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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: 8 W 343/03
Rechtsgebiete: AsylVfG, LVwVG, PolG BW


Vorschriften:

AsylVfG § 15
LVwVG § 6 Abs. 2
PolG BW § 31 Abs. 2 5
Für den von einer Ausländerbehörde beantragten Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der Identität und der Herkunft des Asylbewerbers / Ausländers ist nicht der Rechtsweg zum Amtsgericht, sondern zum Verwaltungsgericht eröffnet (Anschluss an VGH BW - Beschl. v. 10. 12. 1999 - ESVGH 50, 158).
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 343/03

vom 13. November 2003

In der Ausländersache

wegen Vorbereitung der Abschiebung

hier: Durchsuchung zwecks Herkunftsnachweis

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Bräuning, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Müller-Gugenberger und der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zeller-Lorenz

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1b- Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 18.7.2003 wird zurückgewiesen.

2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner dessen notwendige außergerichtlichen Auslagen im Rechtsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Geschäftswert: 3.000 €

Gründe:

I.

Die antragstellende Ausländerbehörde beantragte am 2.4.2003 beim Amtsgericht den Erlass einer richterlichen Anordnung der Durchsuchung der Wohnung (Wohnstelle) des Antragsgegners und der darin befindlichen Behältnisse nach Unterlagen, die Hinweise auf dessen Identität (Staatsangehörigkeit / Herkunft) geben könnten, und Beschlagnahme derselben. Der Antragsgegner hatte im abschlägig beschiedenen Asylverfahren als Herkunftsland Sierra Leone angegeben; die weiteren Ermittlungen hatten jedoch den Verdacht begründet, der Antragsgegner stamme aus Nigeria.

Die Antragstellerin benannte als Rechtsgrundlage ihres Begehrens die §§ 31 Abs. 2, 33 Abs. 1 Nr.1 PolG BW sowie die §§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylVfG. Das Amtsgericht erließ am 4.4.2003 im wesentlichen antragsgemäß den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Auf Grund des Ersuchens der Antragstellerin erfolgte am 12.6.2003 die Durchsuchung durch den örtlichen Polizeivollzugsdienst; gleichzeitig wurde dem Antragsgegner die richterliche Anordnung bekannt gegeben. Die anlässlich der Durchsuchung beschlagnahmten Unterlagen wurden dem Antragsgegner am 1.7.2003 zurückgegeben.

Mit Schriftsatz vom 13.6.2003 legte der Antragsgegner über seinen Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein, beschränkte diese mit Schreiben vom 1.7.2003 jedoch auf den die Durchsuchung betreffenden Teil und nahm hinsichtlich der Beschlagnahme seine Beschwerde zurück; er beantragte festzustellen, dass die Durchsuchungsanordnung rechtswidrig war, weil - entsprechend einer Hinweisverfügung des Landgerichts - das Amtsgericht für den Erlass eines solchen Beschlusses nicht zuständig gewesen sei. Die Antragstellerin trat dem unter Hinweis auf andere landgerichtliche Entscheidungen und einen Beschluss des Senats vom 11.4.2001 entgegen.

Mit Beschluss vom 18.7.2003 stellte das Landgericht die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses fest. Zur Begründung führte es aus, der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses durch das Amtsgericht gemäß § 31 Abs. 5 PolG BW setze einen Antrag von Polizeibehörden voraus. In vorliegendem Fall aber sei nicht die Polizei von sich aus tätig geworden, sondern das Regierungspräsidium als Ausländerbehörde, das sich nur zur Vollstreckung der örtlichen Polizei bedient habe. Für das Regierungspräsidium als ersuchende Behörde aber sei das für sie geltende Recht heranzuziehen. Die Vollstreckung ihrer Verwaltungsakte richte sich im Fall von Durchsuchungen nach § 6 LVwVG BW; nach dessen Absatz 2 bedürfe die Durchsuchung von Wohnungen aber der Anordnung durch das Verwaltungsgericht. Die Anordnung durch das Amtsgericht sei deshalb rechtswidrig gewesen.

Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde beanstandet die Antragstellerin die Entscheidung und die zugrunde liegende Rechtsauffassung. Sie hält daran fest, dass die Zuständigkeit der Amtsgerichte im Rahmen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit für Durchsuchungsbeschlüsse in Fällen gegeben sei, in denen Ausländer ihre Identität unter Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflicht verschleierten und deshalb Durchsuchungen zum Zwecke der Aufklärung notwendig würden; die Ausländerbehörde sei in solchen Fällen im Bereich der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit - also materiellrechtlich polizeilich - tätig und deshalb befugt, auf die allgemeinen polizeilichen Vorschriften - hier auf § 31 PolG BW - zurückzugreifen, weil AuslG und AsylVfG keine spezielle Rechtsgrundlage für solche unverzichtbaren Ermittlungsmaßnahmen bereitstellen. Danach stehe der Rechtsweg zum Amtsgericht offen (§ 31 Abs. 5 Satz 1 PolG BW).

Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der weiteren Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers ist nach § 31 Abs. 5 Satz 2 und 3 PolG BW iVm § 27 FGG als Rechtsbeschwerde zulässig. Sie ist rechtzeitig und in gehöriger Form eingelegt.

Sie hat jedoch keinen Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung des Landgerichts erweist sich als rechtsfehlerfrei. Soweit der Senat früher einen abweichenden Standpunkt vertreten hat, hält er daran nicht fest.

1. Rechtsfehlerfrei und in Übereinstimmung mit der neueren Senatsrechtsprechung ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass die Rechtmäßigkeit einer im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Amtsgericht als Zivilgericht erlassenen Durchsuchungsanordnung auch nach deren Vollzug im vorgesehenen Instanzenweg auf Rechtmäßigkeit überprüft werden kann.

Die früher allgemein vertretene Auffassung, nach Abschluss einer Durchsuchungsmaßnahme sei eine Beschwerde des Betroffenen wegen prozessualer Überholung unzulässig (vgl. BVerfGE 49, 329), ist vom Bundesverfassungsgericht vor wenigen Jahren dahin modifiziert worden, dass in Fällen erheblicher Grundrechtsverletzungen eine nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rechtsmittelverfahren zulässig ist (bes. BVerfGE 96,27 = NJW 1997, 2163; weit. Nw. bei Keidel / Kahl, FG 15. Aufl., § 19 Rn 86). Dem hat sich der Senat angeschlossen; auch dem in Bezug genommenen Senatsbeschluss vom 21.4.2001 liegt diese Auffassung zugrunde.

2. Ebenfalls als rechtsfehlerfrei erweist sich die Ansicht des Landgerichts, die angegriffene Durchsuchungsanordnung habe überhaupt nicht vom Amtsgericht erlassen werden dürfen, weil die herangezogene Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 2 PolG BW hier nicht einschlägig und deshalb der Rechtsweg zum Amtsgericht nicht eröffnet ist. Anlass zur Prüfung dieser Rechtsweg-Frage ist erst seit der geänderten Beurteilung der prozessualen Überholung (oben 1.) gegeben.

a) Wollen Behörden in Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben Durchsuchungen von Wohnungen vornehmen, sehen die landesgesetzlichen Vorschriften für Verwaltungsbehörden im Allgemeinen einerseits und für Polizeibehörden im Speziellen andererseits unterschiedliche Rechtswege vor.

Grundsätzlich dürfen die Verwaltungsbehörden zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben Wohnungen nur durchsuchen, wenn sie zuvor eine richterliche Anordnung (Art. 13 Abs.2 GG) des Verwaltungsgerichts eingeholt haben (§ 6 Abs. 2 LVwVG BW). Die Anordnung vorbereitender Maßnahmen fällt damit in die Zuständigkeit der Gerichte, die auch für die Hauptsache zuständig sind. Abweichend davon eröffnet das Polizeigesetz BW für die richterliche Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung durch die Polizei den Weg zum Amtsgericht (§ 31 Abs. 5 PolG BW), das der Polizei im Rahmen der Strafverfolgung (§§ 102 ff StPO) vertraut ist, dort allerdings nicht zum Strafrichter, sondern - ebenso wie im Falle einer Freiheitsentziehung (Gewahrsam § 28 Abs. 3 PolG BW; § 3 FEVG) - durch Verweis auf das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zum Zivilrichter.

Bereits diese Regelzuständigkeit des Verwaltungsrichters spricht dafür, die Ausnahmezuständigkeit des Zivilrichters - der für die Hauptsache (hier etwa eine Abschiebung) nicht zuständig ist - eng auszulegen.

b) Im vorliegenden Fall wollte die Antragstellerin als Ausländerbehörde (§ 63 Abs. 1 AuslG iVm der Ausländer- und Asylzuständigkeitsverordnung - AAZuVO - v. 19.7.1995 / 23.3.1998, GBl BW 1995,586 / 1998,178) im Rahmen ihrer Aufgabenverfolgung zur Identitätsfeststellung des Antragsgegners dessen Wohnung durchsuchen. Grundlage ihres Tätigwerdens war § 15 AsylVfG, der dem Ausländer u.a. die Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung aufgibt einschließlich der Verpflichtung, seinen Pass, Passersatz bzw. andere Unterlagen, die zur Feststellung der Identität beitragen können, zur Verfügung zu stellen. Kommt ein betroffener Ausländer seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nach, kann sich - wie von der Antragstellerin dargelegt - die Notwendigkeit einer Vollstreckung zur Durchsetzung dieser Verpflichtung im Wege der Durchsuchung der Wohnung ergeben (vgl. auch § 41 Abs. 1 AuslG).

Die für den Rechtsweg entscheidende Frage, ob die Antragstellerin in Verfolgung ihrer ausländerrechtlichen Aufgaben "Polizeibehörde" im Sinne des PolG BW ist, hat das Landgericht zu Recht verneint: Für die Vollstreckung der Verwaltungsbehörden in Baden-Württemberg ist grundsätzlich das Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz maßgebend, soweit es um die Vollstreckung von Verwaltungsakten geht, die zu einer Geldleistung, einer sonstigen Handlung, einer Duldung oder Unterlassung verpflichten (§ 1 Abs. 1 LVwVG). Das Polizeigesetz dagegen wendet sich nur an Polizeibehörden im Sinne des PolG und macht Vorgaben für deren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Dabei ist die Zulässigkeit eines Grundrechtseingriffs einerseits in § 29 LVwVG, andererseits in § 4 PolG normiert.

Das antragstellende Regierungspräsidium ist hier nicht etwa als Landespolizeibehörde (§ 62 Nr. 2 PolG BW) tätig geworden, sondern speziell als Ausländerbehörde; aus §§ 5-7 AAZuVO ergibt sich nichts anderes. Dass es dabei im öffentlichen Interesse und zur Abwehr von Gefahren für die Gemeinschaft tätig ist und damit polizeilich im materiellen Sinne wirkt, ändert nichts daran, dass sich seine Eingriffsbefugnisse primär nach den ausländerrechtlichen Spezialvorschriften und im übrigen nach dem allgemein maßgeblichen Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz, nicht aber nach dem Polizeigesetz richten. Nur solche Verwaltungsbehörden, die konkret als Polizeibehörden i.S.d. PolG benannt sind oder deren Handeln ausdrücklich dem PolG unterstellt ist, können für ihr Handeln auf das PolG als Ermächtigungsgrundlage zurückgreifen (so deutlich Wolf / Stephan, PolG, 4. Aufl., § 59 Rn 4, § 61 Rn 1-11, § 62 Rn 5; abweichend Würtenberger / Heckmann / Riggert, PolR in BW, Rn 75ff, 79, die eine "funktionsorientierte Abgrenzung im Einzelfall" vertreten). Mit der zunehmenden Differenzierung des Verwaltungshandelns und der dafür maßgeblichen Ermächtigungsnormen - was einem rechtsstaatlichen Gebot entspricht - verbietet es sich nach Ansicht des Senats, für alle materiell gefahrabwehrenden Maßnahmen die Eingriffsermächtigungen des PolG heranzuziehen. Vielmehr schafft nur eine formale Abgrenzung zwischen Polizeibehörden nach dem PolG und sonstigen Verwaltungsbehörden die rechtsstaatlich wünschenswerte Klarheit über die maßgeblichen Ermächtigungsnormen, die für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen vorausgesetzt werden.

Dementsprechend hat - worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat - der VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.12.1999, ESVGH 50, 158 = VGHBW-Ls 2000, Beil.2, B2-3 = ZAR 2000,88) das Verwaltungsgericht für den Erlass einer vom Regierungspräsidium als Ausländerbehörde beantragten Durchsuchungsanordnung für zuständig angesehen (vgl. auch VGH BW NJW 1999, 3506). Dieser Sichtweise schließt sich auch der Senat an.

c) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, bleibt für die Zuständigkeit für den Erlass der Durchsuchungsanordnung der Umstand ohne Bedeutung, dass die Antragstellerin sich mangels eigener Vollstreckungsbeamter des Polizeivollzugsdiensts zur Durchführung der Durchsuchung bedient hat. Denn bei der Amtshilfe durch den Polizeivollzugsdienst (§ 60 Abs. 4 PolG) richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahme nach den für die ersuchende Behörde geltenden Regeln (§§ 4, 7 LVwVfG), hier also nach den Regeln, der die Antragstellerin als Verwaltungsbehörde unterliegt (so auch VGH aaO; Wolf / Stephan aaO § 60 Rn 13ff).

Nur dann, wenn die (allgemeinen) Polizeibehörden selbst in eigener Zuständigkeit (§ 60 Abs. 1, Abs.2 PolG) zur Abwehr eines ausländerrechtlichen Rechtsverstoßes tätig werden - etwa bei einer Personenkontrolle - und im Zusammenhang damit zur Durchsuchung einer Wohnung eine richterliche Anordnung erforderlich wird, ist nach § 31 Abs. 5 PolG der Weg zum Amtsgericht eröffnet.

d) Soweit der Senat in seiner von der Rechtsbeschwerdeführerin in Bezug genommenen (unveröffentlichten) Entscheidung vom 11.4.2001 (8 W 203/01) in einem vergleichbaren Fall die Heranziehung des § 31 PolG durch die Ausländerbehörde weder problematisiert noch als rechtsfehlerhaft beanstandet hat, hält er daran nicht länger fest.

Dass sich die Antragstellerin nunmehr nicht auf die polizeigesetzlichen Eingriffsnormen stützen und den Weg zu den Zivilgerichten beschreiten kann, hat - entgegen dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde - keineswegs zur Folge, dass sie notwendige Ermittlungen nicht mehr effektiv durchführen kann. Der statt dessen gebotene Weg zum Verwaltungsgericht erscheint sogar als der effektivere Weg, weil über eine Beschwerde gegen eine im Rahmen der Durchsuchung erforderlich gewordene Beschlagnahme / Sicherstellung (§§ 32 / 33 PolG BW) schon nach bisheriger Auffassung mangels ausdrücklicher Verweisungsnorm nicht vom Zivilrichter, sondern vom Verwaltungsrichter zu entscheiden war (vgl. LG Stuttgart - 10 T 378+379/02 - Beschluss vom 28.11.2002).

Außerdem dient es einem effektiveren Rechtsschutz, wenn die in der Hauptsache zuständigen Gerichte auch die dazu gehörigen Ermittlungsentscheidungen treffen, weil damit bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einheitlichere Kriterien wirksam werden können.

3. Somit hat das Landgericht zu Recht ausgesprochen, dass die angegriffene Durchsuchungsanordnung zu Lasten des Antragsgegners vom 4.4.203 rechtswidrig war, weil das Amtsgericht für deren Erlass nicht zuständig war.

Für die Gerichtskosten gilt § 131 Abs.1 S.2 KostO. Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners beruht auf § 13a Abs.1 S.2 FGG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 30 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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