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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 154/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 309 Abs. 2
StPO § 454 Abs. 3 S. 1
StPO § 463 Abs. 3 S. 1
StPO § 463 Abs. 4
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63
StGB § 67e
StGB § 67e Abs. 1
StGB § 67e Abs. 2
StGB § 67d Abs. 2
StGB § 67d Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss 1 Ws 154/08 In dem Strafvollstreckungsverfahren wegen Bedrohung u.a.,

hier: Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Christoffel am 10. Juni 2008 beschlossen: Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der (Großen) Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 2. April 2008 aufgehoben wird und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die (Große) Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz zurückverwiesen. Gründe: Das gemäß den §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel des Untergebrachten hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Die im Rahmen der jährlichen Überprüfung gemäß §§ 67e Abs. 1 und Abs. 2, 67d Abs. 2 und Abs. 6 StGB getroffene Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) genügt vorliegend nicht dem Gebot bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung, weil sich die Strafvollstreckungskammer wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht allein auf ein (internes) Gutachten der Klinik für Forensische Psychiatrie, in der sich der Untergebrachte befindet, stützen durfte, sondern zusätzlicher Beratung durch einen externen Sachverständigen bedurft hätte. Dies gilt unbeschadet davon, dass die in § 463 Abs. 4 StPO normierte 5-Jahresfrist im Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer noch nicht verstrichen war.

Denn die im Zuge der Reform des Maßregelrechts am 20. Juli 2007 in Kraft getretene gesetzliche Neuregelung (BGBl I, S. 1327) schließt es im Einzelfall nicht aus, dass bereits vor Erreichen der Fünfjahresfrist das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung bei Überprüfung der Fortdauer der Maßregel einen externen Sachverständigen hinzuziehen muss.

So liegt der Fall hier. Die 4. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat den Beschwerdeführer im Verfahren 6370 Js 16125/02 mit Urteil vom 29. April 2003 von den Anklagevorwürfen der vorsätzlichen Körperverletzung und der Bedrohung wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB freigesprochen sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

Zur Begründung der Unterbringungsanordnung hat das erkennende Gericht Folgendes ausgeführt: "Nach dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. R..... ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die festgestellte Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat; jedenfalls befand er sich aber im Zustand verminderter Schuldfähigkeit. Der Sachverständige geht davon aus, dass der Angeklagte an der Restsymptomatik einer paranoid halluzinatorischen Psychose leidet, die sich in einer paranoiden Grundhaltung mit zunehmender Bindungslosigkeit des Fühlens, nicht mehr ausreichender Systematisierung des Denkens und Antriebsarmut äußert. Allein schon aufgrund dieses dauerhaften krankhaften Zustandes kann das Hemmungsvermögen des Angeklagten im Tatzeitpunkt, aber auch schon im Zeitpunkt des Beginns der Alkoholaufnahme aufgehoben gewesen sein. Die Symptome verlaufen in wellenförmigen Schüben. In Zeiten, in denen der Angeklagte nach außen hin noch ruhig wirkt, ist sein Steuerungsvermögen zumindest insofern in erheblicher Weise vermindert, als es zu Fehlinterpretationen und dadurch zu unangemessenen Reaktionen kommen kann.

Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen besteht auch eine ungünstige Konstellation im prognostischen Bereich. Die Erkrankung des Angeklagten birgt ein hohes Konfliktpotenzial und ist zusätzlich im Zusammenhang mit seiner dissozialen Persönlichkeitsprägung und seinem Alkoholismus zu sehen...." Während der bei Erlass der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer seit annähernd fünf Jahre andauernden Unterbringung des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug nach § 63 StGB hat sich in den jährlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Klinik für Forensische Psychiatrie des Pfalzklinikums Landeck eine von der ursprünglichen Begutachtung im Strafverfahren nicht unerheblich abweichende Bewertung der Erkrankung des Untergebrachten herausgebildet. In der letzten schriftlichen Stellungnahme des Pfalzklinikums vom 7. März 2008 wird diagnostisch von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung bei Polytoxikomanie und Alkoholabhängigkeit ausgegangen. Arbeitshypothetisch müsse von akzentuierten Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne einer Persönlichkeitsstörung gesprochen werden. Dabei stünden im Vordergrund schizoide sowie paranoide Züge mit einhergehenden Störungen des affektiven Erlebens, sozialer Kompetenzen sowie dysfunktionaler Kognitionen.

Diese gegenüber dem Zeitpunkt der Maßregelanordnung nicht unwesentliche Veränderung in der fachpsychiatrischen Beurteilung der psychischen Verfassung des Untergebrachten hätte für die Strafvollstreckungskammer Anlass sein müssen, zur besseren Sachverhaltsaufklärung ein externes Gutachten einzuholen; dies auch mit Blick darauf, dass dem anstaltsinternen Gutachten weder eine Zuordnung der dort beschriebenen Persönlichkeitsakzentuierungen zu einer der Eingangsalternativen des § 20 StGB zu entnehmen ist, noch die erforderliche Aussage dazu, ob bei dem Untergebrachten (weiterhin) ein geistiger oder psychischer Defekt vorliegt, der (noch) als schwer einzuordnen ist und deshalb die Fortdauer der Unterbringung rechtfertigt. Für die weitere Sachbehandlung - insbesondere auch bei der Formulierung des Auftrags an den externen Sachverständigen - ist Folgendes zu beachten: Durch das am 20. Juli 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 wurde die Vorschrift des § 67e StGB, der die Fristen für die gerichtliche Überprüfung der unterschiedlichen Maßregeln bestimmt, in Abs. 1 um die Wörter "oder für erledigt zu erklären" und in Abs. 4 um die Wörter "oder Erledigungserklärung" ergänzt. Dabei handelt es sich um eine klarstellende Folgeänderung zu der Normierung der Erledigungserklärung in § 67d Abs. 6 StGB durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I. S. 1838). Sie erstreckt die regelmäßige Überprüfung der Unterbringung neben der Prüfung der Aussetzungsfähigkeit auch auf diejenige der Erledigung (BT-Drucks. 16/1110, S. 18).

Ausweislich der Entwurfsbegründung zu § 67d Abs. 6 StGB (BT-Drucks. 15/2887, S. 10/14) setzt die Vorschrift die bereits zuvor von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfortbildung in Gesetzesform um, dass bei nachträglichem Wegfall einer gesetzlichen Voraussetzung des § 63 StGB sich die Unterbringung erledigt und nicht weiter vollstreckt werden darf (BGHSt 42, 306; vgl. weiter auch OLG Rostock Beschluss vom 8. Februar 2007, 1 Ws 438/06, zitiert nach Juris, für Fälle der sog. Fehleinweisung).

Denn die Vollstreckung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung hat - unabhängig vom Fall eintretender Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs allein wegen Zeitablaufs - stets das aktuelle Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen zur Bedingung. Für den Fall der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) bedeutet dies, dass der Zustand nach den §§ 20, 21 StGB, auf Grund dessen im Urteil die Maßregel angeordnet wurde, ebenso fortdauern muss wie die sich aus diesem Zustand ergebende Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit. Folglich ist die Unterbringung zum einen in den Fällen für erledigt zu erklären, in denen eine erneute Begutachtung im Rahmen der Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer (§§ 67d Abs. 2, 67e StGB) ergibt, dass der Untergebrachte nicht (mehr) an einem schuldausschließenden oder -vermindernden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB leidet, der zur Anordnung der Maßregel geführt hat.

Zum anderen ist die Erledigung der Unterbringung auch dann festzustellen, wenn Ereignisse eingetreten sind, die die auf dem krankhaften Zustand beruhende Gefährlichkeit des Untergebrachten beseitigt haben (vgl. zum Ganzen etwa: OLG Rostock a.a.O.; OLG Stuttgart Justiz 2007, 325; BGH NJW 1997, 875, 876f).

Bei ihrer erneuten Entscheidung wird die - sachverständig beratene - Kammer gegebenenfalls auch Gelegenheit haben zu erwägen, dass nicht jede Persönlichkeitsstörung (auch in Kombination mit einer Alkoholabhängigkeit) die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB rechtfertigt (vgl. etwa BGH StraFo 2008, 70; 2006, 31; BGHSt 37, 397ff; BGH NStZ-RR 2007, 138; BGHSt 44, 338ff; BGH StV 1999, 486). Eine eigene Entscheidung in der Sache hält der Senat unbeschadet § 309 Abs. 2 StPO nicht für angezeigt, weil die Strafvollstreckungskammer als sachnäheres Gericht die örtlichen Vollzugsverhältnisse besser beurteilen kann und dem Untergebrachten darüber hinaus die Möglichkeit erhalten bleiben soll, eine ihm etwa nachteilige Entscheidung des Erstgerichts mit der Beschwerde anfechten und weitere Gesichtspunkte vortragen zu können.

Ende der Entscheidung

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