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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 17.06.2008
Aktenzeichen: 8 W 239/08
Rechtsgebiete: ZPO, RVG, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
RVG § 7 Abs. 1
RVG-VV Nr. 1008
Zur Erstattungsfähigkeit gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Erhöhungsgebühr nach § 7 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 1008 RVG-VV in der Übergangszeit zwischen der Grundsatzentscheidung des 5. Zivilsenats des BGH vom 2. Juni 2005 (NJW 2005, 2061) zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft - beschränkt auf die Teilbereiche des Rechtslebens, bei denen die Wohnungseigentümer im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnehmen - und den Urteilen des 7. Zivilsenats des BGH vom 12. April 2007 (NJW 2007, 1952: Mängel des Gemeinschaftseigentums; NJW 2007, 1957: Bauträgerbürgschaft) zur Befugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft als rechts- und parteifähiger Verband, auch die Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 239/08

17. Juni 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Mängelbeseitigungsvorschuß; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 28. April 2008, Az. 23 O 236/07, abgeändert:

Auf Grund des gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2008 sind von der Beklagten an die Klägerin an Kosten zu erstatten:

weitere 2.856,00 Euro, damit insgesamt 15.764,66 Euro,

nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 1. Februar 2008.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 2.856,00 Euro

Gründe:

1.

Nach vorausgegangenem Beweisverfahren (Landgericht Stuttgart, Az. 23 OH 4/06), das von den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft am 27. Februar 2006 eingeleitet worden war, reichte die Klägerin nunmehr als rechtsfähiger Verband "..." am 23. November 2007 eine Vorschussklage bezüglich der Kosten für die Beseitigung von Putzschäden gegen die Beklagte beim Landgericht Stuttgart ein. Mit Urteil vom 22. Januar 2008 wurde der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des selbstständigen Beweisverfahrens wurden der Beklagten auferlegt.

Dem am 1. Februar 2008 eingegangenen Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin entsprach die Rechtspflegerin mit Ausnahme der 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 RVG-VV von 2.400 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 456 €, insgesamt 2.856 €.

Gegen den diesen Betrag nicht enthaltenden, am 19. Mai 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. April 2008 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 29. Mai 2008 sofortige Beschwerde eingelegt und auf die Rechtsprechung des BGH seit der Entscheidung vom 2. Juni 2005, Az. V ZB 32/05 (NJW 2005, 2061) zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft hingewiesen.

Die Beklagte hat zu dem Rechtsmittel keine Stellungnahme abgegeben und die Rechtspflegerin hat die Akte ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Die Erhöhungsgebühr von 2,0 nach § 7 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 1008 RVG-VV ist gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung erstattungsfähig.

Gemäß Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 (NJW 2005, 2061) ist die Wohnungseigentümergemeinschaft teilrechtsfähig, so dass sie im Verfahren hinsichtlich der das Verwaltungsvermögen betreffenden Forderungen und Verbindlichkeiten als solche klagen und verklagt werden kann. Auf Grund dieser neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es in solchen Fällen nicht mehr notwendig im Sinn des § 91 ZPO, dass sämtliche Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Prozess beauftragen, sondern es genügt, wenn die Eigentümergemeinschaft selbst einen Rechtsanwalt mandatiert. Eine Erhöhung nach Nr. 1008 RVG-VV fällt dann grundsätzlich nicht mehr an.

Die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch sämtliche Miteigentümer entstandenen Kosten können allerdings in vollem Umfang als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen sein, wenn diese neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft zum Zeitpunkt der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten noch nicht bekannt sein konnte bzw. musste (vgl. BGH ZMR 2006, 184; JurBüro 2004, 145; NJW 2002, 2958; jeweils zur vergleichbaren Problematik der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der GbR).

Bis dahin sah die überwiegende Auffassung die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht als rechtsfähig an (vgl. die Nachweise in BGH NJW 2005, 2061), so dass die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft Klage erheben mussten. Im Rahmen ihrer Pflicht, auch im Interesse der Gegenpartei ein möglichst kostensparendes Vorgehen zu wählen, waren sie nicht gehalten, mit der Durchführung der Verfahren einen Wohnungseigentümer oder den Verwalter in gewillkürter Prozessstandschaft zu beauftragen (OLG Zweibrücken ZMR 2005, 985 m. w. N.; BGH NJW 2002, 2958 für die GbR; BGH NJW 2007, 1464 für die WEG).

Der Rechtsanwalt, der eine Wohnungseigentümergemeinschaft vertrat, konnte deshalb eine erhöhte Verfahrensgebühr gem. § 7 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 1008 RVG-VV geltend machen, weil eine Wohnungseigentümergemeinschaft eine Mehrheit von Auftraggebern darstellte (BGH JurBüro 1984, 377).

Unter Berücksichtigung der Anzahl der Wohnungseigentümer belief sich die Erhöhungsgebühr auf maximal 2,0 - wie vorliegend geltend gemacht.

Die Grundsatzentscheidung des 5. Zivilsenats des BGH vom 2. Juni 2005 (NJW 2005, 2061) legte fest, dass die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht umfassend, sondern auf die Teilbereiche des Rechtslebens beschränkt ist, bei denen die Wohnungseigentümer im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnehmen. Es ergingen danach Folgeentscheidungen zur Teilrechtsfähigkeit und zur Mehrvertretungsgebühr des Rechtsanwalts (BGH/7. Zivilsenat NJW 2007, 1464; BGH/8. Zivilsenat NJW 2007, 2987; BGH/5. Zivilsenat NJW-RR 2007, 955).

Mit seinen Urteilen vom 12. April 2007, VII ZR 236/05 (Mängel des Gemeinschaftseigentums; NJW 2007, 1952) und VII ZR 50/06 (Bauträgerbürgschaft; NJW 2007, 1957), stellte der 7. Zivilsenat des BGH klar, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft als insoweit rechts- und parteifähiger Verband befugt ist, die Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen. Im Einzelnen wird auf die Darlegungen in den vorgenannten Entscheidungen Bezug genommen.

Unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Entscheidungen zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kennenmüssen neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung war diejenige zur grundsätzlichen Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft zwar bei der Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens bekannt, nicht aber in ihrer Ausgestaltung, die sie durch die Urteile des 7. Zivilsenats vom 12. April 2007 erfahren hat und zu deren Klarstellung sich der BGH veranlasst sah.

Diese weiterführende Rechtsprechung hat die Klägerin bei der Klageeinreichung berücksichtigt.

Die zuvor verbliebene Rechtsunsicherheit über den Umfang der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft und die hieraus resultierende Einleitung des Beweisverfahrens durch sämtliche Eigentümer, kann der Klägerin im Rahmen ihrer Pflicht zum kostengünstigen Verhalten nicht angelastet werden.

Die früheren Entscheidungen des Senats vom 30. August 2005, Az. 8 W 378/05, und vom 22. August 2007, Az. 8 W 428/07, stehen dieser Schlussfolgerung nicht entgegen, da sie sich mit der vorliegend zu entscheidenden Problematik nicht befassen.

Im Zeitpunkt der Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens lag damit die weiterführende und hier einschlägige Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft noch nicht vor und aus der vorausgegangenen Grundsatzentscheidung vom 2. Juni 2005 (BGH NJW 2005, 2061) musste der Rechtsanwalt nicht zwingend schließen, dass sich diese auch auf die Geltendmachung der Rechte der Erwerber wegen Mängeln an der Bausubstanz des Gemeinschaftseigentums bezieht. Er durfte deshalb noch ohne erstattungsrechtliche Nachteile davon ausgehen, dass er im Namen der einzelnen Wohnungseigentümer klagen muss bzw. kann (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 1008 RVG-VV Rdnr. 297 und 298 m. w. N.) -oder aber den Beweissicherungsantrag einreichen muss bzw. kann.

Die 2,0-Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 Anm. III RVG-VV in Höhe von 2.400 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer (Nr. 7008 RVG-VV i. V. m. § 8 Abs. 1 RVG; Hartmann, Kostengesetze, 38 Aufl. 2008, Nr. 7008 RVG-VV Rdnr. 12 und 14) von 456 € ist damit bei der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens nach Nr. 3100 RVG-VV (Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 3), die nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 5 auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits angerechnet wird (Müller-Rabe, a. a. O., Anh. III Rdnr. 26), nicht nur angefallen, sondern auch als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung erstattungsfähig gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Damit war dem Rechtsmittel der Klägerin in vollem Umfang stattzugeben und der angefochtene Beschluss dahingehend abzuändern, dass weitere 2.856,00 €, insgesamt 15.764,66 € an Kosten von der Beklagten an die Klägerin zu erstatten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Eine Gerichtsgebühr ist nach Nr. 1812 GKG-KV nicht angefallen.

Ende der Entscheidung

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