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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 09.03.2000
Aktenzeichen: 7 U 166/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Grätscht ein Spieler von hinten mit gestrecktem Fuß gegen einen bereits mit dem Ball in Richtung Tor laufenden Gegner und dabei mit einer solchen Fußhaltung und Wucht, daß er diesen in Höhe des mittigen Wadenbeins trifft mit der Folge eines offenen Bruchs von Waden- und Schienbein mit Aussplitterung des Knochens nach vorne, dann läßt sich diese Aktion wegen ihres hohen Verletzungsrisikos auch dann nicht mehr als lediglich im Grenzbereich zwischen Härte und Unfairneß liegend entschuldigen, wenn der Angreifer dabei gemeint hatte, es bestehe noch eine realistische Chance, an den Ball zu kommen.
OLG Stuttgart 7. Zivilsenat

Urteil vom 9.3.2000

AZ: 7 U 166/99 LG Stuttgart, 22 O 372/98

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 24.02.2000 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Prof. Meissner,

des Richters am OLG Ruf und

des Richters am LG Andelfinger

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 02.07.1999 unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 33.270,69 zu bezahlen nebst 4 % Zinsen aus DM 25.000,00 seit 14.02.1998 und aus DM 8.270,69 seit 18.09.1998.

2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 14.02.1998 anläßlich des Fußballspiels FC G gegen VfL N künftig entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

II. Von den Kosten des Verfahren in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für das Berufungsverfahren: DM 59.610,74

Wert der Beschwer für den Kläger: DM 21.340,05

Wert der Beschwer für den Beklagten: DM 38.270,69

Aus den Gründen:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und führt in der Sache auch zu einem Teilerfolg, weil ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach besteht, nicht aber in der geltend gemachten Höhe.

1.

Nach ganz herrschender Meinung unterliegt die Haftung für Verletzungen bei einem Fußballspiel besonderen Voraussetzungen, um dadurch dem Umstand gerecht zu werden, daß hier alle Beteiligte einvernehmlich einen mit üblicherweise auch körperlichem Einsatz geführten Wettkampf betreiben, der - wie den Spielern auch bewußt ist - die erhöhte Gefahr der Zufügung gegenseitiger Verletzungen in sich birgt. Es muß daher zum einen ein (objektiver) Regelverstoß vorliegen und zum anderen bei der Frage, ob er schuldhaft begangen worden ist, die Besonderheit des Wettkampfsports berücksichtigt werden. Denn Hektik und Eigenart des Fußballspiels als blitzschnelles Kampfspiel fordern von dem einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er in Bruchteilen einer Sekunde Chancen abwägen und Risiken eingehen muß, um dem Spielzweck erfolgreich Rechnung zu tragen. Bei einem so angelegten Spiel darf der Maßstab für einen Schuldvorwurf nicht allzu streng bemessen werden. Liegt das regelwidrige Verhalten noch im Grenzbereich zwischen der einem solchen Kampfspiel eigenen gebotenen Härte und einer unzulässigen Unfairneß, so ist ein haftungsbegründendes Verschulden nicht gegeben (OLG Hamm, VersR 99, 1115 sowie VersR 98, 68 und 69, jeweils unter Bezugnahme auf BGH VersR 76, 591).

2.

Der Regelverstoß ist erwiesen, im übrigen aber auch unstreitig. Denn der Beklagte hat bei seinem Hineingrätschen in die Laufrichtung des Klägers tatsächlich nicht den Ball getroffen, sondern den rechten Unterschenkel des Klägers in Höhe der Mitte des Schien- und Wadenbeins. Nach der für das ausgetragene Fußballspiel geltenden Regel 12 des Deutschen Fußballbundes - die auch für Freundschaftsspiele gilt - darf ein Spieler aber nur gegen den Ball, nicht gegen den Gegner treten.

Dieser Tritt ist - ebenso unstreitig - auch Ursache für die schwere Verletzung des Klägers gewesen. Damit steht fest, daß der Beklagte durch einen (objektiven) Regelverstoß die Körperverletzung des Klägers verursacht hat.

3.

Bei der Frage des Verschuldens hat das Landgericht auf der oben dargestellten rechtlichen Grundlage zunächst zutreffend die Frage aufgeworfen, ob der Angriff des Beklagten darauf gerichtet war, den Ball zu treffen und dadurch der Kontrolle des ballführenden Klägers zu entziehen, dabei aber absichtslos fehlgegangen ist oder ob eine Spielsituation vorgelegen hatte, bei der es aus Sicht des Beklagten als aussichtslos erscheinen mußte, den Ball zu treffen und sein Angriff daher tatsächlich nur noch dem Kläger selbst gelten konnte in der Absicht, ihn dadurch an der weiteren Ballführung zu hindern (also schlagwortartig: Sollte - regelkonform - der Ball vom Gegner oder sollte - regelwidrig - der Gegner vom Ball getrennt werden). Dabei hat das Landgericht auch konsequent die Prüfung der Frage ins Zentrum seiner Feststellungen gestellt, ob der Kläger den Ball beim Angriff des Beklagten praktisch noch am Fuß oder aber bereits so weit vorgelegt hatte, daß die "Grätsche" des Beklagten gar keine realistische Chance mehr bieten konnte, den Ball zu treffen und deshalb nur noch geeignet gewesen war, den Kläger durch einen Tritt zu Fall zu bringen, ein Vorhaben, das auch unter den Maßstäben des Wettkampfspiels nicht nur als Verstoß gegen die Wettkampfregel, sondern auch als grobe Verletzung des Fairneßgebots anzusehen wäre und daher in jedem Fall hätte unterbleiben müssen.

Dem Landgericht ist auch dahin Recht zu geben, daß die Beweisaufnahme jedenfalls nicht zweifelsfrei den Nachweis dafür erbringen konnte, bei der konkreten Spielsituation habe beim Angriff des Beklagten keinerlei Aussicht (mehr) bestanden, den Ball noch zu erreichen, ohne dabei den Kläger zu verletzen.

4.

Diese allein auf die Frage nach der Lage des Balls ausgerichtete Prüfung wird nach Ansicht des Senats aber der konkreten Situation nicht völlig gerecht, da hierdurch besonderen Umständen des Sachverhalts nicht genügend Beachtung geschenkt ist, die für das Überschreiten der Grenze zwischen gerade noch (trotz objektivem Regelverstoß) erlaubter Härte und unzulässiger grober Unfairneß sprechen.

Dabei ist zunächst festzuhalten, daß das sogenannte "Abgrätschen" des ballspielenden Gegners zwar eine übliche und durchaus auch erlaubte Technik ist, soweit sie dem Ball und nicht dem Gegner gilt. Sie ist aber auch bei einer solchen lediglich dem Ball geltenden Absicht dennoch mit einem hohen Verletzungsrisiko behaftet, da es hierbei leicht - etwa im Übereifer, wegen Fehleinschätzung der Situation, insbesondere von Bewegungsrichtungen, wegen mangelhafter Kontrollmöglichkeit des eigenen grätschenden Körpers oder auch eigener technischer Unfertigkeiten - auch oder sogar ausschließlich zu einem Tritt gegen die Beine des Gegners kommen kann. Dies insbesondere dann, wenn das Grätschen nicht gegenüber einem stehenden, den ruhenden Ball kontrollierenden Gegner erfolgt, sondern - wie unstreitig hier - gegenüber einem Gegner, der sich bereits im Lauf befindet und sich den Ball nun vielleicht beim Ansetzen der Grätsche zwar noch nicht um eine vom Angreifer nicht mehr erreichbare Strecke vorgelegt hat, jedoch aber, da ja in Bewegung Richtung Tor befindlich, dies jeden Sekundenbruchteil ausführen kann und wird; dies zu verhindern, ist ja gerade der Sinn der Grätsche.

Es ist bereits aus diesem Grund - über die Aussage in den oben zitierten Entscheidungen hinaus - ernsthaft zu überlegen, ob dem in einer solchen Situation von hinten oder zumindest von seitlich hinten kommenden Spieler nicht generell die Unterlassung einer derart gefährlichen Aktion zu gebieten und deshalb die Ausführung in solchen Fällen generell als grober Verstoß gegen die Gebote der Fairneß anzusehen wäre, unabhängig davon, ob aus seiner Sicht vielleicht tatsächlich doch noch eine realistische Chance bestehen könnte, den Ball und nicht den Gegner zu treffen. Diese Überlegung kann aber letztlich dahin stehen, weil hier noch weitere Besonderheiten zu beachten sind.

Der Beklagte hat dieses Grätschen mit gestrecktem Fuß (diese Behauptung des Klägers ist nicht bestritten und sogar von eigenen Zeugen des Beklagten bestätigt worden) von hinten (getroffen ist die Wade) und dabei mit einer solchen Wucht ausgeführt, daß ein offener Bruch von Waden- und Schienbein eingetreten ist mit Aussplitterung der Knochen nach vorne. Die Fußhaltung des Beklagten bei dieser Aktion war überdies so hoch, daß das Wadenbein mittig betroffen worden ist, eine Tritthöhe, bei der die Annahme schwerfällt, es sollte der - unstreitig - auf dem Boden befindliche Ball und nicht der weglaufende Gegner selbst am Sein getroffen werden.

Lassen diese Umstände nicht ohnehin bereits die Überzeugung zu, daß tatsächlich nicht der Ball, sondern nur noch der Gegner angegriffen werden sollte, so ist doch zumindest die Annahme gerechtfertigt, daß ein derart von hinten in Richtung auf einen mit dem Ball nach vorne weglaufenden Gegner geführter Angriff auch aus Sicht des wettkampfgestreßten und übereifrigen Spielers ein derart hohes Verletzungsrisiko in sich birgt, daß er keinesfalls mehr als sich bloß im Grenzbereich zwischen Härte und Unfairneß liegend entschuldigt werden kann. Hinzu kommt, daß es sich ja auch lediglich um ein Freundschaftsspiel gehandelt hat, bei dem zwar sicher jeder Mitspieler sein Bestes geben will, dabei aber zumindest stillschweigend ein gewisser Vertrauenstatbestand dahin besteht, es werde wegen der vergleichsweise geringeren Bedeutung nicht so sehr "zur Sache gegangen" und im Zweifel auch mal eher der Fuß zurückgezogen wie bei einem mehr ergebnisorientierten regulären Wettkampfspiel und bei dem daher an die Gebote der Fairneß und damit auch an den Maßstab der gebotenen und erforderlichen Sorgfalt höhere Anforderungen gestellt werden dürfen.

Eine Haftung des Beklagten ist daher zu bejahen, ohne daß es auf die vom Landgericht als offen angesehene Beweisfrage ankäme, ob aus Sicht des Beklagten überhaupt eine realistische Chance darauf bestanden hatte, den Ball ohne Verletzung des Klägers zu erreichen. Die Art und Weise seiner Aktion, mit der er diese (vermeintliche) Chance nutzen wollte, beinhaltete ein derart hohes Gefahrenmoment, daß sie unbedingt hätte unterbleiben müssen und daher auch unter den besonderen Bedingungen eines Fußballspiels als unentschuldbar angesehen werden muß.

5.

Anspruchshöhe

a) Schmerzensgeld:

Die Verletzung des Klägers (offene Unterschenkelfraktur rechts) und die behaupteten Folgen einschließlich der behaupteten Dauerfolge sind vom Beklagten nicht bestritten worden. Der jetzt 26 Jahre alte Kläger war für 6 1/2 Monate zu 100 % arbeitsunfähig, war einmal für ca. drei Wochen und einmal für ca. eine Woche in stationärer Behandlung, wobei zwei operative Eingriffe erfolgt sind. Der Heilungsverlauf hat sich in der Folge als langwierig und problematisch erwiesen, insbesondere zeigt sich an der Bruchstelle bis heute ein Spalt, welcher wahrscheinlich nie wieder vollständig verheilen wird. Als Dauerschaden wird über eine Pseudoarthrose des rechten Unterschenkels, eine Beugekontraktur sowie eine Fehlstellung der Zehen am rechten Unterschenkel und ein fortdauerndes Taubheitsgefühl geklagt mit der - auch insoweit unbestritten gebliebenen - Behauptung, daß er nie mehr werde Sport ausüben können und ihm bereits das normale Gehen nach einiger Zeit große Schmerzen bereite sowie auch jedwede sonstige Art von Belastung nach längstens einer halben Stunde.

Angesichts dieser Verletzungen und deren Folgen, dabei aber auch unter Berücksichtigung des Umstands, daß dem zwar ein grob unsportliches Verhalten, nicht aber eine Verletzungsabsicht zugrunde liegt, hält der Senat auch im Hinblick auf vergleichbare Fallgestaltungen in der veröffentlichten Rechtsprechung einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von DM 25.000,00 für angemessen.

b) Materieller Schaden:

Die Attestkosten mit DM 180,96 und DM 109,56 sowie der verletzungsbedingte Mehraufwand an Versicherungsbeiträgen in Höhe von DM 606,60 sind unstreitig. Ebenso unstreitig gebleiben ist der nachgebesserte Vortrag zum Haushaltsführungsschaden in der Zeit bis August 1998 (also der Zeit seiner 100 %igen Arbeitsunfähigkeit, wobei er sich bis Juli 1998 nur an Krücken bewegen konnte), der den insoweit geltend gemachten Betrag von DM 8.714,22 grundsätzlich rechtfertigt. Allerdings ist für die Zeit der stationären Behandlung von insgesamt ca. einem Monat ein Betrag von DM 1.340,65 abzusetzen, so daß noch DM 7.373,57 verbleiben.

6.

Da der Kläger unwidersprochen und schlüssig die Gefahr von Spätfolgen dargetan hat, war dem Feststellungsantrag bezüglich künftig materieller und immaterieller Schäden stattzugeben.

7.

Bei den Zinsen waren - dem Antrag entsprechend - die verschiedenen Anfangszeiten für den immateriellen und den materiellen Schaden zu berücksichtigen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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