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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 20.12.2000
Aktenzeichen: 9 U 183/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 765 Abs. 1
BGB § 777
AGBG § 3
AGBG § 9
ZPO § 91
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Leitsatz:

Auslegung der Klausel einer Anzahlungsbürgschaft, wonach die Bürgschaft erst in Kraft tritt, wenn der bürgenden Bank der volle Anzahlungsbetrag auf einem bestimmten, bei ihr geführten Konto des Hauptschuldners zur Verfügung steht.


Oberlandesgericht Stuttgart - 9. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 9 U 183/00 2 O 293/99 LG Hechingen

Verkündet am: 20. Dezember 2000

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Lindauer, Just. Ang.'e

In der Berufungssache

wegen Bürgschaftsforderung

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 06. Dezember 2000 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am OLG Dr. Keihl

Richter am OLG Ehmann

Richter am OLG Böhm

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hechingen vom 11.08.2000 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar:

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 50.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Klägerin: je 702.890,74 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin macht eine Bürgschaftsforderung geltend.

Als Bestellerin hat die Klägerin mit der S GmbH einen Werkvertrag über die Erstellung eines automatischen Kleinteilelagers geschlossen. Nach dem Vertrag hatte sie für Lieferung und Montage eine Anzahlung von 90 % zu leisten. Dies entspricht einschließlich Mehrwertsteuer insgesamt 702.890,74 DM.

Die Klägerin zahlte auf die erste Anzahlungsrechnung der Fa. S vom 10.07.1998 (Anl. K 2) am 03.08.1999 auf ein Konto der Fa. S bei der C Bank 234.894,20 DM. Auf die zweite Anzahlungsrechnung vom 12.11.1998 (Anl. K 3) zahlte sie am 23.11.1998 auf das Konto Nr. 858946 der Fa. S bei der Beklagten 25.435,32 DM. Auf die dritte Anzahlungsrechnung vom 24.11.1998 (Anl. K 4) zahlte sie auf dasselbe Konto Anfang Dezember 442.561,25 DM.

Die Beklagte übernahm am 27.11.19998 gegenüber der Klägerin zur Sicherung ihrer Zahlungen an die Fa. S eine Anzahlungsbürgschaft zum Höchstbetrag von 702.890,74 DM (Anl. K 1). Die Bürgschaftsurkunde enthält formularmäßig u.a. folgende Bestimmung:

"Diese Bürgschaft tritt in Kraft, wenn uns der volle Anzahlungsbetrag von 702.890, 74 DM für Rechnung der genannten Firma auf Konto 859000 BLZ: zur Verfügung steht. "

Die Fa. S stellte am 17.03.1999 Insolvenzantrag. Durch Beschluß des Amtsgerichts vom selben Tag (Anl. K 5) wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 26.03.1999 (Anl. K 8) von der Beklagten "entsprechend der Bürgschaft vom 27.11.1998" den Anzahlungsbetrag von 702.890,74 DM zurück. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 07.04.1999 die Zahlung (Anl. K 9). Die Klägerin kündigte daraufhin mit Schreiben vom 09.04.1999 und 10.04.1999 (Anl. K 11 und K 12) den Vertrag mit der Fa. S fristlos und forderte die Beklagte erneut zur Zahlung auf.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fa. S sei sie zur fristlosen Kündigung des Werkvertrages berechtigt gewesen. Die Anzahlungsbürgschaft vom 27.11.1998 sei eine Bürgschaft auf erstes Anfordern, die vor Fristablauf fällig geworden sei. Die Anzahlungsbürgschaft erstrecke sich auf die vor Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde oder im Zusammenhang damit geleisteten Anzahlungen von insgesamt 702.890,74 DM.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 702.890,74 DM nebst 7,5 % Zinsen seit 13.04.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Anzahlungsbürgschaft vom 27.11.1998 sei keine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Sie sei auch nicht rechtzeitig zahlungsfällig gestellt worden. Im übrigen sei eine Verpflichtung aus der Bürgschaft nicht entstanden, weil die von der Klägerin geleisteten Anzahlungen nicht auf das in der Bürgschaftsurkunde vorgesehene Konto einbezahlt worden seien.

Das Landgericht hat der Klage - abgesehen von einer Zinsmehrforderung - stattgegeben. Auf das angefochtene Urteil wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 21.08.2000 zugestellte Urteil mit einem am 19.09.2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit einer am 13.10.2000 eingegangenen Begründung versehen hat.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 11.08.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz.

Wegen des Vortrages der Parteien im einzelnen wird auf ihre im zweiten Rechtszug vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch nach § 765 Abs. 1 BGB auf Zahlung aus der Bürgschaft der Beklagten vom 27.11.1998.

1.

Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Anzahlungsbürgschaft vom 27.11.1998 (Anl. K 1) um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern handelt. Die Bürgschaftsurkunde enthält den mit Schreibmaschine eingefügten Zusatz, daß die Bürgschaft "auf erstes Anfordern zahlbar" ist, wenn die Klägerin der Beklagten schriftlich bestätigt, daß ihre Forderungen gegen die Fa. S fällig sind und diese trotz Mahnung ihren vertraglichen Leistungspflichten nicht nachgekommen ist. Käme - worüber die Parteien streiten - eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht in Betracht, so wäre die Klage allein deshalb nicht von vornherein unbegründet. Vielmehr entspricht es im Zweifel dem Parteiwillen, die, unwirksame Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in dem Sinne auszulegen, daß sie zugleich eine einfache Bürgschaft als Verpflichtung enthält (BGH NJW 1999, 895, 899).

Unabhängig von der Art der Bürgschaft gilt die formularmäßig vorgedruckte Klausel, wonach die Bürgschaft erst in Kraft tritt, wenn der Beklagten der volle Anzahlungsbetrag von 702.890,74 DM auf dem Konto Nr. 859000 der Fa. S beider Beklagten zur Verfügung steht. Der Wortlaut der Bürgschaftsurkunde differenziert in diesem Zusammenhang nicht danach, in welchem Umfang der Anzahlungsbetrag der Beklagten zur Verfügung steht. Die eindeutige Formulierung der Klausel sieht vor, daß die Bürgschaft in Kraft tritt, "wenn uns der volle Anzahlungsbetrag" zur Verfügung steht. Er stellt also ab auf den vollen Anzahlungsbetrag und verknüpft diesen durch das Wort "wenn" konditional mit dem Inkrafttreten. Nach diesem eindeutigen Wortlaut ist die Bürgschaft auch nicht teilweise in Kraft getreten. Andernfalls hätte für die Klausel die Formulierung "soweit uns der Anzahlungsbetrag zur Verfügung steht" gewählt werden müssen.

Eine Geltung der Bürgschaft für einen Teilbetrag kann auch nicht aus der Klausel hergeleitet werden, "Die Bürgschaft ermäßigt sich in der Weise, wie die Verrechnung des Anzahlungsbetrages im Vertrag, z.B. mit erfolgten Teillieferungen, vorgesehen ist." Die Bürgschaftsurkunde nimmt Bezug auf den Vertrag zwischen der Klägerin und der S GmbH, nach dem eine 90 %-ige Anzahlung für Lieferung und Montage, und zwar i.H.v. 605.940,30 DM zuzüglich Mehrwertsteuer, (dies ergibt die Bürgschaftssumme) zu zahlen ist. Der Betrag der Bürgschaft ist, wenn auch als Höchstbetrag bezeichnet, danach vertraglich fixiert. Die Ermäßigung der Bürgschaft bezieht sich auf den - hier nicht eingetretenen - Fall, daß der Anspruch der S GmbH auf eine Anzahlung sich aufgrund von ihr erbrachter (Teil-) Leistungen in einen Anspruch auf eine Abschlagszahlung bzw. auf Werklohn umwandelt.

2.

Bei der Auslegung eines Vertrags ist in erster Linie auf dessen Wortlaut und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen abzustellen (BGHZ 121, 13, 16). Der Wortlaut der Klausel bietet - wie ausgeführt - keinen Anlaß, den Inhalt der Erklärung in Frage zu stellen. Eine Vertragsauslegung kann zwar auch zu einem vom Wortlaut abweichenden Vertragsinhalt führen, wenn ein dies rechtfertigender übereinstimmender Wille der Vertragspartner festzustellen ist (§ 133 BGB). Beruft sich eine Vertragspartei - wie die Klägerin - auf einen vom Wortlaut des Vertrags abweichenden übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien, so trägt sie insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGHZ 86, 41, 46 m.w.N. sowie BGH, Urt. v. 11.09.2000 - 11 ZR 34/99). Umstände, die für einen beim Vertragsschluß vorhandenen übereinstimmenden Willen sprechen, sind jedoch nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

3.

Eine ergänzende Vertragsauslegung, führt ebenfalls nicht zur Wirksamkeit der Bürgschaft für einen Teilbetrag, der Anzahlung. Die ergänzende Auslegung setzt voraus, daß der Vertrag eine Regelungslücke, eine "planwidrige Unvollständigkeit" enthält (Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 3 m.w.N.). Auch insoweit fehlt es an einem Vortrag dahin, daß die Parteien die Wirksamkeit der Bürgschaft für den Fall einer Teil-Anzahlung bewußt offengelassen oder daß sie diesen Gesichtspunkt nicht bedacht haben. Allein der Umstand, daß es dem Interesse der Klägerin entspricht, eine Sicherheit auch für eine Teil-Anzahlung zu erhalten, genügt nicht, einen entsprechenden übereinstimmenden hypothetischen Parteiwillen zu bejahen und den Inhalt der Bürgschaft entsprechend zu ergänzen. Vielmehr hätte die Klägerin darauf bedacht sein müssen, vor ihrer Anzahlung bzw. vor der jeweiligen Teil-Anzahlung eine entsprechende Sicherheit zu erhalten. Stattdessen hat die Klägerin, wie die Vermerke auf der als Anl. K 3 vorliegenden zweiten Anzahlungsrechnung vom 12.11.1998 zeigen, bereits am 24.11.1998 eine Teilzahlung von 25.435,32 DM zur Zahlung an die S GmbH auf das von dieser benannte Konto verbucht. Die entsprechenden Vermerke auf der dritten, Anzahlungsrechnung vom 24.11.1998 sind weitgehend unleserlich. Sie lassen jedenfalls nicht erkennen, daß das Vorliegen einer Sicherheit geprüft wurde. Die Klägerin vermag - wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. am 06.12.2000 vorgetragen hat - nicht mehr festzustellen, wann die Bürgschaftsurkunde vom 27.11.1998 bei ihr eingegangen ist. Mangels anderer Anhaltspunkte kann deshalb auch nicht festgestellt werden, wann der Bürgschaftsvertrag zustandegekommen ist.

4.

Gegen ein Wirksamwerden der Bürgschaftserklärung spricht nicht nur, daß der volle Anzahlungsbetrag der Beklagten nicht zugeflossen ist, sondern daß die Teil-Anzahlungen über 25.435,32 DM. und 442.561,23 DM statt auf das in der Bürgschaftsurkunde angegebene Konto 859000 der S GmbH bei der Beklagten auf das in den beiden Anzahlungs-Rechnungen vom 12.11.1998 und vom 24.11. 1998 angegebene Konto 858946 überwiesen wurde. Nach dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, den die Klägerin zu entkräften nicht in der Lage war, war die Zahlung auf das Konto 859000 deshalb von Bedeutung, weil es im Soll geführt und die Zahlungen zu einer entsprechenden sofortigen Verringerung des Sollsaldo geführt hätten. Das in der Anzahlungsrechnung genannte Konto wies dagegen auch unabhängig von den Zahlungen der Klägerin ein Guthaben auf, über das die S GmbH alsbald verfügte und das der Beklagten deshalb nicht mehr zur Verfügung steht. Die Beklagte hatte ein berechtigtes Interesse daran, das Wirksamwerden der Bürgschaft von der Zahlung der Klägerin auf das bestimmte von ihr bezeichnete Konto abhängig zu machen. Dadurch konnte sie bestimmen, auf welche Weise die von ihr durch die Übernahme der Bürgschaft eingegangene Eventualverbindlichkeit gesichert wird.

5.

Gesichtspunkte, die gegen die Wirksamkeit der Bürgschaftsklausel sprechen, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Die Klausel ist weder überraschend i.S.d. § 3 AGBG, noch benachteiligt sie die Klägerin unangemessen i.S.d. § 9 AGBG.

6.

Nach alldem ist die Bürgschaftserklärung der Beklagten nicht wirksam geworden, weil die ausdrücklich geregelten Bedingungen nicht eingetreten sind (vgl. BGHZ 111, 361).

Es kann deshalb ungeprüft bleiben, ob die Forderung der Klägerin gegen die S GmbH fällig war und diese trotz Mahnung ihrer vertraglichen Leistungspflicht nicht nachgekommen ist. Es kann auch dahinstehen, ob die Bürgschaft mit Rücksicht auf die Befristung zum 10.04.1999 eine Bürgschaft auf Zeit i.S.d. § 777 BGB ist oder ob sie lediglich gegenständlich beschränkt ist auf Forderungen, die innerhalb dieser Frist entstanden sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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