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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.07.2007
Aktenzeichen: 8 WF 92/07
Rechtsgebiete: BGB, RVG, RVG-VV


Vorschriften:

BGB § 1671
RVG § 55
RVG § 48 Abs. 3
RVG-VV Nr. 1000
RVG-VV Nr. 1003
Auch in Sorgerechtsverfahren kann grundsätzlich eine Einigungsgebühr anfallen. Für die Festsetzbarkeit der Einigungsgebühr reicht es aus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Beteiligten eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV geschlossen haben. Einer Protokollierung der Vereinbarung bedarf es nicht (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 13. 4. 2007, II ZB 10/06, NSW RVG VV Nr. 1000 (BGH-intern); entgegen OLG Frankfurt. Beschluss vom 8. 1. 2007, 5 WF 247/06).
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 92/07

03. Juli 2007

In der Familiensache

wegen Regelung der elterlichen Sorge

hier: Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG; sofortige Beschwerde gem. §§ 56, 33 RVG

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürtingen - Familiengericht - vom 16. April 2007, Az. 21 F 599/06, abgeändert:

Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird zu seinen Gunsten in Abänderung der Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Nürtingen - Familiengericht - vom 8. Januar 2007, Az. 21 F 599/06, eine weitere Vergütung von 219,24 € festgesetzt.

2. Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

1.

In der Familiensache wegen Regelung der elterlichen Sorge und einstweiliger Anordnung bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts wurde dem Antragsteller durch das Amtsgericht Nürtingen - Familiengericht - am 1. August 2006 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt.

Im einstweiligen Anordnungsverfahren wurden durch Beschluss vom 3. August 2006 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind der Parteien auf den Antragsteller, den Vater, übertragen, zugleich das Umgangsrecht der Antragsgegnerin, der Mutter, mit dem Kind geregelt und deren Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wurde nach Zurückweisung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht durch das Oberlandesgericht am 26. September 2006 zurückgenommen. Hierauf teilte der Familienrichter des Amtsgerichts mit Verfügung vom 19. Oktober 2006 im Hauptverfahren den Beteiligten mit, dass er im Hinblick auf die getroffene einstweilige Anordnung und deren Bestätigung durch das Oberlandesgericht vorschlage, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater zu übertragen. Hiermit erklärten sich beide Elternteile schriftsätzlich einverstanden. Das Hauptsacheverfahren wurde danach durch Beschluss des Amtsgerichts vom 29. November 2006 dahingehend entschieden, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen wird und außergerichtliche Auslagen der Beteiligten nicht zu erstatten seien.

Am 13. Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG. Dem Antrag wurde entsprochen. Jedoch wurden die geltend gemachte Einigungsgebühr von 189 € zuzüglich 16% Mehrwertsteuer (30,24 €), insgesamt ein Betrag von 219,24 € nicht in Ansatz gebracht. Gegen die Vergütungsfestsetzung vom 8. Januar 2007, zugestellt am 15. Januar 2007, hat der Beschwerdeführer wegen der nicht festgesetzten Einigungsgebühr nebst MWSt. per Telefax am 29. Januar 2007 Erinnerung (als Beschwerde bezeichnet) eingelegt. Die Bezirksrevisorin ist dieser entgegengetreten und der Referatsrichter hat die Erinnerung mit Beschluss vom 16. Januar 2007 zurückgewiesen. Diese am 3. Mai 2007 zugestellte Entscheidung hat der Beschwerdeführer per Telefax am 16. Mai 2007 mit der sofortigen Beschwerde angefochten, die ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt wurde.

2.

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist statthaft, form- und fristgerecht erhoben und der Beschwerdewert übersteigt 200 €, so dass das Rechtsmittel zulässig ist (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 7 RVG).

Es hat auch in der Sache Erfolg.

Nach soweit ersichtlich ganz überwiegender Auffassung kann in einem auf Antrag durchgeführten Sorgerechtsverfahren gemäß § 1671 BGB für einen als Verfahrensbevollmächtigten beteiligten Rechtsanwalt eine Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000, 1003 RVG-VV entstehen (vgl. hierzu: OLG Dresden MDR 1999, 1201; OLG Koblenz MDR 2001, 1017; OLG Nürnberg Rpfleger 2005, 280; OLG Nürnberg NJW 2005, 2021; OLG Koblenz NJW-RR 2005, 1160; OLG Koblenz, Beschl. vom 28. September 2005, 11 WF 835/05; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1007; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 637; Brandenburgisches OLG NJW-RR 2006, 1368; ablehnend für ein Verfahren gemäß § 1666 BGB OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1151). Mittelbar ergibt sich diese Möglichkeit bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 3 RVG.

Soweit das OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 8. Januar 2007, Az. 5 WF 247/06, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 28. März 2006, Az. VIII ZB 29/05 (NJW 2006, 1523) die Auffassung vertritt, dass die Festsetzung einer (entstandenen) Einigungsgebühr auch in einem Sorgerechts- und Umgangsverfahren wegen des Gebots der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der Protokollierung der getroffenen Vereinbarung bedarf, ist diese Rechtsprechung überholt durch den Beschluss des BGH vom 13. April 2007, Az. II ZB 10/06 (NSW RVG VV Nr. 1000 [BGH-intern]). Danach reicht es für die Festsetzbarkeit einer Einigungsgebühr aus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Parteien eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV geschlossen haben. Die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht erforderlich. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hält an seiner gegenteiligen Auffassung (Beschluss vom 28. März 2006, Az. VIII ZB 29/05, NJW 2006, 1523) nicht fest, wie er auf Anfrage mitgeteilt hat.

Die Gebühr gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Notwendig wird eine Mitwirkung an einer vertraglichen Vereinbarung regelmäßig dann sein, wenn erst dadurch die Grundlage für eine auf ihr aufbauende gerichtliche Regelung gemäß § 1671 BGB geschaffen wird.

Vorliegend hat der Familienrichter des Amtsgerichts ausgehend von der vom Oberlandesgericht im Prozesskostenhilfeverfahren bestätigten einstweiligen Anordnung vom 3. August 2006 den Beteiligten vorgeschlagen auch für das Hauptsacheverfahren der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater zuzustimmen. Diese Erklärung wurde von ihnen schriftsätzlich abgegeben und hierauf hat das Amtsgericht seine Entscheidung vom 29. November 2006 gestützt, indem es die Erklärung des Vaters dahin ausgelegt hat, dass nicht mehr die Übertragung der elterlichen Sorge, sondern nur noch des Aufenthaltsbestimmungsrechts beantragt wird. Die Erklärung der Mutter hat es als Zustimmung zu diesem Antrag gewertet unter gleichzeitiger Abstandnahme von ihrem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts.

Nachdem der ursprüngliche Streit der Beteiligten nicht nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht umfasste, sondern darüber hinaus die Regelung der elterlichen Sorge insgesamt, bedeutet die einverständliche Zustimmung zum Vorschlag des Gerichts eine vertragliche Einigung, d. h. die von den Beteiligten erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges (Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Auflage 2007, Einführung Rdnr. 1 vor § 145), der dann seine Umsetzung gem. § 1671 BGB in dem Beschluss vom 29. November 2006 gefunden hat. Da beide Eltern von ihrem ursprünglichen Anliegen, das alleinige Sorgerecht zu erhalten, Abstand genommen haben, liegt auch eine vertragliche Einigung vor, durch die der Streit oder die Ungewissheit über rechtliche oder tatsächliche Umstände eines Rechtsverhältnisses beseitigt wurde und die nicht lediglich in einem Anerkenntnis oder einem Verzicht besteht.

Damit ist die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Einigungsgebühr von insgesamt 219,24 € (einschließlich Mehrwertsteuer) gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV nicht nur entstanden, sondern auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG erstattungsfähig, weil sie durch den Akteninhalt hinreichend glaubhaft gemacht ist.

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war deshalb unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und der zu Grunde liegenden Vergütungsfestsetzung ein weiterer Betrag von 219,24 € festzusetzen.

Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

Ende der Entscheidung

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