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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 30.11.2000
Aktenzeichen: 7 U 154/00
Rechtsgebiete: MB/KK (76), BGB


Vorschriften:

MB/KK (76) § 1 Abs. 1 a
BGB § 612 II
BGB § 1381
§ 1 Abs. 1 a MB/KK (76); § 612 II BGB, § 1381 BGB.

Bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit der mit einem privaten Krankenhausträger vereinbarten Vergütung ist auf die im Einzelfall konkret geschuldete Leistung abzustellen.

Nicht relevant ist, ob bei herkömmlicher Behandlungs- und Operationsmethode aufgrund damit verbundener längerer Verweildauer im Krankenhaus dem privaten Krankenversicherer ebenfalls Kosten in vergleichbarer Höhe entstanden wären.


Oberlandesgericht Stuttgart - 7. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 154/00 7 O 188/00 LG Stuttgart

Verkündet am: 30.11.2000

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Mezger) Justizangestellte

wegen Forderung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vors. Richters am OLG Gramlich,

des Richters am OLG Uebe,

des Richters am LG Haberstroh

für Recht erkannt:

Tenor:

1.) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichtes Stuttgart vom 27.06.2000 wird zurückgewiesen.

2.) Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers 11.010,18 DM

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, ihr bleibt jedoch der Erfolg versagt.

I.

Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Er begehrt Ersatz der ihm anlässlich eines stationären Aufenthaltes in Rechnung gestellten und von ihm bezahlten Kosten. Die Beklagte hat vorprozessual dem Kläger lediglich 1.633,82 DM der von ihm an die Klinik bereits bezahlten 12.644,00 DM erstattet.

Der Kläger wurde wegen eines Bandscheibenvorfalls von Dr. minimalinvasiv am 04.06.1999 in München in der Klinik) operiert. Die dabei von Dr. und der beigezogenen Anästhesistin erbrachten Leistungen wurden von diesen direkt mit dem Kläger abgerechnet und von der Beklagten dem Kläger auch erstattet. Für die von der Klinik zu erbringenden Leistungen wurde am 02.06.1999 eine Fallpauschale von 12.644,00 DM vereinbart. Ärztliche Leistungen sind von dieser Pauschale ausdrücklich ausgenommen. In einem ebenfalls am 02.06.1999 in einer gesonderten Urkunde abgeschlossenen Vertrag hat die Klinik mit dem Kläger Vereinbarungen für den Fall getroffen, dass die Krankenversicherung des Beklagten diese Fallpauschale dem Kläger nicht ersetzen wird. Die Klinik GmbH sah die Gefahr, dass die Beklagte dem Kläger nicht die gesamte vereinbarte Vergütung erstatten wird. Für diesen Fall hat sie mit dem Kläger auf einem Vordruck vereinbart (Bl. 203 der Akten), wie dann zu verfahren ist. Der Patient hat hiernach ein namentlich genanntes Anwaltsbüro in München mit der Durchsetzung seiner Ansprüche auf Kosten der Klinik zu beauftragen. Die Klinik verpflichtet sich, den Patienten nicht auf einen höheren als den erstatteten Betrag in Anspruch zu nehmen.

II.

Die Leistungspflicht der Beklagten setzt einen Vergütungsanspruch der Klinik gegenüber dem Kläger voraus (vgl. Bach/Moser 2. Auflage § 1 MB/KK RZ 3) (1). Ein solcher ist hier in Höhe des begehrten Betrages von 11.010,18 DM nicht dargetan. Die zwischen dem Kläger und der Klinik vereinbarte Pauschale verstößt gegen die guten Sitten und ist daher gemäß § 138 BGB nichtig (2). Der Kläger war somit nicht verpflichtet, der Klinik die vereinbarten 12.644 DM zu bezahlen. Er kann daher von der Beklagten diesen Betrag auch nicht erstattet verlangen. Dies folgt direkt aus § 1 Abs. 1 a MB/KK 76 (vgl. BGH 14.1.1998 AZ: IV ZR 61/97 zu überhöhten Arztrechnungen). § 5 MB/KK 76 ist auf Fälle sittenwidrig überhöhter Honorare für medizinisch anerkannte und notwendige Heilbehandlungen weder direkt noch analog anwendbar. Es liegt auch kein Forderungsübergang gem. § 67 WG vor (3).

1.)

Zwischen dem Kläger und der Klinik GmbH ist ein Dienstvertrag zustande gekommen.

Abweichend zum Vortrag in erster Instanz hat der Kläger nunmehr die Vereinbarung einer konkret bemessenen Vergütung für die von der Klinik GmbH zu leistenden Dienste behauptet und die am 02.06.1999 geschlossene Vereinbarung auch vorgelegt.

2.)

Die Beklagte muss diesen vereinbarten und vom Kläger an die Klinik bereits bezahlten Betrag dem Kläger aber nicht erstatten. Die zwischen dem Kläger und der Klinik getroffene Vereinbarung ist sittenwidrig und damit gemäß § 138 BGB nichtig.

Das zwischen dem Kläger und der Klinik vereinbarte Honorar steht zu der von der Klinik zu erbringenden Leistung nicht nur in einem auffälligen sondern in einem besonders groben Missverhältnis.

Bei der Bewertung der von der Klinik für die vereinbarte Pauschale zu erbringenden Leistung ist nur auf die in der Zeit vom 04.06.1999 bis 05.06.1999 von dieser zu erbringenden Leistungen abzustellen.

a)

Hierzu gehört die beim Kläger durchgeführte Operation an der Wirbelsäule durch Herrn Dr. nicht. Ärztliche Leistungen sind ausdrücklich von der Pauschale nicht umfasst. Herr Dr. sowie die beigezogene Anästhesistin haben ihre Kosten dann auch nicht über die Klinik, sondern direkt beim Kläger nach der GOÄ geltend gemacht.

b)

Zu berücksichtigten sind die von der Klinik zur Durchführung der Operation in ihren Räumen bereitgestellten Sachleistungen.

Zwar umfasst die Vergütung der privatärztlichen Leistungen nach § 4 Abs. 3 GOÄ neben dem Entgelt für die ärztliche Tätigkeit auch eine Abgeltung von weiteren Sach- und Pflegeleistungen. Dies hat aber nicht zwingend zur Folge, dass bei stationärer Behandlung diese Kosten von der Klinik nicht ebenfalls in Rechnung gestellt werden dürfen. § 6 a GOÄ sieht vielmehr bei einer stationären Behandlung durch einen Belegarzt eine Kürzung der privatärztlichen Leistungen um 15 % vor. Hierdurch wird verhindert, dass der Patient diese Sachkosten, die auch mit dem Pflegesatz des Krankenhauses abgegolten werden, doppelt bezahlt (siehe hierzu auch BGH 17.9.1998 AZ: III ZR 222/97). Die Anästhesistin hat ihre Rechnung auch gemäß § 6 a GOÄ um 115,04 DM vermindert.

Der Operateur, Herr Dr., hat in seiner Rechnung zwar aufgeführt, dass sein geltend gemachtes Honorar um 15 % gem. § 6 a GOÄ zu kürzen sei. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist eine solche Kürzung aber unterblieben. Daraus kann im Verhältnis der Klinik zum Kläger jedoch keine Einschränkung der Leistungspflichten derer Klinik abgeleitet werden.

Die Klinik schuldete daher die Bereitstellung der für die am 04.06.1999 geplanten Wirbelsäulen-Operation notwendigen Sach- und Pflegeleistungen.

c)

Ferner sind bei der Prüfung der Angemessenheit des vereinbarten Honorars auch die sich an die Operation anschließenden von der Klinik zu erbringenden Pflegeleistungen zu berücksichtigen. Bei Abschluss der Vereinbarung ging die Klinik ausweislich des vom Kläger mit der Anlage K 3 vorgelegten Ablauf-Planes davon aus, dass der Kläger am 04.06. um 12.30 Uhr zur Operation aufgerufen wird und am 05.06. nach dem Frühstück aus der Klinik entlassen wird.

Die Unterbringung nach der Operation und die dann noch erforderlichen Pflegeleistungen am 04.06.1999, in der Nacht vom 04.06 auf den 05.06. sowie am Morgen des 05.06.1999 waren daher bei der Prüfung der Angemessenheit der vereinbarten Vergütung zu berücksichtigen.

d)

Es ist offensichtlich, dass diese Leistungen der Klinik, die in weniger als 24 Stunden zu erbringen waren, zu der hierfür vereinbarten Vergütung von 12.644,00 DM in einem besonders groben Mißverhältnis stehen.

Zur Feststellung dieses hier gegebenen auffallend groben Missverhältnisses bedurfte es keines Gutachtens zur Höhe der üblichen Vergütung für die von der Klinik zu erbringenden Leistungen. Für einen Klinikaufenthalt der hier vorliegenden Art ist eine Pauschale von 12.644,00 DM - ohne Arztkosten - nicht zu rechtfertigen. Die hinter dem Kläger stehende Klinik hat auch keine Kalkulation vorgelegt aus der sich ein solcher Betrag auch nur im Ansatz nachvollziehen lassen könnte. Aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Kostenvoranschlag des Krankenhaus ergibt sich, dass diese Klinik bei einer Operation an der Wirbelsäule und Unterbringung im Zweibettzimmer einen Pflegesatz von 580,00 DM berechnet. Zwar geht diese Klinik von einer Verweildauer von ca. 14 Tagen aus. Bei den Krankenhäusern, die ihren Pflegesatz nach der Bundespflegesatzverordnung berechnen, enthält dieser auch Anteile von anlässlich der Operation anfallenden allgemeinen Sachkosten ( BGH 17.9.98 a.a.O.). Pflegesätze von Krankenhäusern mit langer Verweildauer nach durchgeführten Operationen können daher mit Pflegesätzen von Kliniken mit kürzerer Verweildauer nicht direkt verglichen werden. Krankenhäuser in öffentlicher Hand werden häufig subventioniert. Private Krankenhäuser müssen möglicherweise schon deshalb höhere Pflegesätze berechnen, weil sie auf die Erzielung von Gewinn ausgerichtet sind. Anderseits können die von der öffentlichen Hand getragenen Krankenhäuser in der Regel nicht, wie die Klinik, ihre Patienten aussuchen. Die Pflegesätze der Kliniken, deren Pflegesatz sich nach der Bundespflegesatzverordnung berechnet, sind daher für die Klinik kein direkter Maßstab.

Gleichwohl zeigt aber der Umstand, dass die Klinik hier für eine unter 24 Stunden liegende Verweildauer das 21,8-fache dessen verlangt, was die ebenfalls in liegende Klinik an Pflegesatz für einen Tag verlangt, dass hier ohne weiteres von einem sittenwidrig überhöhten Entgelt ausgegangen werden kann.

e)

Es ist bei der Feststellung dieses besonders groben Missverhältnisses auf die tatsächlich zu erbringenden Leistungen abzustellen (vgl. hierzu auch BGH VersR 2000, S. 1250 zur Bestimmung der Angemessenheit des für die Wahlleistung Unterkunft verlangten Entgelts). Beurteilungskriterium für § 138 BGB kann nur die im Einzelfall tatsächlich geschuldete Leistung sein. Es ist deshalb für die Bewertung der hier vereinbarten Vergütung völlig ohne Belang, wie hoch die von der Beklagten zu tragenden Kosten gewesen wären, wenn der Kläger seinen Bandscheibenvorfall nach einer herkömmlichen Methode operieren hätte lassen. In diesem Fall hätte der Kläger zur optimalen Versorgung wohl acht bis vierzehn Tage stationär untergebracht werden müssen. Hierfür entstehen höhere Kosten.

Der Klinik war hier auch das grobe Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bewusst. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob bei den Verantwortlichen der Klinik GmbH die für den Tatbestand des Wuchers gemäß § 138 II BGB darüber hinaus notwendige subjektiven Voraussetzungen vorlagen.

Die Vereinbarung ist jedenfalls gemäß § 138 I BGB sittenwidrig. Die verwerfliche Gesinnung der für diese Vereinbarung Verantwortlichen der Klinik, die diese sich zurechnen lassen muss, ergibt sich aus folgenden Erwägungen. Die Klinik wusste um die offensichtlich überzogene Fallpauschale. Um den Kläger aber zum Abschluss einer solchen Fallpauschale zu bewegen, hat sie diesem zugesichert, schlussendlich von ihm nur den Betrag zu verlangen, den er von der Beklagten ersetzt bekommen wird. Der Abschluss dieser Vereinbarung war daher für den Kläger ohne Risiko. Verwerflich ist der Umstand, dass die Klinik diese Vereinbarung nicht offengelegt hat. Es wurde vielmehr bewusst eine gesonderte Vertragsgestaltung gewählt. Erst in zweiter Instanz, als die Beklagte die Existenz einer solchen Vereinbarung behauptet hatte, wurde dies eingeräumt, ohne allerdings die konkrete Urkunde vorzulegen.

Die Klinik hat in Ausnutzung der besonderen Situation des Klägers daher versucht, die Beklagte mit Hilfe des Klägers darüber zu täuschen, wie es zum Abschluss dieser Fallpauschale durch den Kläger kam.

Die Beklagte sollte dadurch bewegt werden, ihrem Versicherten den vereinbarten Betrag zu erstatten.

Die getroffene Vereinbarung über eine Fallpauschale von 12.644,00 DM ist daher sittenwidrig und somit gemäß § 138 I BGB nichtig.

g)

Dies führt anders als bei einem Verstoß einer Preisvereinbarung gegen Preisvorschriften (siehe hierzu BGH VersR 2000, 1253 ) zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet die eingeklagte Fallpauschale dem Kläger gemäß § 1 Abs. 1 a MB/KK 76 zu erstatten.

3.)

Entgegen der Auffassung des Klägers führt die Sittenwidrigkeit der getroffenen Vereinbarung nicht dazu, dass die Beklagte dem Kläger gleichwohl die Fallpauschale zu erstatten hat und die sich aus § 812 BGB ergebende Forderung des Klägers auf Rückerstattung gemäß § 67 VVG auf die Beklagte übergeht. Versichert ist nicht das Risiko einer sittenwidrigen Übervorteilung bei Abschluss eines Behandlungsvertrages, sondern nur die tatsächlich vom Versicherungsnehmer zu bezahlenden Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung.

Das Betrugs- und Wucherrisiko trägt als allgemeines Lebensrisiko nicht der Versicherer sondern der Versicherungsnehmer.

III.

Aufgrund der obigen Erwägungen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Revision konnte nicht zugelassen werden. Die hierfür gemäß § 546 ZPO notwendigen Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 i.V.m. § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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