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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 265/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 251
StPO § 325
StPO § 244 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
Die einverständliche Verlesung einer Urkunde entbindet das Gericht nicht von der Verpflichtung, den der Urkunde zugrunde liegenden Sachverhalt weiter aufzuklären, falls die Verlesung allein zur Aufklärung nicht ausreicht.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 265/01

In dem Strafverfahren gegen

wegen Diebstahls hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Amtsgericht Martin

am 24. Januar 2002

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 26. September 2001 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kleine Strafkammer dieses Gerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine Berufung, die er wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil als unbegründet verworfen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts; das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg.

Nach den infolge der Rechtsmittelbeschränkung bindenden Feststellungen zum Tatvorwurf ist das Landgericht von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Am frühen Nachmittag des 20. Mai 2000 betrat der Angeklagte in Dahn auf der Suche nach Beute durch die offene Haustür ein Anwesen und nahm in einem Raum die auf einem Tisch liegenden Beträge von 3.790 DM und ausländischer Währungen von geringerem Wert an sich. Als er von dem Hausherrn gestört wurde, entkam er zunächst mit der Beute durch ein Fenster, wurde jedoch auf der Flucht mit seinem Fahrrad vom Geschädigten eingeholt und festgehalten.

Die Verhängung der Freiheitsstrafe von neun Monaten für dieses Vergehen des Diebstahls hat das Landgericht insbesondere auf die erhebliche strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten und den Umstand gestützt, dass er nach längerer Strafverbüßung nunmehr während einer Bewährungszeit in einschlägiger Weise rückfällig geworden ist; dazu sind die letzten vier Verurteilungen seit 1989 mit Vollstreckungsdaten aufgeführt. Aus denselben Gründen hat die Kammer dem Angeklagten eine negative Sozialprognose erstellt, deshalb die Vollstreckung dieser Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt und dies ergänzend auf das Erfordernis der Verteidigung der Rechtsordnung gestützt (§ 56 Abs. 3 StGB). Sie hat sich dabei u.a. damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte sich einer Gesprächstherapie unterzieht, und dazu ausgeführt:

"Dass seine über vier Jahrzehnte verfestigten Persönlichkeitsdefizite bereits im Rahmen einer etwa neun Monate andauernden Gesprächstherapie soweit abgebaut werden konnten, dass ihm eine i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB günstige Sozialprognose gestellt werden kann, ist für die Kammer auch in Ansehung der Ausführungen seiner Therapeutin zweifelhaft."

Die Revision hat mit der Aufklärungsrüge Erfolg, die in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhoben ist. Insbesondere ist dargetan, weshalb sich die Kammer nicht mit der Verlesung einer schriftlichen Stellungnahme der behandelnden Therapeutin zufrieden geben durfte, sondern sich dazu hätte gedrängt sehen müssen, diese als sachverständige Zeugin in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Unschädlich ist, dass sich die Revision nicht zu Grund und Voraussetzungen dieses Urkundsbeweises äußert: Auch eine einverständliche Verlesung nach §§ 325, 251 Abs. 2 StPO - das Protokoll über die Hauptverhandlung schweigt sich hierzu aus - entbindet das Gericht nicht von der Verpflichtung, den für die Sozialprognose erheblichen Sachverhalt aufzuklären. Die Erleichterung des Urkundsbeweises, gleich in welcher Form (§§ 251 ff, 325 StPO), lockert zwar den durch § 250 StPO konkretisierten Unmittelbarkeitsgrundsatz, schmälert jedoch nicht die gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO (vgl. BGHSt 10, 186, 191 f; BGH NStZ 1993, 397; OLG Zweibrücken NJW 1982, 117; OLG Celle StV 1991, 294; L-R-Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 244 Rn. 340), und zwar unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten (vgl. insoweit zusätzlich OLG Köln StV 1998, 585; Widmaier NStZ 1994, 414, 418). Die Kammer hat durch die Verlesung des Attestes der Therapeutin zunächst zu erkennen gegeben, dass der regelmäßigen psychologischen Behandlung des Angeklagten über einen Zeitraum von mehreren Monaten durchaus Bedeutung für die Frage der Kriminalprognose beizumessen ist. Andererseits ist jedoch der in der Revisionsbegründung mitgeteilte Inhalt der schriftlichen Erklärung, wenn auch im Ergebnis für eine positive Prognose sprechend, derart allgemein gehalten, dass sie zur Aufklärung des Sachverhaltes nichts an Gehalt beitragen konnte. Ergebnis der Verlesung war somit, dass sie zwar einerseits den Umstand einer therapeutischen Einwirkung bestätigt, das angeblich positive Ergebnis jedoch sachlich nicht begründet hat. Folgerichtig konnte die Kammer daraus allein eine günstige Kriminalprognose nicht ableiten, wäre jedoch verpflichtet gewesen, sich die fehlenden Erkenntnisse auf andere Weise zu verschaffen (vgl. OLG Celle a.a.O., 295). Mit der unzureichenden schriftlichen Erklärung durfte sie sich zudem schon deshalb nicht begnügen, weil sowohl Verteidigung wie auch Staatsanwaltschaft - wie die Schlussanträge verraten - offensichtlich davon ausgegangen sind, die Beweisaufnahme habe die Voraussetzungen einer Strafaussetzung gemäß § 56 Abs. 1 StGB erbracht.

Auf dem Versäumnis, die Prognosetatsachen in ausreichendem Maße aufzuklären, kann die Versagung der Bewährung beruhen. Dem steht nicht entgegen, dass die Kammer ihre Entscheidung insoweit zusätzlich darauf gestützt hat, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete die Strafvollstreckung (§ 56 Abs. 3 StGB). Auch diese Begründung leidet unter dem Aufklärungsmangel, da bei der durch die Vorschrift gebotenen allseitigen Würdigung von Tat und Täter die Sozialprognose wiederum Berücksichtigung finden muss (vgl. OLG Köln VRS 53, 264; BayObLG wistra 1998, 193; Tröndle/Fischer StGB 50. aufl. § 56 Rn. 8 a). Ob die Bewertung im Übrigen den mit der Sachrüge erhobenen Beanstandungen Stand halten würde, kann unter diesen Umständen dahin gestellt bleiben.

Da die Entscheidung über die Bewährungsfrage somit weiterer Aufklärung bedarf, war der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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