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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 15.07.2009
Aktenzeichen: 8 WF 105/09
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 3
ZPO § 115 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 120 Abs. 4
ZPO § 127 Abs. 4
SGB XII § 90
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 2
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 4
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 8
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Tettnang - Familiengericht - vom 24. März 2009, Az. 7 F 251/05, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

1.

Im Hauptsacheverfahren wegen Ehescheidung wurde der Antragstellerin mit Beschluss vom 1. Juli 2005 Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtungen bewilligt. Der Rechtsstreit wurde beendet durch Urteil vom 21. März 2006, wonach die Kosten gegeneinander aufgehoben wurden.

Im Nachverfahren änderte die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 24. März 2009 die Prozesskostenhilfebewilligung dahin ab, dass die Antragstellerin eine Einmalzahlung von 955,60 EUR zu leisten hat. Begründet wurde die Anordnung damit, dass die Antragstellerin zwischenzeitlich Vermögen erworben hat, das das Schonvermögen erheblich übersteigt. Sie verfügt über ein Bausparguthaben von 4.382,63 EUR und eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 3.462 EUR.

Gegen die am 3. April 2009 zugestellte Entscheidung hat die Antragstellerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten am 4./6. Mai 2009 Beschwerde eingelegt, weil das zum 1. Juli 2009 ausgezahlte Bausparguthaben für Umzugskosten, z. B. eine neue Kücheneinrichtung, benötigt worden sei und es sich bei der Lebensversicherung um eine angemessene Altersversorgung handle.

Die Vertreterin der Staatskasse ist dem Rechtsmittel entgegengetreten und die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen, sondern mit Beschluss vom 25. Juni 2009 die Akte dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung vom 24. März 2009, der Beschwerdebegründung vom 4. Mai 2009, der Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 4. Juni 2009 und des Vorlagebeschlusses vom 25. Juni 2009 wird verwiesen.

2.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gem. § 120 Abs. 4 ZPO ist innerhalb der Vierjahresfrist eine nachteilige Änderung der Prozesskostenhilfebewilligung möglich und im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens geboten, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nach Erlass der PKH-Entscheidung wesentlich verbessert haben (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 120 Rdnr. 9 m. w. N.).

Die Antragstellerin ist 38 Jahre alt und berufstätig. Sie hat während der Ehezeit - bezogen auf den 30. April 2005 - eigene Rentenanwartschaften in Höhe von 325,25 EUR erworben. Über den Versorgungsausgleich kamen 85,15 EUR hinzu, sodass die Rentenanwartschaften bereits vor vier Jahren 410,40 EUR betragen haben und zwischenzeitlich weiter angewachsen sind. Zur zusätzlichen Altersversorgung besteht zu Gunsten der Antragstellerin eine (Kapital-)Lebensversicherung, deren Rückkaufswert derzeit 3.462 EUR beträgt und sich zum 1. September 2004 auf 2.051 EUR zuzüglich Überschussbeteiligung von 489 EUR, insgesamt auf 2.540 EUR, belaufen hatte.

Außerdem verfügt sie über ein Bausparguthaben, das am 31. Dezember 2004 einen Kontostand von 1.695,44 EUR aufwies und am 31. Dezember 2008 einen solchen von 4.332,63 EUR.

Hierdurch ist die von § 120 Abs. 4 ZPO geforderte wesentliche Verbesserung ihrer Vermögensverhältnisse eingetreten.

Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei ihr Vermögen vorrangig zur Finanzierung der Prozesskosten einzusetzen, soweit dies zumutbar ist, wobei § 90 SGB XII entsprechend gilt.

Der Einsatz von Lebensversicherungen, die der Altersvorsorge dienen, ist - sofern es sich nicht um die sogenannte Riester-Rente handelt - umstritten (OLG Karlsruhe MDR 2008, 284; OLGR Celle 2007, 751; OLGR Naumburg 2007, 43 und 847; OLGR Stuttgart 2007, 639, 1036 und 1038; OLGR Stuttgart 2006, 723; OLGR Saarbrücken 2006, 361 und 654; OLG Brandenburg NJW-RR 2006, 1301; OLG Frankfurt FamRZ 2006, 135; OLGR Naumburg 2005, 800; OLGR Stuttgart 2002, 59; je m. w. N.).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung werden jedoch zunehmend verschärfte Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Verwertung von Vermögenswerten innerhalb der Prüfung der Bedürftigkeit der begehrten Prozesskostenhilfe gestellt. Altersvorsorgeverträge, deren Ansparung staatlich gefördert werden (sogenannte Riester- oder Rürup-Renten), sind gem. § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII geschützt (Philippi in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 115 Rdnr. 52 m. w. N.). Für eine darüber hinausgehende Versorgung gilt dieser Schutz nicht, sodass die Frage der Angemessenheit der Altersversorgung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen ist. Anzulegen ist ein strenger Maßstab, da eine Vermögensbildung zu Lasten der Allgemeinheit, die sonst durch Gewährung von Prozesskostenhilfe den Aufbau des Versicherungsvermögens finanzieren würde, abzulehnen ist (vgl. im einzelnen Anmerkung von Götsche zu OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Januar 2007, Az. 18 WF 298/06, in jurisPR-FamR 21/2007).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin erst 38 Jahre alt und berufstätig ist, weswegen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Erwerb von weiteren eigenen Rentenanwartschaften künftig nicht möglich sein wird und die abgeschlossene Kapital-Lebensversicherung - keine Rentenversicherung - ihre hauptsächliche Altersvorsorge sein wird.

Eine Gleichstellung dieser Lebensversicherung mit einer staatlich geförderten Rentenversicherung ist nicht möglich. Denn letztere kann praktisch nicht aufgelöst werden, ohne die gewährte Förderung zurückzuzahlen, während die nicht staatlich geförderte Altersversorgung bei Fälligkeit zumeist - wie hier - frei verfügbar ist und auch außerhalb der Altersversorgung eingesetzt werden kann, ohne solche wirtschaftlichen Sanktionen befürchten zu müssen.

Es ist der Antragstellerin deshalb zumutbar, die Lebensversicherung - etwa durch die Aufnahme eines Policendarlehens - zu beleihen, wodurch ihr Rückkaufsverluste erspart bleiben.

Insoweit steht außer Frage, dass - bevor die Solidarität der Allgemeinheit zur Finanzierung ihres Rechtsstreits weiterhin in Anspruch genommen wird - diese Art der Verwertung von der Antragstellerin erwartet werden kann, also z. B. die Inanspruchnahme eines Policendarlehens, dessen Rückzahlung erst bei Vertragsablauf der Lebensversicherung fällig würde und bei dem ihr außer einer geringen Zinsbelastung keine Verluste entstünden.

Das zu Gunsten der Antragstellerin zu berücksichtigende Schonvermögen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII wird dabei nicht angetastet.

Bei den insoweit zu belassenden kleineren Barbeträgen und sonstigen Geldwerten beachtet die Rechtsprechung die Schongrenze von derzeit 2.600 EUR sowie zusätzlich von 256 EUR für jeden Unterhaltsberechtigten (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. 2005, Rdnr. 348; Philippi, a. a. O., § 115 Rdnr. 57; je m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieses Schonvermögens von insgesamt 3.112 EUR für die Antragstellerin und ihre beiden Kinder verbleibt von dem einzusetzenden Rückkaufswert der Lebensversicherung von derzeit 3.462 EUR der volle Betrag, der für die Begleichung der Prozesskosten von vorläufig 955,60 EUR zur Verfügung steht.

Denn das Schonvermögen wird abgedeckt durch das gleichzeitig vorhandene Bausparguthaben von 4.382,63 EUR, das am 1. Juni 2009 an die Antragstellerin ausbezahlt wurde.

Zwar ist das Eigenheim der Familie - soweit angemessen - durch § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII geschützt, nicht jedoch ein angespartes Guthaben. Daher sind Bausparguthaben, die wesentlich über den Freibeträgen des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII liegen, im Regelfall für die Begleichung der Prozesskosten einzusetzen, insbesondere dann, wenn sie zuteilungsreif sind (BGH NJW-RR 2008, 144 m. w. N.).

Selbst die hier nicht gegebene Zweckbindung eines angesparten Bausparguthabens für ein konkretes Bauvorhaben würde dem Einsatz für die Verfahrenskosten nicht entgegenstehen.

Insoweit hat die Antragstellerin ohnehin nur geltend gemacht, dass sie dieses für Umzugskosten, insbesondere eine neue Kücheneinrichtung, benötigt habe. Diese Herbeiführung ihrer erneuten Leistungsunfähigkeit - § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII schützt lediglich den bereits vorhandenen angemessenen Hausrat - kann die Antragstellerin nicht von ihrer Pflicht zur Begleichung der Verfahrenskosten durch eine Einmalzahlung befreien. Wegen der im Gesetz normierten Möglichkeit zur Abänderung der Prozesskostenhilfeentscheidung innerhalb der nächsten vier Jahre muss die Partei auch schon vor Einleitung des Verfahrens nach § 120 Abs. 4 ZPO - unabhängig vom Zugang einer entsprechenden Verfügung des Gerichts - mit der Verpflichtung zum Einsatz eines neu erlangten Vermögens für die Prozesskosten rechnen. Nur wenn schon berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten vorhanden waren, als der Rechtsstreit absehbar wurde, darf ein Vermögenszufluss vorrangig zum Abtrag dieser Verbindlichkeiten verwendet werden und führt erst im übrigen zu einem für die Prozesskosten einsetzbaren Vermögen i. S. v. § 115 Abs. 3 ZPO (BGH NJW-RR 2008, 144 m. w. N.). Hier handelte es sich aber um Ausgaben der Antragstellerin im Zusammenhang mit einem Umzug am 1. April 2009.

Mithin ist auch das Bausparguthaben von 4.382,63 EUR abzüglich des Schonvermögens von 3.112 EUR, also in Höhe von 1.270,63 EUR, für die angeordnete Einmalzahlung von 955,60 EUR einzusetzen. Unerheblich ist dabei, wenn die Antragstellerin das Barvermögen bereits wieder für die Begleichung von Neuschulden ausgegeben hat. Sie wird im Hinblick auf die obige Rechtsprechung so behandelt, als wenn die von ihr selbst herbeigeführte Leistungsunfähigkeit nicht besteht.

Demgemäß muss es bei der Anordnung der Einmalzahlung von 955,60 EUR verbleiben und die sofortige Beschwerde der Antragstellerin war mit der Kostenfolge von Nr. 1812 GKG-KV als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens findet gem. § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.

Ende der Entscheidung

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