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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 4 U 3/02
Rechtsgebiete: BGB, StGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1004
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 185
GG Art. 5 Abs. 1
Die wörtliche oder sinngemäße Behauptung, Angeln verstärke die Empfindungslosigkeit und die Ignoranz gegenüber dem Leben und trage erheblich zur Verrohung der Gesellschaft bei und durch das Angeln könne der Grundstein gelegt werden, dass sich junge Menschen zu Gewalttätern entwickelten, unterliegt dem Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG und stellt auch keine unzulässige Formalbeleidigung oder Schmähkritik dar.
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Zivilsenat -

Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 4 U 3/02

In Sachen

wegen Unterlassung

Verkündet am: 17.04.2002

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch

Vors. Richterin am OLG Dr. Sulzberger-Schmitt, Richter am OLG Dr. Schmidt und Richter am LG Dr. Ottmann

auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.11.2001 (17 O 457/01) wird

zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: € 10.225,84 (DM 20.000,--)

Gründe:

I.

Der Kläger, ein Zusammenschluss organisierter Angler auf Bundesebene und die höchste Interessenvertretung aller organisierter Angler und Sportfischer in Deutschland, verlangt vom Beklagten, einer weltweit tätigen Tierrechtsorganisation, die Unterlassung bestimmter herabsetzender Äußerungen.

Der Beklagte hat unter seiner Internetadresse "www.de" am 28.11.00 und am 31.05.01 Pressemitteilungen veröffentlicht, in denen es u. a. heißt, Angeln verstärke die Empfindungslosigkeit und die Ignoranz gegenüber dem Leben und trage nach Auffassung des Beklagten erheblich zur Verrohung der Gesellschaft bei. Dadurch könne der Grundstein gelegt werden, dass sich junge Menschen zu Gewalttätern entwickelten. Experten seien sich darin einig, dass junge Menschen, die verletzen und töten, niemals Mitgefühl lernten.

Der Kläger, der den Beklagten vorgerichtlich erfolglos zur Unterlassung dieser Äußerungen aufgefordert hat, macht geltend, sowohl er selbst, seine Mitglieder, als auch jeder Angler werde durch die Äußerungen des Beklagten in seiner Ehre und seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Die Behauptungen des Beklagten stellten eine diffamierende Schmähkritik dar. Die Jugendarbeit des Klägers sei dadurch ernsthaft gefährdet.

Der Beklagte hat sich demgegenüber auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung berufen.

Das Landgericht hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Zu den Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen bisherigen Unterlassungsantrag weiterverfolgt.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Die wörtliche oder sinngemäße Behauptung, Angeln verstärke die Empfindungslosigkeit und die Ignoranz gegenüber dem Leben und trage erheblich zur Verrohung der Gesellschaft bei und durch das Angeln könne der Grundstein gelegt werden, dass sich junge Menschen zu Gewalttätern entwickelten, unterliegt dem Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG und stellt auch keine unzulässige Formalbeleidigung oder Schmähkritik dar.

1. In zutreffender Weise hat das Landgericht dargestellt, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen des Beklagten nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern Meinungsäußerungen handelt, so dass im Ergebnis offen bleiben kann, ob die vom Beklagten propagierte Auffassung zutreffend ist.

Während der Tatsachenbegriff dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich um Sachverhalte, Begebenheiten, Vorgänge, Verhältnisse oder Zustände handelt, die theoretisch dem Beweis zugänglich sind (vgl. Löffler-Sedelmeier, Presserecht, 4. Aufl., § 11 Rn. 95; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl., Kap. 25, Rn. 9 f.), sind Meinungsäußerungen solche Äußerungen, die auf ihren Wahrheitsgehalt im Beweisweg nicht objektiv zu überprüfen sind, weil sie nur eine subjektive Meinung, ein wertendes Urteil wiedergeben (vgl. Löffler-Sedelmeier, § 11 Rn. 91). Dabei kann die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein. Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung einzustufen ist, bedarf der Ermittlung ihres vollständigen Aussagegehaltes und der Berücksichtigung des Kontextes, in welchem sie aufgestellt wird (vgl. BGH, AfP 1997, 634, 635; Löffler/Ricker, Kap. 25, Rn. 10).

Die Äußerungen des Beklagten werden durch Elemente des "Meinens" bzw. "Dafürhaltens" geprägt. Der Beklagte bringt dadurch seine subjektive Einstellung zum Angeln zum Ausdruck, was sich u. a. auch an Formulierungen wie "nach Ansicht von" ersehen lässt. Aus dem Gesamtzusammenhang, der anlässlich bestimmter Angelveranstaltungen getroffenen Äußerungen des Beklagten ergibt sich, dass dieser hierdurch ein Werturteil über das Angeln als solches treffen will, welches je nach individueller Einstellung und Standpunkt, akzeptiert oder abgelehnt werden kann. Die ablehnende Haltung des Beklagten wird hierbei in deutlicher Weise zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen bezieht sich der Beklagte zur Bekräftigung seines Werturteils auch auf veröffentlichte wissenschaftliche Expertenmeinungen und macht sich diese zu eigen. Der Beklagte hat die beanstandeten Äußerungen auch nicht konkret auf den Kläger und dessen Mitglieder, noch auf sonstige einzeln benannte Angler bezogen oder gar behauptet, dass diese eine verrohte Gesinnung aufweisen, Gewalttaten begehen oder begangen haben. Das allgemeiner formulierte Werturteil zum Angeln wird aber mit der - objektiv zutreffenden - Tatsache begründet, dass es das Angeln mit sich bringt, Lebewesen (Fische) in bestimmter Weise zu töten. Dadurch besteht nach Auffassung des Beklagten die Gefahr, dass in der Person des Anglers eine Empfindungslosigkeit gegenüber dem Leben eintreten könnte. Formulierungen, in denen die Bewertung tatsächlicher Vorgänge zum Ausdruck kommt, sind aber grundsätzlich nicht als Tatsachenbehauptungen einzustufen (vgl. Löffer/Ricker, a. a. O.), insbesondere, wenn der sich Äußernde dadurch keinen neuen Sachverhalt mitteilen, sondern einen solchen durch seine Meinungskundgabe lediglich einordnen und Stellung beziehen will (vgl. Löffler-Sedelmeier, § 11 Rn. 97). Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob eine solche Meinung objektiv vertretbar und mehrheitsfähig ist oder gar dem allgemeinen Empfinden entspricht. Eine derartige Meinungsäußerung genießt den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (BVerfG, NJW 1995, 3303 - "Soldaten sind Mörder"). In gleicher Weise kommt es auch nicht darauf an, ob derjenige, der sich durch die Meinungsäußerung kritisiert, herabgewürdigt oder diskriminiert sieht, durch seine Ziele und Tätigkeiten einen gesellschaftspolitisch wertvollen Beitrag für die Allgemeinheit leistet, Wie dies hier etwa der Kläger auf dem Gebiet des Natur- und Gewässerschutzes für sich und seine Mitglieder in Anspruch nimmt. Ebenso wenig kann es eine Rolle spielen, dass eine kritische Meinungsäußerung möglicherweise die Jugendarbeit eines kritisierten Verbandes beeinträchtigt- Die Meinungsäußerungsfreiheit kann nicht von einer irgendwie gearteten Interessenabwägung abhängig gemacht werden, sondern ist grundsätzlich unbeschränkt gewährleistet, sofern nicht eine der in Art. 5 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranken eingreift.

2. Bei der Äußerung des Beklagten handelt es sich auch um keine die Menschenwürde anderer antastende herabsetzende Formalbeleidigung oder Schmähkritik. Nur in diesen Fällen hätte das Recht auf freie Meinungsäußerung hinter dem Ehrenschutz anderer zurückzutreten. Dabei kann dahingestellt werden, in wie weit der Kläger als Personengemeinschaft, dessen Mitglieder oder die Angler als solche überhaupt als Kollektiv beleidigungsfähig sind, da mit zunehmender Größe eines Kollektivs die Herabwürdigung des Einzelnen verschwindet (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1995, 3303, 3306; Löffler-Steffen, § 6 Rn. 103). Die Äußerungen des Beklagten sind, wenngleich pointiert und drastisch zugespitzt, im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung zum Thema Angeln und Tierschutz noch hinzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts den in den Fachgerichtsbarkeiten entwickelten Begriff der Schmähkritik eng definiert (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3303, 3304). Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Eine überzogene oder polemische Kritik muss dem gemäß im Meinungskampf grundsätzlich hingenommen werden. Dies gilt insbesondere in Fragen, die die Öffentlichkeit in wesentlicher Weise berühren, wie dies beim Tierschutz unzweifelhaft der Fall sein dürfte. Nach Auffassung des Senats sind deshalb die Äußerungen des Beklagten in der gewählten Form noch hinnehmbar, da ersichtlich die ablehnende Haltung zum Angeln zum Ausdruck gebracht wird und diese sich naturgemäß auch gegen den einzelnen Angler als solchen richtet, der diese Tätigkeit praktiziert. Da zur Begründung der negativen Einstellung des Beklagten auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse Bezug genommen wird, wonach Fische Schmerzen, psychische Qualen und Angst empfinden können, wird deutlich, dass der Beklagte in der Sache argumentiert und sich nicht auf eine unsachliche Verunglimpfung der Angler beschränkt. Darüber hinaus wird auch noch insoweit differenziert, als die nach Auffassung des Beklagten bestehenden Gefährdungen durch das Angeln in erster Linie für jugendliche Angler bestehen sollen. Daraus kann keine bloße Verächtlichmachung des Klägers, seiner Mitglieder oder der Gruppe der Angler gesehen werden, sondern ein zugegebenermaßen drastisch formulierter Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Dabei darf sich der Beklagte grundsätzlich auch plakativer oder aufsehenerregender Darstellungsformen (Schlagzeile: "Blutbad in der Ostsee") bedienen. Darauf, ob die Kritik des Beklagten in der Sache selbst berechtigt ist, kommt es - wie oben bereits dargestellt - nicht an.

Die Berufung des Klägers ist daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Da es sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung handelt, ist die Revision nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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