Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 28.01.2003
Aktenzeichen: 5 Ws 75/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 3
Zu den Mindestanforderungen an die Geltendmachung von Ladungsmängeln im Wiedereinsetzungsverfahren analog § 329 Abs. 3 StPO.
Oberlandesgericht Stuttgart - 5. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 5 Ws 75/2002

vom 28. Januar 2003

in der Strafsache

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln,

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2002, durch den der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, wird als unbegründet verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung durch die Jugendrichterin des Amtsgerichts Böblingen vom 19. März 2002 rechtzeitig Berufung eingelegt. Diese wurde durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22. August 2002, dem Verteidiger zugestellt am 06. September 2002, gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte der Berufungshauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ferngeblieben sei; die Terminsladung war ihm am 20. Juni 2002 durch Niederlegung zugestellt worden. Das durch Verteidigerschriftsatz am 12. September 2002 beim Landgericht eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten hat die Jugendkammer mit Beschluss vom 16. Oktober 2002 als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Verteidiger namens des Beschwerdeführers mit der rechtzeitig eingegangenen sofortigen Beschwerde.

Der Angeklagte sei entsprechend seiner seit 04. Dezember 2000 bestehenden Ausreisepflicht vor der Berufungshauptverhandlung (aus dem Bundesgebiet) ausgereist. "Ein am 13.06.2002 an die Ladungsanschrift gerichteter Brief" sei mit dem Vermerk 'Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln' an den Verteidiger zurückgekommen, weshalb eine ordnungsgemäße Ladung zum Hauptverhandlungstermin "mit Nichtwissen bestritten" werde. Der Beschwerdeführer habe am 30.08.2002 in der Kanzlei des Verteidigers angerufen und erklärt, "dass er in seiner Heimat sei".

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

1. a) Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung zum Hauptverhandlungstermin kann der Angeklagte - obgleich insoweit kein Fall der Säumnis bzw. des Ausbleibens im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO gegeben ist - nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 329 Rn. 41 m.w.N.) in entsprechender Anwendung des § 329 Abs. 3 StPO im Wege der Wiedereinsetzung geltend machen. Welchen Anforderungen ein solcher Antrag genügen muss und ob das zuständige Gericht die Wirksamkeit der Ladung auch im Verfahren über die Wiedereinsetzung von Amts wegen zu prüfen hat, ist umstritten (vgl. eingehend hierzu OLG Köln VRS 99, 270 ff.; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302 f.; OLG Karlsruhe NJW 1997, 3183).

b) Weitgehende Einigkeit besteht jedoch, soweit ersichtlich, darüber, dass der Postzustellungsurkunde bei der Ersatzzustellung hinsichtlich der tatsächlichen Wohnung des Adressaten zwar nicht die volle Beweiskraft des § 418 ZPO, immerhin aber eine Indizwirkung zukommt, die im Fall der Geltendmachung von nicht offen- oder aktenkundigen (zu letzteren vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 138 f.) Ladungsmängeln durch die schlüssige und plausible Darlegung konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden muss (BVerfG NStZ-RR 1997, 70 f.; OLG Hamburg aaO S. 303; unklar insoweit OLG Karlsruhe NJW 1997, 3183). Daher durfte das Landgericht Stuttgart im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung mangels anderweitiger Erkenntnisse ohne weiteres von der in der Postzustellungsurkunde genannten Wohnung des Angeklagten ausgehen. Auch die von der Jugendkammer noch vor der Hauptverhandlung eingeholte Auskunft des zuständigen Einwohnermeldeamts, wonach der Angeklagte am 11. Juli 2002 von Amts wegen abgemeldet worden sei, "da unbekannt verzogen", vermochte die auf den Zeitpunkt der Zustellung, also den 20. Juni 2002, bezogene Indizwirkung der Postzustellungsurkunde nicht zu entkräften.

Richtigerweise ist - unabhängig von der Frage, ob nach einem möglichen Wegfall der Indizwirkung der Grundsatz der Amtsermittlung eingreift - weiter davon auszugehen, dass von diesen Mindestanforderungen an die Geltendmachung von Ladungsmängeln auch im Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahren gegen eine sich auf die Indizwirkung der Postzustellungsurkunde stützende Gerichtsentscheidung nicht abgesehen werden kann. So müssen etwa auch im Revisionsverfahren bei behaupteter nicht ordnungsgemäßer Ladung die hierfür maßgeblichen Umstände als Voraussetzung einer zulässigen Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schlüssig vorgetragen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 329 Rn. 48 m.w.N.). Mithin steht fest, dass der Beschwerdeführer auch im Wiedereinsetzungsverfahren über die schlichte Behauptung hinaus, nicht mehr an der Zustellungsanschrift gewohnt zu haben, die Indizwirkung der Postzustellungsurkunde durch eine plausible und schlüssige Darstellung entkräften muss.

c) Dem genügt das Vorbringen der Verteidigung nicht. So wird weder mitgeteilt, wann genau der Angeklagte auf welchem Weg aus Deutschland ausgereist sein will noch wird angegeben, wann der "am 13.06.2002 an die Ladungsanschrift gerichtete Brief" an den Verteidiger zurückgelangt ist oder wann er mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" versehen wurde.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 JGG.

Ende der Entscheidung

Zurück