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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 22.05.2001
Aktenzeichen: 8 W 583/2000
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2 S. 3
BRAGO § 43
- Mahnanwalt/Rechtsbeistand -

Mit Wegfall der auf ein Landgericht beschränkten Postulationsfähigkeit begründet die Abgabe vom Mahngericht am (Wohn-)Sitz des Klägers an das -- in einem anderen Landgerichtsbezirk gelegene -- Landgericht am Sitz des Beklagten nicht mehr die "Notwendigkeit" eines Anwaltswechsels im Sinn von § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO.

Dies gilt auch, wenn der Kläger zunächst einen Rechtsbeistand beauftragt hat.


Geschäftsnummer 8 W 583/2000 2 O 937/2000 LG Ravensburg

Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

vom 22. Mai 2001

In der Rechtssache

wegen Forderung,

hier: Kostenfestsetzung

Gründe:

I.

Die in Stuttgart ansässige Klägerin hatte durch einen Rechtsbeistand in Stuttgart einen Mahnbescheid über eine Hauptforderung von knapp 29 000 DM gegen einen Schuldner im Raum Ravensburg erwirkt. Der Schuldner legte Widerspruch ein, soweit die Hauptforderung 7 500.-- DM überstieg, sowie gegen Kosten und Zinsen; hinsichtlich des nicht widersprochenen Teils erging Vollstreckungsbescheid.

Nach Abgabe an das Streitgericht im Mai 2000 hat ein Stuttgarter Rechtsanwalt die Klägerin beim Landgericht Ravensburg vertreten. Nach dem verfahrensabschließenden Vergleich hat der Beklagte 4/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Rechtspflegerin hat im Rahmen des Kostenausgleichs auf Klägerseite 3 volle Gebühren aus dem Reststreitwert bis 25 000 DM samt Auslagenpauschale sowie Anwaltsreisekosten (Fahrtkosten und zusammen 243,04 DM) anteilig in Ansatz gebracht; die geltend gemachten Kosten für den im Mahnverfahren tätig gewordenen Rechtsbeistand in Höhe von 1.145,-- DM (eine volle Prozessgebühr aus 30 000,-- DM zzgl. Pauschale) hat die Rechtspflegerin für nicht erstattungsfähig erachtet.

Gegen die Absetzung der Rechtsbeistandskosten wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde und macht geltend, die Mehrkosten eines Mahnanwalts seien erstattungsfähig, weil sie mit einem Widerspruch nicht habe rechnen müssen.

II.

Die zulässige Kostenbeschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Einwand des Beklagten, Kosten einer Inkassogesellschaft seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig, greift nicht durch. Liegt -- wie hier -- eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 RBerG zur Tätigkeit als Rechtsbeistand vor, sind die im Rahmen der zugelassenen Tätigkeit angefallenen Kosten eines Rechtsbeistands wie Rechtsanwaltskosten erstattungsfähig (vgl. Art. IX § 1 KostÄndG 1957; MünchKommZPO/Belz, 2. Aufl., § 91 Rn 79).

2. Der Senat teilt die Ansicht der Rechtspflegerin, dass seit Inkrafttreten der Neufassung des § 78 ZPO am 1.1.2000 die erstattungsrechtliche Notwendigkeit eines Anwaltswechsels entfallen ist, wenn der zunächst als Mahnverfahren angelaufene Rechtsstreit an ein Landgericht in einem anderen (Landgerichts-)Bezirk abgegeben wird.

a) Wegen der bis 31.12.1999 beschränkten Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte auf das jeweilige Landgericht des Zulassungsorts war dann, wenn Kläger und Beklagter in verschiedenen Landgerichtsbezirken ihren (Wohn-)Sitz haben, nach Abgabe des Mahnverfahrens vom Mahngericht (§ 689 Abs. 2 ZPO) an das Landgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz hat, nach gefestigter Senatsrechtsprechung bei nicht zu erwartendem Widerspruch ein Anwaltswechsel i. S. des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO notwendig; deshalb waren die im Mahnverfahren angefallenen Anwaltskosten grundsätzlich zusätzlich erstattungsfähig (Senat, Die Justiz 1978, 72 = NJW 1978, 767 = JurBüro 1978, 438; Die Justiz 1980, 199 = JurBüro 1980, 717 = MDR 1980, 501 (LS); Die Justiz 1985, 347 -- in Übereinstimmung mit der weit überwiegenden Meinung). War dagegen mit einem Widerspruch des Anspruchsgegners zu rechnen -- was der Senat regelmäßig nur angenommen hat, wenn vorgerichtlich ein Rechtsanwalt den Anspruch bestritten hatte (Die Justiz 1980, 199 = JurBüro, 1980, 717; Die Justiz 1980, 385 = JurBüro 1981, 125; ebenso Haftpflichtversicherung: Die Justiz 1991, 474 = JurBüro 1991, 1351) --, waren solche Mehrkosten unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (Senat, Die Justiz 1999, 101) nicht erstattungsfähig. Dies galt in gleicher Weise, wenn auf Klägerseite das Mahnverfahren von einem Rechtsbeistand betrieben wurde (Senat, Die Justiz 1982, 372).

Hatten dagegen beide Parteien ihren Sitz im selben Landgerichtsbezirk, konnte also der im Mahnverfahren tätige Rechtsanwalt auch den Hauptsachestreit betreiben, waren die durch die Einschaltung eines Rechtsbeistands für den Betrieb des Mahnverfahrens anfallenden Mehrkosten nicht erstattungsfähig, weil insoweit ein Anwaltswechsel nicht "notwendig" war (Senat, Die Justiz 1985, 347; 1986, 301).

b) Nach neuem Recht ist die gesamte Bundesrepublik Deutschland durch Wegfall des Lokalisationsprinzips bei den Landgerichten gleichsam zu einem einheitlichen Landgerichtsbezirk geworden. Damit entfällt grundsätzlich die aus der fehlenden Postulationsfähigkeit hergeleitete "Notwendigkeit" eines Anwaltswechsels bei Abgabe der Sache vom Mahngericht an das Streitgericht wegen fehlender Anwaltszulassung (wie auch bei jeder anderen Abgabe oder Verweisung; vgl. OLG München Jur-Büro 2001, 29; 2001, 31; OLG Frankfurt JurBüro 2000, 587 m.Anm. Enders; Zöller/Herget, ZPO 22, Aufl., § 91 Rn 13 "Mahnverfahren" unter 2); Belz, aaO, Rn 67, 71). Die Erstattungsfähigkeit der Kosten von zwei Rechtsanwälten oder Rechtsbeistand und Rechtsanwalt ist deshalb nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO nur gegeben, wenn ein Wechsel in der Vertretung "notwendig" war. Der Auffassung des OLG Köln (JurBüro 2000, 254), die Kosten eines zweiten Anwalts seien im Grundsatz schon dann als "notwendig" anzusehen, wenn die Entfernung zwischen Wohnort bzw. Sitz der Partei und Gericht mehr als 40 km beträgt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen; denn dies steht nicht im Einklang mit der durch die Aufhebung des Lokalisationsprinzips beabsichtigten gesetzgeberischen Zielsetzung, im Interesse des rechtsuchenden Bürgers die Notwendigkeit eines "unerwünschten Anwaltswechsels" - und die daraus folgenden Mehrkosten -- zu beseitigen (vgl. BT-Drs 12/4993, S. 43, 53; vgl. zB auch Kleine-Cosack NJW 1994, 2249, 2251; Zöller/Vollkommer, ZPO. 22. Aufl., § 78 Rn 1). Freilich würde der hier zu entscheidende Fall (wohl) unter einen der vom OLG Köln einzeln aufgeführten Ausnahmetatbestände -- unternehmensbezogenes Routinegeschäft -- fallen, so dass im Ergebnis keine unterschiedlichen Kostenfolgen eintreten würden.

Zwar besteht nach wie vor für die Geltendmachung eines Anspruchs die freie Wahl zwischen Mahnverfahren und Klagverfahren, soweit nicht mit einem Widerspruch zu rechnen war. Letzteres war hier angesichts des Schreibens des Schuldners vom 9.2.2000, in dem er die Forderung anerkennt und Ratenzahlung anbietet, nicht der Fall. Dies eröffnet aber nicht die Möglichkeit, vom Grundsatz, dass regelmäßig nur die Kosten eines Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, abzuweichen.

Beauftragt der Gläubiger an seinem Sitz einen Rechtsanwalt mit dem Mahnverfahren, sind diesem bei Fortführung des Verfahrens bei einem auswärtigen Gericht im Regelfall seine (tatsächlichen) Reisekosten zu erstatten, soweit sich nicht die Bestellung eines Bevollmächtigten am auswärtigen Gerichtsort als kostengünstiger darstellt (Zöller/Herget aaO; Belz aaO). Wird statt dessen ein Rechtsbeistand mit dem Mahnverfahren beauftragt, ist diesem in einem Anwaltsprozess die Fortführung des Streitverfahrens versagt. Daraus kann indessen -- entgegen der Rechtsansicht des -- Kägervertreters -- nicht gefolgert werden, insoweit sei ein Anwaltswechsel nach wie vor erforderlich, denn dies würde eine Partei, die einen Rechtsbeistand an Stelle eines Rechtsanwalts wählt, bevorzugen und die angestrebte Vereinfachung der Rechtsverfolgung unterlaufen. Deshalb kann eine Partei, die mangels Widerspruchserwartung in zulässiger Weise einen Rechtsbeistand beauftragt hat, im Falle eines gleichwohl eingelegten Widerspruchs und Abgabe an ein auswärtiges Streitgericht kosten rechtlich nicht besser behandelt werden als eine Partei, die sogleich einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat. Die erstattungsfähigen Mehrkosten des Klägers für seinen "Mahnbeistand" sind deshalb begrenzt durch die Kosten, die entstanden wären, wenn er sogleich einen Rechtsanwalt beauftragt hätte.

Mag auch die Schwierigkeit einer "Prozessverlaufsprognose" (Herget aaO) es rechtfertigen, keine zu kleinlichen Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit von Anwaltsreisekosten zu stellen, so bleibt im vorliegenden Fall nur die Feststellung, dass die effektiv angefallenen und geltend gemachten Anwaltsreisekosten hier (anteilig) festgesetzt wurden. Für die Festsetzung weiterer Kosten ist -- jedenfalls beim hier gegebenen Prozessverlauf -- kein Raum.

Ende der Entscheidung

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