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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 29.10.2002
Aktenzeichen: 8 WF 20/02
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 50
FGG § 56 g
FGG § 67 Abs. 3
1. Die Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht primär darin, die Interessen des Kindes zu erkennen und in dem Verfahren zur Geltung zu bringen, in dem die Eltern hierzu auf Grund ihrer eigenen widerstreitenden Interessen nicht mehr in der Lage sind.

2. Diese Aufgabe erfordert in der Regel - je nach Alter des Kindes - auch in begrenztem Umfang die Führung von Gesprächen mit den Eltern und/oder anderen Bezugs- oder Auskunftspersonen.

3. Die Notwendigkeit von Gesprächen ist eine Frage des Einzelfalls. Für die Vergütungsfähigkeit genügt eine Plausibilitätsprüfung. Dabei kann auch eine pauschalierende Begrenzung des zu vergütenden Zeitaufwands in Betracht kommen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

vom 29. Oktober 2002

Geschäftsnummer: 8 WF 20/02

In der Familiensache

wegen Änderung des Sorgerechts betreffend das Kind Marco ..., geboren 31.10.1996

hier: Vergütungsfestsetzung des Verfahrenspflegers nach §§ 50,67 FGG

Gründe:

1. Bald, nachdem das Amtsgericht die elterliche Sorge für das gemeinsame dreijährige Kind der getrennt lebenden Eltern auf die Mutter übertragen hatte, hat der Vater beantragt, das Sorgerecht ihm zu übertragen mit der Begründung, die Mutter sei nicht in der Lage, die erforderliche Stetigkeit in der Betreuung des Kindes zu gewährleisten. Das Amtsgericht hat unverzüglich für das Kind eine berufsmäßig tätige (auch im früheren Verfahren tätig gewesene) Verfahrenspflegerin bestellt. Nach dem Scheitern von Beratungsgesprächen beim Jugendamt und Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachten kam es zu einer Vereinbarung zwischen den Eltern über die Handhabung des väterlichen Besuchsrechts.

Die Verfahrenspflegerin hat beantragt, ihr bei einem - unstreitigen - Satz von 60,-- DM pro Stunde eine Entschädigung für Zeitaufwand in Höhe von 1.058,-- DM, zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer, zusammen 1.313,00 DM, zu gewähren. Der Rechtspfleger hat die Zeitvergütung und anteilige Telefonkosten um effektiv 377,30 DM gekürzt, weil diese Gespräche nicht erforderlich gewesen seien. Dagegen wendet sich die Verfahrenspflegerin mit der sofortigen Beschwerde.

2. a) Die sofortige Beschwerde der Verfahrenspflegerin ist nach § 56g Abs. 5 Satz 1 iVm §§ 50 Abs. 5, 67 Abs.3 FGG ohne Zulassung durch das Amtsgericht zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands die Wertgrenze von 300,-- DM (bzw. nach neuem Recht 150,-- €) übersteigt.

b) Das Rechtsmittel der Verfahrenspflegerin hat nur teilweise Erfolg.

aa) Im Ansatz teilt der Senat die überwiegend in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die Aufgabe des Verfahrenspflegers darin besteht, die Interessen des Kindes zu erkennen und sie in dem Verfahren zur Geltung zu bringen, in dem die Eltern hierzu aufgrund ihrer eigenen widerstreitenden Interessen nicht mehr in der Lage sind. Ziel des Gesetzgebers war es, dem betroffenen Kind "einen gesetzlichen Vertreter zur Durchsetzung von tatsächlich formulierten oder auch nur zu ermittelnden Interessen und Wünschen im Verfahren zur Seite zu stellen" (BVerfG FamRZ 2000, 1280 (1281) = NJWE-FER 2000,282; vgl. auch BverfG FamRZ 1999, 85(87)). Gegenstand der Bestellung des Verfahrenspflegers ist es dagegen grundsätzlich nicht, darüber hinaus Tatsachen zu ermitteln, Nachforschungen für die bestmögliche Entscheidung anzustellen, Hilfepläne zu erstellen, erzieherische oder therapeutische Maßnahmen zu ergreifen oder zwischen den übrigen Verfahrensbeteiligten zu vermitteln; dies bleibt Aufgabe des Gerichts und des Jugendamts (vgl. zB OLG Frankfurt FamRZ 1999, 1293; 2002, 335; KG FamRZ 2000, 1300; KGRep 2001, 383; 2001, 385; OLG Schleswig OLGRep 2000, 177; OLG Brandenburg FamRZ 2001, 692; 2001, 1541; 2002, 626; OLG Braunschweig FamRZ 2001, 776; OLG Dresden FamRZ 2002, 968; OLGRep 2002, 368; OLG Naumburg 14 WF 75/01 - jurisRspr = OLGRep 2001, 559 (LS); OLG Rostock FamRZ 2002, 969 = JurBüro 2002, 157). Nur der für die Wahrnehmung dieser verfahrensbezogenen Aufgabe objektiv erforderliche Aufwand ist vergütungsfähig.

Aus dem Beschluss des Familiengerichts zur Verfahrenspflegerbestellung ergibt sich ebenso wenig wie aus weiteren gerichtlichen Entscheidungen, dass der Familienrichter den Aufgabenbereich des Verfahrenspflegers über den gesetzlichen Aufgabenbereich hinaus erweitert und dadurch einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. insoweit Senatsbeschluss v. 2. 11. 2000, Die Justiz 2002, 411; OLG Hamm FamRZ 2001, 1540/41).

bb) Andererseits ist ein Erkennen und eine Wahrnehmung der Interessen eines damals 3- bis 4-jährigen Kindes ohne Befassung mit seinem Umfeld unmöglich. Deshalb müssen - je nach Alter des Kindes - in begrenztem Umfang auch Gespräche mit dessen Bezugspersonen oder anderen Auskunftspersonen als notwendig und deshalb von der Aufgabenstellung eines Verfahrenspflegers umfasst angesehen werden mit der Folge, dass der hierfür anfallende konkrete Zeitaufwand zu vergüten ist. Zu diesem Personenkreis gehören in erster Linie die Eltern, aber je nach Lage des Falles etwa auch Großeltern, Kindergärtnerinnen bzw. Lehrer, Tagesmütter oder auch Ärzte und Vertreter des Jugendamts, wenn und soweit dies zur Klärung des Kindesinteresses dient (in diesem Sinn, teilweise auch weitergehend OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 1166; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 627; OLG München FamRZ 2002, 563; OLG Frankfurt, Beschl. v. 23. 3. 2000 - 2 WF 32/00 - nach Bl. 157 dA). Dabei lässt sich die veröffentlichte Rechtsprechung der Oberlandesgerichte schwerlich in gegensätzliche Positionen auseinanderdividieren; sie differiert vielmehr je nach Einzelfall nur in Nuancen.

Eine zu enge Sichtweise der Vergütungsfähigkeit begründet die Gefahr, dass der Verfahrenspfleger seine Aufgabe nur in der Wahrung von Förmlichkeiten sieht und sich in weitgehende Passivität zurückzieht; dadurch würde aber die ihm vom Gesetzgeber und vom Bundesverfassungsgericht (aaO) zugedachte Funktion verfehlt. Geboten ist deshalb eine "mittlere Linie", die einerseits Vergütungen für Tätigkeiten außerhalb des konkreten Verfahrenszwecks vermeidet, andererseits dem Verfahrenspfleger genügend Raum lässt, die ihm zugedachte Aufgabe als "Anwalt des Kindes" ordentlich und engagiert zu erfüllen.

cc) Die Frage der Notwendigkeit von (Telefon-)Gesprächen ist grundsätzlich eine Frage des konkreten Einzelfalls. In der Regel können jeweils die ersten Gespräche mit den Eltern und mit den anderen konkret in Betracht kommenden Personen als notwendig anerkannt werden; darüber hinaus kommen auch Gespräche nach gewissen Verfahrensabschnitten, etwa nach der Vorlage eines Sachverständigengutachtens, als erforderlich in Betracht (vgl. insbes. OLG Frankfurt FamRZ 2002, 335). Allerdings ist es schwierig, die Notwendigkeit einzelner Gespräche nachträglich nachzuvollziehen bzw. im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu überprüfen, zumal die Anforderungen an die Dokumentation solcher Gespräche durch den Verfahrenspfleger hinsichtlich seines Zeitaufwands auch nicht überspannt werden dürfen, um nicht dadurch zu einem eigenständigen Kostenfaktor zu werden. Indes ist anerkannt, dass die Dokumentation des Zeitaufwands so gestaltet sein muss, dass der geltend gemachte Vergütungsanspruch auf Plausibilität überprüft werden kann (vgl. OLG Brandenburg FGPrax 2001, 240 = FamRZ 2002, 626; FPR 2002, 280; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 627).

Deshalb hält es der Senat für geboten, in Fortführung früherer Erwägungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände einen pauschalierten Zeitaufwand anzusetzen und den tatsächlich geltend gemachten Zeitaufwand auf ein sachlich angemessenes Maß zu reduzieren.

dd) Im vorliegenden Fall hat der Rechtspfleger diese Sichtweise seiner Festsetzung zwar im Ansatz zutreffend zugrundegelegt, jedoch im Ergebnis einen zu engen Maßstab angelegt.

Von den geltend gemachten Telefongesprächen der Verfahrenspflegerin mit der Mutter des Kindes mit einer Dauer von insgesamt 73 Minuten hat er nur 23 Minuten (2 Gespräche von 11 und 12 Minuten) als vergütungsfähig erachtet; von den Telefongesprächen mit dem Vater mit einer Dauer von 4 Stunden und 40 Minuten (280 Minuten) hat er nur 1 Gespräch mit einer Dauer von 14 Minuten akzeptiert. Diese Zeiten sind nach Ansicht des Senats zu kurz, um dem Verfahrenspfleger ein ausreichendes Bild von den für die Interessenwahrnehmung des Kindes im Verfahren maßgeblichen Umständen zu verschaffen.

Hier erscheint es unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten des Falles sachgerecht, für die Gespräche mit dem Vater eine Gesprächsdauer von insgesamt 2 Stunden - ohne dass es einer genauen Aufteilung auf die tatsächlichen Telefongespräche bedarf - als noch im Rahmen des normalen Aufgabengebiets der Verfahrenspflegerin liegend und somit als vergütungsfähig anzusehen. Dagegen überschreitet - auch unter Berücksichtigung der "schwierigen Persönlichkeit des Vaters" - der Umfang der mit diesem tatsächlich geführten Telefongespräche von 4 Stunden und 40 Minuten das Maß dessen, was als objektiv notwendig nachvollzogen werden kann. Den Vater zur Teilnahme an den Beratungsgesprächen beim Jugendamt zu motivieren, geht ebenso über den Aufgabenbereich eines Verfahrenspflegers hinaus wie die Erläuterung der Rechtslage oder der Sichtweise des Gerichts. Somit sind nicht nur 14 Minuten Telefongespräche, sondern - höchstens - 120 Minuten zu vergüten. Dies ergibt zusätzliche 106,-- DM Zeitvergütung und (geschätzte) 14,-- DM weitere Telefonkosten, zusammen 120,-- DM.

Die mit der Mutter geführten Gespräche mit einem Zeitaufwand von 73 Minuten können danach in vollem Umfange als notwendig anerkannt werden. Somit sind weitere 50 Minuten und erhöhte Telefonkosten von 5,-- DM, zusammen 55,-- DM, ergänzend zu vergüten.

ee) Die weitergehende Beschwerde der Verfahrenspflegerin - und damit auch ihr Antrag auf Festsetzung weiterer 204,30 DM - war dagegen zurückzuweisen, weil es sich insoweit um einen Zeitaufwand gehandelt hat, der nicht mehr in nachvollziehbarer Weise durch ihre Aufgabenstellung nach §§ 50, 67 FGG gedeckt war, selbst wenn er letztlich auch dem Kindeswohl dienlich gewesen sein dürfte. Wie bereits ausgeführt, überschreitet es den Aufgabenbereich eines Verfahrenspflegers, wenn er einem anderen Verfahrensbeteiligten - hier dem Vater - die im Interesse des Kindes liegende Lösung des Konflikts durch lange Gespräche nahe bringen und dadurch zwischen den Eltern vermitteln will. Eine so weitreichende, kaum begrenzbare Vergütungspflicht für alle Tätigkeiten, die ein nur am Kindeswohl orientierter Verfahrenspfleger nach eigenen Maßstäben für zweckmäßig erachtet (vgl. OLG Naumburg aaO), hätte eine andere gesetzliche Regelung erfordert.

Die Zulassung einer weiteren Beschwerde (§ 56g Abs. 5 Satz 2 FGG) kommt hier nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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