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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 18.01.2008
Aktenzeichen: 8 WF 12/08
Rechtsgebiete: ZPO, RVG, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO §§ 223 ff
RVG § 45
RVG § 48
RVG § 55
RVG-VV Nr. 1000
RVG-VV Nr. 3101
RVG-VV Nr. 3104
1. Über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Beschwerdefrist entscheidet das Beschwerdegericht, sofern mit dem Antrag die Rechtsmitteleinlegung erfolgt und die Erstinstanz nicht im Rahmen ihrer Abhilfebefugnis den Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerde für zulässig und begründet erachtet und deshalb zumindest teilweise abhilft.

2. Wird im Rahmen der mündlichen Verhandlung über nicht rechtshängige Ansprüche nach vorheriger Erörterung eine Einigung erzielt und protokolliert, so entsteht neben der 1,5-Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 RVG-VV, auch eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziff. 2 RVG-VV und eine 1,2-Terminsgbühr nach Nr. 3104 (Abs. 2) RVG-VV.

3. Die Terminsgebühr ist ebenso wie die anderen Gebühren für den PKH-Anwalt im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG gegen die Staatskasse festzusetzen, wenn der Prozesskostenhilfebewilligungs- und der Beiordnungsbeschluss auf die Vereinbarung erstreckt werden.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 12/08

18. Januar 2008

In der Familiensache

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Tolk Richter am Oberlandesgericht Grüßhaber Richterin am Oberlandesgericht Tschersich

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Familienrichters des Amtsgerichts Ulm - Familiengericht - vom 22. Oktober 2007, Az. 1 F 972/06, abgeändert:

Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Ulm vom 28. August 2007, Az. 1 F 972/06, dahin abgeändert, dass zusätzlich zu den festgesetzten 1.145,02 € weitere 17,13 €, damit insgesamt 1.162,15 € als Vergütung gegen die Staatskasse festgesetzt werden.

2. Die Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde sind gebührenfrei. Kosten werden in beiden Verfahren nicht erstattet.

Gründe:

1.

Der Antragstellerin war durch Beschluss des Familiengerichts Ulm vom 19. September 2006 Prozesskostenhilfe bewilligt worden für die Verfahrensgegenstände "Ehescheidung und Versorgungsausgleich" ohne Zahlungspflichten und unter Beiordnung des Beschwerdeführers.

Im Verhandlungstermin vom 12. Juli 2007 erklärten die Parteien, dass sie sich über den Unterhalt einigen wollen. Hierauf wurde durch Beschluss des selben Tages die Prozesskostenhilfebewilligung unter Beiordnung des Beschwerdeführers auf "die Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt" erstreckt. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage schlossen die Parteien einen Vergleich über den nachehelichen Unterhalt. Die Streitwerte wurden für die Scheidung auf 5.808 €, den Versorgungsausgleich auf 2.000 € und die Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt auf 3.600 € festgesetzt. Das Scheidungsverfahren wurde beendet durch Urteil vom 12. Juli 2007, in dem die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben wurden.

Auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 13. Juli 2007 wurden mit dem angefochtenen Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 28. August 2007 1.145,02 € statt der verlangten 1.162,15 € in Ansatz gebracht. Die Kürzung wurde damit begründet, dass sich die Beiordnung auf den abgeschlossenen Vergleich erstreckt habe, der Rechtsanwalt in diesem Fall aber neben der 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 RVG-VV nur die 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziff. 2 RVG-VV aus der Staatskasse erhalte, nicht jedoch eine Terminsgebühr.

Die hiergegen gerichtete Erinnerung hat der Familienrichter am 22. Oktober 2007 zurückgewiesen mit im wesentlichen gleich lautender Begründung wie im Festsetzungs- und Nichtabhilfebeschluss des Urkundsbeamten. Gleichzeitig wurde die "Rechtsbeschwerde" zugelassen und mit Beschluss vom 12. November 2007 klargestellt, dass die Beschwerde gem. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen werden sollte.

Die vom Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde ging verspätet ein und wurde deshalb durch Beschluss des Senats vom 29. November 2007, Az. 8 WF 160/07, als unzulässig verworfen.

Hierauf erhob der Beschwerdeführer am 10. Dezember 2007 erneut Beschwerde verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist.

Der Familienrichter gewährte mit Beschluss vom 7. Januar 2008 die beantragte Wiedereinsetzung und legte im übrigen die Akten dem Oberlandesgericht ohne Abhilfe zur Entscheidung vor.

2.

A)

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG aufgrund der Zulassung durch das Amtsgericht statthaft, obwohl eine Beschwer von über 200 € nicht vorliegt. Der Senat ist als Beschwerdegericht an die Zulassung gebunden (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 4 RVG).

Das Rechtsmittel ist auch sonst zulässig; insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden, nachdem der Familienrichter für die erneute Rechtsmitteleinlegung dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gewährt hat.

Ob diese Entscheidung des Amtsgerichts das Rechtsmittelgericht bindet (Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 238 Rdnr. 6; Grandel in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 238 Rdnr. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 238 Rdnr. 13; je m. w. N.), obwohl dieses zuvor die sofortige Beschwerde wegen der Fristversäumung verworfen hatte, kann dahingestellt bleiben.

Da der Wiedereinsetzungsantrag gem. §§ 233, 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 236 ZPO zulässig und begründet ist und dem Beschwerdeführer vor der Verwerfung kein rechtliches Gehör eingeräumt worden ist, wäre ebenfalls vom Senat als Rechtsmittelgericht die Wiedereinsetzung zu gewähren.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass über einen Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Frist für die sofortige Beschwerde, die mit diesem Antrag zugleich eingelegt wird, grundsätzlich das Beschwerdegericht - gerade auch dann, wenn es das verspätete Rechtsmittel bereits verworfen hatte, - und nicht das erstinstanzliche Gericht im Rahmen seiner Abhilfebefugnis (§ 572 Abs. 1 ZPO; §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 1 RVG) entscheidet.

Der Erstrichter hätte über den Wiedereinsetzungsantrag nur befinden dürfen, wenn er ihn für zulässig und begründet sowie ebenfalls die sofortige Beschwerde für zulässig und (zumindest teilweise) begründet erachtet hätte (Greger, a. a. O., § 237 Rdnr. 1; Grandel, a. a. O., § 237 Rdnr. 1; Hüßtege, a. a. O., § 237 Rdnr. 1; Brandenburgisches OLG, OLG-NL 2005, 208; OLG Koblenz MDR 2002, 909; je m. w. N.). Der Amtsrichter hätte also nur dann die Wiedereinsetzung gewähren dürfen, wenn er zugleich der Beschwerde abgeholfen hätte (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 1 RVG).

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Beschwerdeführer angeregt hat, das Verfahren zunächst auf die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zu beschränken, da er diesen gerade mit der Rechtsmitteleinlegung verbunden hatte.

B)

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Dem aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordneten Beschwerdeführer steht - unabhängig vom Ausgang des zu Grunde liegenden Rechtsstreits (Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. 2007, § 55 RVG Rdnr. 1, § 59 RVG Rdnr. 1) ein Anspruch auf Festsetzung der geltend gemachten 1,2-Terminsgebühr zu.

a)

Diese Gebühr ist gem. Nr. 3104 (Abs. 2) RVG-VV angefallen.

Nr. 3104 Abs. 2 RVG-VV ist anzuwenden, wenn in einem Termin versucht wird, auf Grund von Verhandlungen weitere in dem streitgegenständlichen Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche in einer Einigung einzubeziehen. Abs. 2 enthält eine doppelte Aussage. Zunächst einmal ist ihm zu entnehmen, dass eine 1,2-Terminsgebühr auch dann anfällt, wenn Einigungsgespräche über solche in dem Verfahren nicht rechtshängigen Ansprüche geführt werden. Denn nur eine entstandene Gebühr kann angerechnet werden. Zum anderen enthält Abs. 2 eine Anrechnungsbestimmung, die aber allein dann zum Zuge kommt, wenn in einem anderen Verfahren eine Terminsgebühr wegen desselben Gegenstands entsteht, auf die die Anrechnung zu erfolgen hat (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 3104 RVG-VV Rdnr. 73 m. w. N.).

In der Niederschrift über den Verhandlungsablauf am 12. Juli 2007 ist eine Erörterung der danach geschlossenen Vereinbarung protokolliert Dies reicht aus, um die 1,2-Terminsgebühr aus dem Gesamtstreitwert von 11.408 € - also auch aus dem sich für die nicht rechtshängigen Unterhaltsansprüche ergebenden Streitwert des Vergleichs - anfallen zu lassen.

Dabei wird die Terminsgebühr nicht durch die erhöhte 1,5-Einigungsgebühr der Nr. 1000 RVG-VV mit abgegolten, sondern kann neben der Einigungsgebühr entstehen, wenn die Einigung in einem gerichtlichen Termin (Nr. 3104 RVG-VV) - wie hier - oder bei einer auf Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Besprechung (Vorbem. 3 Abs. 3 RVG-VV) zu Stande kam. Dass diese Tätigkeit durch die Einigungsgebühr nicht abgegolten ist, betont das RVG-VV ausdrücklich in Vorbem. 1 (von Eicken in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 1000 RVG-VV Rdnr. 83 m. w. N.).

Die 1,2-Terminsgebühr wird dabei berechnet aus dem Gesamtstreitwert der verhandelten Gegenstände (Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 3104 RVG-VV Rdnr. 126; OLG Stuttgart -Senat- AGS 2006, 592; Beschluss des Senats vom 24. August 2007, Az. 8 W 332/07), so wie auch bei der Einbeziehung anderweitig anhängiger Ansprüche in einen Prozessvergleich eine einheitliche 1,0-Einigungsgebühr aus dem Gesamtwert der verglichenen Ansprüche entsteht (OLG Stuttgart -Senat- NJW-RR 2005, 940; von Eicken, a. a. O., Nr. 1000 RVG-VV Rdnr. 45; je m. w. N.).

b)

Die angefallene 1,2-Terminsgebühr aus dem Gesamtstreitwert war im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG für den Beschwerdeführer aus der Staatskasse festzusetzen.

Gem. §§ 45, 48 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dabei erstreckt sich die Beiordnung in einer Ehesache kraft Gesetzes gem. § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG auf den Abschluss eines Einigungsvertrages im Sinne der Nr. 1000 RVG-VV (1,5-Einigungsgebühr) auf die dort genannten Folgesachen wie den gegenseitigen Unterhalt der Ehegatten.

Zwar hatte der Familienrichter diesen gesetzlichen Umfang durch seinen Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss vom 19. September 2006 auf die Verfahrensgegenstände "Ehescheidung und Versorgungsausgleich" beschränkt, dann aber durch den Beschluss vom 12. Juli 2007 wieder erweitert auf die "Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt". Aus dieser Beiordnung schließt die Vorinstanz unter Bezugnahme auf von Eicken/Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, a. a. O., § 48 Rdnr. 108, und der dort zitierten Rechtsprechung unter der Geltung der BRAGO, dass eine Terminsgebühr nicht festgesetzt werden könne.

Dem kann nicht gefolgt werden:

Sind die Voraussetzungen für das Entstehen einer Terminsgebühr ebenso erfüllt wie die für eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 RVG-VV hinsichtlich der in § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG genannten Folgesachen, dann spricht nicht nur der wirtschaftliche Zusammenhang und der bestehende Anwaltszwang (§ 78 Abs. 2 ZPO) dafür, dass die Beiordnung des Anwalts die angefallene Terminsgebühr umfasst, sondern auch die Zielsetzung der Prozesskostenhilfe, durch die die unbemittelte Partei nicht schlechter gestellt sein darf als die bemittelte Partei.

Bei der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung müsste der Rechtsanwalt seine Partei darauf hinweisen, dass die anfallende Terminsgebühr aus der Staatskasse nicht gezahlt werde, so dass die Ansprüche in einem gesonderten Verfahren, für das wiederum Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu gewähren wäre, verfolgt werden müssten, um eine Festsetzung der Terminsgebühr zu erreichen - es sei denn der Anwalt verzichtet auf diese (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Dies kann jedoch dem PKH-Anwalt, der ohnehin zu geringeren Gebühren tätig sein muss, nicht als weiteres Sonderopfer abverlangt werden.

Der Senat schließt sich deshalb der bereits vom OLG Koblenz (AGS 2006, 349) und vom OLG Köln (AGS 2007, 547) vertretenen Auffassung an, dass neben der 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 RVG-VV nicht nur die 0,8-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3101 Ziff. 2 RVG-VV, sondern auch eine - nicht durch die Einigungsgebühr abgegoltene - 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG-VV bei Einigung in einem gerichtlichen Termin oder aber nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG-VV bei einer auf Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Besprechung gegen die Staatskasse festzusetzen ist.

C)

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war deshalb der weitere Betrag von 17,13 € (Differenz zwischen Antrag und Festsetzung - deshalb nicht 17,14 €) zur Zahlung aus der Staatskasse festzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Ende der Entscheidung

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