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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 05.06.2001
Aktenzeichen: 4 VAs 9/01
Rechtsgebiete: BtMG, BZRG


Vorschriften:

BtMG § 35
BZRG § 17 Abs. 2
Bei einer verhängten Gesamtfreiheitsstrafe kann sich die gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BtMG erforderliche Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für den überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten allein aus dem im Urteil gemäß § 260 Abs. 5 Satz 2 StPO angebrachten Hinweis auf die Registervergünstigung des § 17 Abs. 2 BZRG ergeben.
Geschäftsnummer: 4 VAs 9/01 15 Zs 429/01 GStA Stuttgart 3252 VRs 102 Js 69366/00 StA Stuttgart 4 Ds 102 Js 69366/00 AG Stuttgart

Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

vom 05. Juni 2001

in der Justizverwaltungssache der

wegen Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG.

Tenor:

1. Auf Antrag der Verurteilten werden die Verfügungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 12. März 2001 und der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 03. April 2001

aufgehoben.

2. Die Zustimmung zur Zurückstellung der Vollstreckung der elfmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 2000 wird gemäß § 35 Abs. 1 BtMG

erteilt.

3. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wird verpflichtet, die Zurückstellung der Vollstreckung der -- restlichen -- Gesamtfreiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil des Amtsgerichts Stuttgart gemäß § 35 Abs. 1 BtMG

anzuordnen.

4. Die notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt die Staatskasse.

5. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Zurückstellung der -- restlichen -- Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 2000. Die Angeklagte wurde wegen Betrugs und uneidlicher Falschaussage verurteilt. Für den Betrug verhängte das Amtsgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten, für die uneidliche Falschaussage eine solche von acht Monaten. C. S. befand sich in dieser Strafsache von 07. September 2000 bis zur Hauptverhandlung am 21. Dezember 2000 in Untersuchungshaft.

Am 20. Februar 2001 beantragte sie, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Mit Verfügung vom 12. März 2001 lehnte dies die Staatsanwaltschaft Stuttgart ab. Der hiergegen eingelegten Beschwerde der Verurteilten gab die Generalstaatsanwaftschaft mit dem nunmehr gemäß §§ 23 ff. EGGVG angefochtenen Bescheid vom 03. April 2001 nicht statt. Es besteht Streit darüber, ob die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BtMG vorliegen.

Die Antragstellerin ist betäubungsmittelabhängig. Sie befindet sich seit 06. Februar 2001 zur teilstationären Drogenbehandlung in der staatlich anerkannten Einrichtung ".." in ... . Die Therapiedauer beträgt voraussichtlich sechs Monate.

II.

Der Antrag ist zulässig. Er genügt in Zusammenschau mit dem der Antragsschrift beigefügten Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft -- noch -- den Anforderungen des § 24 Abs. 1 EGGVG.

Der Antrag ist auch begründet.

Die Voraussetzungen für die Vollstreckungszurückstellung nach § 35 Abs. 1 BtMG liegen vor. Die Sache ist entscheidungsreif. Es sind keine Gesichtspunkte zum Nachteil der Antragstellerin ersichtlich, die erst zu einem Zeitpunkt nach der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft entstanden sind und einer Zurückstellung der Strafvollstreckung entgegenstehen könnten. Der Senat kann deshalb insoweit in der Sache entscheiden, als er gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz BtMG die gemäß § 35 Abs. 1 BtMG noch erforderliche, vom zuständigen erstinstanzlichen Amtsgericht Stuttgart noch nicht erteilte Zustimmung ersetzt und die Staatsanwaltschaft Stuttgart als Vollstreckungsbehörde verpflichtet, eine -- positive -- Entscheidung über die Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG herbeizuführen.

Zwar ist die angefochtenen Entscheidung für den Senat nur eingeschränkt nachprüfbar. Es handelt sich nämlich bei der Frage, ob einem Verurteilten eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zum Zwecke einer stationären Entzugstherapie zu bewilligen ist, um eine Ermessensentscheidung. Eine solche ist gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG rechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Vollstreckungsleiter die gesetzliche Grenze des Ermessens überschritten hat oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist und ob die Vollstreckungsbehörde den Sachverhalt in dem gebotenen Umfang unter Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen geprüft hat (vgl. etwa OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998, 314).

Sowohl die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde als auch diejenige der Generalstaatsanwaltschaft halten dieser rechtlichen Überprüfung nicht stand. Beide Entscheidungen haben übersehen, dass sich bereits aus den Urteilsgründen ergibt, dass die -- hier streitigen -- Voraussetzungen für die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 BtMG vorliegen, mithin diese Voraussetzungen im Sinne einer Ermessensreduktion auf Null als nachgewiesen anzusehen sind.

Gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 BtMG ist für eine Zurückstellung der Vollstreckung einer Gesamtstrafe nicht erforderlich ist, dass der bzw. die Verurteilte alle Taten, die der Gesamtstrafe zugrunde liegen, aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Es reicht vielmehr aus, wenn dies für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil zutrifft. Ob dies gegeben ist, richtet sich, hierauf weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hin, nicht nach der Zahl der Verstöße, sondern nach ihrem Gewicht. Dieses kann nicht allein rein mathematisch aus der Höhe der verhängten Einzelfreiheitsstrafe abgeleitet werden, wenngleich dies ein nicht unwesentliches Indiz für die Gewichtigkeit einer Tat sein kann, sondern es können auch andere Gründe für diese Beurteilung von Relevanz sein. Insoweit kommt etwa die Erwägung in Betracht, dass wegen des Einflusses auf die Persönlichkeitsentwicklung eine Tat schwerer ins Gewicht fällt, obgleich für diese eine geringere Einzelfreiheitsstrafe festgesetzt wurde (zum Ganzen vgl. Körner BtMG 5. Auflage § 35 Rdnr. 52; Weber BtMG § 35 Rdnr. 185).

Zwar dürfte, was der Senat letztlich nicht zu entscheiden braucht, in ermessensrechtlicher Hinsicht die Auffassung der Staatsanwaltschaft, die Falschaussage beruhe -- im Gegensatz zum Betrug -- nicht auf der Betäubungsmittelabhängigkeit der Antragstellerin, nicht zu beanstanden sein. Auch nach den Darlegungen in der Antragsschrift war deren Betäubungsmittelabhängigkeit nicht Bedingung für diese Straftat, sondern die Sucht hat diese allenfalls begleitet bzw. die Tat ist allgemein aus der Abhängigkeit hervorgegangen, was, auch nach Auffassung des Senats, für den nach § 35 Abs. 1 BtMG erforderlichen Kausalzusammenhang nicht ausreichend ist (vgl. statt vieler: Weber a.a.O., § 35 Rdnr. 33 ff.).

Obwohl für dieses -- möglicherweise -- nicht suchtbedingte Delikt die höhere Einzelstrafe verhängt wurde, ergeben die Urteilsgründe positiv das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BtMG. Die Tatrichterin hat nämlich im Urteil vom 20. Dezember 2000 den nach § 260 Abs. 5 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Hinweis auf die Registervergünstigung des § 17 Abs. 2 BZRG angebracht (vgl. auch das Hauptverhandlungsprotokoll, GA Band II, Blatt 305 RS). Damit ist, dem Urteil nicht nur die Betäubungsmittelabhängigkeit der Verurteilten zu entnehmen. Es ist vielmehr aufgrund der Urteilsgründe im Sinne des § 35 Abs. 1 BtMG auch nachgewiesen, dass die Verurteilte -- mindestens -- den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat (vgl. Weber a.a.O., § 35 Rdnr. 42). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Tatrichterin den Hinweis auf § 17 Abs. 2 BZRG versehentlich angebracht hat und dieser deshalb offensichtlich falsch ist. Der nach Urteilsverkündung abgegebenen Stellungnahme der Tatrichterin gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Frage eines Kausalzusammenhangs zwischen Betäubungsmittelabhängigkeit und Straftaten kann dies nicht entnommen werden, da sie sich zur Gewichtung der abgeurteilten Taten im Sinne des § 35 Abs. 3 BtMG gerade nicht geäußert hat, Angesichts des nur geringen Unterschieds in der Höhe der verhängten Einzelstrafen ist auch nicht fernliegend, dass das Amtsgericht dem Betrug als einer für den Lebenszuschnitt der Verurteilten typischen Straftat das höhere Gewicht im Sinne des § 35 Abs. 3 BtMG beigemessen hat, obwohl es im Ergebnis aufgrund mehrerer Strafmilderungsgründe hierfür die niedrigere Einzelstrafe verhängt hat. Von einem offenkundigen Fehler bei Anbringung des Hinweises auf § 17 Abs. 2 BZRG kann nach alledem nicht ausgegangen werden. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BtMG gelten daher als nachgewiesen.

Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG sind gegeben. Es liegt Therapiebereitschaft vor. Die Verurteilte befindet sich bereits in einer staatlich anerkannten teilstationären Einrichtung zur Behandlung ihrer Drogenabhängigkeit.

Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 BtMG kann der Senat zwar die noch fehlende Zustimmung des Amtsgerichts zur Zurückstellung selbst erteilen; die Entscheidung über die Zurückstellung selbst hat hingegen die zuständige Vollstreckungsbehörde unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 2 EGGVG; die Entscheidung über die Festsetzung des Geschäftswerts auf § 30, Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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