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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: 4 VAs 3/01
Rechtsgebiete: EGGVG


Vorschriften:

EGGVG § 23 ff.
1. Für die Überprüfung einer gemeinsamen Presseerklärung der Staatsanwaltschaft und der Polizei über ein anhängiges Ermittlungsverfahren ist der Rechtsweg nach § 23 ff. EGGVG eröffnet.

2. Abwägungsgesichtspunkte bzgl. der Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden, ob der Presse über ein laufendes Ermittlungsverfahren Auskunft gewährt wird.


Geschäftsnummer: 4 VAs 3/01 26 AR 137/01 GStA Stuttgart 21 Js 2880/01 StA Rottwell

Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

vom 21. Juni 2001 in der Justizverwaltungssache des

wegen Presseerklärung.

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Feststellung im Rechtsweg nach §§ 23 EGGVG, dass die gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaft und Polizeidirektion R. vom 20. Februar 2001 rechtswidrig gewesen sei, wird

abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, ein zehnjähriger Schüler, der durch seine allein sorgeberechtigte Mutter gesetzlich vertreten wird, beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten für den oben genannten Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Hilfsweise wird für den Fall, dass für diesen Feststellungsantrag der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten wäre, die Verweisung an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt.

Die beanstandete Presseerklärung hat folgenden Wortlaut:

"Brand im Schulhaus H. geklärt -- Täter räumt weitere Brandstiftungen ein.

H. -- Der Brand in der Grundschule H. ist geklärt. Beamte des Polizeipostens S. und der Kriminalpolizei R. ermittelten einen strafunmündigen Jungen als Tatverdächtigen, der einräumte, kurz vor Brandausbruch im Klassen-Zimmer ... gezündelt zu haben. Bei der Vernehmung des Jungen stellte sich heraus, dass er am 14.02.2001 nicht zum ersten Mal für den Ausbruch eines Brandes verantwortlich war. Vielmehr gehen insgesamt sechs Vorfälle auf sein Konto, wobei in zwei der Fälle ebenfalls erheblicher Sachschaden entstanden ist.

Neben dem Brand in der Grundschule räumte er ein, zusammen mit zwei gleichaltrigen Jungen für zwei Brände in H. aus den Jahren 1996 und 1999 verantwortlich zu sein.

Am 19. Juli 1996 wurde in der L...........straße ein im Rohbau befindliches Einfamilienhaus ein Raub der Flammen. Der Schaden an dem Holzhaus wurde mit 600 000 DM beziffert. Hier sollen die drei Jungen auf einem Zwischenboden gezündelt und so den Brand ausgelöst haben.

Am 19. September 1999 brannte es in der ehemaligen, jetzt zu Wohnungen umgebauten Gaststätte "L...", wobei ein Schaden von 200 000 DM entstand. Die drei Jungen hatten dort in einem Abstellraum eine brennbare Flüssigkeit ausgeschüttet und angezündet.

In diesen beiden Fällen hatte es bei den Ermittlungen wegen Brandstiftung keinerlei Hinweise auf die mögliche Täterschaft von Kindern gegeben.

Neben diesen Bränden räumte der Junge auch ein, Anfang Februar diesen Jahres in einem Schuppen in der G........straße den Inhalt eines Ölkanisters ausgeleert zu haben und eine Papiertonne, die in einer Garage abgestellt war, angesteckt zu haben.

Das Öl war damals nicht entzündet worden, die Papiertonne konnte rechtzeitig mit einem Feuerlöscher gelöscht werden.

Einen Brandfall, der der Polizei noch nicht bekannt war, schilderte der Junge ebenfalls. So soll er an einem bislang noch nicht bekannten Tag auf dem Gelände einer ... Spedition einen kleinen Brand gelegt haben. Die Einzelheiten müssen hier aber erst noch ermittelt werden."

Nach dieser Pressemitteilung, die an verschiedene Zeitungs- und Radioredaktionen ging, kam es zu Veröffentlichungen hierüber in verschiedenen Medien.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten und im Entwurf vorgelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist daher abzulehnen. Der Antrag nach § 23 EGGVG ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

Gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft ist der Senat der Auffassung, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, NJW 1989, 412 ff. und 1992, 62 ff.), die allerdings zu Presseerklärungen über abgeschlossene Ermittlungsverfahren ergangen ist, ein derartiger Antrag im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen, da die Abgabe von Presseerklärungen nicht dem Zweck diene, eine der Staatsanwaltschaft zugewiesene spezielle Aufgabe auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zu erfüllen, sondern schlichte Öffentlichkeitsarbeit dieser Behörde darstelle.

Der Senat schließt sich jedoch der überwiegend in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass Presseinformationen über laufende Ermittlungsverfahren, die anhand der Akten gegeben werden, eng mit der Verfahrensdurchführung verknüpft sind und daher vor den Fachgerichten der Strafgerichtsbarkeit anzufechten sind (OLG Karlsruhe, NJW 1995, 899 f. m.w.N., OLG Hamm, NStZ 1995, 412 f.). Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass bei der Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit einer Presseerklärung spezifische strafprozessuale Fragestellungen auftauchen, die sinnvollerweise von den sachnäheren Fachgerichten im Rechtsweg nach § 23 ff. EGGVG überprüft werden.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Presseveröffentlichung von der zuständigen Polizeidirektion gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft herausgegeben wurde, da die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens ist und unter Justizbehörden im Sinne von § 23 EGGVG auch die Polizeibehörden zu verstehen sind (OLG Karlsruhe a.a.O.).

Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ebenfalls gegeben.

Der vorliegende Antrag enthält insbesondere, zusammen mit den in Bezug genommenen Anlagen, eine aus sich heraus verständliche Sachdarstellung.

Schließlich hat der Antragsteller auch das erforderliche Feststellungsinteresse in Form eines Rehabilitierungsinteresses, da eine mögliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechtes nicht in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren geprüft werden kann, da der Antragsteller strafunmündig ist (Eisenberg, JGG, 8. Auflage, § 1 Rdnr. 4).

Das Antragsbegehren scheitert jedoch daran, dass die herausgegebene Presseveröffentlichung nicht rechtswidrig war.

Nach § 4 Abs. 1 LPresseG sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse, die der Erfüllung ihrer Öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Allerdings können nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPresseG Auskünfte verweigert werden, wenn ein überwiegendes schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde.

Die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden, ob der Presse in einem Ermittlungsverfahren Auskunft gewährt wird, unterliegt allerdings nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG. Vielmehr ist der Senat nur befugt zu prüfen, ob von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der Verletzung schutzwürdiger privater Interessen zutreffend ausgelegt wurde und ob bei der Ermessensentscheidung (Auskünfte "können" verweigert werden) die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 28 Abs. 3 EGGVG; vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz, 1980, 450 ff.).

Bei dieser Ermessensentscheidung ist eine einzelfallorientierte Abwägung zwischen dem aus der Pressefreiheit herrührenden und im öffentlichen Interesse liegenden Auskunftsanspruch der Presse und dem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers vorzunehmen (OLG Karlsruhe, a.a.O., OLG Koblenz StV 1987, 430 f.) Ferner ist die sich aus Art. 6 Abs. 2 MRK ergebende Unschuldsvermutung in jedem Verfahren, in dem es um strafrechtliche Vorwürfe geht, in diese Abwägung einzustellen. Da es sich bei dem von der Presseerklärung betroffenen Antragsteller außerdem um ein zehnjähriges, strafunmündiges Kind handelt, ist schließlich dessen erhöhte Schutzbedürftigkeit zu berücksichtigen.

Diese Umstände haben die Strafverfolgungsbehörden in der vorliegenden Presseerklärung berücksichtigt, da sich Name, Alter und Herkunft des Antragstellers gerade nicht aus der Presseerklärung entnehmen lassen. Diese Identifizierungsmerkmale erschienen -- nach dem eigenen Vortrag der Vertreterin des Antragstellers -- auch nicht in den jeweiligen Medienberichten. Soweit vorgetragen wird, dass eine Identifizierung des Antragstellers dennoch erfolgt sei, geht diese jedenfalls nicht auf die Presseerklärung zurück. Es ist vielmehr naheliegend, dass dies durch eigene Recherchen der Medienvertreter, die auch im Antrag erwähnt werden, möglich wurde. Wie sich aus einem bei den Akten befindlichen Vermerk der Pressestelle der Polizeidirektion R. ergibt, ist bereits vor und unabhängig von dieser Presseerklärung intensiv von Pressevertretern recherchiert worden, da die Serie von Bränden in einem relativ kleinen Teilort großes Interesse bei der Presse hervorgerufen hatte. Die beiden lokalen Zeitungen hätten immer wieder nach dem Ergebnis der Ermittlungen gefragt.

Gerade das Vorliegen von schwerwiegenden Straftaten wie Brandstiftungsdelikten mit erheblichem Schaden und das damit verbundene Aufsehen, den diese Vorfälle in der Öffentlichkeit verursachten, sind Gesichtspunkte, die es im Einzelfall bei einer Gesamtabwägung rechtfertigen können, Interessen der Öffentlichkeit an einer Information (gegebenenfalls sogar unter Namensnennung des Beschuldigten) den Vorrang zu geben (vgl. Luke, JuS 1995, 393 f.)

Auch das Ausmaß des Tatverdachtes, der sich gegen den Antragsteller richtete, spielt bei dieser Abwägung eine Rolle. In diesem Zusammenhang wird vorliegend geltend gemacht, dass die Befragung des Antragstellers und seines Bruders in unzulässiger Art und Weise erfolgt sei.

Der Vortrag, dass der Antragsteller ohne Kenntnis der Mutter zum Polizeirevier gebracht worden und dass während dieser Befragung die Mutter des Antragstellers nicht anwesend gewesen sei, wird durch die Akten nicht belegt. Vielmehr ergibt sich daraus, dass beide Kinder mit Genehmigung der Mutter zum Polizeirevier gebracht wurden und dass sie, was in späterem, ergänzenden Vortrag auch eingeräumt wird, zumindest teilweise bei dieser Befragung mit anwesend war.

Ausweislich der Akten erfolgte die Befragung der Kinder, die als Strafunmündige nicht als Beschuldigte vernommen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., Einl. Rdnr. 76), ohne Belehrung. In Teilen der Literatur (vgl. Eisenberg, StV 1989, 554 ff.) wird eine Belehrung von Kindern, die einer Straftat verdächtigt werden, nach § 52 StPO verlangt, da wegen einer möglichen Aufsichtspflichtverletzung auch eine strafrechtliche Verantwortung der Eltern in Betracht komme. Sofern man dieser Ansicht folgt, ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 52 StPO im Normalfall den Zeugen vor der Konfliktlage bewahren soll, dass er einerseits als Zeuge zu einer wahren Aussage verpflichtet ist, weil er sich andernfalls strafbar machen würde, und er andererseits bei einer wahrheitsgemäßen Aussage möglicherweise Angehörige belasten müsste. Diese Konfliktlage liegt bei als Zeugen vernommenen Kindern nicht in gleicher Weise vor, da sie sich auch bei falschen Zeugenangaben nicht strafbar machen können. Eine solche Belehrungspflicht würde daher weniger dem Schutz des zu vernehmenden Kindes als dem Schutz der Angehörigen dienen. Daher erscheint es auch sehr fraglich, ob das Unterlassen einer derartigen Belehrung ein Verwertungsverbot bezüglich der ohne diese Belehrung erfolgten Angaben von Kindern zur Beurteilung von deren Tatverdacht zur Folge hätte.

Darüber hinaus bestanden unabhängig von den "Geständnissen" des Antragstellers und seines Bruders nach Aktenlage noch weitere, nicht unerhebliche Umstände, welche den Verdacht auf eine Täterschaft des Antragstellers lenkten.

Beispielhaft sei hierzu erwähnt, dass der Polizei zur Zeit der Befragung der Kinder bekannt war, dass sich der Antragsteller bei mehreren Brandfällen, die vor dem Grundschulbrand in H. stattfanden, in unmittelbarer Nähe der Brandorte aufgehalten hatte. Einer dieser Brände fand direkt vor dem Gebäude, in dem der Antragsteller wohnt, statt und es stellte sich heraus, dass er sich um die Tatzeit unbeobachtet an dem später brennenden Papiercontainer aufhielt. Auch die Mutter des Antragstellers, die sich während des Ausbruchs des Brandes in der Grundschule in H. bei der Lehrerin des Antragstellers aufhielt, äußerte kurz vor Bemerken des Feuers dieser Lehrerin gegenüber den Verdacht, dass der Antragsteller ihr in die Schule gefolgt sei. Hierzu passt, dass seine Schwester angab, dass er zur fraglichen Zeit die Wohnung verlassen hatte. Schließlich kommt hinzu, dass sowohl die Mutter des Antragstellers als auch dessen Lehrerin und der Rektor der Grundschule Verhaltensauffälligkeiten des Antragstellers schilderten, welche die Begehung derartiger Taten durch den Antragsteller jedenfalls als nicht völlig ausgeschlossen erscheinen ließen.

Soweit ferner vorgetragen wird, dass der Antragsteller zur Erfindung von Phantasiegeschichten neige, weshalb seine "Geständnisse" gegenüber der Polizei und verschiedenen Zeugen vor Herausgabe der Presseerklärung auf ihre Glaubwürdigkeit hätten untersucht werden müssen, war der Polizei eine derartige Neigung nicht bekannt. Angesichts der zahlreichen Verdachtsmomente, die sich gegen den Antragsteller richteten, hatte die Polizei zum Zeitpunkt der Abgabe der Presseerklärung keinen Anlass, vorher ein Glaubwürdigkeitsgutachten über die Aussagen des Antragstellers einzuholen.

Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller die einzelnen Brandlegungen detailreich und zum vorliegenden Ermittlungsergebnis passend schilderte und diese Schilderung von seinem Bruder, von dem keine derartige Neigung bekannt ist, bestätigt wurden. Selbst der vom Antragsteller geschilderte Brandfall, welcher der Polizei noch gar nicht bekannt war, bestätigte sich durch nachfolgende Ermittlungen als zutreffend.

Allem nach hielt sich daher die Abgabe der Presseerklärung innerhalb des Ermessensspielraums, der den Strafverfolgungsorganen zur Verfügung steht. Unter Abwägung aller zu berücksichtigender Umstände ist die Herausgabe der Pressemitteilung in der vorliegenden Form daher nicht zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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