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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: 4 Ss 113/2001
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 136
StPO § 163 a Abs. 4
Der rechtzeitig in einer später ausgesetzten Hauptverhandlung erhobene Widerspruch gegen die Verwertung der Aussagen von Zeugen über Angaben, die vom Beschuldigten und späteren Angeklagten unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht über seine Aussagefreiheit erlangt wurden, wirkt in der in erster Instanz erneut anberaumten Hauptverhandlung fort und muss daher in dieser nicht wiederholt werden.
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ss 113/2001 3 Cs 183/00/65 Js 41179/00 AG Schorndorf 65 Js 41179/00 StA Stuttgart

in der Strafsache gegen

wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr

Der 4. Strafsenat hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 27. März 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Schorndorf vom 13. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird, zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten in dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt, da er am 24. Mai 2000 nach vorangegangenen Alkoholgenusses in absolut fahruntauglichem Zustand (Blutalkoholkonzentration: 1,66 %o) mit seinem Pkw zum Polizeirevier S. gefahren sei und hierbei seine Fahruntüchtigkeit fahrlässig nicht erkannt habe.

Nach den weiteren Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils wollte der Angeklagte auf dem Polizeirevier eine Verkehrsunfallflucht zur Anzeige bringen. Im Zuge dieser Anzeigenaufnahme nahm einer der Beamten des Polizeireviers beim Angeklagten Alkoholgeruch wahr. Die unmittelbar anschließend gestellte Frage des Polizeibeamten, ob er sein Fahrzeug soeben selbst zum Polizeirevier gelenkt habe, bejahte der Angeklagte. Er hatte bereits zuvor gegenüber einem anderen Beamten desselben Polizeireviers diese Frage bejaht. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt worden.

Nach rechtzeitigem Einspruch gegen den anschließend erlassenen Strafbefehl kam es am 14. September 2000 zur ersten Hauptverhandlung in der vorliegenden Strafsache. In dieser Hauptverhandlung widersprach der Verteidiger des Angeklagten noch vor der Beweisaufnahme der Verwertung des Inhalts der ohne Belehrung zustande gekommenen Aussagen. Nach der Vernehmung einiger Polizeibeamter als Zeugen und einer Einlassung des Angeklagten zur Sache wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt.

In der erneut anberaumten Hauptverhandlung vom 13. November 2000 berief sich der Angeklagte auf sein Aussageverweigerungsrecht. Sodann wurden insgesamt vier Polizeibeamte, darunter die beiden oben erwähnten, als Zeugen vernommen. Die Tochter des Angeklagten berief sich dagegen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Ein erneuter Widerspruch bezüglich der Verwertung der ohne Belehrung zustande gekommenen Angaben des Angeklagten erfolgte in dieser Hauptverhandlung nicht mehr.

Der Tatrichter stellte ausdrücklich auf Grund der Zeugenaussagen der Polizeibeamten über die ihnen gegenüber abgegebenen Äußerungen des Angeklagten fest, dass der Angeklagte selbst mit dem Pkw zum Polizeirevier gefahren sei.

Mit der rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision erstrebt der Angeklagte die Aufhebung des angefochtenen Urteils und seine Freisprechung. Er macht sowohl die Verletzung sachlichen als auch formellen Rechts geltend. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt er, dass ein Verwertungsverbot bezüglich der Aussagen der Polizeibeamten über die ohne Belehrung des Angeklagten zustande gekommenen Angaben bestehe, gegen weiches das Amtsgericht verstoßen habe. Der Widerspruch gegen die Verwertung dieser Angaben in der ausgesetzten Hauptverhandlung gelte für alle weiteren Verhandlungen in derselben Sache.

II.

Die Sprungrevision ist gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässig und führt auf Grund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Für die Aussagen der Zeugen über die Angaben des Angeklagten vor seiner Beschuldigtenbelehrung besteht ein Verwertungsverbot.

1. Als die Polizeibeamten Alkoholgeruch beim Angeklagten wahrnahmen, entstand für sie die Belehrungspflicht nach §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. In diesem Zeitpunkt bestand nämlich unter Berücksichtigung aller Umstände der Verdacht, dass der Angeklagte sich einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB schuldig gemacht haben könnte (vgl. BGHSt 38, 214 ff., 228 und Urteil des Senates vom 04. März 1997, MDR 1997, 584). Die danach erforderlich gewordene Beschuldigtenbelehrung erfolgte vor der Befragung des Angeklagten auf dem Polizeirevier nicht.

2. Der Widerspruch des Verteidigers, in der später ausgesetzten Hauptverhandlung vom 14. September 2000 gegen die Verwertung der unter Verstoß gegen diese Belehrungspflicht zustande gekommenen Angaben des Angeklagten erfolgte rechtzeitig und wirkte in der erneut anberaumten Hauptverhandlung am 13. November 2000, in der dieser Widerspruch nicht wiederholt wurde, fort.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der Widerspruch, welcher ein Verwertungsverbot zur Folge hat, spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erfolgen muss. Der erstmalige Widerspruch in der Berufungshauptverhandlung ist ebenso verspätet wie der Widerspruch nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht (Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 136 Rdnr. 28 m.w.N.).

Bezüglich der Frage, wann dieser Widerspruch frühestens erhoben werden kann, ist bisher, soweit ersichtlich, lediglich entschieden worden, dass die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes im Ermittlungsverfahren nicht genügt (BGH, NStZ 1997, 502 f.). Abgesehen davon, dass es in dieser Entscheidung um einen Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens ging, lässt sich daraus allenfalls entnehmen, dass der Widerspruch in der Hauptverhandlung erfolgen muss. Dafür spricht auch, dass der Widerspruch als wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO angesehen wird (BayObLG NJW 1997, 404 f.; OLG Stuttgart a.a.O.).

In der Literatur wird darüber hinaus auch ein bereits vor der Hauptverhandlung erklärter Widerspruch als zulässig angesehen (Maul/Eschelbach, StraFo 1996, 66, 69 und Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 3. Auflage, 748 f.), was vorliegend nicht zu entscheiden ist.

Der einmal rechtzeitig in der Hauptverhandlung erhobene Widerspruch wirkt aber nach Auffassung des Senates auch nach Aussetzung in der erneut anberaumten Hauptverhandlung weiter und muss - ebensowenig wie in der Berufungshauptverhandlung (OLG Karlsruhe, NZV 1994, 122 f.) - nicht wiederholt werden. Die Widerspruchspflicht soll eine klare prozessuale Situation gewährleisten. Durch den in der ausgesetzten Hauptverhandlung erhobenen Widerspruch ist dem Tatrichter klar, dass er die fehlerhaft zustande gekommenen Beweisergebnisse nicht in die Verhandlung einführen und verwerten darf. Er kann sich somit sogleich auf die Notwendigkeit anderer Beweiserhebungen einrichten, was auch der Prozessökonomie dient. Gegebenenfalls kann er durch Rückfrage beim Verteidiger beziehungsweise Angeklagten klären, ob es bei dem Widerspruch verbleibt. Der zumindest vorsorglich erhobene Widerspruch kann nämlich bis zum Ende der Beweisaufnahme zurückgenommen und damit einer geänderten Verteidigungsstrategie angepasst werden (BGHSt 39, 349, 353; 42, 15, 23).

3. Da andere Umstände, die ein Verwertungsverbot entfallen lassen würden, vorliegend nicht ersichtlich sind und der Tatrichter seine Überzeugungsbildung ausdrücklich auf die Zeugenaussagen über die belastenden Angaben des Angeklagten vor seiner Belehrung gestützt hat, beruht das Urteil auf diesem Verstoß gegen das Beweisverwertungsverbot. Es ist daher auf die Verfahrensrüge aufzuheben.

Angesichts des wechselnden Aussageverhaltens des Angeklagten, des Vorliegens weiterer Beweisanzeichen und der nicht ausschließbaren Möglichkeit, dass die gehörten Polizeibeamten weitere Beobachtungen gemacht haben könnten, die nicht die selbstbelastenden Angaben des Angeklagten betreffen und zu seiner Überführung beitragen können, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen. Die Sache ist daher gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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