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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 16.02.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 20/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 25 Abs. 2
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 239 Abs. 1
StGB § 239 a
StGB § 239 b
StGB § 239 b Abs. 1
StGB § 239 b Abs. 1 Alt. 1 Var. 2
StGB § 239 b Abs. 1 Alt. 2
StGB § 239 b Abs. 1 HS 2
StGB § 240 Abs. 1
StGB § 240 Abs. 2
StPO § 473 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ws 17/09 1 Ws 18/09 1 Ws 19/09 1 Ws 20/09

In dem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

hier: Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gegen die Verweisung des Hauptverfahrens an das Schöffengericht und einfache Beschwerde gegen die Aufhebung der außer Vollzug gesetzten Haftbefehle des Amtsgerichts durch die Eröffnungsentscheidung des Landgerichts Kaiserslautern vom 22. Dezember 2008 hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Richter am Oberlandesgericht Burger und Süs sowie den Richter am Landgericht Christoffel

am 16. Februar 2009 beschlossen: Tenor:

Die Beschwerden der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gegen den Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 22. Dezember 2008 werden auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten in diesem Verfahren zu tragen hat, als unbegründet verworfen.

Gründe: I. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten in ihrer Anklageschrift vom 5. November 2008 vor, durch die selbe Handlung am 13. April 2008 einen Menschen entführt zu haben, um ihn durch die Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen und eine andere Person mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges körperlich misshandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht dabei von folgendem Sachverhalt aus: Am 13. April 2008 gegen 01.30 Uhr waren die Zeugen L.... R..., J..... C......... und D..... H....... auf dem Universitätsgelände der Universität Kaiserslautern zu Fuß unterwegs. Dabei kamen sie an den vor der Mensa abgestellten VW-Bus des Angeschuldigten P...... B........ mit dem amtlichen Kennzeichen .......... Der Zeuge H....... stieg in den ungeöffneten Pkw ein und warf aus diesem verschiedene Gegenstände heraus. Die Zeugen R... und C......... standen in unmittelbarer Nähe, ohne sich an der Vorgehensweise des H....... zu beteiligen. In dieser Situation näherte sich eine Gruppe, bestehend aus vier Männern, dem Pkw. Bei den Männern handelte es sich um die beiden Angeschuldigten sowie zwei weitere bislang noch nicht identifizierte Personen. Da sie die herannahenden Männer bemerkt hatten, rannten die Zeugen R..., C......... und H....... davon, wobei es einzig dem Zeugen H....... gelang, zu entkommen. Die Zeugen R... und C......... hingegen wurden von den vier Männern gestellt. Auf den Zeugen C......... wurde von allen vier Männern eingeschlagen, wobei ihn der Angeschuldigte B........ in den Schwitzkasten nahm und der Angeschuldigte H... M...... ihn an seine rechte Kopfseite trat. Auf den Zeugen R... schlugen und traten der Angeschuldigte H... M.......sowie die beiden noch nicht identifizierten Männer ein. Anschließend wurden R... und C......... jeweils im Schwitzkasten zu dem VW-Bus verbracht, wobei der Angeschuldigte H... M...... für alle hörbar äußerte, dass C......... und R... sich in das Auto setzen sollten, "sonst machen wir Euch kalt". Der Pkw wurde dann in Richtung Trippstadt in den Wald gesteuert, wobei R... und C......... ihre Köpfe auf die Knie hinunterbeugen mussten. Der Pkw hielt schließlich auf einem Waldweg abseits der Bundesstraße. R... und C......... mussten sich sodann neben den Pkw auf den Waldweg stellen, wobei der Angeschuldigte H... M...... dem C......... auf sein linkes Auge schlug. Dem Zeugen R... wurde Pfefferspray in das Gesicht gesprüht und zudem wurde er nochmals geschlagen. Der Angeschuldigte B........ forderte die beiden Zeugen dazu auf, sich ganz auszuziehen. In Anbetracht des bisher erlebten leisteten die beiden Zeugen der Aufforderung Folge. Sodann mussten sie sich nackt auf den Bauch legen. Daraufhin sprühte der Angeschuldigte H... M...... die beiden Zeugen am ganzen Körper mit Pfefferspray ein, wodurch ein intensives Brennen auf der Haut entstand. Darüber hinaus fertigte einer der vier Männer von den nackt am Boden liegenden Zeugen mit seinem Mobiltelefon Fotos an. Erst nach mindestens zehn Minuten durften die beiden Zeugen wieder aufstehen und sich notdürftig anziehen. Sie wurden dann zu dem Universitätsgelände nach Kaiserslautern zurückgefahren, wobei sie wiederum ihre Köpfe auf die Knie legen mussten. Am Universitätsgelände angekommen durften sie das Fahrzeug verlassen. Bis dahin hatte das ganze Geschehen seit Aufeinandertreffen der beiden Personengruppen mindestens 45 Minuten angedauert. Durch die Vorgehensweise trugen der Zeuge R... ein Hämatom an der Oberlippe, eine Nasenbeinprellung, Schürfwunden im Nacken, den Abbruch eines Zahnstabilisierungsbogens, Schmelzabsplitterungen und Positionsverschiebungen an 2 Zähnen, eine große Schürfwunde am rechten Unterarm, Schürfwunden an zwei Fingern der rechten Hand, Schürfwunde an der Kopfhaut, eine lose Zahnspange und posttraumatische Kopfschmerzen davon. Er war vom 14. April bis 23. April 2008 arbeitsunfähig. Bei dem Zeugen C......... lag eine Contusion der linken Orbita, der Nase, der Schädelkalotte und linken Ohrmuschel, des Unterkiefers, der HWS und LWS, des rechten Hüftgelenkes sowie des rechten Oberschenkels und des linken Handgelenkes sowie Schürfwunden an der rechten Gesäßhälfte vor. Eine dem Angeschuldigten H... M...... am Tattag um 04.40 Uhr entnommene Blutprobe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 1,26 Promille." Das Landgericht hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2008 folgende Eröffnungsentscheidung getroffen: 1. Das Hauptverfahren wird eröffnet.

2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern vom 5. November 2008 wird zur Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht bei dem Amtsgericht Kaiserslautern mit der Maßgabe zugelassen, dass die Angeklagten aufgrund der angeklagten Tat der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung, begangen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung, strafbar gem. §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4, 239 Abs. 1, 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB, hinreichend verdächtig sind.

3. Die gegen die Angeklagten ergangenen Haftbefehle des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht Kaiserslautern vom 28. Oktober 2008 (2a Gs 2135+2136/08) werden aufgehoben.

4. Die Verletzten L.... R..., ............................... und J..... C.........................................., beide vertreten durch Rechtsanwalt ...... W........, .................... sind berechtigt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen (§§ 396 Abs. 2 S. 1, 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StPO, 224 StGB). Die von der Anklage abweichende Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht hat das Landgericht mit fehlendem hinreichendem Tatverdacht für eine Geiselnahme nach § 239 b StGB begründet. Zum einen hätte zum Zeitpunkt der qualifizierten Drohung keine stabile Bemächtigungslage bestanden und danach seien weder ausdrücklich noch konkludent qualifizierte Drohungen im Sinne von § 239 b StGB ausgesprochen worden. Gegen den ihr am 30. Dezember 2008 zugestellten Eröffnungsbeschluss hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 5. Januar 2009, das am selben Tag beim Landgericht einging, sofortige Beschwerde eingelegt, insoweit die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht und nicht vor dem Landgericht eröffnet wurde (daher Ziffern 1 und 2 des Beschlusses) und einfache Beschwerde, insoweit die außer Vollzug gesetzten Haftbefehle aufgehoben wurden. Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Beschwerde wie folgt: "Die Kammer gibt den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt zutreffend wieder.

Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung zum Tatbestand der Geiselnahme legt sie indes einen zu engen Maßstab an.

Das 2. StGB/VersÄndG vom 9. Juni 1989 gab - wie bei § 239 a StGB - die ursprüngliche Dreiecksstruktur der Geiselnahme auf und dehnte den Tatbestand auf die Fälle aus, in denen Geisel und Opfer der Nötigung ein und dieselbe Person waren. Der Große Senat hat in seiner Entscheidung vom 22. November 1994 (BGHSt 40, 350) gefordert, dass im Zwei-Personen-Verhältnis die Bemächtigungssituation gegenüber der beabsichtigten Nötigung eine eigenständige Bedeutung aufweisen müsse. An einer derartigen eigenständigen Bedeutung fehle es, wenn das Mittel für die Begründung der Gewalt über die Geisel und das Mittel für die geplante Nötigung identisch seien (BGHSt 40, 350, 359). Der Sache nach läuft diese Deutung auf eine chronologische Zweiaktigkeit des Deliktes hinaus. Der Täter muss die durch den ersten Akt geschaffene Zwangslage zu einem zweiten eigenständigen Nötigungsakt ausnutzen wollen (MünchKomm zum StGB, Rz 23 zu § 239a).

Diese Zäsur ist - entgegen der Auffassung der Kammer - hier gegeben. Die Angeschuldigten und deren zwei unbekannt gebliebenen Mittäter haben die Zeugen R... und C......... auf dem Gelände der Universität Kaiserslautern ergriffen, festgehalten und körperlich misshandelt. Bereits zu diesem Zeitpunkt haben sich die Täter der beiden Opfer bemächtigt, da für die beiden Jugendlichen keine Möglichkeit bestand, sich räumlich den vier erwachsenen Tätern zu entziehen.

Danach wurde die Todesdrohung ausgesprochen, um einerseits das Verbringen an einen anderen Ort und damit die Entführung zu ermöglichen und ferner um unter dem Eindruck dieser Todesdrohung ohne weiteren Widerstand der Opfer deren "Bestrafung" fortzusetzen. Die vom Großen Senat geforderte Zweiaktigkeit des Geschehens lag daher vor. Weitere einschränkende Voraussetzungen sind nicht zu berücksichtigen gewesen, da ansonsten der vom Gesetzgeber bewusst so gestaltete Tatbestand bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden würde."

Das Landgericht hat der einfachen Beschwerde mit Beschluss vom 6. Januar 2009 nicht abgeholfen und die Akte über die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Beschwerden dem Senat vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft führte in ihre Zuleitungsverfügung ergänzend aus: "Selbst wenn man mit der Strafkammer davon ausgeht, das die Todesdrohung noch der Herstellung einer stabilen Bemächtigungslage gedient hat und diese während der Entführungshandlung nicht fortgewirkt hat - was angesichts der Art der Entführungshandlung fernliegend erscheint -, so wäre jedenfalls die Modalität des Ausnutzens einer zuvor geschaffenen Bemächtigungslage nach § 239 b Absatz 1 Halbsatz 2 StGB einschlägig." II. Die zulässigen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben in der Sache keinen Erfolg.

Die 4. (Große) Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat zu Recht die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht Kaiserslautern eröffnet (§§ 203, 207, 209 Abs. 1 StPO, 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG) und die außer Vollzug gesetzten Haftbefehle des Amtsgerichts Kaiserslautern wegen fehlender Fluchtgefahr aufgehoben.

An Hand des Akteninhalts einschließlich des in der Anklage und in der Eröffnungsentscheidung übereinstimmend mitgeteilten Sachverhaltes kommt bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung der Angeklagten wegen Geiselnahme (§ 239 b StGB) nicht in Betracht.

Der verbleibende hinreichende Tatverdacht in Bezug auf gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung rechtfertigt keine Eröffnung der Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges, da für beide Angeklagten keine höheren Strafen als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten sind und daher nur die Zuständigkeit des Schöffengerichts gegeben ist (§§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG) . Durch den Wegfall des Tatbestandes der Geiselnahme ist auch die Annahme einer Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) nicht mehr zu begründen gewesen. Insofern hat das Landgericht zu Recht die außer Vollzug gesetzten Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Kaiserslautern aufgehoben. Die in § 239 b StGB normierte Geiselnahme hat - wie auch der erpresserische Menschenraub nach § 239 a StGB - zwei Tatbestandsalternativen. Die erste Tatbestandsalternative des § 239 b Abs. 1 StGB mit den Modalitäten des Entführens oder Sichbemächtigens ist als unvollkommenes zweiaktiges Delikt konstruiert (so BGHSt 40, 350, 355). Der Täter muss einen anderen entführen oder sich eines anderen bemächtigen, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen (§ 239 b Abs. 1 Alt.1 StGB). Beim Vorliegen dieser Absicht ist die Tat bereits mit der Entführung bzw. dem Sichbemächtigen des Opfers vollendet. Die Absicht im Sinne von § 239 b Abs. 1 Halbsatz 2 StGB muss zugleich mit dem Sichbemächtigen oder dem Entführen vorliegen. Die zweite Tatbestandsalternative des § 239 b Abs. 1 StGB mit der Modalität des Ausnutzens ist als zweiaktiges Delikt ausgestaltet (vgl. Schönke/Schröder-Eser 27. Aufl. § 239 b Rdnr. 11/12 und § 239 a Rdnr. 18). Der Täter muss die von ihm durch das Sichbemächtigen bzw. das Entführen geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung (nämlich mittels qualifizierter Drohung) ausnutzen (§ 239 b Abs. 1 Alt.2 StGB). Vollendet ist die zweite Alternative des § 239 b Abs. 1 StGB, wenn es zumindest zu einer versuchten Nötigung gekommen ist (vgl. BGH NJW 1997, 1082). § 239 b Abs. 1 Halbsatz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt, die durch die Entführung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene Lage zu einer qualifizierten Drohung auszunutzen und durch sie zu nötigen. Eine Lage die zu weiteren Nötigungen des Opfers durch qualifizierte Drohung ausgenutzt werden soll, setzt eine gewisse Stabilisierung voraus. Daran fehlt es, wenn in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bemächtigen qualifizierte Drohungen gegen das Opfer in weitergehender Nötigungsabsicht eingesetzt werden. Die dabei abgenötigte Handlung wird in der Regel ausschließlich durch die Bedrohung durchgesetzt, ohne dass der Bemächtigungssituation die in § 239 b StGB vorausgesetzte eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BGHSt 40, 350).

Mit der eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungslage ist gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben muss (vgl. BGH NStZ 2007, 32). Für den subjektiven Tatbestand ist hinsichtlich des abgenötigten Verhaltens Absicht im Sinne zielgerichteten Handelns erforderlich, und zwar auch die Absicht, gerade mit den Mitteln des § 239 b StGB vorzugehen. Im Übrigen genügt bedingter Vorsatz. Nach diesen Maßstäben sind zu keinem Zeitpunkt des sich über einen längeren Zeitraum (nach Anklage ca. 45 Minuten) hinziehenden Tatgeschehens die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Geiselnahme erfüllt gewesen. Dies gilt sowohl für die Tatbestandsalternative 1 als auch für die Tatbestandsalternative 2 des § 239 b StGB. Erster Zeitpunkt: Die Angeklagten ergreifen die geflüchteten Nebenkläger auf dem Unigelände Entgegen der Auffassung des Landgerichts hatten die Angeklagten bereits vor dem Verbringen der Nebenkläger in den VW Bus eine Bemächtigungslage im Sinne von § 239 b Abs. 1 Alt. 1 Variante 2 StGB geschaffen.

Der Begriff des Sichbemächtigens setzt die Begründung der physischen Herrschaft, gleichsam der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Täters über das Opfer voraus, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss. Das Opfer muss an der freien Bestimmung über sich selbst gehindert sein. Daran fehlt es, wenn es sich der vom Täter herbeizuführenden Bemächtigungslage noch risikolos und ohne weiteres entziehen kann, z.B. durch Flucht (vgl. LK-Träger/Schluckebier StGB 11. Aufl. § 239 a Rdnr. 7 m.w.N.). Nach der Anklage sind die Nebenkläger unmittelbar nach ihrer Flucht durch die Angeklagten und zwei weiteren, bisher nicht ermittelten Personen gestellt, geschlagen und im Schwitzkasten zum VW-Bus gebracht worden. Damit ist im Sinne der obigen Definition physische Herrschaft begründet und eine Bemächtigungslage in Bezug auf die Nebenkläger geschaffen worden.

Es fehlen aber hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Sichbemächtigen in der Absicht erfolgte, um mittels qualifizierter Drohung (Drohung mit dem Tod, einer schweren Körperverletzung oder mit einer Freiheitsberaubung von über einer Woche Dauer) die Nebenkläger zur Herbeiführung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Weder dem in der Eröffnungsentscheidung und noch dem in der Anklage mitgeteilten Sachverhalt ist eine solche Absicht zum Zeitpunkt des Sichbemächtigens zu entnehmen. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage selbst davon aus, dass diese Absicht frühestens zum Zeitpunkt des Beginns der Entführung vorgelegen hat. Denn in dem Anklagesatz werden die abstrakten Tatbestandsmerkmale der materiell-rechtlichen Strafvorschrift der Geiselnahme wie folgt angegeben: "Am 13. April 2008 einen Menschen entführt zu haben, um ihn durch die Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen." Dies entspricht der ersten Tatbestandsalternative der Geiselnahme in Form der Tatmodalität des Entführens (§ 239 b Abs. 1 Alt. 1 Modalität 1 StGB). Auch der Ermittlungsakte ist nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, dass die Angeklagten die Nebenkläger zumindest eines versuchten Diebstahls verdächtigten und ihnen deswegen eine Lektion bzw. Abreibung erteilen wollten. Zweiter Zeitpunkt: Der Angeklagte M...... äußert für alle hörbar, dass C......... und R... sich in das Fahrzeug setzen sollten, "sonst machen wir Euch kalt". Entgegen der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft sind auch zu diesem Zeitpunkt die Tatbestandsvoraussetzungen für die Annahme einer Geiselnahme (§ 239 b StGB) nicht gegeben. Dies gilt sowohl für die Tatbestandsalternative 1 als auch für die Tatbestandsalternative 2 des § 239 b Abs. 1 StGB. 1) Ausnutzen einer Bemächtigungslage (§ 239 b Abs. 1 Alt. 2 StGB) Zu dem Zeitpunkt, in dem die Angeklagten die Nebenkläger unter qualifizierte Drohung zum Einsteigen in den VW Bus zwangen, bestand noch keine stabile Bemächtigungslage, die für eine Nötigung mittels qualifizierter Drohung ausgenutzt werden konnte. Der von den Angeklagten zuvor geschaffenen Bemächtigungslage kam noch keine eigenständige Bedeutung zu.

Denn die Aufforderung zum Einsteigen erfolgte in unmittelbaren, engen zeitlichem Zusammenhang mit dem vorhergehenden gewaltsamen Sichbemächtigen.

Das Einsteigen in das Fahrzeug der Angeklagten ist zum einen noch Teil des Sichbemächtigens und zum anderen bereits der Beginn der beabsichtigen Entführung. Die Entführung hatte erkennbar das Ziel die durch das Sichbemächtigen geschaffene Situation zu vertiefen. Denn durch die mit der Entführung verbundene Ortsveränderung wird das Tatopfer regelmäßig in seinen Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in einem Maß eingeschränkt, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt ist (vgl. BGHSt 22, 178, 179; 24, 90, 93; BGH NJW 1989, 917). Die von der Staatsanwaltschaft angenommene zeitliche Zäsur zwischen den Modalitäten des Sichbemächtigens und des Entführens für die Begründung der Geiselnahme würde in den Fällen wie dem vorliegenden Fall, in denen zwischen den beiden Modalitäten ein fließender Übergang stattfindet, zu einer unnatürlichen Aufspaltung eines einheitlichen Vorganges führen. 2) Entführung in der Absicht mittels einer qualifizierten Drohung eine Nötigung herbeizuführen (§ 239 b Abs. 1 Alt 1 StGB) Der Anklage als auch der Ermittlungsakte sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass die Angeklagten bereits zu Beginn der Entführung in der Absicht handelten, die Nebenkläger durch qualifizierte Drohung zu einer (weiteren) Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Dritter Zeitpunkt: Der Aufenthalt im Wald Auch die Ereignisse im Wald sind nicht geeignet die tatbestandsmäßigen Voraussetzung für die Annahme einer Geiselnahme gemäß § 239 b Abs. 1 Alt. 2 StGB zu erfüllen.

Die Angeklagten nutzten zwar die durch die Entführung vertiefte Bemächtigungslage zur Fortsetzung ihres Ausgangsziels, den Nebenklägern eine Abreibung (Ausziehen der Kleider, Erduldung von körperlicher Misshandlung und Besprühen mit Pfefferspray) zu verpassen, aus. Somit ist die hinsichtlich des abgenötigten Verhaltens notwendige Absicht im Sinne eines zielgerichteten Handelns gegeben.

Es fehlt aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Angeklagten während der Fahrt und dem Aufenthalt im Wald auch in der Absicht handelten, gerade mit den Mitteln des § 239 b Abs. 1 StGB weitere Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen herbeizuführen.

Während der Fahrt und des Aufenthaltes im Wald wurden von den Angeklagten keine ausdrücklichen qualifizierten Drohungen gegenüber den Nebenklägern zur Herbeiführung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung ausgesprochen.

Eine konkludente qualifizierte Drohung ist - wie das Landgericht zu Recht ausführt - auch nicht in dem Verbringen in den Wald, der Art des Transportes (mit den Köpfen auf den Knien), dem Abnehmen der Handys und der Personalausweise zu sehen, da diese Handlungen der für eine qualifizierte Drohung notwendige eindeutige Erklärungsinhalt fehlt.

Auch die vom Angeklagten M...... zuvor ausgesprochene qualifizierte Drohung ( "sonst machen wir Euch kalt"), um die Nebenkläger zum Einsteigen in den VW-Bus zu nötigen, ist nicht geeignet, die für die Ausnutzung der Entführungslage notwendige Absicht in Bezug auf eine (weitere) Nötigung durch eine qualifizierte Drohung zu begründen.

Diese Absicht mit den Mitteln einer qualifizierten Drohung zu nötigen ist weder der Anklage noch der Ermittlungsakte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu entnehmen. Die vom Angeklagten M...... ausgesprochene qualifizierte Drohung war nach ihrem Inhalt beschränkt auf die Erzwingung des Einsteigens in den VW-Bus, um eine Ortsveränderung herbeizuführen. Diese qualifizierte Drohung wurde anschließend weder ausdrücklich noch durch sonstige Verhaltensweisen - etwa durch Vorzeigen einer Waffe - konkludent wiederholt. Nach den Angaben der Geschädigten haben die Angeklagten vielmehr geäußert, sie würden ihren Opfern "mal ordentlich auf die Fresse geben" (so vor dem Einsteigen in den Bus) und ihnen eine Lektion erteilen (so nach der Ankunft im Wald). Dies hat die Kammer zu Recht als Anhaltspunkt gegen eine fortwirkende Todesdrohung bewertet. Dementsprechend hat der Geschädigte C......... auch angegeben, er und sein Begleiter hätten den Aufforderungen der Täter "unter dem Eindruck der Schläge und Tritte" Folge geleistet. Die Angeklagten hatten daher allein die Absicht im Wald ihre auf dem Unigelände begonnene Selbstjustiz ungehindert fortzusetzen. Dafür genügten ihnen die durch die Entführung geschaffene Lage, ihre zahlenmäßige Überlegenheit sowie die bereits auf dem Unigelände ausgeübten Gewalttätigkeiten. Den Angeklagten musste dabei bewusst gewesen sein, dass die Nebenkläger wegen der Entführungslage nunmehr ihrem ungehemmten Einfluss ausgesetzt waren und daher kein Widerstand mehr zu erwarten war, der durch weitere qualifizierte Drohungen hätte überwunden werden müssen. Der Umstand, dass die Nebenkläger tatsächlich Todesangst hatten, reicht zur Bejahung des subjektiven Tatbestandes nicht aus. Aufgrund dieser rechtlichen Würdigung hat das Landgericht zu Recht die Fluchtgefahr verneint und die Haftbefehle des Amtsgerichts aufgehoben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 StPO. Die notwendigen Auslagen der Nebenkläger in diesem Verfahren sind der Landeskasse nicht aufzuerlegen und sind von diesen selbst zu tragen (KK-Gieg StPO 6. Aufl. § 473 Rdnr. 11). 4 W 26/09

Ende der Entscheidung

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