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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 25.08.2005
Aktenzeichen: 7 U 94/05
Rechtsgebiete: AUB


Vorschriften:

AUB § 2 II (2)
Das in schlaftrunkenem Zustand erfolgte Einatmen von verabreichtem Hustensaft fällt nicht unter den Unfallversicherungsschutz (AUB 94). Der hierdurch verursachte Tod ist als Folge einer Heilmaßnahme vom Versicherungsschutz ausgenommen.
Oberlandesgericht Stuttgart 7. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 94/05

Verkündet am 25. August 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2005 unter Mitwirkung von

Richter am Oberlandesgericht Taxis Richter am Oberlandesgericht Schüler Richter am Landgericht Schulte

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20.04.2005 (18 O 28/05) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert der Berufungsverfahrens: bis 65.000,00 €

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin aus einer Unfallversicherung ihres verstorbenen Ehemannes.

1. Der an Leukämie erkrankte Ehemann der Klägerin befand sich seit dem 27.04.2001 stationär in der Uniklinik F.. Nach dem Auftreten von hohem Fieber seit dem 02.05.2001 erhielt er am 06.05.2001 Paracetamolsaft. Bei der Einnahme kam es zu einem Hustenanfall. Er starb am 24.06.2001, laut Schreiben des Prof. Dr. M. vom 24.06.2001 an einer progredienten Pneumonie (fortschreitenden Lungenentzündung) und einem refraktärem Leukämie-Rezidiv (hartnäckigem nicht therapierbaren Leukämierückfall). Die Klägerin ist der Auffassung, das in schlaftrunkenem Zustand erfolgte Einatmen des Hustensafts sei als Unfall anzusehen, die Heilbehandlungsklausel in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen für Kinder und Erwachsene mit Leistungen (im folgenden AUB 94) greife nicht. Nach Auffassung der Beklagten fehlt es am Unfallmerkmal, denn das Einatmen erfolgte willensunabhängig und es fehle ein plötzlich von außen einwirkendes Ereignis, außerdem liege der Ausschlussgrund einer Heilbehandlungsmaßnahme vor.

2. Das Landgericht hat die ursprüngliche Stufenklage auf Abrechnung und Zahlung abgewiesen. Der Ehemann der Klägerin sei nicht aufgrund eines Unfallereignisses verstorben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das landgerichtliche Urteil vom 20.04.2005 Bezug genommen (Blatt 87 - 95).

3. Mit der Berufung rügt die Klägerin eine Rechtsverletzung im Sinne des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, da das Landgericht zu Unrecht ein Unfallereignis verneint habe. Es sei schon allein deshalb von einem Unfall auszugehen, weil durch eine fehlerhafte Verabreichung des Hustensafts die Flüssigkeit von außen in die Lunge des Ehemannes der Klägerin gelangt sei. Insoweit sei schon auf das Einbringen in den Mund und nicht auf das Einatmen des Hustensafts abzustellen. Da der Schutzreflex des Abhustens funktioniert habe könne nicht die Rede davon sein, dass der Saft allein durch willensunabhängiges Atmen in die Lunge gelangt sei. Die maßgeblichen Vorgänge seien durch den Antrag auf Beiziehung der Pflegedokumentation ausreichend unter Beweis gestellt worden. Es sei von einem plötzlichen Ereignis auszugehen, da insoweit nur auf die Einwirkung als solche abzustellen sei. Aus dem Schreiben Prof. Dr. M. ergebe sich ein neu festgestelltes Infiltrat auf der linken Seite. Insoweit sei die progrediente Pneunomie Auslöser für den Tod des Patienten gewesen, zumal das Leukämie-Rezidiv beherrscht und unter Kontrolle war. Der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 2 AUB 94 greife nicht, da die Gesundheitsschädigung nur gelegentlich einer fehlerhaft durchgeführten Heilmaßnahme entstanden sei, nicht aber durch die von dieser Maßnahme ausgehenden eigentümlichen Gefahr verursacht wurde.

Die Klägerin beantragt nunmehr, das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20.04.2005 (AZ: 18 O 28/05) wie folgt abzuändern:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.129,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

4. Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass kein Unfall im Sinne der AUB 94 vorliege. Der Paracetamolsaft sei durch den willensunabhängigen Vorgang des Einatmens in die Lunge gelangt, nicht durch das Abhusten. Im Übrigen habe die Beklagte immer bestritten, dass der Saft infolge einer Aspiration in die Lunge gelangte und die Medikamentengabe fehlerhaft erfolgt sei. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich kein neues Infiltrat links. Es bleibe bei dem Vortrag erster Instanz, dass der Ausschlussgrund einer Heilmaßnahme gelte und die Kausalität des Vorgangs für den späteren Tod bestritten werde.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es kann offen bleiben, ob es schon an einem Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen fehlt. Unabhängig von der Frage der Kausalität liegt der Ausschlussgrund einer Heilmaßnahme vor.

1. Auf den Versicherungsvertrag sind die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen für Kinder und Erwachsene mit Leistungen (AUB 94) anzuwenden.

2. Ob die Einnahme des Paracetamolsaftes als Unfall im Sinne der AUB 94 angesehen werden kann, muss nicht entschieden werden.

3. Die Beklagte kann sich auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 94 berufen. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 der AUB 94 fallen nicht unter den Versicherungsschutz "Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe, die die versicherte Person an ihrem Körper vornimmt oder vornehmen lässt. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Eingriffe oder Heilmaßnahmen, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren." (B 1, Blatt 49). Zweck dieses Ausschlusses ist die mit einer gewollten Behandlung des menschlichen Körpers verbundenen erhöhten Gefahren vom Versicherungsschutz auszunehmen. Heilmaßnahmen sind alle zu therapeutischen Zwecken erfolgenden Maßnahmen oder Handlungen der versicherten Person oder eines Dritten, der nicht zwingend ein Arzt sein muss. Es spielt ebenfalls keine Rolle, ob die Heilmaßnahme medizinisch indiziert war oder ob die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt wurde. Für einen Ausschluss ist nur erforderlich, dass die Gesundheitsschädigung als adäquate Folge einer Heilmaßnahme eintritt. Allerdings muss sich dabei eine Gefahr verwirklicht haben, die der durchgeführten Heilmaßnahme eigentümlich ist. Es darf sich also nicht nur um eine Schädigung handeln, die lediglich zufällig aus Anlass einer Heilbehandlung eingetreten ist und zu den Risiken des täglichen Lebens zählt (BGH VersR 1988, 1148 [1149]; OLG Koblenz NVersZ 2002, 216; OLG Saarbrücken VersR 1997, 956 [958]; OLG Schleswig VersR 2003, 587; OLG Hamm VersR 1979, 1100).

Der von der Klägerin zitierte und vom OLG Saarbrücken (VersR 1997, 956 [958]) entschiedene Fall ist insoweit nicht vergleichbar, denn das Umstoßen einer mit heißer Flüssigkeit gefüllten Inhalationsschale gehört anders als die Einnahme eines Medikaments und den dabei drohenden Gefahren zum nicht gedeckten allgemeinen Lebensrisiko.

Die Gabe des Paracetamolsaftes zur Fiebersenkung war eine medizinisch indizierte Heilmaßnahme im oben genannten Sinne. Dass es bei der Einnahme zum Einatmen des Saftes und dem Hustenanfall kam ist eine bei der Einnahme von flüssigen Medikamenten typische Gefahr, weshalb die von der Klägerin behauptete darauf beruhende Lungenentzündung als adäquate Folge der Gesundheitsschädigung anzusehen ist. Gerade im Zusammenhang mit dem Schlucken von flüssigen Medikamenten kann es im Hinblick auf deren Geruch oder Geschmack zu körperlichen (Abwehr-) Reaktionen kommen, die dazu führen, dass der Patient das Medikament nicht wie gedacht sofort und einfach herunterschluckt, sondern gleichzeitig Luft holt und es deshalb zur Aufnahme in die Luftröhre und oder Lunge kommt. Die behauptete Gesundheitsschädigung liegt damit nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, kann also als adäquat kausal angesehen werden.

II.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die teilweise Rücknahme der Berufung bleibt mangels Gebührensprung ohne Auswirkungen auf den Streitwert. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, denn vorliegend war ein Einzelfall zu entscheiden. Die Frage des Vorliegens einer Heilbehandlungsmaßnahme ist höchstrichterlich geklärt.

Ende der Entscheidung

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