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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 13.02.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 267/08
Rechtsgebiete: JVEG, AGGVG, ÖGDG, Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit und Soziales


Vorschriften:

JVEG § 1
AGGVG § 42
ÖGDG § 2
ÖGDG § 12
Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit und Soziales über die Durchführung des gerichtsärztlichen Dienstes durch die Gesundheitsämter vom 20. Dezember 2007 (Die Justiz 2008, 66)
Wird das Gesundheitsamt eines Stadtkreises in Baden Württemberg von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft des Landes Baden Württemberg mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, ist es nicht berechtigt, eine Vergütung nach dem JVEG geltend zu machen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 267/08

vom 13. Februar 2009

in der Strafsache gegen

wegen Betrugs

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Stadt S. gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 28. November 2008 wird als unbegründet verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhob gegen beim Amtsgericht Esslingen am 17. August 2006 Anklage wegen Betrugs. Das Amtsgericht beauftragte mit Beschluss vom 05. Juli 2007 das Gesundheitsamt der Stadt S. mit der Erstellung eines Gutachtens zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten. Die Gutachten lagen am 03. und 16. August 2007 vor. In der Hauptverhandlung vom 19. September 2007 war der Gutachter anwesend. Das Gesundheitsamt machte für die erbrachten Leistungen insgesamt 306,30 € geltend.

Mit Beschluss vom 14. Mai 2007 stellte das Amtsgericht fest, dass der Beschwerdeführerin eine Entschädigung von 256,30 € zusteht, eine Erstattung aber unterbleibt. Zur Begründung verwies es auf Nr. 6 Satz 3 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit und Soziales über die Durchführung des gerichtsärztlichen Dienstes durch die Gesundheitsämter vom 20.12.2007 (Die Justiz 2008, 66; im Folgenden VwV - gerichtsärztlicher Dienst).

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Stadt S. verwarf das Landgericht Stuttgart in dem angefochtenen Beschluss als unbegründet. Es ließ die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zu.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig.

1. Die Stadt S. ist beschwerdeberechtigt. Nr. 6 Satz 1 der VwV - gerichtsärztlicher Dienst regelt in Übereinstimmung mit § 1 Abs. 2 JVEG, dass das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz zur Anwendung kommt, wenn die Gesundheitsämter nach Maßgabe der VwV - gerichtsärztlicher Dienst von einem Gericht zur Erstellung von Gutachten herangezogen werden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 JVEG steht der Entschädigungsanspruch der Beauftragten zu.

2. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 4 Abs. 5 JVEG sind ebenfalls erfüllt.

a. Das Landgericht hat als Beschwerdegericht entschieden und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen. Der Senat ist nach § 4 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 JVEG an die Zulassung gebunden.

b. Die weitere Beschwerde ist auch darauf gestützt, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 4 Abs. 5 Satz 2 JVEG).

Die Beschwerdeführerin rügt die fehlerhafte Anwendung der VwV - gerichtsärztlicher Dienst, in deren Nr. 6 Satz 3 geregelt ist, dass die Erstattung des nach dem JVEG zu berechnenden Entschädigungsanspruches in den Fällen, in denen anfordernde Stelle ein Gericht des Landes ist, unterbleibt. Diese Vorschrift dürfe auf Gesundheitsämter, die von Kommunen getragen würden, nicht angewandt werden, weil sie in deren kommunale Selbstverwaltung, speziell in ihre Finanzhoheit eingreife.

Aus dem Verweis in § 4 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz JVEG auf § 546 ZPO folgt, dass die weitere Beschwerde nur zulässig ist, wenn nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin eine Rechtsnorm nicht richtig angewandt wurde. Rechtsnormen im Sinne des § 546 ZPO können auch Verwaltungsvorschriften sein, sofern sie aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ergangen sind und objektives Recht enthalten (Zöller/Gummer, ZPO, 27. Auflage, § 546 Rn. 3). So liegt es hier.

Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der VwV - gerichtsärztlicher Dienst findet sich in § 42 Abs. 4 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (AGGVG) in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG), wonach die Gesundheitsämter die gerichtsärztliche Tätigkeit nach § 42 AGGVG wahrnehmen und das Sozialministerium im Einvernehmen mit dem Justizministerium Vorschriften über das gerichtsärztliche Verfahren erlässt. Die VwV - gerichtsärztlicher Dienst stellt nicht nur eine lediglich verwaltungsintern bindende Interpretations- und Auslegungshilfe für unbestimmte Rechtsbegriffe für nachgeordnete Behörden dar, durch die eine einheitliche Anwendung der Gesetze gewährleistet werden soll (norminterpretierende Verwaltungsvorschrift). Vielmehr regelt Nr. 6 die Voraussetzungen des Erstattungsverzichts, aus dem sich eine bindende Verpflichtung aller Gesundheitsämter Baden Württembergs ergibt (gesetzesvertretende Verwaltungsvorschrift vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, § 24 Rn. 9 und 11; siehe auch BGH MDR 1970, 210).

c. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern, weil der angefochtene Beschluss nicht von einem Einzelrichter erlassen worden ist (§ 4 Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz JVEG; Senatsbeschluss vom 8. August 2005 - 4 Ws 181/05, Justiz 2005, 437).

III.

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der vom Sozialministerium als oberster Gesundheitsbehörde im Benehmen mit dem Justizministerium bestimmte Erstattungsverzicht erstreckt sich auch auf die Erstattungsansprüche der Beschwerdeführerin, weil die VwV - gerichtsärztlicher Dienst Regelungswirkung für alle (unteren) Gesundheitsbehörden entfaltet und die Beschwerdeführerin hiervon nicht als Selbstverwaltungskörperschaft, sondern als untere Gesundheitsbehörde und damit als Teil der Staatsorganisation betroffen ist.

1. Das Ministerium für Arbeit und Soziales ist die oberste Gesundheitsbehörde (§ 2 Abs.1 Nr.1 ÖGDG). Untere Gesundheitsbehörde (Gesundheitsamt) ist nach § 2 Abs.1 Nr. 3 ÖGDG die untere Verwaltungsbehörde, im Stadtkreis S. die Gemeinde (§ 13 Abs.1 Nr.2 LVG i.d.F vom 03. Februar 2005). Die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden werden in den Stadtkreisen vom Bürgermeister der Gemeinde als Pflichtaufgaben nach Weisung erledigt (§ 13 Abs. 3 LVG). Im Bereich der Weisungsangelegenheiten unterliegt die Gemeinde bzw. das für sie tätige Organ dem uneingeschränkten Weisungsrecht der Fachaufsicht, die sich auf die recht- und zweckmäßige Erledigung von Verwaltungsaufgaben erstreckt (§ 25 LVG). Die Weisung der Fachaufsichtsbehörde richtet sich in diesen Fällen nicht an die Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft, sondern an sie als Teil der Staatsorganisation i.w.S (vgl. Maurer a.a.O., § 23 Rn. 23).

2. Das Sozialministerium hat im Rahmen seiner Fachaufsicht als oberste Gesundheitsbehörde mit der VwV - gerichtsärztlicher Dienst im zulässigen Umfang von der in § 42 Abs. 4 AGGVG, § 12 ÖGDG eröffneten Möglichkeit zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zur Regelung des gerichtsärztlichen Dienstes Gebrauch gemacht. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 ÖGDG nehmen die Gesundheitsämter gerichtsärztliche Tätigkeiten nach § 42 AGGVG wahr. § 42 Abs. 1 S. 2 AGGVG bestimmt, dass das Sozialministerium weitere gerichtsärztliche Tätigkeiten auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit den Gesundheitsämtern im Benehmen mit dem Justizministerium übertragen kann. Auf der Grundlage dieser Vorschrift ist die VwV - gerichtsärztlicher Dienst vom 20. Dezember 2007, rückwirkend in Kraft getreten am 01. Januar 2007, ergangen. In deren Nr. 2 wird den Gesundheitsämtern als weitere Dienstaufgabe die Erstellung ärztlicher Gutachten im Auftrag von Gerichten in allen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Frage der Verhandlungsfähigkeit übertragen und in Nr. 6 wird festgelegt, dass das Gesundheitsamt der anfordernden Stelle zwar den nach dem JVEG berechneten Entschädigungsanspruch mitteilt, aber eine Erstattung für den Fall, dass es sich um ein Gericht des Landes handelt, unterbleibt.

3. Die Reichweite der Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften wird durch die Organisations- und Weisungsbefugnis der sie erlassenden Instanz bestimmt und begrenzt. Grundsätzlich können Verwaltungsvorschriften nur die nachgeordneten und daher weisungsgebundenen Behörden und Beamten binden. Ausnahmsweise sind sie jedoch für Organe anderer Verwaltungsträger verbindlich, wenn diese der Fachaufsicht der die Verwaltungsvorschrift erlassenden Behörde unterliegen. So liegt es bei Gemeindeorganen, soweit diese Weisungsaufgaben erledigen (Maurer a.a.O., § 24 Rn. 16-18). Hieraus folgt, dass das Sozialministerium als oberste Gesundheitsbehörde im Rahmen seiner Fachaufsicht aus Zweckmäßigkeitserwägungen wirksam auf Erstattungsansprüche seiner untergeordneten Behörden verzichten und die Gemeinde nicht geltend machen kann, die im Rahmen der Fachaufsicht zulässige Weisung sei im konkreten Fall rechtswidrig (Maurer a.a.O., § 23 Rn.23).

4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem verfassungsmäßig garantierten Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin (Art. 28 Abs. 2 GG). Hierzu zählt auch die Finanzhoheit einer Gemeinde, der ein Anspruch auf ausreichende Finanzausstattung zusteht. Dies gilt für Selbstverwaltungsangelegenheiten ebenso wie für solche Tätigkeiten, die sie als Staatsaufgabe wahrnimmt. Die nötige finanzielle Sicherung dieser Aufgaben und der Gemeinden wird über den Länderfinanzausgleich vorgenommen, in den der Finanzbedarf der Gemeinden in die Landesbedarfsermittlung eingestellt wird (Maunz - Dürig, GG, Art. 28 GG, Rn. 84 a und 84 c). Nach den Stellungnahmen des Sozialministeriums vom 28. August 2008 und vom 16. Januar 2009 hat das Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart über den kommunalen Finanzausgleich (Finanzausgleichsgesetz - FAG - in der Fassung vom 1. Januar 2000, GBl. S. 14) pauschale Zuweisungen für die nach dem ÖGDG und der VwV - gerichtsärztlicher Dienst den Gesundheitsämtern übertragenen Dienstaufgaben erhalten. Bei der Berechnung der Höhe dieser Zuweisungen, die sich aus einem Vergleich der Einnahmen und Ausgaben (u.a. auch für die Personalkosten des höheren Dienstes) ergibt, sind die Einnahmen aus der gerichtsärztlichen Tätigkeit wegen des Erstattungsverzichtes unberücksichtigt geblieben. Fände die Verzichtsregelung auf die Beschwerdeführerin keine Anwendung, würde diese zusätzliche Einnahmen erzielen, die bei den pauschalen FAG - Zuweisungen anzurechnen wären. Somit hat sich im Ergebnis die finanzielle Situation der Gemeinde durch den Erstattungsverzicht nicht verschlechtert, andererseits würde sie sich durch die Aufhebung der Verzichtsregelung auch nicht verbessern.

5. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Gebührenerhebung durch einen Landkreis für die hier in Frage stehenden Erstattungsanprüche nach JVEG herangezogen werden kann, denn nach dem Urteil des VGH Baden- Württemberg vom 11. Dezember 2008 - 2 S 1162/07 - wird die Gebührenerhebung für eine Aufgabe, die als untere Verwaltungsbehörde erfüllt wird, nicht dadurch zur Selbstverwaltungsangelegenheit, dass eine kommunale Selbstverwaltungskörperschaft die Gebühr erhebt.

Ende der Entscheidung

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