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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 15.06.2000
Aktenzeichen: 1 HPL 32/00
Rechtsgebiete: StPO, JGG


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
StPO § 122
JGG § 72 Abs. 1
Leitsatz:

StPO §§ 121 Abs. 1, 122 StPO, § 72 Abs. 1 JGG

Der Prüfungsumfang der besonderen Haftkontrolle durch das Oberlandesgericht gemäß §§ 121, 122 StPO umfasst auch die in § 72 Abs. 1 JGG geforderte Subsidiarität der Untersuchungshaft für Jugendliche. Diese Prüfung kann ausnahmsweise ohne weitere Feststellungen anhand der Akten erfolgen und zur Fortdauer der Haft führen.

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken - 1. Strafsenat -, Beschluss vom 15. Juni 2000 - 1 HPL 32/00 -


1 HPL 32/00

5272 Js 31530/99 StAFrankenthal

PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN

Beschluß

In dem Strafverfahren

gegen

wegen Diebstahls,

hier: besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel

am 15. Juni 2000

beschlossen:

Tenor:

1. Die Fortdauer der Untersuchungshaft wird angeordnet.

2. Die nächste Haftprüfung nach § 122 Abs. 4 StPO findet am 15. September 2000 statt.

3. Bis dahin wird die Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO dem nach den allgemeinen Bestimmungen dafür zuständigen Gericht übertragen (§ 122 Abs. 3 Satz 3 StPO).

Gründe:

Der Angeklagte ist in dieser Sache am 10. Dezember 1999 festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom selben Tag (4 a Gs 698/99) in Untersuchungshaft.

Der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und hat deshalb die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft vorgelegt (§ 122 Abs. 1 StPO).

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist gerechtfertigt. Der Angeklagte ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere nach Aussagen von Mitangeklagten dringend verdächtig, die Straftaten begangen zu haben, die in dem Haftbefehl (beschränkt auf den Einbruchsdiebstahl in der Nacht zum 1. Dezember 1999) und darüber hinaus in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) vom 22. Februar 2000 näher dargestellt sind (§§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1, 22, 53 StGB).

Es besteht Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte ist zwar selbst unter der Anschrift in gemeldet, konnte jedoch nach dem Auffinden eines Teils der Tatbeute dort nicht mehr angetroffen werden. Kontakt zu seiner Mutter unterhielt er nur durch hinterlegte schriftliche Nachrichten. Aufgegriffen wurde er schließlich vor der Wohnung seines Bruders. Er selbst räumt ein gewusst zu haben, dass nach ihm polizeilich gefahndet wurde; deshalb habe er sich in der Stadt aufgehalten und im Bahnhof übernachtet. Hinzu kommt, dass er am 18. April 2000 rechtskräftig zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist (5273 Js 19811/98), die zur Vollstreckung ansteht. Es ist somit zu erwarten, dass er sich dem vorliegenden Verfahren ohne Sicherungsmaßnahme auch weiterhin durch Untertauchen entziehen würde.

Der Fortdauer der Untersuchungshaft steht auch nicht entgegen, dass der Haftbefehl vom 10. Dezember 1999 nicht den besonderen Anforderungen des § 72 Abs. 1 JGG genügt und dieser Mangel im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht nicht behoben worden ist (vgl. Beschluss vom 23. Dezember 1999, Jug Qs 482/99). Nach dieser Vorschrift ist in der Haftentscheidung auszuführen, weshalb die Anordnung der Untersuchungshaft notwendig und erforderlich ist und insbesondere nicht durch weniger einschneidende, jugendgemäße Sicherungsmaßnahmen ersetzt werden kann. Geboten ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung im Einzelfall, um zu gewährleisten, dass der Jugendliche bis zur Grenze des Vertretbaren von Untersuchungshaft mit ihrer besonderen Belastung verschont bleibt (vgl. Brunner/Dölling JGG 10. Aufl., § 72 Rn 5; Ostendorf JGG 4. Aufl., 72 Rn 6; Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 3. Aufl., § 72 Rn 8).

Eine solche Prüfung ist im bisherigen Verfahren offensichtlich unterblieben. Dieser Mangel führt jedoch nicht ohne weiteres zur Aufhebung des Haftbefehls. Da es dem Senat obliegt, auch die allgemeinen Voraussetzungen der Haftfortdauer festzustellen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl., § 122 Rn 13 m.w.N.), umfasst dieser Prüfungsumfang auch die Subsidiarität im Sinne des § 72 Abs. 1 JGG. Der Senat hatte deshalb in die Überlegung mit einzubeziehen, ob das Gewicht der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten und der Rechtsfolgenerwartung unter Berücksichtigung seiner jugendlichen Persönlichkeit so schwer wiegt, dass trotz des belastenden Einschnitts und der möglichen abträglichen Folgen für seine Entwicklung die Fortdauer der Untersuchungshaft zur Verfahrenssicherung unerlässlich und durch keine andere Maßnahme ersetzbar ist.

Diese jugendspezifische Prüfung der Haftvoraussetzungen konnte der Senat ausnahmsweise ohne weitere Aufklärung durch die Jugendgerichtshilfe (§ 38 Abs. 3 JGG), die im Regelfall geboten ist, vornehmen; sie führt zur Anordnung der (vorläufigen) Fortdauer der Untersuchungshaft. Ausschlaggebend für dieses Ergebnis sind folgende Feststellungen: Trotz seines jugendlichen Alters von 17 Jahren kommt dem Angeklagten nach den bisherigen Ermittlungen gegenüber den mitangeklagten Heranwachsenden offensichtlich die Rolle des Anführers und Hauptbelasteten zu. Er ist wegen einschlägiger Straftaten bereits vorverurteilt und steht nunmehr im Verdacht, trotz eines anhängigen Strafverfahrens, das inzwischen zur Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren geführt hat, eine Serie von Einbruchsdiebstählen begangen zu haben. In der Untersuchungshaft musste er diszipliniert werden, weil er sich mit Hilfe einer Rasierklinge einen gefährlichen Gegenstand gebastelt und zudem auf die Sicherheitseinrichtung des Zellenfensters eingewirkt hat. Unter diesen Umständen kann der Senat ohne weitere Ermittlung ausschließen, dass eine hinreichende Sicherung des Verfahrens durch weniger einschneidende Maßnahmen, wie zum Beispiel durch eine Heimunterbringung, gewährleistet wäre. Auch die Aussetzung des Vollzuges der Untersuchungshaft kommt nicht in Betracht.

Der Umfang der erforderlichen Ermittlungen, die ausführliche Vernehmungen und die Abgleichung von deren Ergebnissen sowie Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen umfasst haben, hat ein Urteil noch nicht zugelassen (§ 121 Abs. 1 StPO). Das Hauptverfahren ist (wie der Gesamtheit der richterlichen Verfügungen entnommen werden kann: vor dem Jugendschöffengericht) durch Beschluss vom 28. April 2000 eröffnet und Hauptverhandlung auf den 27. Juni 2000 anberaumt worden, so dass mit einem baldigen Urteil zu rechnen ist.

Ende der Entscheidung

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