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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 07.04.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 40/05
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2 S. 1
OWiG § 79 Abs. 3 S. 1
OWiG § 33 Abs. 3 Satz 2
OWiG § 33 Abs. 3 Satz 4
OWiG § 32 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

Beschluss

Aktenzeichen 1 Ss 40/05

In dem Bußgeldverfahren gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Schwenninger am 7. April 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 8. September 2004 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 16. Oktober 2002 gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG verworfen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene rügt, das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, er sei der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Das Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.

Die mit Schriftsatz vom 8. November 2005 erhobene Rüge genügt den Anforderungen gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 17. März 2005 - 1 Ss 47/05) und ist zulässig. Dass der Text infolge eines Übertragungsfehlers in einzelnen Teilen unvollständig ist, schadet nicht, da hinreichend deutlich wird, dass die Anwendung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung gerügt wird. Einer Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist bedurfte es deshalb nicht.

Der Senat ist bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils an die tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldrichters gebunden, und hat zu berücksichtigen, dass diesem bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erklärung für das Ausbleiben des Betroffenen im Termin ausreichend ist, ein gewisser Spielraum zur Verfügung steht. Die Grundlagen dieser Bewertung hat der Richter jedoch in einer Weise darzulegen, dass sie nachvollziehbar ist. Bereits daran mangelt die angefochtene Entscheidung.

Das Gericht hatte ausweislich der Entscheidungsgründe davon auszugehen, dass der Betroffene nicht von der Anwesenheitspflicht entbunden und ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen worden war. Die durch fachärztliches Attest nachgewiesene Erkrankung des Betroffenen hat der Richter nicht als Entschuldigung anerkannt, da er davon ausgegangen ist, dem Arzt sei auch diesmal, wie bereits mehrfach zuvor, eine Lumboischialgie vorgetäuscht worden; tatsächlich sei der Betroffene nicht verhindert gewesen. Diese Schlussfolgerung lässt sich aus den äußerst kargen Feststellungen in den Urteilsgründen jedoch nicht nachvollziehen und befürchten, dass es ich dabei um eine durch nichts belegte Vermutung handelt.

Den Entscheidungsgründen selbst sind weder der Wortlaut der ärztlichen Bescheinigung noch die Umstände zu entnehmen, die den Tatrichter zu der Annahme veranlasst haben, der Betroffene habe seinen Arzt getäuscht. Zu welchem Zweck, bei welchem Anlass und mit welcher Bedeutung der Verteidiger den Ausdruck "Terminsphobie" angebracht haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Dass eine solche Äußerung in irgendeiner Weise objektiviert werden kann, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Es ist insbesondere unerfindlich, weshalb das Gericht die Äußerung eines medizinischen Laien über den Befund eines Facharztes stellt. Zwar ist dem Tatrichter zuzugestehen, dass er eine ärztliche Bescheinigung nicht ungeprüft anerkennen muss. Bloße Zweifel an der Aussagekraft eines Attestes dürfen jedoch nicht ohne weiteres zu Lasten des Betroffenen gehen. Vielmehr hat der Tatrichter in solchen Fällen von Amts wegen den Umständen nachzugehen, die Zweifel an der Entschuldigung begründen können, und den Sachverhalt aufzuklären (Senatsbeschluss vom 21. Juli 1998 - 1 Ss 167/98; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 141).

Da der Betroffene in zulässiger Weise den Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht rügt, ist der Senat in der Lage, Umstände außerhalb der angefochtenen Entscheidung in die Überprüfung einzubeziehen. Auf diese Weise kann festgestellt werden, dass das in den Entscheidungsgründen erwähnte fachärztliche Attest dem Betroffenen bescheinigt, "seit dem 7. 9. 04 wegen einer akuten Lumboischialgie mit ausgeprägter Schmerzhaftigkeit bettlägerig erkrankt und bis auf weiteres nicht verhandlungsfähig" zu sein. Das Verhandlungsprotokoll bestätigt zudem, dass der Verteidiger im Termin vorgetragen hat, der behandelnde Arzt habe auf Anfrage erklärt, den Betroffenen zu Hause aufgesucht zu haben. In der Anlage zur Sitzungsniederschrift befindet sich ein Gutachten des Gesundheitsamtes der Kreisverwaltung Ludwigshafen am Rhein vom 24. Juni 2002, das zum Ergebnis kommt, der Betroffene sei zum Untersuchungszeitpunkt wegen eines chronischen Wirbelsäulensyndroms nicht verhandlungsfähig gewesen. Aus den Akten ist zu entnehmen, dass die Hauptverhandlung aus unterschiedlichen Gründen, die nur zum Teil in der Person des Betroffenen bzw. seines Verteidigers lagen, mehrfach verlegt werden musste. In der Hauptverhandlung am 15. Januar 2004 war der Betroffene anwesend. Die Verhandlung ist auf Anregung der Verteidigung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ausgesetzt worden. Auf Frage der damaligen Vorsitzenden hat der Verteidiger erklärt, der Betroffene könne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden werden. Aus unerfindlichen Gründen hat das Gericht darauf bis heute nicht reagiert. All diese Umstände sprechen gegen die Annahme, der Betroffene habe seine Verhandlungsunfähigkeit vorgetäuscht. Zumindest ohne weitere Aufklärung hätte das Gericht deshalb nicht davon ausgehen dürfen, der Betroffene sei der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Das angefochtene Verwerfungsurteil hat deshalb keinen Bestand. Da es die absolute Verjährungsfrist gemäß §§ 33 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3 Satz 4, 32 Abs. 2 OWiG unterbrochen hat, kann dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens nicht entsprochen werden. Die Sache ist vielmehr erneut zu verhandeln. Es wird darauf hingewiesen, dass auch jetzt noch der Anregung entsprochen werden kann, den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden.



Ende der Entscheidung

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