Kosten seiner unbegründeten Kostenbeschwerde, sondern auch die Kosten seiner unzulässigen weiteren Haftbeschwerde zu tragen.

Ende der Entscheidung

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