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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 03.05.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 87/01
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 24 a Abs. 2
StVG § 24 a Abs. 3
§ 24 a Abs. 2 StVG, gegen den keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, enthält eine echte Null-Wert-Grenze. Die Fehlvorstellung eines Kraftfahrers, der wissentlich längere Zeit vor Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat, die Droge sei zwischenzeitlich von seinem Körper abgebaut und deshalb nicht mehr nachweisbar, lässt zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit (§ 24 Abs. 3 StVG) nicht ohne weiteres entfallen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

Beschluss

Aktenzeichen: 1 Ss 87/01

In dem Bußgeldverfahren gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler sowie die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel

am 3. Mai 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 8. Februar 2001 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis zu einer Geldbuße von 500,-- DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet (§§ 24 a Abs. 2, Abs. 3, 25 StVG). Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Das zulässige Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil hält sowohl im Schuldspruch als auch in der Rechtsfolgenbestimmung rechtlicher Nachprüfung stand.

I.

Die erhobene Verfahrensrüge (§ 261 StPO), die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil darüber, "dass die Wissenschaft im Gegensatz zum Abbau von Alkohol im menschlichen Körpernoch keine Gesetzmäßigkeiten hat feststellen können, nach denen der Abbau berauschender Substanzen im Allgemeinen bzw. von THC im Besonderen abläuft" nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhe, führt schon deshalb nicht zum Erfolg, weil es sich bei dieser Feststellung nicht um eine (in die Hauptverhandlung einzuführende) Erkenntnis im Sinne von § 261 StPO, sondern um die (sinngemäße) auszugsweise Wiedergabe der Motive des Gesetzgebers handelt (vgl. BT-Drucks. 13/3764).

II.

Auch die Sachrüge führt nicht zum Erfolg.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am Abend des 5. Juli 2000 "an einem Joint" geraucht und "demgemäß" gewusst habe, dass er Cannabis konsumiert habe; am Nachmittag des darauffolgenden Tages - "bis zu vielleicht 18 Stunden" später, habe er gegen 16.15 Uhr einen Pkw in der irrigen Annahme geführt, sein Körper habe das eingenommene Rauschmittel bereits restlos abgebaut; in einer um 16.45 Uhr entnommenen Blutprobe sei jedoch "im Spurenbereich" noch Tetrahydrocannabinol (THC) nachweisbar gewesen.

Diese Ausführungen tragen den Schuldspruch einer (fahrlässigen) Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 2 StVG. Danach handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten, berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Cannabis ist in der Liste der berauschenden Mittel und Substanzen der Anlage zu dieser Vorschrift genannt. Eine "Wirkung" im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn eine in der Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird (§ 24 a Abs. 2 S. 2 StVG). Tetrahydrocannabinol (THC) gehört zu den in der Liste benannten Substanzen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) vorliegend nur noch im Spurenbereich nachweisbar war. § 24 a Abs. 2 StVG n.F. erfordert nicht den Nachweis einer bestimmten Menge oder eine Einbuße an der Leistungsfähigkeit des Fahrers, sondern enthält eine "echte Nullwert-Grenze". Bei der Norm handelt es sich wegen der generellabstrakten Gefährlichkeit des Genusses von Drogen der in der Anlage zu der Vorschrift genannten Art um einen abstrakten Gefährdungstatbestand als Vorfeld- oder Auffangtatbestand gegenüber der an engere Voraussetzungen geknüpften Strafvorschrift des § 316 StGB (BGH DAR 1999, 31; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 24 a, Rdnr. 24). Zwar trifft es zu, dass das in § 24 a Abs. 2 StVG genannte Verbot am Straßenverkehr teilzunehmen, sich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit beziehen soll (BT-Drucks. aaO) und Fälle denkbar sind, in denen die Wirkstoffmenge (noch) so gering ist, dass eine Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit nicht (mehr) messbar ist oder jedenfalls nicht über das hinausgeht, was das Straßenverkehrsrecht als Folgen von Unpässlichkeiten und Irritationen verschiedenster Art (geringfügige Ermüdung, leichte Stimmungsschwankungen, Erkältung usw.) allenthalben in Kauf nimmt (vgl. Stein, NZV 1999, 441, 445). Die Grenze, ab der ein Fahrzeugführer "unter der Wirkung" eines Rauschmittels steht - und ab der die notwendige objektive Mindest-Tatschwere beginnt - ist aber erreicht, wenn die Blut-Wirkstoff-Konzentration so hoch ist, dass ein zuverlässiger blutanalytischer Nachweis möglich ist; oder umgekehrt: nur diejenigen Verstöße sind ahnbar, bei denen der Betroffene eine blutanalytisch nachweisbare (nicht unbedingt: blutanalytisch nachgewiesene) Wirkstoffmenge im Blut hat (Stein, aaO).

Diese Grenze war hier erreicht.

2. Die Ausführungen des Amtsgerichts tragen zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit (§ 24 a Abs. 3 StVG). Dieser muss sich zwar auch auf die "Wirkung" des jeweiligen (in der linken Spalte der Anlage genannten) Rauschmittels beziehen. Insoweit ist aber ausreichend, dass sich (Vorsatz und) Fahrlässigkeit auf das bezieht, was die "Wirkung" des Mittels ausmacht. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass sich der Betroffene einen "spürbaren" oder "messbaren" Wirkstoffeffekt oder gar eine Minderung der Fahrtüchtigkeit vorstellt bzw. vorstellen könnte. Ebenso wenig ist es notwendig, dass der Betroffene den Vorgang, der die "Wirkung" ausmacht, physiologisch und biochemisch exakt einordnet bzw. einordnen könnte (Stein, aaO, 448). Wenn ein Betroffener daher - wie hier - wissentlich Cannabis zu sich nimmt und danach ein Fahrzeug führt, ist die Annahme, die Droge sei zwischenzeitlich abgebaut und deshalb nicht mehr nachweisbar, als Fehlvorstellung über die Dauer der "Wirkung" grundsätzlich unerheblich. Denn ein Kraftfahrer muss die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen ebenso wie atypische Rauschverläufe in Rechnung stellen (vgl. auch LK-König, StGB, 11. Aufl., § 316, Rdnr. 225).

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass auszuführen, in welchen (extremen) Ausnahmefällen der Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen kann (vgl. hierzu z. B. Stein, aaO, 445) oder nach welchem Zeitraum ein Kraftfahrer nicht mehr damit rechnen muss, noch unter der "Wirkung" einer konsumierten, illegalen Droge (hier Cannabis) zu stehen, was vor allem von der Art und der Dosis des genossenen Rauschmittels abhängt (vgl. LG-König, aaO, Rdnr. 151 m.w.N.). Der Betroffene konnte - jedenfalls am Nachmittag des darauffolgenden Tages - noch nicht zweifelsfrei annehmen wieder ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, weil ihm die konkreten Bezugspunkte dafür, das genossene Cannabis werde nicht mehr nachweisbar sein, fehlten. Er wusste nach den Feststellungen des Amtsgerichts weder, welche Dosis er konsumiert hatte, noch kannte er die Qualität des konsumierten Rauschgifts. Nach einer derart unkontrollierten Drogenaufnahme durfte er sich auch nach Ablauf eines Zeitraums "von bis zu vielleicht 18 Stunden" noch nicht darauf verlassen, dass der vorangegangene Drogenkonsum auf keinen Fall mehr erweislich sein würde.

III.

Der Senat sieht keinen Anlass, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die in § 24 a Abs. 2 StVG normierte "Null-Wert-Grenze" ist im Gegensatz zur Auffassung der Rechtsbeschwerde bestimmt. Sie verstößt weder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit noch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Gesetzgeber hat sich nach umfangreicher Sachverständigenanhörung an den erreichbaren Materialien und den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, wonach trotz des großen Gefährdungspotentials, das Kraftfahrer darstellen, die unter dem Einfluss von Drogen am Straßenverkehr teilnehmen, (anders als beim Alkohol) Grenzwerte für die Annahme einer Fahruntüchtigkeit nicht festgestellt werden können (vgl. auch BGH DAR 1999, 31 m.w.N.). Das schließt die Befugnis des Gesetzgebers zur Schaffung einer Norm nicht aus; solche Unsicherheiten unterliegen seiner Einschätzungsprärogative (vgl. BVG 50, 290, 332 f; Stein, aaO). Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG), wenn der Gesetzgeber das Verbot des Fahrens bei Alkohol in Abs. 1 an qualifizierte Werte, bei illegalen Drogen wegen der Grenzwertproblematik in Abs. 2 an einen Null-Wert geknüpft hat (Stein, aaO, 446). Ähnliches gilt auch für die in § 24 Abs. 2 S. 3 normierte Regelung über die bestimmungsgemäße Einnahme verschriebener Arzneimittel. Denn mit der Bußgeldvorschrift soll wegen ihres Gefährdungspotentials im Straßenverkehr die Einnahme illegaler Rauschmittel erfasst werden, wohingegen für bestimmungsmäßig eingenommene, verschriebene Arzneimittel eine grundsätzlich andere Erwägung und Güterabwägung zwischen der möglichen Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs einerseits und den Eingriffen in die persönliche Freiheit von medikamentös versorgten Patienten andererseits gilt (vgl. BT-Drucks., aaO).

IV.

Die vom Amtsgericht festgesetzte Geldbuße sowie das einmonatige Fahrverbot (§§ 24 a Abs. 4, 25 Abs. 2 S. 2 StVG, 2, Abs. 3 BKatVO, Nr. 70 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatVO) sind nicht zu beanstanden und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.

Ende der Entscheidung

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