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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 09.11.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 192/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 353
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 192/00 5517 Js 30002/99 StA Frankenthal

In dem Strafverfahren gegen

wegen Nötigung u.a.

hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel

am 9. November 2000

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Jugendrichter - Ludwigshafen am Rhein vom 16. Mai 2000 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Jugendrichter dieses Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlicher Vergehen der (fahrlässiger) Gefährdung des Straßenverkehrs und der Nötigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 DM verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt de Angeklagte die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts; das zulässige Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zu einem vorläufigen Erfolg.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte als Fahrer eines PKW wegen seines verkehrswidrigen gefährdenden Verhaltens im Anschluss an einen Überholvorgang strafbar gemacht. Zur Feststellung der Täterschaft ist in den Urteilsgründen im Wesentlichen ausgeführt:

"Der Zeuge D hat lediglich bemerkt, dass in dem BMW (dem Täterfahrzeug) nur eine Person gesessen hatte, ohne dass er diese Person näher beschreiben könnte. Der Angeklagte hat angegeben, dieses Fahrzeug von September 1999 bis März 2000 besessen zu haben. Nachdem sich der Angeklagte zur Sache selbst nicht eingelassen hat, ist von der Richtigkeit der Aussage des Zeugen D, der auch vor Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat, auszugehen. Allein die theoretische Möglichkeit, dass eine andere Person aus dem Interessenkreis des Angeklagten das Fahrzeug gesteuert haben könnte, ist ohne nähere Darlegung nicht auszugehen. Da man normalerweise davon ausgehen kann, dass der Halter sein Fahrzeug auch selbst führt, steht für das Gericht fest, dass der Angeklagte der fragliche Fahrer war und deshalb verurteilt werden muss."

Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtlich fehlerhaft. Bereits die Feststellung, dass der Angeklagte Halter des tatbeteiligten Fahrzeuges gewesen sei, also - unter Umständen unabhängig von den Eigentums- und Besitzverhältnissen - die tatsächliche und wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den PKW innehatte (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 34. Aufl. StVG § 7 Rn. 14), findet in den Entscheidungsgründen keine Grundlage. Zudem wird ohne Weiteres die Benutzung des PKW zur Tatzeit durch einen Dritten ausgeschlossen und die Täterschaft des Angeklagten allein auf Grund seiner Haltereigenschaft angenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters; ihm kann nicht vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Schlussfolgerung und Überzeugung kommen darf. Das Revisionsgericht darf die Beweiswürdigung des Tatrichters dementsprechend nicht durch seine eigene ersetzen, hat sie aber auf rechtliche Fehler zu überprüfen (BGHSt 10, 209; 29, 19). Sachlich-rechtlich fehlerhaft ist die Beweiswürdigung, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden (BGH StV 1986, 421; NStZ 1986, 373; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 337 Rdn.26, § 261 Rn. 38).

Im vorliegenden Fall ist die Beweiswürdigung zu beanstanden, weil die Nutzung des Fahrzeuges zur Tatzeit durch einen Dritten nicht so fernliegend ist, dass sie vom Gericht ohne Weiteres außer Betracht bleiben kann (vgl. BVerfG StV, 1994, 3). Die Rechtsprechung der Obergerichte verlangt deshalb in solchen Fällen zusätzliche Indizien, die den Schluss auf die Fahrereigenschaft erlauben bzw. eine Benutzung durch andere Personen ausschließen (vgl. BGH NJW 1974, 2295; VRS 48, 107). Verweigert der Halter die Einlassung zur Sache und damit auch für die für die Fahrereigenschaft indiziellen Umstände, so darf dies nicht gegen ihn verwertet werden (vgl. BayObLG VRS 59, 348). Auch dagegen hat der Jugendrichter verstoßen, wenn er argumentiert, eine Drittbenutzung sei mangels näherer Darlegung auszuschließen.

Das angefochtene Urteil beruht auf dem genannten Rechtsfehler und muss deshalb aufgehoben werden (§§ 353, 349 Abs. 4 StPO). Da eine erschöpfende Würdigung der vorhandenen Beweismittel durchaus wieder zu einer Verurteilung des Angeklagten führen kann, ist die Sache zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Der Senat sah sich insbesondere im Hinblick auf den Akteninhalt, der insoweit berücksichtigt werden kann, an einer freisprechenden Entscheidung gehindert. Einem Aktenvermerk vom 2. November 1999 (Bl. 5) kann entnommen werden, dass sich der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung zur Frage der Fahrzeugnutzung geäußert hat; es wird in der erneuten Hauptverhandlung zu prüfen sein, ob diese Äußerung verwertbar ist. Zudem wird vorsorglich angemerkt, dass das Hauptverfahren vor dem Jugendrichter stattfindet; das angefochtene Urteil lässt jegliche Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes vermissen.

Ende der Entscheidung

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