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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 23.02.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 14/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 316
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 14/01 4086 Js 6620/00 StA Zweibrücken

In dem Strafverfahren

wegen Trunkenheit im Verkehr

hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und den Richter am Amtsgericht Pick

am 23. Februar 2001

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Landstuhl vom 7. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Landstuhl zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,-- DM verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist (§ 69a StGB) von 8 Monaten angeordnet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der zulässigen Revision. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Die Revision führt zu einem vorläufigen Erfolg.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils fuhr der Angeklagte am späten Nachmittag des 22. Juni 2000 mit seinem PKW zu einer Tankstelle in Kaiserslautern, wo er früher gearbeitet hatte. Dort blieb er "hängen", er zufällig auf frühere Arbeitskollegen traf. Mit diesen trank er in der Zeit von 17.00 Uhr bis etwa 20.00 Uhr Bier und zumindest einen Schnaps. Trotz des genossenen Alkohols entschloss sich der Angeklagte etwa um 20.00 Uhr, mit seinem PKW nach Hause zu fahren, wobei er gegen 20.25 Uhr in Bruchmühlbach-Miesau von Polizeibeamten kontrolliert wurde, denen die alkoholische Beeinträchtigung des Angeklagten aufgefallen war. Die ihm um 21.25 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,13 Promille.

Dies hat das Amtsgericht - insoweit rechtsfehlerfrei - zu der Annahme des objektiven Tatbestandes der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) veranlasst.

Dagegen hält die Annahme vorsätzlichen Handelns der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Dazu wird im Urteil ausgeführt:

" (...) Maßgeblich für die Annahme des Vorsatzes ist, dass der Angeklagte in Fahrbereitschaft wissentlich Bier und mindestens einen Schnaps zu sich genommen hat, sich somit zum einen dessen bewusst war, dass er noch nach Hause fahren musste und sich zum anderen nicht darauf berufen kann, den Alkoholgehalt ihm unbekannter Mixgetränke falsch eingeschätzt zuhaben. Weiter spricht die bei dem Angeklagten im Zeitpunkt der Blutprobenentnahme um, 21.25 Uhr, somit etwa eine Stunde nach seiner Fahrt festgestellte außerordentlich hohe Blutalkoholkonzentration von 2,13 Promille in Verbindung mit dem von ihm angegebenen Trinkverlauf (Trinkbeginn 17.00 Uhr, Trinkende 20.00 Uhr) dafür, dass der Angeklagte seine alkoholisch bedingte Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf genommen hat. Ein solcher Trinkverlauf setzt, um den festgestellten hohen Alkoholwert überhaupt erst zu ermögliche, bei dem im Blutentnahmeprotokoll geschätzten Körpergewicht des Angeklagten von ca. 80 kg auf jeden Fall den Konsum von mehreren Litern Bier voraus, was selbst bei einem trinkunerfahrenen Menschen angesichts der aktuellen und in allen Medien präsenten Diskussion über Alkohol im Straßenverkehr die Notwendigkeit einer Fahrtauglichkeitsprüfung vor Fahrtantritt und deren eindeutiger Verneinung aufdrängt. (...)

Es besteht daher kein Zweifel daran, dass der Angeklagte sich bei Fahrtantritt sowohl der zuvor genossenen sehr umfangreichen Biermenge als auch der von dieser ausgehenden Alkoholkonzentration im Blut bewusst war und zumindest billigend in Kauf genommen hat, nicht mehr fahrtüchtig zu sein. (...)"

Diese Feststellungen und Ausführungen tragen die Annahmevorsätzlichen Handelns nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. Beschlüsse v. 28.10.1996 - 1Ss 263/96 und 16.05.2000 - 1 Ss 77/00) existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Täter bei Antritt der Fahrt nach hohem Alkoholkonsum stets (bedingt) vorsätzlich handelt. Dies begründet sich daraus, dass gerade mit fortschreitender Trunkenheit, insbesondere bei zwei Promille übersteigenden Blutalkoholkonzentrationen, zunehmend eine Verringerung der Urteils- und Erkenntnisfähigkeit einhergehen kann, die den Fahrzeugführer außerstande setzt, sich der Ausfallerscheinungen und der daraus für seine Fahrtauglichkeit herzuleitenden Konsequenzen bewusst zu werden, selbst wenn diese für Dritte deutlich zutage treten (Senat, Beschlüsse v. 17.11.1992 - 1 Ss 193/92; v. 19.6.1994 - 1 Ss 116/94 und v. 16.11.1998 - 1 Ss 169/98). Daraus folgt, dass weder die Höhe der Blutalkoholkonzentration allein noch in Verbindung mit nach Fahrtende festgestellten Ausfallerscheinungen den Schluss auf vorsätzliches Handeln rechtfertigten, es vielmehr in der Regel der Feststellung weiterer Indiztatsachen bedarf; wobei insbesondere Trinkmenge und Trinkverlauf (sog. Kontinuierliches geordnetes Trinkgeschehen), Trinken in Fahrbereitschaft (hierzu einschränkend OLG Karlsruhe NZV 1993! 117f.), Verhalten vor Antritt der Fahrt (Ausfallerscheinungen), warnende Hinweise anderer an den Fahrer, einschlägige Vorstrafen, wahrgenommene eigene Fahrfehler, besonders vorsichtige; "kompensierende" Fahrweise (vgl. zum Ganzen Leipziger Korn Kommentar - König, StGB, 11.A., Rdnr. 195ff.; Salger in DRiZ 1993, 311, 312ff.) in Betracht kommen können.

Davon ist offenbar auch das Amtsgericht ausgegangen. Die Ausführungen hierzu reichen jedoch nicht aus, um den Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens zu rechtfertigen.

Zwar hat der Strafrichter Feststellungen zu Trinkbeginn und Trinkende sowie eine grobe Schätzung zur Menge des genossenen Alkohols getroffen. Dem Tatrichter ist es grundsätzlich auch nicht verwehrt, aus der festgestellten (hohen) Alkoholkonzentration und der in einem bestimmbaren Zeitraum bewusst aufgenommenen Alkoholmenge den Rückschluss auf das Vorliegen des (bedingten) Vorsatzes zu schließen. In der Regel bedarf es jedoch weiterer Feststellungen dazu, ob bei dem Angeklagten die Einsichts- und Urteilsfähigkeit trotz des genossenen Alkohols nicht entscheidend herabgesetzt war. Das angefochtene Urteil lässt indessen zum einen weitere Ausführungen dazu vermissen, wie sich das Trinkgeschehen konkret abgespielt hat (z. B. gleichbleibende Trinkgeschwindigkeit und Trinkweise, "geselliges" Trinken oder Exzess, anschließendes Bezahlen). Zum anderen fehlen Feststellungen - die unter Umständen durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen werden können - zum Zustand des Angeklagten unmittelbar vor Antritt der Fahrt. Wegen dieser Lücke in der Beweisführung ist ein hinreichend sicherer Schluss auf das Vorliegen des Willenselementes des Vorsatzes nicht möglich. Die Ausführungen zur Notwendigkeit einer Fahrtauglichkeitsprüfung vor Fahrtantritt und dem daraus gezogenen Rückschluss auf die Frage des (bedingten) Vorsatzes lassen besorgen, dass der Strafrichter verkannt hat, dass die Grenze von 1,1 Promille kein Tatbestandsmerkmal des § 316 StGB, sondern eine Beweisregel ist Und somit für die Feststellung des (bedingten) Vorsatzes keine Bedeutung erlangt. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts beruht mithin nicht auf einer ausreichend tragfähigen Tatsachengrundlage.

Da nicht auszuschließen ist, dass in der erneuten Hauptverhandlung ausreichende tatsächliche Feststellungen für eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr getroffen werden können, war die Sache unter Aufhebung des Urteils an das Amtsgericht Landstuhl zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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