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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 20.02.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 43/03
Rechtsgebiete: StVG, StVO, OWiG


Vorschriften:

StVG § 24
StVO § 41
StVO § 49 Abs. 2
OWiG § 19
Zwei auf derselben Fahrt begangene Zuwiderhandlungen gegen jeweils besonders angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkungen sind nicht in jedem Falle verschiedene Taten im prozessualen und selbstständige Handlungen im materiellen Sinne.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 23/03 1 Ws 43/03

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit,

hier: Rechtsbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Ruppert

am 20. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

1. Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gegen das Urteil des Amtsgerichts Landstuhl vom 25. Oktober 2002 bewilligt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbenannte Urteil des Amtsgerichts Landstuhl dahingehend geändert, dass der Betroffene der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts in Tateinheit mit fahrlässiger Abstandsunterschreitung (§§ 24 StVG, 49 Abs. 2, 41, Zeichen 274, 4 Abs. 1 StVO, 19 OWiG) schuldig ist.

Gegen den Betroffenen wird eine Geldbuße von 200,- EURO verhängt.

Ihm wird für die Dauer eines Monats verboten, Kraftfahrzeuge jeglicher Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

4. Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Abstandsunterschreitung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung in zwei Fällen zu Geldbußen in Höhe von 50,-- EUR, 75 EUR und 100 EUR verurteilt und gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

1. Dem Betroffenen war auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist zu gewähren, nachdem sein Verteidiger es schuldhaft versäumt hat, die Rechtsbeschwerde rechtzeitig zu begründen, dieses Verschulden dem Betroffenen aber nicht zugerechnet werden kann, und die versäumte Handlung (Begründung der Rechtsbeschwerde) innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO nachgeholt worden ist.

2. In der Sache hat die danach zulässige Rechtsbeschwerde lediglich einen geringfügigen Teilerfolg. Sie führt zur Berichtigung des Schuldspruchs und zur Neubestimmung der Geldbuße, da der Bußgeldrichter zu Unrecht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Die weitergehende Sachrüge, mit der der Betroffene die Beweiswürdigung beanstandet, ist hingegen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene mit seinem PKW die BAB 6 bei Ramstein in Fahrtrichtung Saarbrücken. Auf seiner Fahrtstrecke war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h und im weiteren Streckenverlauf im Vorfeld einer Baustelle zunächst auf 100 km/h und im unmittelbaren Baustellenbereich auf 80 km/h begrenzt. Eine von Polizeibeamten um 11.45 Uhr und 34 Sek. aus einem Messfahrzeug (Provida) heraus begonnene Geschwindigkeitsmessung ergab eine unzulässige Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit (130 km/h) um 40 km/h. Eine kurz danach um 11.46 Uhr und 41 Sek. eingeleitete Messung erbrachte eine unzulässige Abstandsunterschreitung, da der Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h lediglich einen Sicherheitsabstand von 15,27 m zu einem vorausfahrenden Fahrzeug einhielt. Eine letzte um 11.50 Uhr und 16 Sek. - nunmehr im Bereich der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h - vorgenommene Geschwindigkeitsmessung erbrachte eine erneute Geschwindigkeitsüberschreitung um 49 km/h.

Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen § 41 Abs. 2 Nr. 7, Zeichen 274, 4 Abs. 1 StVO, denn die festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen und die Abstandsunterschreitung sind im Wege der natürlichen Handlungseinheit zu einem einheitlichen Geschehen mit der Folge verbunden, dass der Betroffene lediglich wegen einer Tat zur Verantwortung gezogen werden kann. Dabei erweist sich die mehrfach festgestellte Geschwindigkeitsübertretung als eine rechtliche Handlungseinheit und damit als eine einzige Gesetzesverletzung (vgl. Göhler, OWiG vor § 19 Rdnr. 29) zu der die festgestellte Abstandsunterschreitung hinzutritt (ungleichartige Tateinheit).

Natürliche Handlungseinheit ist anzunehmen, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang stehen, dass sich das gesamte Geschehen bei natürlicher Betrachtungsweise für einen objektiven Beobachter als ein einheitlich zusammengefasstes Tun erweist (BGHSt 26, 284, 286; OLG Düsseldorf, DAR 1993, 480), was insbesondere auch bei einer kontinuierlichen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf einer einzigen Fahrt der Fall sein kann (OLG Düsseldorf, NZV 1994, 42; OLG Hamm, ZfS 1994, 187). Die Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit liegen hier vor. Begangen hat der Betroffene die ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen ebenso wie die fahrlässige Abstandsunterschreitung auf einer Fahrt zwischen Ramstein und Saarbrücken. Wie der Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, war dabei für ihn bestimmend, diese Strecke möglichst schnell zurückzulegen. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen des Urteils, wonach der Betroffene schon vor Beginn der einzelnen Messungen mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr und er dieses Verhalten auch nach Beendigung der jeweiligen Messung fortsetzte. Das Amtsgericht weist in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf hin, dass die Messungen nur Ausschnitte des (dem Grunde nach gleichbleibenden) Fahrverhaltens darstellen, wenn es dort heißt, dass der Betroffene sein Fahrzeug nach Beendigung der Messungen jeweils weiter beschleunigte (UAS 6, 7). Die Geschwindigkeitsüberschreitungen stehen in einem so engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, dass die Annahme mehrerer selbstständiger Taten sich als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Verkehrsgeschehens erweisen würde. Daran vermag nichts zu ändern, dass es zwischen den einzelnen festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen zu einer Abstandsunterschreitung gegenüber einem vorausfahrenden Fahrzeug gekommen ist, da diese ebenfalls auf die insgesamt zu verzeichnende überhöhte Geschwindigkeit des Betroffenen zurückzuführen ist. Dies entnimmt der Senat dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der ersten Geschwindigkeitsmessung und jener Messung aus der sich die Abstandsunterschreitung ergibt. Der zeitliche Abstand zwischen beiden Messungen betrug weniger als eine Minute, was angesichts der Umstände im Übrigen die Annahme voneinander unabhängiger, selbstständiger Geschehnisse nicht zulässt. Dass der Betroffene Zonen verschiedener Geschwindigkeitsbegrenzungen mit überhöhter Geschwindigkeit durchfuhr, rechtfertigt angesichts des vorbeschriebenen Zusammenhangs keine andere Beurteilung.

Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung wegen einer fahrlässig begangenen, einheitlichen Zuwiderhandlung gegen § 41 Abs. 2 Nr. 7, Zeichen 274 StVO in Tateinheit mit einem fahrlässigen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO. Angesichts des festgestellten äußeren Verhaltens des Betroffenen, der jeweils deutlich sichtbar aufgestellte Verkehrsschilder über verschiedene Geschwindigkeitszonen hinweg unbeachtet ließ, legt sogar die Annahme einer bewussten und gewollten und damit vorsätzlichen Missachtung der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen nahe.

Der festgestellte Rechtsfehler zwingt zugleich zur Neufestsetzung der Geldbuße, die der Senat abweichend von § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen kann (§ 79 Abs. 6 StPO).

Zur Ahndung des festgestellten verkehrswidrigen Verhaltens ist unter Berücksichtigung der Bedeutung der begangenen Ordnungswidrigkeiten und des den Betroffenen treffenden Vorwurfs (§ 17 Abs. 3 OWiG) die Verdoppelung der Regelgeldbuße (vgl. § 1 BKatVO, Tabelle 1, lfd. Nr. 11.3.7) von 100,-- auf 200,-- EURO erforderlich und angemessen. Das Ausmaß der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie der Umstand, dass der Betroffene diese unmittelbar im Vorfeld einer Baustelle begangen hat, lassen die Tat als besonders schwerwiegend erscheinen. Indem der Betroffene zudem zugleich eine Abstands-unterschreitung begangen hat, ist der ihn treffende Vorwurf beachtlich. Auch die Tatsache, dass der Betroffene mehrfach - teils einschlägig - vorbelastet ist, rechtfertigt die Verdoppelung der Regelgeldbuße.

Auch der Senat hält die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots für erforderlich, um in dem erforderlichen Ausmaß erzieherisch auf den Betroffenen einzuwirken. Nach den Feststellungen des Bußgeldrichters sind die Voraussetzungen eines Regelfalles gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKatVO erfüllt, so dass die Anordnung eines Fahrverbots grundsätzlich angezeigt ist. Die neuere Rechtsprechung für die Fälle so genannter einfacher Fahrlässigkeit ist ersichtlich nicht einschlägig (vgl. BGH NJW 1997, 3252). Hinreichenden Anlass dafür, ausnahmsweise von einer Verhängung der Maßnahme abzusehen, hat das Amtsgericht nicht gesehen. Diese tatrichterliche Würdigung (vgl. BGH aaO, 237) lässt Rechtsfehler nicht erkennen und ist deshalb vom Beschwerdegericht hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 79 Abs. 3, 473 StPO. Der Senat hat davon abgesehen, die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren zu ermäßigen und die notwendigen Auslagen des Betroffenen teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, da die Rechtsbeschwerde lediglich zu einer unwesentlichen Korrektur des Schuldspruchs und einer unwesentlichen Herabsetzung des Bußgeldes geführt hat (vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner StPO § 473 Rdnr. 25).

Ende der Entscheidung

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