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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.07.2001
Aktenzeichen: 8 W 357/01
Rechtsgebiete: ZSEG, UmwG


Vorschriften:

ZSEG § 7 Abs. 2
UmwG § 312 Abs. 4

Entscheidung wurde am 14.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
§ 7 Abs. 2 ZSEG ist in einem umwandlungsrechtlichen Spruchverfahren (§§ 305 ff UmwG) dahin auszulegen, dass das Gericht die verweigerte Zustimmung der - regelmäßig kostentragungspflichtigen - Antragsgegnerin zu Stundensätzen, die die gesetzlichen Höchststundensätze nach § 3 ZSEG deutlich übersteigen, unabhängig von der Zustimmung der (zahlreichen) Antragsteller ersetzen kann.
Geschäftsnummer: 8 W 357/2001 3 KfH O 510/97 LG Heilbronn/N.

Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

vom 9. Juli 2001

Im Spruchverfahren gem. §§ 15, 306 ff. UmwG

wegen Verbesserung des Umtauschverhältnisses nach Verschmelzung

Gründe:

I.

Die 10 antragstellenden Aktionäre nehmen die Antragsgegnerin - eine AG, die aus der im Herbst 1997 beschlossenen Verschmelzung zweier AG hervorgegangen ist - im Spruchverfahren nach §§ 305 ff UmwG 1994 auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses nach § 15 UmwG in Anspruch. Das Grundkapital der beiden AG betrug zum maßgeblichen Stichtag knapp 135 Mio bzw. 66 Mio DM, die konsolidierten Umsätze beliefen sich auf etwas über bzw etwas unter je 1,3 Mrd, die Bilanzsummen auf über 1,1 Mrd bzw 685 Mio DM, wozu (zusammen) 44 Tochtergesellschaften, davon 27 im Ausland, beigetragen haben.

Durch Beschluss vom Nov. 1999 hat die Kammer für Handelsssachen nach längeren Auseinandersetzungen unter den Beteiligten einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Bewertungsgutachtens beauftragt. Dieser hat unter Zugrundelegung der Angaben der Antragsgegnerin für das erbetene Bewertungsgutachten einen voraussichtlichen Kostenaufwand in Höhe von 3,36 Mio DM veranschlagt und um Zustimmung zu einem Stundensatz von 385.- DM gebeten; durch weiteres Schreiben hat er seine vorläufige Kalkulation und die beabsichtigte Vorgehensweise erläutert, nachdem die Antragsgegnerin ihr Einverständnis mit den "irrealen" und "grotesken" Honorarvorstellungen des Sachverständigen verweigert und diesen wegen "Unfähigkeit und/oder Befangenheit" abgelehnt hatte.

Ein Teil der Antragsteller hat eine Äußerung zum Stundensatz für "nicht angezeigt" erachtet, weil "die Gegenseite die Kosten zu tragen hat", aber in weiteren Schriftsätzen zum Ausdruck gebracht, das der Widerstand der Antragsgegnerin gegen den bestellten Sachverständigen und deren Verzögerungstaktik nicht mehr länger geduldet werden dürften.

Durch Beschluss vom Nov. 2000 hat die Kammer - bei gleichzeitiger Zurückweisung der sonstigen Verfahrensanträge der Antragsgegnerin - mangels Zustimmung der Antragsgegnerin gem. § 7 Abs. 2 ZSEG dem vom bestellten Sachverständigen kalkulierten Stundensatz von 385.- DM (zzgl. MwSt) zugestimmt.

Mit der Beschwerde greift die Antragsgegnerin die gerichtliche Zustimmungsentscheidung gern. § 7 Abs. 2 ZSEG als "offensichtlich gesetzwidrig" an. Ein Teil der Antragsteller ist entgegen getreten und auch der Sachverständige hat eine Stellungnahme abgegeben. Der Kammervorsitzende hat der Beschwerde der Antragsgegnerin nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die gerichtliche Zustimmung nach § 7 Abs. 2 S. 1 ZSEG ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 7 Abs. 2 S. 4 ZSEG nicht statthaft und deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Die Frage, inwieweit ein nicht gegebenes Rechtsmittel dadurch statthaft werden kann, dass der Beschwerdeführer dieses als "außerordentliche Beschwerde" bezeichnet und zugleich dem Gericht eine "offensichtliche Gesetzwidrigkeit" oder "greifbare Gesetzwidrigkeit" vorwirft, bedarf hier keiner näheren Erörterung, ebensowenig wie die Frage, ob hinsichtlich der Eröffnung des Beschwerdeverfahrens an der Senatsentscheidung vom 25. 11. 1975 (Die Justiz 1976, 258 = RPfl 1976, 190; abl. zB Bleutge, ZSEG, 3. Aufl., § 7 Rn 8) festzuhalten ist. Denn die gerügte Gesetzwidrigkeit liegt "offensichtlich" nicht vor.

a) Der Antragsgegnervertreter begründet die "greifbare Gesetzwidrigkeit" damit, dass eine gerichtliche Zustimmung zur Sachverständigenvergütung nach § 7 Abs. 2 ZSEG auf die nach § 3 ZSEG vorgegebenen Stundensätze - hier also auf höchstens 150.- DM/Std - begrenzt sei. Dies steht bereits in klarem Widerspruch zu § 7 Abs. 2 S. 2 ZSEG, weil die durch das KostenrechtsänderungsG 1994 angefügte Bestimmung ausdrücklich als "Soll-Vorschrift" formuliert ist. Es handelt sich nicht um eine verdeckte "Muss-Vorschrift", die den Ermessensspielraum des Gerichts auf die Sätze des § 3 ZSEG begrenzt. Vielmehr ist es Zweck des § 7 ZSEG, einen Weg aus dem engen Rahmen des § 3 ZSEG hinaus zu eröffnen. Die 1994 vorgenommene Änderung des ZSEG sollte die am Wortlaut klammernde Auslegung durch die Gerichte überwinden helfen; die absichtlich gewählte "Soll-Regelung" soll dabei dem Gericht "in ganz besonders gelagerten Fallen" die Möglichkeit eröffnen, die Sätze des § 3 ZSEG zu überschreiten (vgl. Otto, JurBüro 1994, 385, 393; BT-Drs. 12/6962, S. 56, 97; sowie allgemein Meyer / Höver / Bach, ZSEG 22. Aufl, § 7 Rn 1.2 ; Bleutge, aaO § 7 Rn 6). Das vorliegende Spruchverfahren bildet unter der Vielzahl von Verfahren, in denen sich Gerichte der Hilfe von Sachverständigen bedienen (müssen), sicher einen solchen "ganz besonders gelagerten Fall".

b) Über diese auf den Wortlaut der Norm und die gesetzgeberischen Absichten abstellende Auslegung von § 7 Abs. 2 S. 2 ZSEG hinaus gebietet die Besonderheit der Spruchverfahren eine vom Gesetzeszweck bestimmte, teleologische Auslegung des § 7 Abs. 2 S. 1 iVm § 7 Abs. 1 ZSEG.

aa) Obwohl die Kosten von Spruch(stellen)verfahren regelmäßig von dem oder den durch die Strukturmaßnahme begünstigten Unternehmensträger(n) zu tragen sind (§§ 312 Abs. 4 S. 1 UmwG 1994, § 306 Abs. 7 S. 7 AktG; vgl. auch Senat DB 1992, 1470), ist eine spezialgesetzliche Regelung hinsichtlich der Sachverständigenkosten und deren Vorwegleistung durch die Beteiligten nicht vorhanden.

Die früher in den kostenrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 39 S. 7 UmwG 1956/1969, § 306 Albs. 7 S. 7 AktG aF enthaltene ausdrückliche Privilegierung der antragstellenden Aktionäre ("Kostenvorschüsse werden nicht erhoben") ist zwar im neuen Umwandlungsrecht entfallen; an der Rechtslage hat sich aber sachlich nichts geändert (vgl. OLG Düsseldorf AG 1998, 525; Schmittmann AG 1998, 514). Solange für die allgemein als sachgerecht angesehene Vorschussverpflichtung des / der Unternehmensträger(s) für die Sachverständigenkosten (OLG Düsseldorf aaO; OLG Frankfurt JurBüro 1993, 563; vgl. auch BayObLG ZIP 1998, 1876 und 1877 hinsichtlich der Kosten für den "gemeinsamen Vertreter") eine ausdrückliche Sonderregelung fehlt, bleibt nur der Weg über § 7 ZSEG.

bb) Dem Antragsgegnervertreter ist zwar insoweit zuzustimmen, als er ausführt (Nr. 17 seiner Beschwerdebegründung v. 18. 5. 2001, Bl. 270 f dA), dass der am normalen Zivilprozess mit 2 Parteien ausgerichtete § 7 ZSEG für die vom FGG bestimmten Spruchverfahren mit der für den Regelfall vorgegebenen einseitigen Kostentragungspflicht nicht passt und deshalb einer teleologischen Auslegung bedarf. Diese Auslegung kann aber nach Ansicht des Senats nicht dahin gehen, dass die Zustimmung der kostentragungspflichtigen Antragsgegnerin unverzichtbar ist, wie der Antragsgegnervertreter meint. Denn damit könnte jeder Antragsgegner das Verfahren dauerhaft blockieren und letztlich das ganze den alleinigen Schutz der Minderheitsaktionäre bildende Institut des Spruchverfahrens zunichte machen.

Die Verweisung der Minderheitsaktionäre auf das Spruchverfahren unter gleichzeitiger Ausschließung eines Beschlussanfechtungsverfahrens oder anderer Klagverfahren (hier: § 14 Abs. 2 UmwG; Lutter / Krieger, UmwG 2. Aufl., § 305 Rn 4: "ausschließlicher Rechtsbehelf") gibt den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit zur Umsetzung der beschlossenen Strukturmaßnahmen ohne Rücksicht auf die Ablehnung durch einen Teil ihrer Aktionäre. Es liefe auf eine gänzliche Entrechtung dieser Aktionäre und auf die Verweigerung jeglichen Rechtsschutzes hinaus, wenn der bzw die Unternehmensträger eine nachträgliche Kontrolle der zugrundegelegten Bewertung und - gegebenfalls - eine Entschädigung ihrer Teilhaber mit Hilfe der Versagung der Zustimmung zur unvermeidlicherweise erhöhten Sachverständigenvergütung verhindern könnten.

Taugliche Sachverständige für Unternehmensbewertung in aktienrechtlichen Spruchverfahren sind nach der Erfahrung des Senats nicht zu den Regel- und Höchstsätzen des ZSEG zu gewinnen (ebenso zB BayObLGZ 98, 231 = WM 1999, 1571 = DB 1998, 2315 = ZIP 1998, 1872 ("März/EKU"); vgl. auch die Angaben des Antragstellers Ziff. 3 v. 18. 6. 2001, Bl. 295 ff). Die gegenteiligen Erwägungen (zB KG OLGZ 1971, 260, 274) erscheinen - zumindest aus heutiger Sicht und angesichts der Vielzahl von Fusionen und ähnlicher Strukturmaßnahmen und deren wirtschaftlicher Dimension - nicht (mehr) realitätsgerecht. Mit dem Rechtsinstitut des "Gutachtenzwangs" (§§ 407, 409 ZPO iVm § 15 FGG) sind diese Fälle nicht zu bewältigen (ebenso BayObLG aaO; a.A. KG aaO 275f; OLG Düsseldorf DB 1997, 2371 = AG 1998, 37, 38; Seetzen WM 1999, 565, 567; MünchKommAktG / Bilda, § 306 Rn 24, 134). Erfordert die Erstellung eines Gutachtens die gesamte Arbeitskraft des Sachverständigen über einen längeren Zeitraum, kann er auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gezwungen werden, sich mit einem Stundensatz zu begnügen, der ihm ein übermäßiges Vermögensopfer abverlangt. Der selbstlose "Dienst an der Rechtspflege" (so KG aaO 275) kann in Fällen von solcher Art und solchem Umfang dem Sachverständigen nicht zugemutet werden (auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen in BVerfGE 33, 240, 246). Die hier in Rede stehenden Sätze von 300.- DM/Std aufwärts liegen bereits seit geraumer Zeit bei wohl allen in Betracht kommenden Sachverständigen im üblichen Rahmen; Sachverständige, die bereit sind, einen derart umfangreichen Gutachtenauftrag zu Stundensätzen zu übernehmen, die um die Hälfte bis zu zwei Drittel unter dem Marktniveau liegen, können schwerlich die Qualifikation aufweisen, die notwendig ist, um die mit den Spruchverfahren verfolgte Zielsetzung zu verwirklichen. Die Beschränkung auf die Höchstsätze des ZSEG wird noch weniger hinnehmbar, wenn der Sachverständige, um seine umfangreiche Aufgabe in einem überschaubaren Zeitrahmen zu bewältigen, gezwungen ist, die Arbeitskraft qualifizierter "Hilfskräfte" (andere Wirtschaftsprüfer, Steuerberater ua, vgl. Bl 148 dA) zu Marktpreisen "einzukaufen" und aus eigenem Vermögen zu finanzieren.

cc) Die nach Ansicht des Senats gebotene gerichtliche Reaktion auf diese Gegebenheit kann freilich nicht etwa die Antragsabweisung sein (so aber LG Köln AG 1997, 187 - aufgehoben durch OLG Düsseldorf AG 1998, 37). Da ein angemessener Schutz der Minderheitsbeteiligten vor der Organisationsmacht der (qualifizierten) Kapitalmehrheit mit Hilfe der Spruchverfahren nicht nur eine verfassungsrechtliche Dimension hat, der sich das Bundesverfassungsgericht in besonderem Maße angenommen hat, sondern auch eine langfristig wirkende Voraussetzung für einen funktionierenden Kapitalmarkt ist, hält der Senat eine an den Zielen des Spruchverfahrens ausgerichtete, funktionsgerechte Handhabung des § 7 ZSEG für notwendig.

Die teleologische Auslegung dieser dem materiellen Recht dienenden Verfahrensvorschrift muss deshalb dahin gehen, dass einerseits an die Zustimmung der (regelmäßig kostenbefreiten) Antragsteller keine hohen Anforderungen zu stellen sind und andererseits das Gericht das verweigerte Einverständnis des kostenpflichtigen Unternehmensträgers nach Prüfung der - hier zu Recht vom Landgericht bejahten - Verhältnismäßigkeit ersetzen kann. Die Regel, dass keine Partei zur Zustimmung zu erhöhten Sachverständigenvergütungen "gezwungen" werden darf, muss in den Fällen der vorliegenden Art insoweit zum Nachteil der durch den Ausschluss anderer Rechtsbehelfe begünstigten Unternehmen an die wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden; dem Argument, das Kostenrisiko der durch Zustimmmungsersetzung übergangenen Partei müsse durch eine Beschränkung auf die Höchstsätze des ZSEG in zumutbaren Grenzen gehalten werden (BT-Drs. 12/6962 S. 97), fehlt hier die wirtschaftliche Berechtigung.

dd) Die gerichtliche Zustimmungsersetzung begründet zwar eine Vorschusspflicht, jedoch noch keine beitreibbare Kostenforderung (OLG Frankfurt JurBüro 1994, 563). Vielmehr kommt die Sonderregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 ZSEG zum Zuge: eine die Sätze des § 3 ZSEG übersteigende Sachverständigenvergütung ist von der Gerichtskasse nur auszuzahlen, wenn der dafür erforderliche Betrag auf Anforderung vorher von der oder den Beteiligten eingezahlt ist. Damit ist das Risiko der erhöhten Vergütung ganz auf den Sachverständigen verlagert und dieser ist gezwungen, seine Tätigkeit vom Eingang ausreichender Vorauszahlungen an die Gerichtskasse abhängig zu machen; allenfalls in Ausnahmefällen kann einem Sachverständigen aus Gründen des Vertrauensschutzes auch ohne Vorschuss die erhöhte Vergütung aus der Staatskasse gewährt werden (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1999, 1528).

Sollte eine gerichtlich zur Vorschussleistung verpflichtete Antragsgegnerin die Einzahlung des angeforderten Vorschusses dauerhaft verweigern, liefe dies letzlich auf eine Beweisvereitelung hinaus, der durch eine richterliche Schätzung des angemessenen Umtauschverhältnisses begegnet werden müsste (ähnlich Münch-KommAktG / Bilda, § 306 Rn 24).

Ende der Entscheidung

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