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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 6-2 StE 8/07
Rechtsgebiete: StPO, RVG


Vorschriften:

StPO § 138 Abs. 1
StPO § 138 Abs. 2
RVG § 45
1. Auch wenn ein Tatvorwurf (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, § 129 b StGB u. a.) mit einem Auslandsbezug (Türkei) oder mit Tatbereichen im Ausland vorliegt, ist die Zulassung eines in dem Ausland tätigen Rechtsanwaltes, der in diesem Land weitere Aufklärungen tätigen soll, als Wahlverteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO nicht geboten.

2. Die Feststellung, dass die Kosten einer Reise der hiesigen Pflichtverteidiger in das Ausland nebst Dolmetscherkosten und Beauftragung eines dortigen ausländischen Rechtsanwaltes von der Staatskasse zu tragen sind, ist abzulehnen, § 46 RVG.


Oberlandesgericht Stuttgart - 6. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 6-2 StE 8/07

vom 9. Januar 2009

in der Strafsache

wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u. a.

Tenor:

Die Anträge des Angeklagten G.,

1. einen von ihm noch zu benennenden Rechtsanwalt, zugelassen bei der Rechtsanwaltskammer Istanbul, in Gemeinschaft mit seinen beiden Pflichtverteidigern als Wahlverteidiger zuzulassen,

2. festzustellen, dass die Kosten einer Reise der Verteidiger in die Türkei, des dortigen Aufenthalts sowie der Beauftragung eines Rechtsanwalts und eines Dolmetschers von der Staatskasse zu tragen sind,

werden abgelehnt.

Tatbestand:

Dem Angeklagten wird u. a. vorgeworfen, sich als hochrangiger Parteikader mitgliedschaftlich in einer ausländischen terrorisitschen Vereinigung, die innerhalb dieser Organisation in der Türkei besteht, betätigt zu haben.

Gründe:

1. Der Angeklagte beantragt, ihm neben seinen beiden Pflichtverteidigern, die auch Anwälte seines Vertrauens sind, gemäß § 138 Abs.2 StPO einen von ihm noch zu benennenden Wahlverteidiger zuzulassen, der seinerseits als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer Istanbul zugelassen ist. Begründet wird dieser Antrag damit, dass Rechtshilfedokumente aus der Türkei mit allgemeinen Darstellungen zu türkischen Strafverfahren und Angaben zur Person des Angeklagten G. Teil der Verfahrensakten seien. Es bedürfe hier der besonderen Prüfung von Nichtverwertbarkeiten nach § 136 a StPO. Des weiteren bedürfe es Abklärungen zu dem derzeit in der Türkei laufenden sog. E...-Verfahren, das Vorgänge beinhalte, die auch mit der Organisation D... im vorliegenden Verfahren in Zusammenhang gebracht würden.

Zunächst ist festzustellen, dass in der Türkei zugelassene Rechtsanwälte nicht nach § 138 Abs.1 StPO als Verteidiger gewählt werden können. Sie sind nach den Vorschriften des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) deutschen Rechtsanwälten nicht gleichgestellt.

Nach § 138 Abs. 2 StPO können in Fällen notwendiger Verteidigung andere als in § 138 Abs.1 StPO genannte Personen mit Genehmigung des Gerichts in Gemeinschaft mit einem Verteidiger als Wahlverteidiger zugelassen werden. Das mit der Sache befasste Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine solche Genehmigung zu erteilen ist (OLG Düsseldorf NStZ 1988,91, OLG Hamm 2 Ws 9-11/06 in juris, Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 238 Rdn. 13, jeweils mwN). Dabei ist eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem Interesse des Angeklagten an der Verteidigung durch eine Person seines Vertrauens und den Erfordernissen der Rechtspflege vorzunehmen. Das Gericht hat zu prüfen, ob einerseits die Belange des Angeklagten die Zulassung des von ihm dann Bevollmächtigten als Wahlverteidiger rechtfertigen und ob andererseits die Belange der Rechtspflege der Zulassung nicht entgegenstehen (OLG Düsseldorf NStZ 1999,586; OLG Koblenz 1 Ws 605/07 in juris). § 138 Abs. 2 StPO ist nach der Entstehungsgeschichte als Ausnahmebestimmung anzusehen, die Genehmigung aber gleichwohl nicht auf besondere Ausnahmefälle beschränkt. Eine Zulassung muß also erfolgen, wenn die gewählte Person (wie hier angekündigt ein Rechtsanwalt aus dem Bezirk Istanbul) das Vertrauen des Angeklagten hat und sie zur Führung der konkreten Verteidigung genügend sachkundig und vertrauenswürdig erscheint und sonst keine Bedenken gegen ihr Auftreten als Verteidiger bestehen (OLG Hamm, aaO; Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 138 Rdn. 8, Lüderssen/Jahn in LR StPO, 26. Aufl., § 138 Rdn. 27).

Nachdem ein Rechtsanwalt aus dem Bezirk Istanbul bislang konkret nicht benannt ist, kann eine Prüfung der Sachkunde und Vertrauenswürdigkeit nicht erfolgen. Dies kann hier aber dahinstehen. Nach dem Antrag des Angeklagten soll der betreffende Rechtsanwalt zur Vorbereitung der Verteidigung durch die hiesigen Verteidiger Erhebungen, Ermittlungen und Bewertungen von Vorgängen in der Türkei durch- und ausführen. Es handelt sich insoweit um Teilbereiche der Aufklärung, für die der Bevollmächtigte einer Verteidigerstellung im Verfahren nicht bedarf, zumal die für den Angeklagten schon bestellten Verteidiger die Erkenntnisse übernehmen und in das Verfahren einbringen können. Hinzu kommt, dass die zur jetzigen Antragsbegründung angeführten Umstände jederzeit zumindest über Beweisanträge oder -anregungen in die Aufklärungspflicht des Gerichts gestellt werden können. Es handelt sich somit nicht um einen Bereich der Verteidigung, sondern um einen solchen der Aufklärungshilfe. Der Zulassung von Aufklärungsgehilfen als Verteidiger iSd. § 138 Abs.2 StPO mit den damit verbundenen weiterreichenden Rechten im Verfahren stehen Belange der Rechtspflege entgegen. Ginge man von anderem aus, würde bei einem Tatvorwurf mit einem Auslandsbezug oder mit Tatbereichen im Ausland die Zulassung eines ausländischen Anwaltes über § 138 Abs.2 StPO zum Regelfall. Die gegebene Verteidigung des Angeklagten G. wird durch diese Entscheidung nicht beeinträchtigt.

2. Bei den Kosten, deren Übernahme auf die Staatskasse beantragt wird, handelt es sich um solche für eigene Ermittlungstätigkeiten der Verteidigung. Es sind hierfür dieselben Gründe angeführt wie schon beim Antrag Ziff.1.

Es kann entgegen dem Antrag derzeit nicht festgestellt werden, dass diese Kosten von der Staatskasse zu tragen sind.

Aufwendungen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen des Angeklagten bzw. der Verteidigung sind in aller Regel zur sachgemäßen Durchführung des Verfahrens nicht erforderlich, weil die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte von Amts wegen zur umfassenden Sachaufklärung - auch zugunsten eines Beschuldigten - verpflichtet sind und entsprechenden Beweisanträgen oder -anregungen nachgehen und die beantragten Beweise, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, selbst erheben müssen. Nur in besonderen Ausnahmefällen sind derartige Aufwendungen für den Beschuldigten notwendig und erstattungsfähig. Grundsätzlich ist der Beschuldigte gehalten, zunächst seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Staatsanwaltschaft oder das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Erst wenn dies nicht weiterführt oder der Beschuldigte damit rechnen muß, dass sich seine Prozesslage ansonsten alsbald erheblich verschlechtern wird, können derartige Ausnahmegesichtspunkte für eine Erstattung gegeben sein (OLG Hamm NStZ 1989, 588; OLG Düsseldorf NStZ 1991, 353 ff; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 511; Meyer-Goßner, aaO, § 464 a Rdn. 16, jeweils mwN).

Gesichtspunkte, die einen solchen Ausnahmefall wie oben beschrieben derzeit begründen könnten, sind nicht ersichtlich und nicht dargetan. Der Angeklagte kann seine Rechte über seine prozessualen Möglichkeiten noch wahrnehmen und aus seiner Sicht erforderliche Anträge stellen. Welche Beweismittel aus der Türkei erforderlich werden, hat der Senat noch nicht festgelegt, so dass auch Überprüfungen auf Verstöße gegen § 136 a StPO noch nicht abklärbar sind. Ob sich aus dem in der Türkei laufenden, genannten Verfahren neue Erkenntnisse ergeben können, kann bei Bedarf auch ohne eine Reise in die Türkei erhoben werden.

Ende der Entscheidung

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