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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 343/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ws 343/04

BRs 136/00 LG Frankenthal (Pfalz)d

83 VRs 5705/94) StA Tübingen

In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen

wegen Betruges

hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgericht Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Stricker am 15. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 17. August 2004 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:

Hermann Josef G. wurde durch Urteil des Amtsgerichts Calw vom 26. September 1996 wegen Betruges in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Verurteilte verbüßte diese Strafe zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz). Die Strafvollstreckungskammer des dortigen Landgerichts setzte mit Beschluss vom 31. August 2000 die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Die Dauer der Bewährungszeit wurde mit zwei Jahren bemessen. Hermann Josef G. wurde der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Der Verurteilte zog von Römerberg nach Wiesmoor, in der Nähe von Aurich. In seinem Bericht vom 23. Januar 2002 teilt der Bewährungshelfer mit, dass neue Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten eingeleitet wurden. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass sich der Verurteilte in einer psychiatrischen Klinik aufhielt. Nach seiner Entlassung aus der Klinik lebte er im Raum Aurich. Im Rahmen der Abschlussermittlungen nach Ablauf der zweijährigen Bewährungszeit wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Aurich gegen den Verurteilten ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges führt. Der Verurteilte wurde von dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 19. September 2002 darauf hingewiesen, dass vor Straferlass der Ausgang der gegen den Verurteilten anhängigen Ermittlungsverfahren abgewartet wird. Die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Aurich zogen sich hin, da zur Frage der Schuldfähigkeit des Verurteilten ein Gutachten einzuholen war. In der Folgezeit wurden gegen den Verurteilten weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) beantragte schließlich gegen ihn den Erlass eines Haftbefehls wegen Betruges, den das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) am 9. Juli 2003 erließ. Die Staatsanwaltschaft Aurich erhob gegen den Angeklagten am 2. September 2003 wegen Betruges in fünf Fällen Anklage zum Amtsgericht -Strafrichter - Aurich. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) übernahm das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Aurich und klagte den Verurteilten am 15. Dezember 2003 wegen insgesamt sieben Fällen des Betruges beim Landgericht Frankenthal (Pfalz) an. Daraufhin teilte die Strafvollstreckungskammer dem mittlerweile aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) Verurteilten mit Schreiben vom 28. Januar 2004 mit, dass vor Straferlass der Ausgang des Verfahrens der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) abgewartet werde.

Hermann Josef G. wurde am 19. Mai 2004 vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) wegen Betruges in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Das Landgericht stellt in den schriftlichen Urteilsgründen fest, das der Angeklagte nach anfänglichem Leugnen und dem Versuch, die von ihm gegenüber dem Zeugen Eder aufgestellten Finanzierungsmodelle zu erklären, er letztlich doch ein "vollumfassendes Geständnis" abgelegt habe. Weiter wird ausgeführt, dass er zu den einzelnen Anklagepunkten befragt, diese eingeräumt habe, wie sie in den Urteilsgründen festgestellt worden sind. Er habe angegeben, Strafe verdient zu haben, da er getäuscht habe und damit gescheitert sei. Dieses Geständnis wurde von der Kammer durch Vernehmung mehrerer Zeugen überprüft und für glaubhaft erachtet. Zu dem Geständnis wird im Rahmen der Erörterung der Schuldfähigkeit ausgeführt, dass, nachdem der Angeklagte erkannt habe, dass durch die bislang durchgeführte Beweisaufnahme und insbesondere durch den glaubwürdigen, wenn auch emotionalen Auftritt des Zeugen Eder ein Tatnachweis geführt werden würde, er bereit gewesen sei, ein vollumfängliches Geständnis abzulegen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) widerrief, nachdem sie den Verurteilten schriftlich angehört hatte, in dem angefochtenen Beschluss die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Calw.

Der Verurteilte hat gegen dieses Entscheidung form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt.

Er hat das Rechtsmittel u. a. damit begründet, dass er unter Beiordnung eines Pflichtverteidigers, der nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei, zwar unter dem Eindruck der angedrohten Sicherungsverwahrung zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis abgegeben habe, dieses aber, wenn er noch vor Gericht stehen würde, längst widerrufen hätte.

Das Revisionsverfahren ist bisher noch nicht abgeschlossen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den von dem Verurteilten angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Sie ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Ausführungen des Verurteilten im Rahmen der Beschwerde sich die Frage stelle, inwieweit von einem glaubhaften Geständnis ausgegangen werden könne. Es solle daher der rechtskräftige Ausgang des Verfahrens abgewartet werden.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Der Widerrufsgrund ergibt sich aus § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Verurteilte hat in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen und dadurch gezeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, sich nicht erfüllte. Dem steht auch nicht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK entgegen (OLG Hamburg NJW 2003, 3574, 3575). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht lediglich dann die Unschuldsvermutung verletzt, wenn das Gericht, das über den Widerruf gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB zu entscheiden hat, eine Schuldfeststellung außerhalb des Strafverfahrens vor dem zuständigen Gericht trifft (NJW 2004, 43 ff, OLG Hamburg a.a.O.). Hier wurde jedoch vom zuständigen Gericht, dem Landgericht Frankenthal (Pfalz), im neuen Strafverfahren die Schuld des Verurteilten aufgrund seines Geständnisses festgestellt. Die Strafvollstreckungskammer hat weder eine Aufgabe des erkennenden Gerichts wahrgenommen noch eine diesem Gerichtvorbehaltene Schuldfeststellung getroffen. Bei Vorliegen eines Geständnisses wird daher als Ausnahmefall weiterhin ein Widerruf im Sinne dieser Vorschrift für zulässig erachtet (vgl. EuGH a.a.O. 45; so schon BVerfG NStZ 1991, 30 und EuGH StV 1992, 282, 283). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Verurteilte dieses Geständnis zwischenzeitlich widerrufen hat und dies in dem Verfahren zu berücksichtigen ist. Dies sind vor allem Fälle, in denen noch vor der Hauptverhandlung das polizeiliche oder richterliche Geständnis widerrufen wird (OLG Schleswig SchlHA 2004, 161f - zitiert nach juris) oder aber im laufenden Strafverfahren ein Widerruf erfolgt. Ist aber ein Widerruf nicht mehr möglich, wie dies im Falle einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung der Fall ist (vgl. OLG Jena StV 2003, 575, das die Zulässigkeit des Widerrufes im Falle der unbeschränkten Berufung offen gelassen hat; OLG Hamm, StV 2004, 83f), und der Verurteilte daher an dieses Geständnis gebunden, widerspricht die Unschuldsvermutung nicht dem Widerruf, denn der Schuldspruch ist damit rechtskräftig geworden.

Auch wenn das Urteil des Landgerichts noch nicht rechtskräftig ist und der Verurteilte die Revision nicht beschränkt hat, ist er an das vor dem Landgericht abgegebene Geständnis gebunden. In dem von ihm angestrengten Revisionsverfahren findet eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils in tatsächlicher Hinsicht nicht statt. Der Verurteilte kann daher grundsätzlich nicht damit gehört werden, dass er dieses Geständnis, wie es sich in den Urteilsgründen wieder findet, nicht abgegeben hat. Auch ein nachträglicher Widerruf ist nicht möglich; dieser kann allenfalls zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

Die Möglichkeit, dass das Urteil wegen Rechtsfehlern im Revisionsverfahren insgesamt aufgehoben wird, ist rein hypothetischer Natur. Der Senat hat es bisher genügen lassen, dass der Verurteilte wegen der Anlasstat im Ermittlungsverfahren ein bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht widerrufenes richterliches Geständnis abgelegt hat. Dass er möglicherweise später im Laufe des Strafverfahrens an diesem Geständnis nicht mehr festhalten wird, ändert nichts an der Zulässigkeit des Widerrufs sofern zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Widerruf erfolgt ist. Da der Senat nicht beabsichtigt insoweit seine Rechtsprechung aufzugeben, bedeutet dies, dass in Fällen, in denen ein Widerruf nicht mehr möglich ist, es eines Abwartens des Revisionsverfahrens nicht zwingend bedarf. Zwar wird es regelmäßig sinnvoll sein, den rechtskräftigen Ausgang des Strafverfahrens wegen der Anlasstat abzuwarten (Peglau NStZ 2004, 248, 251). Wenn aber die Bewährungszeit wie hier bereits seit mehr als zwei Jahre abgelaufen ist und trotz Ablaufes dieser Zeit das zum Widerruf berufene Gericht wegen der Dauer der neuen Strafverfahren, noch keine Entscheidung treffen konnte, so gebietet der Zusammenhang, der zwischen Bewährungszeit und neuer Taten besteht, nach Ergehen eines abschließenden tatrichterlichen Urteils, eine Entscheidung zu treffen. Nur wenn die Strafvollstreckungskammer aufgrund der Urteilsgründe oder nach dem Vorbringen des Verurteilten Zweifel an der Wirksamkeit des Geständnisses hat (entgegen seiner Behauptung hat der Verurteilte vorliegend nicht sogleich ein Geständnis abgelegt, sondern erst nach Eintritt in die Beweisaufnahme; auch für die von ihm behauptete Sicherungsverwahrung lagen die gesetzlichen Vorraussetzungen augenscheinlich nicht vor), wird sie den Ausgang des Revisionsverfahrens abwarten. Sie hat dabei auch zu berücksichtigen, dass das Abwarten zu einer weiteren Verzögerung führt, die unter Umständen einen Widerruf wegen Zeitablaufs unmöglich macht (Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 56f Rn. 19; Senat in NStZ 1998, 501).

Die Strafvollstreckungskammer war daher, da sie das Geständnis für glaubhaft erachtete, nicht daran gehindert, sondern sogar verpflichtet eine Entscheidung zu treffen. Mit dieser Entscheidung hat sie ihre frühere Prognose korrigiert.

Der Verurteilte kann aus den vorgenannten Erwägungen auch nicht damit gehört werden, dass er bei Erfolglosigkeit seiner Revision die Wiederaufnahme des Verfahrens betreiben werde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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