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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 19.11.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 152/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 325
StPO § 251 Abs. 2
StPO § 354 Abs. 2
Anforderungen an Identifizierung des Angeklagten in der Hauptverhandlung bei Wahlgegenüberstellung mit Zeugen für unterschiedliche Einzeltaten.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 152/01

In dem Strafverfahren gegen

wegen Diebstahls

hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Ruppert

am 19. November 2001

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 9. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kleine Strafkammer dieses Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 65 DM verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil als unbegründet verworfen und unter Einbeziehung der Geldstrafe von 90 Tagessätzen aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 10. August 2000 (4038 Js 4085/00) auf eine Gesamtgeldstrafe von 170 Tagessätzen zu je 65 DM erkannt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts; das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte am Nachmittag des 14. Oktober 1998 in Supermärkten, die in Bad Bergzabern, Annweiler und Edenkoben gelegen sind, Kunden Geldbörsen entwendet. Seine Überzeugung von der Täterschaft stützt die Kammer auf Aussagen von Tatzeugen, die den Angeklagten bei einer Gegenüberstellung und in der Hauptverhandlung wiedererkannt haben wollen, sowie auf die gleichartige Begehungsweise in allen sechs Fällen.

Die hierzu vom Landgericht angestellten Überlegungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters; ihm kann nicht vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Schlussfolgerung und Überzeugung kommen darf. Das Revisionsgericht darf die Beweiswürdigung des Tatrichters dementsprechend nicht durch seine eigene ersetzen, hat sie aber auf rechtliche Fehler zu überprüfen (BGHSt 10, 209; 29, 19). Sachlich-rechtlich fehlerhaft ist die Beweiswürdigung, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden (BGH StV 1986, 421; NStZ 1986, 373; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 337 Rdn.26, § 261 Rn. 38).

Ein solcher Rechtsfehler ist also insbesondere dann gegeben, wenn sich das Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung nicht mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzt, die zu einer Würdigung drängen, und deshalb lückenhaft erscheint (BGH StV 1982, 210); nur bei erkennbar erschöpfender Beweiswürdigung gilt der die revisionsrechtliche Nachprüfung beschränkende Grundsatz, dass die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse nur denkgesetzlich möglich sein müssen, aber nicht zwingend zu sein brauchen (BGH StV 1981, 508 f; KK-Hürxthal StPO 3. Aufl. § 261 Rn. 50). Die Beweiswürdigung der Kammer, die sie ihrer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zugrunde gelegt hat, weist Lücken auf, weil sie das Indiz des Wiedererkennens unvollständig gewürdigt, den Beweiswert der Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung, insbesondere in den Fällen der vorangegangenen Wahlgegenüberstellung bzw. Lichtbildvorlage, nicht ausreichend erörtert hat, und dabei zudem eine Zuordnung solcher Indizien zu den einzelnen Fällen völlig fehlt.

Nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen haben lediglich die beiden Tatzeuginnen H. und G., die beide im Frühjahr 2000 an einer Wahlgegenüberstellung teilgenommen hatten, mit großer Wahrscheinlichkeit den Angeklagten wiedererkannt (zu den Diebstählen Nr. 1 bzw. 5 des Urteils): Die Zeugin H. hat den Angeklagten bei der Wahlgegenüberstellung mit "90%iger Sicherheit" wiedererkannt, in der Hauptverhandlung allerdings einen Vorbehalt hinsichtlich der Gesichtsform angebracht, die Zeugin G. hat sich auf eine 95%ige Ähnlichkeit festgelegt. Der Zeuge W., der im Ermittlungsverfahren an einer Lichtbildvorlage teilgenommen hatte, und die Zeugin Wi. (Aussage nach § 325 StPO verlesen) haben in der Hauptverhandlung bekundet, der Angeklagte entspreche nach Typ bzw. Größe dem Täter (zu Tat Nr. 3 bzw. 4 des Urteils). Der Zeuge Hi. hat ausgesagt, ihm seien anlässlich des amtsgerichtlichen Termins Übereinstimmungen im Verhalten des Angeklagten mit dem Täter ( zu Tat Nr. 5 des Urteils) aufgefallen. Die sonstigen Tatzeugen (K., F., Schu. und Sch.,Aussage nach § 251 Abs. 2 StPO verlesen) haben den Angeklagten nicht wiedererkannt, wobei sie insbesondere auf die auffallende Größe des Täters (der Angeklagte misst dagegen lediglich 1,72 m) abgestellt haben.

Diese Beweiswürdigung leidet zunächst daran, dass dem Indiz der Ähnlichkeit des Angeklagten mit dem Täter eine kumulative Bedeutung hinsichtlich aller fünf Straftaten beigemessen worden ist, ohne hinsichtlich der einzelnen Fälle zu unterscheiden. Lediglich in den Fällen Nr. 1 und 5 des Urteils will jeweils eine Zeugin den Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedererkannt haben. In den Fällen Nr. 3 und 4 sind ausschließlich vage Übereinstimmungen nach Typ bzw. Größe bekundet worden, die für sich allein keinesfalls ausreichen, einen Täter zu identifizieren. Für den Fall Nr. 2 fehlen solche Aussagen dagegen völlig.

Zudem wird der Aussagewert der Indizien der Wiedererkennung bzw. Feststellung von Ähnlichkeit in der Person - die letztlich über Freispruch oder Verurteilung entscheiden - nicht ausreichend erörtert. Dies gilt insbesondere für die Bekundungen der Zeugen, die an einer Wahlgegenüberstellung bzw. Lichtbildvorlage im Ermittlungsverfahren, in minderem Maße auch für all diejenigen, die als Beweispersonen an der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung teilgenommen haben. Da die Kammer ausdrücklich der Identifizierung des Angeklagten auf diese Weise ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, hätte es näherer Darlegung bedurft, um in nachvollziehbarer Weise auszuschließen, dass sich diese Zeugen beim Wiedererkennen in der Hauptverhandlung unbewusst an dem Ergebnis der früheren Gegenüberstellung orientiert haben (vgl. BGH StV 1988, 514 f; BGH St 16, 204; BGHR StPO § 261 Identifizierung 3 und 10; LG Köln NStZ 1991, 202 mit einer Zusammenfassung des heutigen Standes der Wissenschaft). Das Landgericht hätte bedenken und in seine Überlegungen einbeziehen müssen, dass sich bei solchem wiederholten Augenschein das äußere Erscheinungsbild des Angeklagten eingeprägt haben kann, ohne dass er am Tatort gesehen wurde. Dass diese Gefahr der Überlagerung von erinnerten Eindrücken nicht von der Hand zu weisen ist, wird durch die Entscheidungsgründe unmittelbar bestätigt. Die Zeugin G. wird dort mit der Aussage zitiert, "später habe sie bei der Polizei eine Gegenüberstellung mitgemacht; der Angeklagte sei dem jungen Mann von damals insbesondere von den Gesichtszügen her zu 95 % ähnlich". Eine Hinterfragung, welche Gegenüberstellung die Zeugin bei ihrem Vergleich vor Augen hatte, ist offensichtlich nicht erfolgt.

Die Kammer durfte die Problematik des mehrfach wiederholten Wiedererkennens bei Wahlgegenüberstellung (bzw. Lichtbildvorlage) und zweifacher Tatsacheninstanz vor allem deshalb nicht vernachlässigen, weil der Abstand zwischen Straftaten (Oktober 1998) und Wahlgegenüberstellung (Frühjahr 2000) deutlich größer war als der zwischen Wahlgegenüberstellung (Lichtbildvorlage) und Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht (Dezember 2000) und dem Landgericht (Mai 2001). Die Wiedergabe der Zeugenaussagen zum erinnerten Erscheinungsbild lassen befürchten, dass sich die Identifizierung in erster Linie am Tätertyp orientiert. Um so kritischer hätten die Angaben zu leicht objektivierbaren Merkmalen wie dem der Körpergröße überprüft werden müssen; gerade darin zeigen sich jedoch signifikante Abweichung zwischen den Zeugenangaben und der festgestellten Größe des Angeklagten. Die Überlegungen, wie die zum Teil übereinstimmenden Angaben zur Körpergröße bis 1,90 m bei einer tatsächlichen Größe von lediglich 1,72 m zu vereinbaren sein könnten, sind zu allgemein (Schätzungsfehler) und im Falle der Zeugin K. nicht überzeugend.

Der Beweiswert des Wiedererkennens bedurfte nicht zuletzt deshalb besonderer Erörterung, weil weitere wesentliche Beweismittel zur Überführung des Angeklagten nicht zur Verfügung stehen (vgl. BGH NStZ 1997, 355). Zwar stellt die Kammer zusätzlich auf die gleichartige Begehungsweise in allen sechs abgeurteilten Fällen ab. Diese Feststellung bedarf insofern einer Einschränkung, als die Taten zum Teil als Taschendiebstähle ausgeführt wurden, die ein erhebliches Maß an Geschick und Übung voraussetzen, zum Teil jedoch als Entwendungen aus Einkaufswagen, die lediglich eine günstige Situation erfordern. Ohnehin handelt es sich um die bei Diebstählen zum Nachteil von Kunden übliche Begehungsweisen, denen kein besonderer Erkennungswert zukommt.

Da sich die Urteilsgründe somit nicht im erforderlichen Maße mit den belastenden Beweisumständen auseinandersetzt, ist die Beweiswürdigung, die zur Verurteilung des Angeklagten geführt hat, insgesamt zu beanstanden, so dass die angefochtene Entscheidung keinen Bestand hat. Da nicht auszuschließen ist, dass eine erschöpfende Würdigung der vorhandenen Beweismittel wieder zu einer Verurteilung des Angeklagten führt, ist die Sache in die Berufungsinstanz zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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