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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 13.07.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 127/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 44 Satz 1
StPO § 145 a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz
Erhält der Verteidiger entgegen § 145 a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz StPO keine Abschrift der Entscheidung, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sofern die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass der Verteidiger vom Inhalt der Entscheidung keine Kenntnis nehmen konnte.
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 127/09

vom 13. Juli 2009

in der Strafsache

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - 3. Große Jugendkammer - Tübingen vom 18. Februar 2009, soweit ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Calw vom 11. September 2008 versagt worden ist, aufgehoben.

2. Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Calw vom 11. September 2008 gewährt.

3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Calw verurteilte den Beschwerdeführer am 19. März 2008 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Bewährungsbeschluss wurde ihm unter anderem auferlegt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Mit Beschluss vom 11. September 2008, dem Beschwerdeführer mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt am 19. September 2008, widerrief das Amtsgericht Calw die Strafaussetzung zur Bewährung. Am 11. November 2009 legte sein Verteidiger, der den Beschwerdeführer bereits im Strafverfahren verteidigt hatte und dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, gegen den Widerrufsbeschluss (sofortige) Beschwerde ein. Am 12. Dezember 2008 erhielt er Akteneinsicht und beantragte am 18. Dezember 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde. Zur Begründung trägt er vor, dass ihm der Widerrufsbeschluss entgegen § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO nicht mitgeteilt worden sei. Sein Mandant habe ihn zwar am 22. September 2008 telefonisch über einen Widerruf informiert, auf seine Frage aber angegeben, der Beschluss enthalte keine Rechtsmittelbelehrung. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass es sich nur um die Androhung des Widerrufs gehandelt, zumindest aber eine Rechtsmittelfrist nicht zu laufen begonnen habe.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 46 Abs. 3 StPO), insbesondere rechtzeitig eingelegt, und auch begründet.

Zwar ist die an den Verurteilten bewirkte Zustellung des Beschlusses vom 11. September 2008 wirksam. Sie setzt die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde auch dann in Lauf, wenn der Verteidiger entgegen § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO davon weder unterrichtet wurde, noch eine Abschrift des Beschlusses erhalten hat, weil diese Norm lediglich eine Ordnungsvorschrift ist (vgl. BVerfG NJW 2002, 1640; KK-Laufhütte, StPO, 6. Aufl., § 145 a Rdnr. 6; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 145 a Rdnr. 14).

Das Unterbleiben der Benachrichtigung des Verteidigers begründet jedoch regelmäßig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da die Beteiligten in einem Strafverfahren darauf vertrauen dürfen, dass das Gericht § 145 a Abs. 3 StPO beachtet. Die h. M. sieht als ratio legis die Sicherstellung der Fristenkontrolle durch den Verteidiger an (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.12.2008 - 2 Ws 363/08 -[Juris]; OLG Hamm, Beschluss vom 08.05.2007 - 4 Ws 210/07 - [Juris]; KG, Beschluss vom 03.05.2006 - 5 Ws 233/06 - [Juris]; LG Zweibrücken NZV 2007, 431; Meyer-Goßner a.a.O. § 145 a Rdnr. 14, § 44 Rdnr. 17; KK-Laufhütte a.a.O. § 145 a Rdnr. 6). Der Verurteilte solle sich darauf verlassen können, dass (auch) sein Verteidiger von der Zustellung Kenntnis erhält, der sich dann ohne Rückfrage danach richten und seine Interessen wahrnehmen kann (KG StrV 2003, 343; KK-Laufhütte, a.a.O.).

Es kann dahinstehen, ob diese Auslegung der gesetzgeberischen Intention zutreffend ist. Zweifel mögen bestehen, weil der Verteidiger nur von der Anordnung der Zustellung und nicht von deren Ausführung unterrichtet wird. Er kann deshalb den Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses nicht bestimmen und ist daher ohne Rücksprache mit seinem Mandanten nicht in der Lage, selbständig Rechtsmittelfristen zu überwachen. Unabhängig hiervon dient die in § 145 a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz StPO angeordnete Übersendung einer Abschrift der Entscheidung dazu, den Verteidiger vom genauen Inhalt der Entscheidung in Kenntnis zu setzen.

Die Bewilligung von Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist hängt davon ab, ob dem Verurteilten - unabhängig von der unterbliebenen Benachrichtigung seines Verteidigers - ein Verschulden i. S. von § 44 StPO trifft, er also Anlass gehabt hätte, für die Einhaltung der Frist selbst Sorge zu tragen. Bei einer Rechtsmitteleinlegungsfrist kann zwar der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht davon ausgehen, sein Verteidiger werde von sich aus Rechtsmittel einlegen. Er ist vielmehr gehalten, vorsorglich, jedenfalls aber nach Erhalt der Entscheidung seinen Verteidiger mit der Einlegung eines Rechtsmittels zu beauftragen, wenn er sichergehen will, dass dieser für ihn fristgemäß Rechtsmittel einlegen wird (vgl. OLG Nürnberg NStZ -RR 1999, 114; Meyer-Goßner a.a.O. § 44 Rdnr. 17).

Vorliegend hat der Beschwerdeführer am 22. September 2008 seinen Verteidiger über den Widerrufsbeschlusses informiert, ihm jedoch - fälschlicherweise - mitgeteilt, der Beschluss enthalte keine Rechtsmittelbelehrung. Hieraus kann bereits der Schluss gezogen werden, dass er sich gegen einen Widerruf wenden wollte. Letztlich hat jedoch der Verteidiger wegen des angeblichen Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung den unzutreffenden Schluss gezogen, derzeit unmittelbar noch nichts unternehmen zu müssen. Es liegt durch die fehlerhafte Information seines Verteidigers daher zwar auch - wie das Landgericht zutreffend ausführt - ein Verschulden des Beschwerdeführers vor. Gerade diese Fehlerquelle soll jedoch durch die gem. § 145a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz StPO angeordnete Übersendung einer Abschrift der Entscheidung verhindert werden.

Da somit das Unterbleiben der Benachrichtigung an den Verteidiger, mithin ein Verschulden der Justizbehörden, zumindest mitursächlich für die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde war, war dem Beschwerdeführer gemäß §§ 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Versäumung der Rechtsmittelfrist zu gewähren.

Da die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Calw vom 11. September 2008 durch die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenstandslos ist, wird das Landgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Bewährungswiderrufs sachlich zu prüfen und bescheiden zu haben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO. Zwar fallen gem. § 473 Abs. 7 StPO die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dem Antragssteller zur Last. Hat dieser jedoch gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt (§ 46 Abs. StPO), so folgt die Kostenentscheidung den allgemeinen Regeln (vgl. KK-Gieg, a.a.O. § 473 Rdnr 16; Loewe-Rosenberg-Hilger StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 100).

Ende der Entscheidung

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