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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 8 W 312/07
Rechtsgebiete: VBVG, HeimG


Vorschriften:

VBVG § 5 Abs. 2
VBVG § 5 Abs. 3
HeimG § 1 Abs. 2
1. Bei der Berechnung der Betreuervergütung nach § 5 Abs. 2 S 1 Nr. 4 VBVG (mittellos/Heim) oder nach § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VBVG (mittellos/nicht im Heim) fällt die Unterbringung in einer Pflegefamilie im Regelfall nicht unter den Heimbegriff des § 5 Abs. 3 VBVG i. V. m. § 1 Abs. 2 HeimG (Beschluss des Senats vom 25. Oktober 2007, Az. 8 W 313/07; entgegen OLG Oldenburg FamRZ 2006, 1710).

2. Eine Ausnahme kann jedoch dann vorliegen, wenn die Unterbringung in der Pflegefamilie von einem Heimträger veranlasst und von diesem überwacht wird, weil die Pflegefamilie in die Gesamtorganisation des Heimträgers integriert ist.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 312/07

11. Oktober 2007

In der Betreuungssache

wegen Festsetzung der Betreuervergütung

hier: sofortige weitere Beschwerde der Staatskasse

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart

durch Vorsitzenden Richter am OLG Dr. Tolk, Richterin am OLG Dr. Zeller-Lorenz und Richter am OLG Grüßhaber

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors vom 03.08.2007 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 09.07. 2007 abgeändert.

Die sofortige Beschwerde der Betreuerin gegen den Beschluss des Notariats II - Vormundschaftsgericht - Gaildorf vom 6.März 2007, mit dem die aus der Staatskasse zu bezahlende Vergütung der Betreuerin für den Zeitraum vom 01.02.2006 - 31.01.2007 auf 1.056,00 € festgesetzt worden ist, wird zurückgewiesen.

2. Die Betreuerin hat die Gerichtskosten des Erstbeschwerdeverfahrens zu tragen. Das Verfahren der weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Wert des Erstbeschwerdeverfahrens: 792,00 €

Gründe:

I.

Gegenstand dieses Verfahrens ist die Festsetzung der Betreuervergütung. Streitig ist, ob die Unterbringung des Betreuten in einer Familie einer Heimunterbringung gleichzusetzen ist.

Der am 08.11.1964 geborene Betreute leidet an einer geistigen Behinderung, auf Grund deren er nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten ohne fremde Hilfe zu besorgen. Deshalb wurde für ihn mit Beschluss des Notariats II - Vormundschaftsgericht - Gaildorf vom 10. November 1997 Frau ... zur Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge mit Zustimmung zur ärztlichen Behandlung bestellt. Der Betreute lebte von 1972 bis 1985 vollstationär in einem Heim der Diakonie ... e.V., die dann seine Unterbringung in einer Pflegefamilie (Bauernhof mit Viehzucht) veranlasste, wo er im Rahmen der Familienpflege weiterhin durch die Diakonie ... betreut wird. Die Einzelheiten sind in dem Familienpflegevertrag vom 23.01.2004 zwischen der Diakonie ... e.V. als Träger, der Pflegefamilie ... und dem Betroffenen (Klient) geregelt. Die Betreuerin hat dem Vertag zugestimmt.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2002 wurde die Betreuung in dem bisherigen Umfang verlängert.

Der Betreute ist mittellos. Die Vergütung der Betreuerin erfolgt deshalb aus der Staatskasse.

In ihrem Bericht vom 31.01.2003 an das Vormundschaftsgericht teilte die Betreuerin unter Ziff. 2 " Gesundheitliche Situation" mit, dass Arztbesuche selbstständig von der Pflegefamilie organisiert würden und dass Herr ... von der Familienpflege regelmäßige Besuche mache und Probleme mit der Familie durchspreche. Unter Ziff. 4 "Perspektiven" führte die Betreuerin weiter aus, dass die Familie, in der der Betroffene untergebracht ist, die ideale Pflegefamilie sei. Die Familie verstehe es in sehr guter Art und Weise auf den Betroffenen einzugehen und seine Interessen zu berücksichtigen. Da von Seiten der Familienpflege die Betreuung nahezu vollständig übernommen werde, mache sie nur selten Besuche bei dem Betroffenen. Im vergangenen Berichtszeitraum habe sich gar kein Besuch ergeben.

Aus dem Bericht vom 4. Februar 2004 ergibt sich (unter Ziff. 4 "Perspektiven"),dass der Betroffene immer wieder versucht, Geschäfte zu tätigen, die dann rückgängig gemacht werden müssen, wobei dies auch durch die Pflegefamilie vorgenommen wird.

Nach dem Bericht der Betreuerin vom 29. Januar 2005 wird das Sparbuch des Betroffenen, auf das dieser sein Taschengeld einbezahlt erhält, von der Pflegefamilie und dem Betroffenen selbst verwaltet.

Mit Rechnung vom 25. Januar 2007 machte die Betreuerin für den Zeitraum vom 1.2.2006 bis zum 31.1.2007 gem. § 4 VBVG in Verbindung mit § 5 VBVG eine pauschale Vergütung für 42 Stunden a 44 € in Höhe von insgesamt 1.589,75 € zzgl. Umsatzsteuer (Gesamtbetrag 1.848,00 €) geltend. Der Berechnung liegt ein Ansatz von 3,5 Std. für eine mittellose, nicht in einem Heim untergebrachte Personen zugrunde (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 VBVG).

Dem Vorhalt des Vormundschaftsgerichts, dass die Familienpflege bei Vorlage eines entsprechenden Vertrags als "Heimunterbringung" im Sinn des § 5 Abs. 3 BVVG anzusehen sei, trat die Betreuerin mit Schreiben vom 24.02.2007 entgegen. Bei der Unterbringung in einer Familien handle es sich um eine Wohnform des betreuten Wohnens, in der Behinderte in eine Familie aufgenommen würden und als Familienmitglieder ambulant in dieser Familie lebten. Diese Wohnform habe mit einem Heimalltag nichts gemein. Der Betreute lebe bei Familie ..., werde von Frau ... in Bezug auf Essen und Trinken versorgt und helfe im Haus und im Betrieb nach seinen Möglichkeiten mit. Die Familie zahle ihm dafür einen Lohn in Höhe von 67.-- € pro Monat. Die Familie habe Anspruch auf 28 Tage Urlaub im Jahr. Auch dies sei eine Besonderheit, die mit einem Heimaufenthalt, also einer stationären Wohnform nichts gemein habe, sondern einer ambulanten Wohnform entspreche. Die Diakonie ... als Träger berate die Familie fachlich in Bezug auf die Behinderung und die Besonderheiten, die sich daraus ergäben.

Mit Beschluss vom 6. März 2007 setzte das Vormundschaftsgericht die Vergütung nach § 1836 Abs. 2 BGB für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 31.01.2007 auf 1.056.-- € fest. Gegen diesen Beschluss legte die Betreuerin mit Schreiben vom 12.03.2007 Beschwerde ein. Der Notar legte die Akten ohne Abhilfe dem Landgericht zur Entscheidung vor. Der Bezirksrevisor nahm am 26.03.2007 Stellung. Er beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Er ist der Ansicht, dass es sich bei der Unterbringungsmaßnahme durch den Familienpflegevertrag der Diakonie ... e.V. mit der Familie ... nicht um eine Maßnahme des betreuten Wohnens, sondern um eine heimgemäße Unterbringung handle, weshalb der Stundenansatz gem. § 5 Abs. 2 Ziff. 4 BVGV zu erfolgen habe und damit zwei Stunden im Monat betrage.

Die Betreuerin trat den Ausführungen des Bezirksrevisors mit Schreiben vom 24.04.2007 entgegen. Sie ist der Ansicht, das Leben in der Familie sei nicht mit Heimkriterien vergleichbar. Die Versorgung erfolge als Familienmitglied und richte sich nach dem individuellen Tagesablauf und dem Leben in der Familie sowie den Bedürfnissen der betreuten Person. Bei den Familienmitgliedern handle es sich zudem nicht um gelernte oder angelernte Pflegekräfte, sondern um Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, einen behinderten Menschen in ihrer Familie aufzunehmen und mit diesem gemeinsam zu leben. Es gebe keine festgelegten Tagesabläufe und keine Richtlinien, nach denen eine Pflege oder Versorgung stattzufinden habe; dies geschehe individuell. Der Gesetzgeber habe mit dem zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz eine einfache Handhabung und Regelung gewünscht, bei der ganz klar festgelegt wurde, dass nach zwei Personengruppen unterschieden wird: ambulant Betreute und Menschen in stationären Einrichtungen. Der Aufwand im Einzelfall sei irrelevant.

Mit Beschluss vom 09.07. 2007 änderte das Landgericht auf die Beschwerde der Betreuerin den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 06.03.2007 ab und setzte die der Betreuerin auszuzahlende Vergütung - wie beantragt - auf 1848.-- € fest. Es folgte der Argumentation der Betreuerin, dass die Unterbringung des Betroffenen nicht einer Heimunterbringung gleichzusetzen sei. Die weitere Beschwerde wurde zugelassen.

Gegen den ihm am 23.07.2007 zugestellten Beschluss legte der Bezirksrevisor am 03.08.2007 weitere Beschwerde ein. Die Betreuerin nahm nochmals hierzu Stellung.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die Stellungnahmen der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die weitere Beschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Landgericht statthaft und auch sonst zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29, 20, 22 Abs. 1, 56g Abs. 5 S. 2, 69e FGG). Sie hat auch in der Sache Erfolg, da die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 27 Abs. 1 FGG i. V. m. § 546 ZPO) beruht.

Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet wurde. Vorliegend geht es um die Subsumtion des unstreitigen Sachverhalts unter den Begriff "Heim" im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG i. V. m. § 1 Abs. 2 HeimG und damit um die Abgrenzung der heimmäßigen Unterbringung zu der Form eines "Betreuten Wohnens". Denn hiervon hängt die Höhe der Vergütung des Betreuers ab, die sich entweder richtet nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VBVG (zwei Stunden im Monat bei einem mittellosen Betreuten mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Heim) oder nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG (dreieinhalb Stunden im Monat bei einem mittellosen Betreuten ohne Heimunterbringung).

Heime i. S. des § 5 Abs. 3 VBVG sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Einrichtungen sind Verbindungen aus sächlichen und personellen Mitteln unter der Verantwortung eines Trägers (Deinert, FamRZ 2005,954 m. w. Nachw.). Dies hat auch das Landgericht nicht verkannt. Rechtsfehlerhaft legt es jedoch die sich daraus ergebenden Maßstäbe auf die Pflegefamilie und nicht auf die Diakonie ... e.V. an. So kommt es zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, diese Form der Unterbringung sei einem Heimaufenthalt nicht gleichzusetzen (der Senat teilt insoweit nicht die Meinung des OLG Oldenburg in der Entscheidung vom 02.05.2006 -FamRZ 2006,1710).

Zu einem anderen Ergebnis führt es jedoch, wenn man im vorliegenden Fall die Pflegefamilie als Teil der Gesamtorganisation Diakonie ... e.V. sieht und die Unterbringung dort als eine besondere Form der Heimunterbringung. Dafür sprechen hier mehrere Umstände. Der Betroffene war zunächst in einem "normalen" Heim der Diakonie untergebracht. An dem Ausmaß seiner Behinderung hat sich in dieser Zeit zwar nichts gebessert, was nach ärztlicher Einschätzung auch nicht zu erwarten war und ist. Die Unterbringung in der Familie soll dem Betroffenen ein freieres, selbständigeres Leben in der Geborgenheit einer normalen Familie und mit voller Versorgung durch diese ermöglichen, darüber hinaus weiterhin auch unter dem Schutz und der Aufsicht der Diakonie sowie der ständigen Begleitung des Projekts durch einen Familienpfleger der Diakonie. § 12 des Familienpflegevertrages regelt nachvertragliche Pflichten des Trägers dahingehend, dass sich dieser verpflichtet, unter Einbeziehung des Klienten und seines gesetzlichen Betreuers ein geeignetes Wohn- und Betreuungsangebot zu suchen und die Aufnahme in die Diakonie ... oder eine andere geeignete Einrichtung sicherzustellen. Dieser Absicherung der ununterbrochenen Unterbringung und Versorgung der behinderten Person dient auch § 13 Ziff. 3 des Familienpflegevertrages, wonach bei Klienten, die zuvor einen Heimvertrag mit der Diakonie ... abgeschlossen hatten, dieser Vertrag ruht, solange der Klient in der Familienpflege betreut wird. Der Pflegefamilie steht ein 28tägiger Urlaub zu, während dessen der Träger für die anderweitige Versorgung des Betroffenen sorgt, wie er sich auch neben der Betreuung des Betroffenen in der Familie und deren Betreuung durch den Familienpfleger laufend mit Freizeit- und Sportaktivitäten einbringt. All das führt dazu, dass die durch das Gericht bestellte Betreuerin, wie sich aus ihren eigenen Jahresberichten ergibt, in ihren Aufgaben wesentlich entlastet ist und dem Betreuer eines Betroffenen gleicht, der in einer klassischen Heimform lebt. Es mag anders zu beurteilen sein, wenn der Betreute, wie im Fall des OLG Oldenburg (a.a.O.) in einer vom Betreuer ausgewählten Familie untergebracht wird, die von ihm überwacht und kontrolliert wird und nicht, wie hier, ein Träger dahintersteht, der diese Aufgaben übernimmt und durch einen Familienpfleger ständig präsent ist.

Damit gilt für die Vergütung der Beteiligten Ziff. 1 § 5 Abs. 2 Nr. 4 VBVG. Diese wurde im Beschluss des Notariats vom 06.03.2007 zutreffend auf 1.056,00 € festgesetzt. Die sofortige Beschwerde der Betreuerin gegen diesen Beschluss war deshalb unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung für das Erstbeschwerdeverfahren beruht auf § 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO. Im Verfahren der weiteren Beschwerde sind keine Gerichtsgebühren angefallen. Eine Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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