Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 13.01.2009
Aktenzeichen: 8 WF 211/08
Rechtsgebiete: RVG, BerHG, RVG-VV


Vorschriften:

RVG §§ 45 ff
BerHG § 1
RVG-VV Nr. 2300
RVG-VV Nr. 3100
RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4
Im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit einer Ratenzahlungspflicht für die bedürftige Partei bestand bezüglich einer vorgerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts keine Beratungshilfeberechtigung des Mandanten gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BerHG. Insoweit entstand eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV, die bei der Vergütungsfestsetzung gem. §§ 45 ff RVG die später anfallende Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV, §§ 45, 49 RVG) nach der Anrechnungsbestimmung vonTeil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV anteilig verkürzt.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 211/08

13. Januar 2009

In der Familiensache

wegen Unterhaltsabänderung

hier: Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG; sofortige Beschwerde gem. §§ 56, 33 RVG

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Tolk Richterin am Oberlandesgericht Tschersich Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zeller-Lorenz

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss der Familienrichterin des Amtsgerichts Göppingen - Familiengericht - vom 1. Dezember 2008, Az. 10 F 1031/07, wird zurückgewiesen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

1.

Die Beteiligten streiten im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. §§ 45 ff RVG darüber, ob nach Prozesskostenhilfebewilligung für den Kläger mit Ratenzahlungsanordnung von monatlich 30 € ab 1. Dezember 2007 seinem Bevollmächtigten die 1,3-Verfahrensgebühr von 209,30 € netto nach Nr. 3100 RVG-VV aus einem Gegenstandswert von 2.239,28 € ungekürzt zusteht oder infolge seiner vorgerichtlichen Tätigkeit wegen desselben Gegenstands nur vermindert gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV um die hälftige vorgerichtliche 1,3-Geschäftsgebühr von 104,65 € netto nach Nr. 2300 RVG-VV.

Der Kläger hat für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten keine Beratungshilfe in Anspruch genommen.

Das Hauptsacheverfahren wurde beendet durch Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO vom 21. Juli 2008, in dem die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben wurden.

Der Rechtspfleger hat die Vergütung unter Berücksichtigung der Anrechnung der 0,65-Geschäftsgebühr auf 569,83 € statt, wie beantragt, auf 694,37 € festgesetzt. Wegen der Differenz von 124,54 € wurde die hiergegen erhobene Erinnerung durch Beschluss der Familienrichterin vom 1. Dezember 2008 zurückgewiesen, die zugleich die Beschwerde zugelassen hat. Der Beschwerdeführer hat am 17. Dezember 2008 gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt, der nicht abgeholfen wurde. Vielmehr wurden die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Das Rechtsmittel des Klägervertreters ist nach Zulassung durch das Erstgericht gem. §§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 und 3, Abs. 7 RVG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.

Der Beschwerdeführer stützt seine Auffassung, dass eine Anrechnung nur zu erfolgen habe, wenn die vorgerichtliche Geschäftsgebühr bezahlt sei auf die Entscheidung des Senats vom 15. Januar 2008, Az. 8 WF 5/08 (FamRZ 2008, 1013).

a)

Diese Rechtsprechung wurde aber zwischenzeitlich unter Berücksichtigung der später ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Auslegung der Anrechnungsbestimmung in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV (u. a. BGH NJW 2008, 1323; NJW-RR 2008, 1095; JurBüro 2008, 469; NJW 2008, 3641) und der hierauf getroffenen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. §§ 45 ff RVG (u. a. OLG Hamm FamRZ 2008, 1764; OLG Schleswig MDR 2008, 947; OLG Oldenburg MDR 2008, 1185; OLG Oldenburg FamRZ 2008, 1765; OLG Oldenburg MDR 2008, 1006; OLG Bamberg RVGreport 2008, 343; OLG Braunschweig AGS 2008, 606) überarbeitet. Insoweit wird in vollem Umfang Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 28. Oktober 2008, Az. 8 W 438/08.

Danach wurde in Übereinstimmung mit OLG Oldenburg MDR 2008, 1006 entschieden, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BerHG und bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Zahlungspflichten für die bedürftige Partei die Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV nicht in Betracht kommt, sondern lediglich die im Rahmen der Beratungshilfe - fiktiv - entstehende Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 RVG-VV anteilig abzuziehen ist (Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 RVG-VV). Denn liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Rechtssuchende zu dem Kreis der nach dem BerHG Berechtigten gehört, ist der Rechtsanwalt gehalten, diesen auf die Möglichkeit von Beratungshilfe hinzuweisen. Versäumt er diese Pflicht, kann er von seinem Mandanten allenfalls die Zahlung der Beratungshilfegebühr nach Nr. 2500 RVG-VV, § 44 Satz 2 RVG, nicht aber die einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV verlangen (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, Nr. 2500 RVG-VV Rdnr. 1). Die übrigen Gebühren nach Nr. 2501 bis 2508 RVG-VV entstehen gegenüber der Staatskasse. Sind danach die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe gegeben und ist der Rechtsanwalt bereits vorgerichtlich für seinen Mandanten tätig geworden, fällt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 RVG-VV an, die nach der Anrechnungsbestimmung von Nr. 2503 Abs. 2 RVG-VV bei der Festsetzung der PKH-Vergütung nach § 55 RVG die Verfahrensgebühr für den anschließenden Rechtsstreit (Nr. 3100 RVG-VV, §§ 45, 49 RVG) um die halbe Geschäftsgebühr (Nr. 2503 RVG-VV) kürzt, wobei unerheblich ist, ob der Rechtssuchende bereits Beratungshilfe in Anspruch genommen hat oder nicht. Denn der Antrag auf Beratungshilfe gem. § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG kann auch nachträglich gestellt werden, wenn sich der Rechtssuchende wegen Beratungshilfe unmittelbar an einen Rechtsanwalt gewandt hatte (OLG Oldenburg MDR 2008, 1006 m. w. N.).

b)

Vorliegend wurde jedoch Prozesskostenhilfe mit einer monatlichen Ratenzahlungspflicht von 30 € bewilligt. Dass im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für eine Gewährung von Beratungshilfe vorgelegen hätten, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

In einem solchen Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass durch die Einziehung der PKH-Raten die vollen Gebühren des beigeordneten Anwalts beigetrieben werden. Nach § 115 Abs. 2 ZPO hat die bedürftige Partei 48 Monatsraten aufzubringen. Eine vorläufige Einstellung der Zahlungen ist gem. § 120 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nur zu bestimmen, wenn abzusehen ist, dass die Zahlungen der Partei die Kosten decken. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Beträge, die die PKH-berechtigte Partei gezahlt hat, die Summe aus den Gerichtskosten und den vollen Gebühren des beigeordneten Anwalts nach § 13 RVG erreichen. Dass die verminderten Anwaltsgebühren nach § 49 RVG gedeckt sind, genügt nicht. Denn § 50 Abs. 1 RVG bestimmt, dass die Staatskasse über die Gebühren des § 49 RVG hinaus weitere Beträge bis zur Höhe der Gebühren nach § 13 RVG einzuziehen hat (Philippi in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 21 Rdnr. 15 bis 17; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 120 Rdnr. 7; je m. w. N.).

Somit treffen im Fall der Prozesskostenhilfebewilligung mit Ratenzahlung die vorherigen Überlegungen nicht zu. Es liegen gerade nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe vor (§ 1 Abs. 2 BerHG), sodass auch keine Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 RVG-VV mit seiner speziellen Anrechnungsvorschrift in Abs. 2 in Frage steht, sondern es fällt für eine vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV an, deren Anrechnung auf eine spätere Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV der Anrechnungsbestimmung nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV unterliegt.

Als Folge der Anrechnung vermindert sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die im anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr (BGH NJW 2007, 2049). Ob die Geschäftsgebühr dem Mandanten gegenüber geltend gemacht wird, ob sie tituliert oder bereits beglichen ist, ist auf den Anrechnungstatbestand ohne Auswirkung (BGH NJW 2008, 1323; NJW-RR 2008, 1095; JurBüro 2008, 469; NJW 2008, 3641). Da die Verfahrensgebühr in Folge der Anrechnung von vornherein in der gekürzten Höhe entsteht und die Rechtsanwaltsvergütung im Prozesskostenhilfeverfahren hierzu keine abweichende Bestimmung enthält, ist diese Regelung auch bei der Festsetzung der Vergütung nach § 55 Abs. 1 RVG maßgebend (OLG Oldenburg MDR 2008, 1185 und FamRZ 2008, 1765; OLG Bamberg RVGreport 2008, 343; OLG Braunschweig AGS 2008, 606).

Die Anrechnung steht nicht im Widerspruch zu § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil die Forderungssperre nur die Vergütung betrifft, die nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsteht, während die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts für den Mandanten bereits davor angefallen ist (Philippi, a. a. O., § 122 Rdnr. 11).

§ 58 Abs. 2 RVG steht ebenfalls nicht entgegen. Denn die Frage der Verrechnung von Vorschüssen und Zahlungen beeinflusst nicht die Rechtsfolge, dass auf Grund der Anrechnung nur ein verminderter Vergütungsanspruch nach den Bestimmungen des RVG entsteht.

Auch die Gefahr, dass ein im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordneter Rechtsanwalt durch die Anrechnungsbestimmung auf einen Gebührenanspruch gegenüber seinem Mandanten verwiesen werden könnte, den er wegen dessen wirtschaftlicher Verhältnisse nicht realisieren kann, rechtfertigt keine Abweichung von der gesetzlichen Regelung der Anrechnung und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn entweder lagen die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe vor oder der Mandant verfügte im Zeitpunkt der vorprozessualen Tätigkeit des Rechtsanwalts noch über ausreichend eigene finanzielle Mittel.

c)

Infolgedessen hat der Rechtspfleger die Verminderung der Verfahrensgebühr um eine hälftige Geschäftsgebühr zu Recht bei der Vergütungsfestsetzung vorgenommen und die sofortige Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung der Familienrichterin vom 1. Dezember 2008 war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG. Eine weitere Klärung dieser Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof ist gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht möglich.

Ende der Entscheidung

Zurück