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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 30.07.2008
Aktenzeichen: 1 U 19/08
Rechtsgebiete: StVG, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 2
StVG § 17 Abs. 3 Satz 1
StVG § 18
ZPO § 286
ZPO § 288
ZPO § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 1 U 19/08

Verkündet am: 30. Juli 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus Verkehrsunfall vom 31. Mai 2007

hat der 1. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Morgenroth, sowie die Richter am Oberlandesgericht Klüber und Dr. Holler auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2008 für Recht erkannt: Tenor: I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 9. Januar 2008 geändert und wie folgt neu gefasst: 1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 5.861,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.483,83 € seit 15. Juni 2007 und aus weiteren 377,25 € seit 20. Juli 2007 zu zahlen. 2. Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 546,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20. Juli 2007 zu zahlen. 3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger 1/4 und die Beklagten 3/4 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. V. Die Revision wird zugelassen. Gründe: I. Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 31. Mai 2007 gegen 16.00 Uhr auf der Bundesstraße B 9 zwischen Ludwigshafen am Rhein und Speyer. An diesem Tag befand sich auf der Fahrbahn in Richtung Speyer eine Baustelle, an der der Verkehr auf der rechten Spur der in diese Fahrtrichtung zweispurig ausgebauten Bundesstraße vorbeigeleitet wurde. Der Baustelle näherte sich auf der linken Fahrspur der Kläger mit einem Pkw Porsche. Vor der Engstelle wechselte er nach rechts. Anschließend fuhr die Beklagte zu 1), die mit dem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw VW des Beklagten zu 2) auf der rechten Fahrspur gefahren war, von hinten auf den Pkw Porsche auf; der Aufprall erfolgte frontal bei vollständiger Überdeckung der Fahrzeuge in gerader Fahrtrichtung. Der Kläger, der einen Kfz-Handel betreibt, hat von den Beklagten vollen Ersatz seines Schadens in Höhe von 7.961,69 € verlangt:

 5.885,22 € netto wegen Reparaturkosten;
848,47 € wegen Sachverständigenkosten;
700,00 € wegen Wertminderung;
474,00 € wegen Nutzungsausfall;
29,00 € wegen Nachbesichtigung des Fahrzeugs;
25,00 € wegen Auslagenpauschale.

Er hat beantragt, 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 7.961,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 7.458,69 € seit 15. Juni 2007 und aus 7.961,69 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine Geschäftsgebühr nebst Auslagen und Mehrwertsteuer in Höhe von 661,17 € nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und vorgebracht, der Kläger sei nicht Eigentümer des zum Unfallzeitpunkt gesteuerten Pkw Porsche. Außerdem habe er für die Unfallfolgen alleine einzustehen, weil er den Zusammenstoß absichtlich herbeigeführt habe. Der Schadensumfang werde bestritten. Der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat durch Urteil vom 9. Januar 2008 die Beklagten zur Zahlung von 3.907,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 3.655,89 € seit 15. Juni 2007 sowie aus weiteren 251,51 € seit 20. Juli 2007 und zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 402,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20. Juli 2007 verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat er den Schadenersatzanspruch des Klägers dem Grunde nach bejaht, die Haftungsquote der Beklagten allerdings auf 50% begrenzt. Einen zu Gunsten des Klägers sprechenden Anscheinsbeweis dahin, dass die Beklagte zu 1) als Auffahrende unaufmerksam gewesen ist und dadurch den Unfall verursacht hat, hat der Erstrichter unter Berufung auf OLG Celle, VersR 1982, 969 mit der Begründung verneint, dass der Kläger unstreitig - wenn auch unklar in welchem zeitlichen Abstand - kurz vor dem Unfall auf die Fahrspur der Beklagten zu 1) gewechselt sei; da nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) unklar geblieben sei, ob der Fahrspurwechsel schon einige Zeit vor dem Unfall erfolgte oder "in irgendeiner Form" den Unfallhergang beeinflusste, sei eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 geboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er - auf der Grundlage der Schadensberechnung durch das Landgericht - seinen restlichen Schadenersatzanspruch weiterverfolgt. Nach Maßgabe der Berufungsbegründung vom 19. März 2008 beantragt er, das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1. weitere 3.907,39 € nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 3.655,89 € seit dem 15. Juni 2007 und aus weiteren 251,50 € seit 20. Juni 2007 und 2. aus weiteren 258,36 € nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Die Beklagten beantragen nach Maßgabe ihrer Begründung vom 24. April 2008 und weiteren Vorbringens die Zurückweisung der Berufung. II. Die Berufung ist zum Teil begründet. Entgegen der Ansicht des Erstrichters haben die Beklagten dem Kläger nicht nur 50% sondern 75% seines Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 31. Mai 2007 zu ersetzen. Das sind 5.861,08 € von einem - vom Erstrichter zutreffend errechneten - Gesamtschaden von 7.814,77 €. Hinzu kommen 546,69 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. 1. Der Erstrichter hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger aus den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2, 18 StVG ein Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz seines Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 31. Mai 2007 zusteht. Seinen zutreffenden Ausführungen zur Aktivlegitimation des Klägers und dem Fehlen von Feststellungen für eine Provokation des Unfalls durch den Kläger schließt sich der Senat auch in Ansehung des Vorbringens der Beklagten in der Berufung an. Die von ihnen im Berufungsverfahren angeführte Aussage des Zeugen PHK P... vom 02. Juni 2008 in einem Parallelrechtsstreit zwischen dem Beklagten zu 2) als Kläger und dem Kläger und dessen Haftpflichtversicherer als Beklagte zu den Angaben des Klägers und der Beklagten zu 1) bei der Unfallaufnahme rechtfertigt gleichfalls nicht den Schluss auf eine bewusste Herbeiführung des Unfalls durch den Kläger. Danach soll der Kläger von Anfang an ausgesagt haben, er habe wegen der Baustelle die Fahrspur nach rechts gewechselt und wegen vor ihm befindlichen anderen Verkehrs habe er bremsen müssen. Aus der von ihnen besonders hervorgehobenen Angabe des Zeugen, er könne sich nicht erinnern, dass der Kläger damals auch gesagt habe, er habe wegen des Verkehrs sogar anhalten müssen, können die Beklagten keine Feststellung zum Nachteil des Klägers herleiten. Die Anmerkung des Zeugen, ein verkehrsbedingtes Anhalten des Klägers hätte zu den damaligen Verkehrsverhältnissen "so wie wir sie angetroffen haben als wir zur Unfallstelle kamen" nicht gepasst, besagt für die Situation zum Unfallzeitpunkt nichts. 2. Der Kläger rügt zu Recht, dass der Erstrichter die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen die Beklagte zu 1) als Auffahrende verneint hat und deshalb zu einer hälftigen Haftungsverteilung gelangt ist. 2.1 Nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG hängt die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des Unfallschadens des Klägers von den Umständen ab, insbesondere davon, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Diese Umstände werden insbesondere durch die Betriebsgefahr der unfallbeteiligten Fahrzeuge geprägt. Deren allgemeine Betriebsgefahr kann durch besondere Umstände, namentlich die fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen erhöht sei (BGH VersR 2000, 1294; VersR 2005, 702). Die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein und sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. BGH VersR 1995, 357 m.w.N.). 2.2 Danach geht zu Lasten der Beklagten der die allgemeine Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 2) erhöhende Umstand, dass die Beklagte zu 1) das Auffahren auf den Pkw des Klägers verschuldet hat. Das steht nach den Regeln des Anscheinsbeweises fest. Unstreitig fuhr die Beklagte zu 1) mit dem von ihr gesteuerten Pkw auf den vom Kläger gesteuerten Porsche bei vollständiger Überdeckung der Fahrzeuge in gerader Fahrtrichtung von hinten auf. Der Erstrichter hat nicht übersehen, dass bei Unfällen durch Auffahren der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden spricht (vgl. z.B. BGH VersR 1989, 54; OLG Köln, 9. Zivilsenat, VersR 2004, 77; OLG Frankfurt ZfS 2006, 259 m. Anm. Diehl; Senat, Urteil vom 26. Februar 2003 - 1 U 166/02). Er hat jedoch angenommen, der Anscheinsbeweis greife vorliegend nicht ein, weil unklar geblieben sei, in welchen zeitlichen und räumlichen Abstand zu dem späteren Auffahren der Beklagten zu 1) der Kläger mit seinem Pkw die Spur wechselte. Dem folgt der Senat nicht.

a) Ausgangspunkt für die Annahme eines Auffahrunfalls ist der hier unstreitige Auffahrvorgang (bei vollständiger Überdeckung der Fahrzeuge in gerader Fahrrichtung). Das ist zugleich die Tatsache, an die der Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden (unzureichender Abstand oder mangelnde Aufmerksamkeit) anknüpft. Sind weitere Umstände (wie Zeit und Art eines vorausgegangenen Spurwechsels des Geschädigten) streitig, berührt das nicht die Bedeutung des Auffahrvorgangs als Anknüpfungspunkt für den typischen Geschehensablaufs, sondern ist im Rahmen der Erschütterung des dadurch begründeten Anscheinsbeweises von Bedeutung. Solche Umstände sind deshalb vom Schädiger - der den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis ausräumen will - nachzuweisen.

Dem Erstrichter ist allerdings zuzugeben, dass in der Rechtsprechung ein solcher Rechtssatz durchaus angewandt wird. (a) Unklar noch das KG Berlin - 12. Zivilsenat - in seinem Urteil vom 21. November 2005 (12 U 214/04 - DAR 2006, 322). Einerseits ist in der Entscheidung ausgeführt, der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden setze voraus, dass beide Fahrzeuge - unstreitig oder erwiesenermaßen - so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können. Das legt die Vermutung nahe, dass das KG das Fahrverhalten des Vordermanns unmittelbar vor dem eigentlichen Auffahrvorgang zu den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zählt und damit der Darlegungs- und Beweislast des Vordermanns zuordnet. Später heißt es jedoch, dass eine hälftige Schadensteilung angezeigt sei, wenn der Unfall - "bei einem ernsthaft möglichen Fahrstreifenwechsel als Unfallursache" - ungeklärt bleibe. Das deutet auf die Vorstellung von einer Erschütterung des (bejahten) Anscheinsbeweises durch die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufs hin (vgl. auch die Kritik an der insoweit "missverständlichen" Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des KG durch dessen 22. Zivilsenat im Urteil vom 22. Januar 2001 - 22 U 1044/00, KGR 2001, 93). (b) Einen vergleichbaren Eindruck vermittelt das Urteil des OLG Karlsruhe - 10. Zivilsenat - vom 23. März 2001 (10 U 231/00 juris). Darin wird zwar der Rechtssatz aufgestellt, von einer (den Anscheinsbeweis begründenden) typischen Auffahrsituation könne nur ausgegangen werden, wenn das vorausfahrende Fahrzeug sich schon einige Zeit auf der auch vom nachfolgenden Verkehrsteilnehmer benutzten Fahrspur befunden hat, nicht aber dann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug erst wenige Sekunden vor der Kollision auf die Fahrspur des sich nähernden Fahrzeugs übergewechselt hat. Die anschließende Formulierung, ein Anscheinsbeweis werde durch einen kurz vor der Kollision erfolgten Fahrspurwechsel jedenfalls entkräftet, scheint das jedoch wieder einzuschränken. Im Ergebnis kam es nicht darauf an, weil nach der dortigen Beweisaufnahme ein atypischer Geschehensablauf ernsthaft möglich war. (c) Von der Auffassung des erkennenden Senats eindeutig abweichende Positionen nehmen dagegen das OLG des Landes Sachsen-Anhalt - 9. Zivilsenat - in seinem Urteil vom 17. Dezember 2002 (9 U 178/02, NJW-RR 2003, 809), das OLG Düsseldorf - 1. Zivilsenat - in seinen Urteil vom 8. März 2004 (1 U 97/03, I-1 U 97/03) und vom 4. November 2005 (I-1 U 93/03, jeweils juris und das AG Hamburg in seinem Urteil vom 30. Oktober 2006 (644 C 249/06 juris) ein. Den Entscheidungen liegt der Rechtssatz zugrunde, dass der eigentliche Auffahrvorgang für die Begründung des Anscheinsbeweises nicht ausreicht. Denn für die Bejahung eines typischen Auffahrunfalls sei es unverzichtbar, dass der Auffahrende auch die ausreichende Möglichkeit habe, einen hinreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann aufzubauen und einzuhalten. Könne bei einem Auffahrunfall nach einem Spurwechsel des Vordermanns nicht geklärt werden, ob der Auffahrer in der Lage war, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen und einzuhalten, sei bei der Annahme gleich hoher Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge eine hälftige Haftungsverteilung angemessen. Damit werden die Anforderungen an den Anscheinsbeweis aber überspannt. Es wird nicht genügend in den Blick genommen, dass der Anscheinsbeweis lediglich ein "Kerngeschehen" voraussetzt, das auf einen Geschehensablauf schließen lässt, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat (vgl. BGH VersR 1996, 772). Das ist hier der Auffahrvorgang. Er würde als Grundlage des Anscheinsbeweises nur dann nicht ausreichen, wenn weitere Umstände des Unfallgeschehens feststünden, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (BGH aaO; VersR 2001, 457). Solche, das "Kerngeschehen" Auffahrvorgang in erheblicher Weise erweiternde Umstände mit der Folge, dass die aus dem Kerngeschehen folgende Typizität fraglich ist, stehen hier gerade nicht fest. Der Spurwechsel des Klägers ist zwar unstreitig; dessen zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit dem anschließenden Auffahrunfall ist indes offen geblieben. b) Der Auffahrvorgang ist vorliegend außer Streit. Somit spricht für den Kläger ein Anscheinsbeweis, den die Beklagten entkräften müssten. Das ist ihnen nicht gelungen. Für die Entkräftung des Anscheinsbeweises genügt nicht schon der Hinweis auf einen Geschehensablauf, nach dem der Schaden die typische Folge einer anderen Ursache sein kann. Vielmehr muss der in Anspruch Genommene auch dartun, dass diese andere Ursache ernsthaft in Betracht kommt. Die Tatsachen, aus denen eine solche ernsthafte andere Möglichkeit hergeleitet werden, bedürfen, sofern streitig, des vollen Beweises (BGHZ VersR 1995, 723). Danach hat nach einem den Anscheinsbeweis rechtfertigenden Auffahrvorgang der Hintermann darzutun und erforderlichenfalls nachzuweisen, dass ein atypischer Verlauf, für den die Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheint, zumindest ernsthaft möglich ist (BGH VersR 1989, 54). Dazu gehört auch ein mit dem Auffahrunfall in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang stehender Spurwechsel des Vordermanns (vgl. Senat aaO). Es ist also nicht Sache des Vordermanns vorzutragen und nachzuweisen, dass der Spurwechsel in keinem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall stehen könne, weil er, der Vordermann, schon geraume Zeit zuvor die Spur gewechselt habe (vgl. KG Berlin - 22. Zivilsenat - KGR 2001, 93; SaarlOLG - 4. Zivilsenat - OLGR 2005, 813).

Ein solcher Nachweis ist den Beklagten nicht gelungen. Allein der unstreitige Umstand, dass der Kläger vor dem Unfall die Fahrspur wechselte, ergibt noch keine ernsthafte Möglichkeit dafür, dass dies in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall geschah. c) Die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Anteile des Klägers und der Beklagten zu 1) an dem in Rede stehenden Verkehrsunfall wird somit auf Seiten des Klägers von der Betriebsgefahr seines Porsche und auf Seiten der Beklagten von der Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 1) geführten Pkw und deren (im Wege des Anscheinsbeweises) festgestellten Fahrfehler bestimmt. Da der Kläger eine Unabwendbarkeit des Unfalls nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG nicht nachgewiesen hat - die Behauptung der Beklagten, er habe den Spurwechsel in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall vorgenommen und zudem noch gebremst, hat der für die Unabwendbarkeit beweispflichtige Kläger nicht ausgeräumt - und auch eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten zu 1) nicht festgestellt ist, muss sich der Kläger die Betriebsgefahr seines Pkw, die der Senat mit 25% bewertet, anrechnen lassen.

3. Der Erstrichter hat den Unfallschaden des Klägers auf 7.814,77 € beziffert:

 5.738,30 € wegen Reparaturkosten,
848,47 € wegen Sachverständigenkosten,
700,00 € wegen Wertminderung,
474,00 € wegen Nutzungsausfall,
29,00 € wegen Nachbesichtigung und
25,00 € wegen Auslagenpauschale.

Dagegen haben die Parteien in der Berufung nichts Erhebliches vorgebracht. Hiervon haben die Beklagten dem Kläger als Gesamtschuldner 75% = 5.861,08 € zu ersetzen. 4. Die von den Beklagten zu übernehmenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers, die ihm durch die Verfolgung der begründeten Schadensersatzforderung (vgl. BGH NJW 2008, 1888) in Höhe von 5.861,08 € entstanden sind, belaufen sich auf 546,69 €:

 1/3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG: 439,40 €
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
 459,40 €
19% M wst. Nr. 7008 VV RVG: 87,29 €
Summe 546,29 €.

5. Die Entscheidung über die Zinsen aus 5.483,83 € ab dem Verzugszeitpunkt 15. Juni 2007 (75% aus bis dahin angemahnten 7.311,77 €) und aus 377,25 € (75% aus mit der Klage geltend gemachten weiteren 503,00 €: 274,00 € wegen Nutzungsentschädigung + 29,00 € wegen Nachbesichtigung) sowie aus den Rechtsanwaltskosten von 546,29 € beruht auf den § 288, 291 ZPO. III.

Die Kostenentscheidung folgt auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. IV. Die Revision wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Wie ausgeführt, bestehen in der auszugsweise wiedergegebenen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen zu den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises nach einem Auffahrunfall. Es wird zwar häufig auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, die das Geschehen prägen und damit die Beurteilung der Typizität eines Hergangs beeinflussen. Davon zu trennen ist jedoch die Verschiedenheit der Rechtssätze dazu, ob der Auffahrvorgang zur Begründung des Anscheinsbeweises ausreicht und der Schädiger den Anscheinsbeweis z.B. durch den Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines mit dem Auffahrvorgang in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang stehenden Spurwechsels zu erschüttern hat oder ob die Begründung des Anscheinsbeweises - über den Auffahrvorgang hinaus - weitere Feststellungen zum Verkehrsgeschehen unmittelbar vor dem Auffahrunfall (wie z. B. die Dauer des Hintereinanderherfahrens) erfordert, die der Geschädigte notfalls zu beweisen hat.

Ende der Entscheidung

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